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1920: Generalstreik gegen den Kapp-Putsch

Nur 16 Monate nach dem revolutionären Sturz der Monarchie sowie ganze sieben Monate nach der Verabschiedung einer neuen, republikanischen Verfassung und dem vorausgegangenen Abschluss des drückenden Versailler Friedens drohte dem Deutschen Reich der offene, reaktionäre Umsturz: Unter der Führung des ostpreußischen Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp, eines Alldeutschen, und des Reichswehrgenerals Walther Lüttwitz marschierten am 12. und 13. März 1920 die Einheiten der Freikorps-Marinebrigade Ehrhardt in Berlin ein und erklärten die aus SPD, katholischem Zentrum und liberaler DDP gebildete Reichsregierung für abgesetzt.

Der unmittelbare Anlass war die aufgrund des Friedensvertrags bevorstehende Auflösung einiger militärischer Formationen, so auch der Brigade Ehrhardt; der tiefere Grund lag in der innenpolitischen Polarisierung seit dem Jahreswechsel 1918/19: Sowohl innerhalb der sozialistischen Arbeiterbewegung mit bürgerkriegsähnlichen Zusammenstößen im Winter und Frühjahr 1919 (zuletzt einem Blutbad von Sicherheitskräften bei einer Massendemonstration von USPD und KPD gegen den Entwurf des Betriebsrätegesetzes vor dem Reichstag am 13. Januar 1920), als auch zwischen Republikanern und rechten Republik- bzw. Demokratiegegnern. Diese hatten sich anfangs hinter die mehrheitssozialdemokratische Führung, vor allem hinter den Wehrminister Gustav Noske, gestellt, traten aber mit wachsendem zeitlichen Abstand zum Staatsumsturz vom November 1918 wieder als eigener Faktor in Erscheinung. Im Oktober 1919 war in Berlin eine »Nationale Vereinigung« gegründet worden, in der ehedem leitende Militärs wie General Ludendorff und Oberst Bauer zusammen mit Politikern der annexionistischen Deutschen Vaterlandspartei von 1917 einen gegenrevolutionären Umsturz vorbereiteten.

Der Staatsstreich fand offene Unterstützung in Kreisen der ostelbischen Großgrundbesitzer, Sympathien bei Schwerindustriellen und Offizieren, in völkischen Verbänden, sowie in Teilen der rechtskonservativen Deutschnationalen Volkspartei, doch es zeigte sich, dass eine Koordination mit dem antirepublikanischen Gesamtspektrum weder vorher erfolgt war noch hergestellt werden konnte. Vermutlich wäre das Unternehmen ohnehin an seinem Dilettantismus gescheitert, bei einer Verhandlungslösung wohl nicht ohne Konzessionen an die Putschisten. Zu erkennen war das indessen nicht sogleich.

Mit Ausnahme des Chefs der Heeresleitung, General Walther Reinhardt, weigerte sich die Reichswehrführung, dem Staatsstreich bewaffnet entgegenzutreten. Auch diejenigen, die mit dem Putsch nichts zu tun haben wollten, teilten die Einstellung des Generalobersten Hans von Seeckt: »Truppe schießt nicht auf Truppe« (als wörtliches Zitat nicht absolut gesichert). Die Illoyalität der Militärs veranlasste die Reichsregierung, mehrheitlich nach Dresden, dann nach Stuttgart auszuweichen, während einige Kabinettsmitglieder in Berlin blieben. Justizminister Eugen Schiffer (DDP) und ebenso die der SPD angehörenden preußischen Minister Wolfgang Heine und Albert Südekum nahmen mit der selbsternannten Regierung des »Reichskanzlers« Kapp eigenmächtig Gespräche auf, um Verständigungsmöglichkeiten hinsichtlich einer Beendigung des Abenteuers zu sondieren. Das kostete die Beteiligten nur wenig später ihre Ämter. Auch Gustav Noske musste zurücktreten.

Erst der Widerstand von unten legte Reichsregierung und Nationalversammlung auf eine Linie prinzipieller Kompromisslosigkeit fest. Zusätzlich zu einem von den leitenden Organen der Exekutive erlassenen Aufruf an das deutsche Volk, der namentlich die Beamten zur Treue gegenüber der verfassungsmäßigen Regierung mahnte, riefen die sozialdemokratischen Minister zusammen mit der SPD als Partei und den Freien Gewerkschaften den Generalstreik aus. Inhaltlich wie im Ton musste der Aufruf den Eindruck eines Abrückens von der mehrheitssozialdemokratischen Linie der vorausgegangenen Periode, insbesondere mit der »Noske-Politik« des Zusammengehens mit dem kaiserlichen Offizierskorps erwecken. Die liberalen und christlichen Arbeiternehmerverbände, auch Beamtenorganisationen, schlossen sich dem Generalstreik an. Das gilt ebenso für die USPD, die eine eigene, linkssozialistische Streikleitung bildete, und die noch recht kleine KPD, die zunächst keine Neigung gezeigt hatte, den »Arbeiterverrätern« der SPD zu helfen.

