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Globale Geschlechtergerechtigkeit als Ziel Affektive Gegenangriffe

Spoiler vorab: Weder in Deutschland noch anderswo herrscht momentan eine Gender- oder Diversitätsdiktatur, in der Frauen, Schwarze, Behinderte oder Migrantinnen autoritär regieren. Was durchaus zutrifft ist, dass global in einigen wenigen Ländern soziale Bewegungen heteropatriarchale Macht ein wenig poröser haben werden lassen. Marginalisierte Stimmen werden stärker gehört. Rechte etwa für Schwule und Lesben sind punktuell erkämpft worden.

Datenkolonialistische Härte gegen Frauen und Marginalisierte.

Die neuen Monarchen des Cloud Empires Donald Trump und Elon Musk wenden gegen Frauen und Marginalisierte wiederum alle datenkolonialistische Härte an, die ihnen zur Verfügung steht. Datenkolonialistisch bedeutet, dass so viele Daten wie möglich aus Territorien, Körpern und Lebewesen der Erde extrahiert, genutzt und verarbeitet werden. Für die USA werden daraus endlose Blacklists mit Begriffen generiert, die aus den machtsensiblen Wissenschaften kommen. Diversity, Gender oder sozioökonomischer Status sind Kategorien, die KI-basierten Suchsystemen dienen, um Projekte zu verhindern und engagierte Akteure in Institutionen ausfindig zu machen, um sie zu entfernen. Das Ziel dieser entfesselten Herrschaft des Techno-Kapitals ist maximale Ungleichheit in Einkommen und Vermögen. Mit rechtlichen, unternehmerischen und technischen Mitteln. Zwischen den Geschlechtern. Nach Pass, Hautfarbe und Religion.

Wie der Philosoph Paul B. Preciado schrieb, war es naiv zu glauben, »dass die alten Eliten, die die fossilen Energien, die Arbeitskraft von Frauen und Migranten, sowie die Natur ausgebeutet haben, ihre Privilegien gewaltlos aufgeben würden«. Leute wie Elon Musk oder Javier Milei führen keinen Aufstand gegen die herrschende Klasse, gegen das »grüne Shitbürgertum«, sondern wollen eine klare kapital-koloniale Ordnung erneuern, die seit Jahrzehnten von feministischen und antirassistischen Bewegungen infragegestellt wird. Diese neofaschistische Welle, so stellt Preciado zu Recht fest, ist nicht entstanden, weil soziale Bewegungen neue Normen und Feministinnen Genderdiktaturen errichteten, sondern weil diese Bewegungen nicht verhindern konnten, dass die Rechten die Institutionen übernehmen.

Erinnert sei aber auch daran, dass rechtslibertäre Argumentationsmuster für viele Queer-Feminist:innen alte Bekannte sind. Auch Marxisten und Marxistinnen poltern seit langem gegen sogenannte Identitätspolitik und ihre teils bewussten Verdrehungen konnten relativ einfach in rechtslibertäre Ideologien eingepasst werden. So argumentierte beispielsweise Slavoj Žižek schon vor zwei Jahrzehnten, dass die Stilisierung queeren Begehrens in neoliberalen Gesellschaften nichts Außergewöhnliches mehr darstelle und die Hinterfragung, Dekonstruktion oder Aufweichung kollektiver und individueller Identitäten keine Widerständigkeit mehr bedeute, sondern im Gegenteil der Logik des multinationalen Kapitals entspringe.

