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© Christian Dubovan/Unsplash

Abgesicherte Freiheit in einer digitalen Arbeitswelt

Die Freiheit und die Möglichkeiten, die Menschen heutzutage haben, scheinen größer zu sein, als jemals zuvor. Durch das Internet können sie über Kontinente hinweg kommunizieren und haben schnelleren Zugang zu Wissen. Durch den internationalen Handel und Reisen können sie andere Kulturen und Länder kennenlernen. Durch die Angebote der Digitalisierung können sie viele kleine Dinge des Alltags besser organisieren – sei es die Buchung eines Bahntickets oder den Zugang zu einer Tageszeitung. Die Freiheitsräume scheinen also in den letzten Jahren immer größer geworden zu sein. Doch dieser Schein trügt. Viele Menschen können von der globalen und digital vernetzen Welt nicht profitieren. Anstatt gesellschaftlichen Aufstieg zu erfahren, erleben viele das Gegenteil. Sie haben Angst durch die neuen Entwicklungen den Anschluss zu verlieren. Die Kräfte der Märkte – getrieben von Profitmaximierung und Rationalisierung – drohen die Einzelnen zu vergessen. An die Stelle von Optimismus und der Vorfreude auf die Zukunft sind Sorgen getreten: über den Verlust von Freiheiten und des eigenen Wertes für die Gesellschaft.

Aufgabe eines modernen Sozialstaates ist es, den Menschen diese Zukunftssorgen zu nehmen und die Kräfte des Kapitalismus zu bändigen. Er muss ihnen ein Leben in abgesicherter Freiheit garantieren. Diese verstehen wir als staatliche Garantie zur Teilhabe an der Gesellschaft. Sie muss durch eine engagierte und am Menschen orientierte Sozialpolitik aktiv befördert werden. Abgesicherte Freiheit in Zeiten beruflicher Digitalisierung kann nur in einem Zusammenspiel von staatlicher Absicherung und beruflichen Freiheiten zur Aus- und Weiterbildung erreicht werden.

Die bestehenden Formen der Grundsicherung sind gesellschaftlich, ökonomisch und sozialpolitisch problematisch. Ihr Leistungsniveau ist häufig nicht armutsfest, ihre Veranlagung stellt den Zwang zur Arbeitsaufnahme in den Mittelpunkt, ihre Verwaltung ist sperrig und bürokratisch. Auch das deutsche Arbeitslosengeld II kann kein selbstbestimmtes Leben garantieren. Damit eine Grundsicherung nicht die Entwicklung einer digitalisierten neoliberalen, bzw. marktradikalen Gesellschaft fördert, sondern einen Beitrag zu einer freiheitlich-solidarischen Gesellschaft liefert, muss sie an den Werten der sozialen Demokratie orientiert werden: Im Sinne der Freiheit garantiert der Sozialstaat ein selbstbestimmtes Leben. Die Leistungen einer Grundsicherung müssen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. In Bezug auf Gerechtigkeit orientiert sich der Sozialstaat an den Bedürfnissen der einzelnen Bürger/innen. Dementsprechend muss eine Grundsicherung die Lebenssituation der Menschen berücksichtigen, indem sie gesundheitliche Einschränkungen, familiäre Umstände oder ähnliches miteinbezieht. Eine Grundsicherung darf niemanden diskriminieren. Weiterhin entbindet sie den Staat nicht von seiner Verantwortung, Menschen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Um den Lebensläufen der Menschen über die Grundsicherung hinaus Freiräume zu eröffnen, sowie private Flexibilität, berufliche Umorientierung und Weiterbildung zu ermöglichen ist die Einführung eines Sozialerbes sinnvoll. Allen Bürger/innen werden auf ein Langzeitkonto jährlich bis zum 20. Lebensjahr 1.000 Euro aus staatlichen Mitteln eingezahlt, die später für Auszeiten zur Kindererziehung, zur Pflege von Angehörigen, für Qualifizierungsmaßnahmen oder auch ehrenamtliche Tätigkeiten genutzt werden können. Ziel ist es, eine Auszeit von der Arbeit aktiv zu unterstützen und den Druck von den Zwängen einzelner Erwerbsbiografien zu nehmen. Somit bildet das Sozialerbe neben der Grundsicherung eine unterstützende Säule, um allen Menschen ein Leben in abgesicherter Freiheit zu garantieren. Die Kosten für diese Sozialleistung würden weniger als ein Drittel der Ausgaben für die Verteidigungspolitik betragen und könnten etwa durch eine Anpassung der Erbschaftsteuer finanziert werden.

