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Editorial

Ein »Zeitalter der Unsicherheit« ist unsere Epoche von dem herausragenden New Yorker Historiker Tony Judt, der bis zu seinem frühen Tod 2010 diesseits und jenseits des Atlantiks einflussreichsten Stimme der Sozialdemokratie, genannt worden. Eine Zeit, die infolgedessen für historische Rückfälle in hohem Maße anfällig sei. Diese Sicht ist inzwischen zum Ausgangspunkt der meisten realistischen Zeitdiagnosen geworden. Sie spielt auch eine Schlüsselrolle bei fast allen Versuchen, die unverhoffte Welle des autoritären Nationalismus zu verstehen, die in kurzer Zeit über weite Teile Amerikas und Europas hereingebrochen ist und womöglich ihren Höhepunkt noch nicht einmal erreicht hat. Letzteres wird sich bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai kommenden Jahres erweisen. Kaum bestreitbar erscheinen, wie die Beiträge der vorliegenden Ausgabe zeigen, zwei Grenzbefunde. Der erste Befund ist trivial: Vollkommene Sicherheit gibt es nur als Illusion oder Täuschung. Das kann und darf freilich niemanden beruhigen. Denn der zweite Befund ist ein hochpolitischer: Zu viel Unsicherheit nährt Irrationalität, Verzweiflung und Extremismus. Das kann gute Politik nicht nur weitgehend verhindern, es ist sogar ihr wesentlicher Auftrag. Die persönliche Sicherheit im öffentlichen Raum war der Gründungszweck des modernen Rechtsstaats und der Demokratie; die soziale Sicherheit ist der Sinn des Sozialstaats, eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften der Neuzeit. Wo sich das Gefühl der Unsicherheit ausbreitet, gehören beide staatlichen Strukturen auf den Prüfstand. Es ist dann zu fragen, ob sie nach Art und Leistungsniveau noch erreichen, wozu sie eigentlich da sind. Andernfalls muss rasche Abhilfe geschaffen werden. Das aber ist, so das Fazit von Tony Judt, die »historische Mission« der Sozialdemokratie. Ein Weckruf, der nicht verhallen sollte.

Von unserem öffentlichen Jahresforum 2018 über die Aufgaben der Sozialen Demokratie im 21. Jahrhundert übernehmen wir einen Text des niederländischen Experten für Migration und Integration Paul Scheffer. Er bringt die langjährigen und reichhaltigen Erfahrungen seines Landes in beiden Bereichen mit Blick auf die deutsche Debatte auf den Begriff. Auch wenn es dabei vielleicht nicht mehr um die allerwichtigsten, geschweige denn die einzigen Fragen der Zeit geht, dürfte unbestreitbar sein, dass der Schwebezustand, in dem beide Themen nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa hängen, nachhaltig destruktive Folgen für das gesellschaftliche und politische Klima hat und den rechten Populismus beständig nährt. Wir werden diese Diskussion weiterführen.

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