»Angemessener Feminismus«

Žižek bezog sich auf die kleine Schwester der Diversität – den Begriff des Multikulturalismus, mit dem der Reaktorphilosoph die »hybride Koexistenz diversifizierter kultureller Lebenswelten« zusammenfasste. Der Kampf für die Rechte von Lesben, Schwulen und ethnischen Minderheiten, die Pluralität verschiedener Lifestyles oder die akademische Etablierung der Cultural Studies unterstützten und verwischten in seinen Augen die triumphale Ausbreitung des multinationalen Kapitalismus. Bezeichnenderweise führte Žižek gern die Figur der Feministin ins Feld, die sich nur für Probleme der Kino- und Literaturtheorie oder für die Rechte von »Lesben« interessiere. Dem hielt er einen – in seinen Augen angemesseneren – Feminismus entgegen, der sich »sozialen« Angelegenheiten wie den »konkreten« Problemen arbeitender Frauen mit Kindern widme, heute ebenfalls eine zentrale Argumentation von Anheizer:innen wie etwa J.D. Vance, in dessen Augen Trump die Stimme der abgehängten Unterklasse ist.

Ewige Kämpfe gegen normative Subjektivierung und die Zurückweisung von Identitäten wie »Schwuler« oder »Lesbe«.

Auch wenn Zizek mit einigen »poststrukturalistischen« Positionen, wie sie seit den 90er Jahren artikuliert werden, immer auch übereinstimmte, barg seine Argumentation Probleme in sich. Er trennte zwischen kultureller und ökonomischer Sphäre und definierte »soziale Probleme« als diejenigen, die aus dem Widerspruch von multinationalem Kapital und Arbeit resultieren. Ihnen stellt er kulturelle Kämpfe entgegen, die für die »partikularen Rechte von Minderheiten« eintreten. Damit verkannte er jedoch, dass sich queere Bewegungen nicht für die Anerkennung von Identitäten einsetzen, um dann Umverteilung zu erwirken oder Ressourcen zu erhalten. Vielmehr ging es seit jeher um das Gegenteil: um Kämpfe gegen normalisierende und normative Subjektivierung und die Zurückweisung von Identitäten wie »Schwuler« oder »Lesbe«. Für Žižek waren Machtverhältnisse wie heteronormative Subjektivitäten gegenüber Unterdrückungsverhältnissen wie soziale Ungleichheit sekundär, heute wird diese symbolische Abwertung in den USA durch eine kleine Schuljungengruppe von KI-Experten aka DOGE aggressiv ausbuchstabiert.

Allen ist gemein, dass sie Heteronormativität in ein diffuses Feld der Kultur verweisen, das dann beispielsweise »queere Partycommunities« umfasst und unbeachtet lässt, dass normative Heterosexualität auch ökonomische, rechtliche und landwirtschaftliche Bereiche durchziehen. Queer-marxistische Ansätze wie die von Jule Govrin, Bini Adamczak oder Christine Klapeer werden selbstverständlich nicht berücksichtigt. Auch die Bestimmung von »arbeitenden Frauen mit Kindern« als das wahre Subjekt eines kapitalismuskritischen Feminismus ist auf einer politisch-strategischen Argumentationsebene problematisch. Lebensentwürfe und Selbstverhältnisse, die eine binär-hierarchische Geschlechterordnung unterwandern, werden ausgeblendet. Das Ziel ist eine neue Norm von »richtigen« Kämpfen aufzustellen, die sich gegen die Logik des multinationalen Kapitals wenden und aus der dann andere Widersprüche abgeleitet werden.

»Eine Kritik rechter Wissensproduktion, die auf Enthüllung setzt, bleibt wirkungslos.«

Wie aber gegen die Misere angehen? Viele linke Akteur:innen setzen weiterhin auf Aufklärung. Es wird argumentiert, belegt, gezeigt. Mit Zahlen und Statistiken. Und verwundert gefragt, warum die Transformation dennoch nicht gelingt. Medienwissenschaftler:innen wie Simon Strick oder Mary Shnayien, die Affektpolitiken der globalen Rechte erforschen, verweisen seit langem darauf, dass eine Kritik rechter Wissensproduktion, die auf Enthüllung setzt, wirkungslos bleibt. Die Gegenstrategie der »argumentativen Demaskierung« gehe nirgendwo auf. »Und damit meine ich: gar nicht«, so Strick, die »automatisierte Geste der Überführung muss also entlernt werden: Sie funktioniert nicht.«