Digitales Arbeitsleben

Bereits während der Ausbildung müssen digitalaffine und selbstbewusste Arbeiter/innen ausgebildet werden. Doch anstatt ein Antrieb für Veränderungen zu sein, ist die Digitalisierung in der Ausbildung keine bewusste und zukunftsorientierte Entscheidung, sondern derzeit nur eine Branding-Strategie. Denn die Digitalisierung der Berufsausbildung stockt an mehreren Stellen: Vorkenntnisse sind schlecht bzw. gar nicht vorhanden, die Ausstattung mit Lerngeräten ist unzureichend, Vernetzung oder Austausch finden kaum statt. Dabei nutzen viele Auszubildende in ihrer Freizeit elektronische Geräte zum individuellen und sozialen Lernen. Vor allem Auszubildende mit einem Hauptschulabschluss geben an, dass sie sich durch digitales Lernen motiviert fühlen. Allerdings variiert die digitale Ausstattung stark: Viele Menschen können sich den Zugang nicht leisten. Die Unternehmen und Bildungseinrichtungen tragen dafür Sorge, dass digitale Ungerechtigkeiten und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Ausbildungen und den Auszubildenden durch einen hürdenfreien Zugang zu digitalisiertem Wissen unterbunden werden.

Für viele Bürger/innen ist die Arbeit der Mittelpunkt des Lebens. Nur durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft können sie sich finanziell ausreichend absichern. Doch mit dem digitalen Wandel geht auch die Sorge um die eigene finanzielle Absicherung einher sowie die Angst, sich nicht schnell genug an die Veränderungen anpassen zu können. Damit der digitale Wandel als positives Zukunftsszenario und Chance für alle begriffen werden kann, müssen Unternehmen transparent vorgehen, Existenzängsten vorbeugen und Qualifizierung honorieren. Für eine erfolgreiche Umsetzung muss das ganze Unternehmen mitwirken, müssen geeignete Rahmenbedingen und Räume geschaffen werden, in denen Mitarbeiter/innen neue Möglichkeiten ausprobieren können, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Ein Beispiel hierfür ist das mobile Arbeiten. Hieraus erwachsen jedoch gleichzeitig neue Probleme wie die ständige Erreichbarkeit. Arbeitnehmer/innen haben aber auch in der digitalen Arbeitswelt ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit und geregelte Pausenzeiten. Solche Regelungen müssen mit dem Betriebsrat vereinbart und gesetzlich flankiert werden. Bei einer flexiblen Arbeitszeit, um zum Beispiel Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, würden interne Kernarbeitszeiten effektive Teamarbeit ermöglichen. Der Datenschutz muss hierbei ausdrücklich geregelt werden.

Weiterbildung soll praxisnah am Arbeitsplatz erfolgen. Das Konzept 70/20/10 kann dabei hilfreich sein: Lernen aus Erfahrung (70 %), Lernen von anderen (20 %) und Lernen durch Training und Selbststudium (10 %). E-Learning-Plattformen wie ILIAS helfen die Qualifizierungsmaßnahmen effektiv zu gestalten. Das dynamische Angebot soll den Austausch zwischen den Mitarbeiter/innen fördern. Mentor/innen und geschulte Mitarbeiter/innen dienen als Multiplikator/innen für den Strukturwandel im Unternehmen und helfen die Weitergabe von Wissen zu fördern. Coaches, Tutor/innen und Mentor/innen zeigen kontinuierlich neue Möglichkeiten auf und stehen bei Fragen der Belegschaft zur Seite. Reputation und Anerkennung sind Schlüsselfaktoren zur Steigerung der Wertigkeit von Wissensvermittlung. Die Befähigung und der Einsatz von Mitarbeitenden, Verantwortung innerhalb der eigenen Organisation zu übernehmen, fördert die Zugkraft interner Wissensvermittlung. Doch bisher liegen die Weiterbildungsquoten selbst bei Großbetrieben nur bei knapp unter 40 % und diejenigen, die dringend weitergebildet werden müssten, Kolleginnen und Kollegen in der Produktion und am Fließband, können oftmals kaum an Fortbildungen teilnehmen. Vielfach haben Unternehmen auch gar keine Weiterbildungskonzepte. Entsprechend ist auf diesem Feld politisches Handeln zwingend geboten.

Um ein modernes, digitales Arbeitsleben selbstbewusst gegenüber dem Arbeitgeber einfordern zu können, ohne um die eigene Absicherung fürchten zu müssen, sind die staatlichen Rahmenbedingungen wie Grundsicherung und Rente essenziell. Nur so können sich Arbeitnehmer/innen in der digitalen Welt im Sinne abgesicherter Freiheit ausprobieren, lernen und weiterbilden, bevor das Notwendige zum Unausweichlichen wird.

