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Editorial

Große Feiern überall, in Sälen, Ausstellungen und seit Langem schon in den Massenmedien aller Gattungen und Richtungen. Der Aufwand könnte größer und – wie merkwürdig! – die Stimmung einhelliger kaum sein. Es geht um einen Geburtstag (am 5. Mai), den eines »bedeutenden Sohnes« unseres Landes. Je länger dieser zurückliegt (200 Jahre), umso mehr weichen Zweifel und altgewohnte Ablehnung einer Art neuer Heldenverehrung. Es geht um Karl Marx, über eine sehr lange Zeit in der deutschen Öffentlichkeit eher zuständig für die Rolle des Sündenbocks und verantwortlich für einen Teil der großen Verbrechen des 20. Jahrhunderts, die in der Tradition Wladimir Iljitsch Lenins und Josef Stalins unter Missbrauch seines Namens verübt wurden, bis mitten in das deutsche Land hinein. Für viele andere, die wussten, dass hier ein eklatantes, wenn auch eifrig geschürtes Missverständnis vorlag (um dem Generalverdacht gegen das »Prinzip Links« beständig neue Nahrung zuzuführen), schien sich Marx hingegen als politischer Ökonom, der er doch in der Hauptsache sein wollte, erledigt zu haben. Gleiches gilt für die ganze, etwas prinzipieller angelegte Kritik am Kapitalismus, deren Voraussetzungen mit dessen erfolgreicher sozialer, demokratischer und makroökonomischer Einbettung endgültig entfallen zu sein schienen. Mittlerweile haben zwei historische Großereignisse die Lage komplett verändert. Der Sowjetkommunismus ist widerlegt und verschwunden, aber der Kapitalismus ist mit manchen seiner hässlichsten Geburtsfehler, wenn auch sicher nicht auf ganzer Linie, zurückgekehrt. Das bürgerliche Feuilleton (namentlich das der FAZ) gehörte zu den ersten, die daraufhin eine »Marx-Renaissance« ausriefen, sozusagen als radikalste Form der Kulturkritik, dementsprechend auch zumeist ohne Folgen für die Rubriken Wirtschafts- und Sozialpolitik ihrer Blätter. Dabei ist es gerade die Kernbotschaft des realen Marx, die nach dem Scheitern des Neoliberalismus Aktualisierung verdient: Um alle Verhältnisse zu überwinden, in denen der Mensch ein erniedrigtes und verachtetes Wesen ist, muss die Logik des Kapitals durch die menschengerechte Logik der sozialen Rücksicht und Voraussicht ersetzt werden. Die politische Mobilisierung für ein solches Programm der Erneuerung der sozialen und wirtschaftlichen Demokratie müsste der Impuls sein, der vom großen Feiern ausgeht. In der Oktoberausgabe 2017 haben wir uns diesem Thema umfassend gewidmet (noch lieferbar!). Wir führen es in unserer laufenden Debatte »Zukunft Sozialdemokratie« weiter. Mit der Wahl von Andrea Nahles zur Parteivorsitzenden sind die Weichen dafür gut gestellt.

In dieser Ausgabe geht es um eine andere Renaissance, die des »rechten Denkens«. Wir sondieren die Ursachen und Folgen und sortieren die zugehörigen Begriffe.

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