Antwort von links

An dem, was die globale Rechte an Inhalten, Gefühlen und Beheimatungen produziert, sollte im Idealfall also nicht bloß argumentativ, sondern auch auf Ebene des Affektiven angesetzt werden. Vom Affektiven ausgehen hieße, auf unausgesprochenen, weithin verbreiteten Mustern aufzubauen. Was wird gedacht aber nicht artikuliert? Welche alternativen Realitätskonstruktionen auf Basis eingängiger Slogans, massenhaft vorhandener Bilder und unausgesprochener, weithin verbreiteter Muster können, auch unterstützt durch KI-Bildmaschinen, geschaffen werden, könnte ausgehend vom Bildforscher Roland Meyer auch für linke Politiken gefragt werden?

Der Kniff ist, dass der viel beschworene kleine Mann, die unangenehme Figur des Volkswillens, eben auch ein Begehren nach Zusammenhalt, Frieden und gemeinsamem Reichtum sein kann, nach wirklicher Umverteilung und Geschlechtergerechtigkeit. Nach Frauen die Freundinnen sind, genug Zeit haben, um ihr Leben zu genießen, die nicht dienen, allein zuhause sitzen oder Teilzeitjobs, Familie und schlechtes To-Go-Essen vereinbaren müssen. Auch solche Wünsche sind latent und können mobilisiert werden. So befürworten etwa genauso viele Deutsche eine Besteuerung der Superreichen und eine grundlegende Umverteilung wie sie den Faschismus begehren oder glauben, dass weniger Geflüchtete auf deutschem Territorium zu einem Anstieg ihrer Rente führen würde.

Ein Blick nach Brasilien.

Die Partido dos Trabalhadores verhalf Frauen wie Anielle Franco zu Sichtbarkeit, indem sie zur Ministerin für Gleichstellung ethnischer Gruppen ernannt wurde. Franco ist die Schwester der 2018 durch ein Autofenster hingerichteten Marielle Franco, die Stadträtin von Rio des Janeiro war und Militärgewalt bekämpfte. Aufgewachsen sind beide in der Favela Maré. Ziel des Ministeriums ist, Rassismus auf struktureller Ebene zu bekämpfen. In Brasilien verdienen Schwarze Menschen im Durchschnitt weniger, sind häufiger Opfer von Gewalt und werden überproportional oft von der Polizei getötet. Rund 77 Prozent der jährlich etwa 50.000 Mordopfer sind schwarz. Um soziale Ungleichheiten abzumildern, hat Brasilien eine Quote gegen Klassendiskriminierung eingeführt: 50 Prozent der Studienplätze an öffentlichen Universitäten sind für Absolventinnen und Absolventen staatlicher Schulen reserviert.

Innerhalb dieser Gruppe erhalten wiederum die Hälfte der Plätze Studierende aus einkommensschwachen Haushalten. Zusätzlich sind innerhalb dieser Kontingente Plätze für Schwarze und indigene Menschen entsprechend ihres Bevölkerungsanteils im jeweiligen Bundesstaat vorgesehen. Seit 2016 gilt eine ähnliche Regelung auch für Menschen mit Behinderung. Die Soziologin Rosana Heringer hat die Auswirkungen dieses Quotengesetzes untersucht und spricht von einem großen Erfolg: Der Anteil Studierender aus einkommensschwachen Familien, darunter viele Schwarze und Indigene, ist deutlich gestiegen – insbesondere in stark umkämpften Studiengängen wie Medizin und Jura.

Dennoch: Als Gegenstrategie allein auf Affekte zu setzen, kann gelinde gesagt im Chaos enden. Linke Politiken und Feministinnen müssen also leider weiter in den sauren Apfel beißen, ambivalent und komplex bleiben und an vielen Stellen ansetzen.

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