An dem Generalstreik beteiligten sich zwölf Millionen Arbeiter, Angestellte und Beamte; für jeden erkennbar wies er über die schlichte Abkehr des Putsches hinaus und verkörperte einen spontanen und breiten Protest gegen »den Militarismus« und »die Reaktion«. Dabei war die direkte Wirkung des Streiks im Hinblick auf das bevorstehende Wochenende begrenzt.

Als gälte es, die Entwicklung seit Jahresbeginn 1919 rückgängig zu machen, schickten sich die Massen an, die Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden – räteähnliche überparteiliche Aktionsausschüsse traten überall ins Leben – und forderten ein energisches Vorgehen gegen die Republikfeinde in Heer und Verwaltung sowie erste Schritte zu einer sozialen Neuordnung. Der durchaus gemäßigte Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund verabschiedete unter der Federführung von Carl Legien ein Neun-Punkte-Programm, das das allgemeine Verlangen der Basis zusammenfasste und in der Bildung einer »Arbeiterregierung« gipfelte. Diese scheiterte nicht nur an der Ablehnung einer Tolerierung durch die bisherigen bürgerlichen Regierungsparteien und an der Verweigerung Legiens, der den Posten des Kanzlers hätte übernehmen sollen, sondern auch an dem teils offen geäußerten, teils versteckten Unwillen von USPD und SPD zusammenzuarbeiten.

Vor allem im rheinisch-westfälischen Industriegebiet gingen die Arbeiter selbsttätig gegen die einrückenden Freikorps vor, als das freigewerkschaftliche Streikkomitee am 20. März zur Wiederaufnahme der Arbeit aufrief. Ein mit allen drei sozialistischen Parteien und den Gewerkschaften ausgehandeltes »Bielefelder Abkommen« scheiterte im Ansatz, weil die regionale Reichswehrführung es ebenso ablehnte, wie große Teile der misstrauischen Ruhrarbeiterschaft und auch die Berliner Regierung nur halbherzig dafür eintrat. Und so kam es zu dem größten bewaffneten Arbeiteraufstand der deutschen Geschichte und dem größten Volksaufstand seit dem Bauernkrieg von 1525, in dem sich eine bis zu 50.000 Mann starke »Rote Ruhrarmee« formierte, mehrheitlich links von der SPD-Mitgliedschaft. Die Kontrolle über die Kommunalverwaltung und repressive Maßnahmen wie eine Zensur der nichtsozialistischen Presse sowie umfangreiche Requirierungen entsprachen vermeintlichen militärischen Notwendigkeiten. Ansonsten unterschieden sich das Verhalten der Leitungsinstanzen und die jeweiligen Zustände erheblich: Zwischen dem relativ gemäßigten, überlegten Vorgehen der Hagener USPD-orientierten Zentrale und dem des linksradikal-syndikalistischen Mülheimer Vollzugsausschusses, mehr noch der ultra-radikalen, anarchistisch geprägten chaotischen Entwicklung in Duisburg lagen Welten, während sich der Essener Zentralrat vergeblich um eine einheitliche Befehlsstruktur bemühte.

Regional beschränkt hatte die Rote Ruhrarmee eh keine Chance; in Thüringen und Sachsen war das Militär schnell siegreich gewesen. Das eigenmächtige Vorgehen der Reichswehrtruppen unter dem Kommando von Generalleutnant von Watter, der dem Ultimatum der Reichsregierung zur Ablieferung der Waffen technisch unerfüllbare Bedingungen hinzufügte, provozierte Ende März ein erneutes Aufbäumen der Ruhrarbeiterschaft, die in ihrer übergroßen Mehrheit erneut in den Streik trat. Da die meisten Angehörigen der Roten Ruhrarmee eine unblutige und nicht demütigende Niederlage nicht akzeptieren wollten, kämpften selbstständig handelnde, isolierte Gruppen weiter.

Für das, was Anfang April 1920 folgte, ist »weißer Terror« keine polemische Übertreibung. Vereinzelte Übergriffe nach russisch-bolschewistischem Muster verblassten hinter dem brutalen und nicht selten grausamen Vorgehen des Militärs mit über 1.000 Toten aufseiten der Arbeiter, darunter 50 Vollstreckungen von Standrechtsurteilen, (bei 249 Toten und 123 Vermissten seitens der Soldaten und der Polizei).

Der Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch und die anschließende Aufstandsbewegung widerlegen, zumindest für die Frühphase der Weimarer Demokratie, die schon zeitgenössische Parole von der »Republik ohne Republikaner«. Das grundlegende Dilemma bestand vielmehr darin, dass recht unterschiedliche Vorstellungen darüber bestanden, wie Staat und Gesellschaft im republikanischen Deutschland gestaltet werden sollten. Dabei ist nicht nur an die Spaltung SPD/USPD, später – damit nicht identisch – SPD/KPD zu denken, sondern auch an die gegensätzliche Auffassung des Verfassungskompromisses, der mit seinen Zugeständnissen an Gewerkschaften und Sozialdemokratie einem wachsenden Segment des bürgerlichen Spektrums schon zu weit ging, während auch die gemäßigten Fraktionen der Arbeiterbewegung in ihm den Ausgangspunkt für weitere Demokratisierung und tiefere Eingriffe in die Sozialordnung sahen.

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