Sicherheit und Freiheit im Alter – die neue Alterssicherung

Am Ende des Arbeitslebens steht abgesicherte Freiheit im Alter und somit eine Alterssicherung, die den Lebensstandard erhält und Teilhabe auch nach dem Erwerbsleben weiterhin ermöglicht. Das momentane Rentensystem kann dies jedoch für viele Menschen nicht mehr garantieren. Das absinkende Rentenniveau, die Teilprivatisierung der Rente, wachsende Altersarmut, ein immer höheres Renteneintrittsalter sowie die Frage um die Finanzierbarkeit der Altersversorgung verdeutlichen dieses Problem. Der demografische Wandel setzt zwar ein, muss das Rentensystem aber nicht in die Knie zwingen, wenn eine wachsende Produktivität und das Erwerbspotenzial voll ausgeschöpft werden. Auch explodieren die Rentenkosten gemessen am Bruttoinlandsprodukt nicht. Bis 2070 sieht der Ageing-Report der EU-Kommission einen Anstieg der Rentenkosten um 2,4 Prozentpunkte vor. Die Finanzierung der Rente bleibt also beherrschbar und somit ist ein erheblicher Gestaltungsspielraum gegeben. Dieser sollte genutzt werden, denn die Digitalisierung und der fortschreitende Wandel der Arbeitswelt zeigen, dass das alte Modell des Standardrentners den neuen Realitäten und unsteten Lebensläufen nicht gewachsen ist.

Abgesicherte Freiheit für alle Mitglieder der Gesellschaft zu ermöglichen, bedeutet jedoch einen Systemwandel und einen universalen Begriff von Solidarität auch bei der Rente zu prägen. Ziel muss es deshalb sein, ein umverteilendes Rentensystem zu etablieren, welches auch Benachteiligte schützt und nicht mehr zwischen Rentnern und Pensionären unterscheidet. Nur mit der Perspektive auf eine solche Absicherung ist eine freie und zwanglose Entfaltung im Arbeitsleben möglich.

Das umlagefinanzierte Rentensystem wird dies auf lange Sicht nicht mehr, oder nur durch massive Steuerzuschüsse leisten können. Dadurch wird das Legitimationsproblem der Rente verstärkt.

Das Ziel einer umverteilenden, universalistischen Rente kann somit nur über die schrittweise Ersetzung der beitragsfinanzierten Rente durch ein dreistufiges steuerfinanziertes Modell mit im Grundgesetz festgeschriebenen Rentengarantien erfüllt werden. Erstens ist es nötig, eine Existenzsicherung zu gewährleisten, die sich am tatsächlichen Bedarf ausrichtet, armutsvermeidend wirkt und soziale Teilhabe ermöglicht. Zur Absicherung des Lebensstandards für langjährig Beschäftigte sollte zweitens eine lebensstandardsichernde Rente garantiert werden, die sich nicht an Entgeltpunkten oder am Rentenniveau orientiert, sondern am durchschnittlichen Lebensstandard einer Person während ihres Erwerbslebens. Drittens wird neben der Mindestrente ebenso eine Höchstrente eingeführt, um Akzeptanz und Solidarität im Alterssicherungssystem in der breiten Bevölkerung zu verankern. Ein solidarisches Rentensystem bedeutet gerade nicht die Einrichtung von Pensionszahlungen für Reiche über Steuern. Betriebs- und Privatrenten werden auch hierdurch wieder zu einem Bonus und nicht Teil der Lebensstandardsicherung.

Eine steuerfinanzierte Alterssicherung muss entfallende Beiträge durch eine Anpassung des Steuermodells kompensieren. Eine höhere und weit progressivere Einkommensteuer und ein Einkommensteuermodell, in dem der Arbeitgeber, ähnlich dem beitragsfinanzierten System die Hälfte der Einkommensteuer seiner Mitarbeiter zahlt, sind vorstellbar. Vor diesem Hintergrund erlangen angemessene und umverteilende Steuern wie Vermögen- und Erbschaftsteuer eine höhere Legitimität und sind umsetzbar. Auch eine Wertschöpfungsabgabe kann aufgrund der Entlastung der Unternehmen bei der entfallenden Beitragsfinanzierung vertreten werden. Ein solch progressives Steuermodell ist im digitalen Zeitalter am reaktionsfähigsten und innovationsfreundlich. Das Beispiel der Kompensation der sinkenden Lohnquote und somit der Reaktion auf eine erodierende Beitragsbasis durch die genannten Maßnahmen belegt die Sinnhaftigkeit eines steuerfinanzierten Modells.

Neue Zeiten erfordern neue Ideen und das Verlassen von lange betretenen Pfaden. Soll Sicherheit im Sinne abgesicherter Freiheit in einer neuen Arbeitswelt erreicht werden, muss sich die Alterssicherung neuen Gegebenheiten anpassen. Die steuerfinanzierte, lebensstandardsichernde Alterssicherung ist ein Schritt zu zukunftsfesten sozialen Sicherungssystemen.

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