Konzeptionelle Überlegungen und empirische Beobachtungen aus europäischen Nachbarländern helfen, das Halbdunkel möglicher Umgangsweisen zu beleuchten. Eine Mischung aus inhaltlicher Auseinandersetzung und repressiven Maßnahmen erscheint am besten geeignet, um Populismus zu begegnen.
Das Verhältnis von Demokratie und Populismus ist ein ambivalentes: Populist*innen halten sich oftmals für die »wahren Demokrat*innen«. Ihre Ideologie ist es, das »wahre« Volk an die Regierung zu bringen. Ihre Gegner*innen wiederum sehen darin eine Gefahr für die liberale Demokratie. Theoretisch kann der Populismus beides sein – Revitalisierungskur und Gefahr. Margaret Canovan und Cas Mudde verdanken wir die Einsicht, dass Populismus stets die Existenz eines »wahren« Volkes postuliert.
Der Rechtspopulismus definiert es ethnisch-national und exkludiert damit aus dieser Sicht nicht-zugehörige Bevölkerungsgruppen. Der Linkspopulismus appelliert an die »normalen Menschen« und strebt nach Inklusion von bislang unzureichend repräsentierten Gruppen. Beide Populismen gehen davon aus, dass eine korrupte Elite ihnen den berechtigten Machtzugang verwehre.
Die Lüge vom homogenen Volkswillen
Weil Populisten von einem feststehenden homogenen Volkswillen ausgehen, negieren sie die Notwendigkeit zur Aushandlung von Interessensgegensätzen. Kompromisse werden sogar oftmals als Verrat abgelehnt. Es ist dieses anti-pluralistische Element, dass eine frühzeitige Intervention notwendig macht. An der Regierung zeigt sich dies meist: nämlich dann, wenn jede Form der Opposition als Bedrohung des wahren Volkswillens betrachtet wird. Die vermeintlich »wahre« populistische Demokratie driftet dann in ein Regime mit eingeschränkten Freiheitsrechten ab.
Umgekehrt gibt es Fälle wie die griechische Syriza, die sich als Regierungspartei stärker ihrer pluralistische Kernideologie besann und weit weniger populistisch agierte. In diesem Fall revitalisierte ihr zeitweiliger Populismus in der Opposition die griechische Demokratie, indem er half, ein demokratisches programmatisches Politikangebot links der Mitte neu zu erschaffen. Nun durchlaufen aber nicht alle Parteien eine solche demokratiestabilisierende Transformation wie Syriza. Aber auch in diesen Fällen sollte Populismus als Hinweis auf echte Repräsentationsdefizite ernst genommen werden.
Lektionen aus unseren Nachbarländern
Die Politikwissenschaft weist stets auf den langfristigen Nutzen politischer Bildung hin: Sie vermittelt die Kompromissnotwendigkeit und zeigt reale Partizipationschancen auf. Nur kann politische Bildung keine real existierenden Prob-lemlagen wegdefinieren und einmal in die Welt gesetzte Mythen korrigieren. Ein zuvor vermitteltes Verständnis politischer Prozesse in der Breite der Bevölkerung hilft, Populismus gar nicht erst stark werden zu lassen.
Wahl zwischen repressiven und vergleichsweise toleranten Strategien
Wenn Populismus sich schon im politischen System festgesetzt hat, müssen staatliche Verwaltung, politische Parteien und Zivilgesellschaft Umgangsweisen mit diesem entwickeln. Die jeweiligen Akteure können laut der dänischen Politikwissenschaftlerin Angela Bourne grundsätzlich zwischen repressiven und toleranten Strategien wählen: Entweder werden Populist*innen als grundlegende Gefahr für die Demokratie begriffen und mit exzeptionellen und repressiven Mitteln bekämpft, etwa indem sie offensiv angegriffen, politisch ausgegrenzt oder gar verboten werden; oder Populist*innen werden als gewöhnliche Herausforderung betrachtet, der mit etablierten Mitteln der demokratischen Auseinandersetzung vergleichsweise tolerant begegnet wird.
Der Blick in die europäischen Nachbarländer zeigt: Hier wird Populismus seitens der Parteien, Verwaltung und Zivilgesellschaft deutlich toleranter begegnet. In Deutschland wird die Auseinandersetzung zwar auf allen Ebenen und mit allen Mitteln geführt; es überwiegen aber repressive Mittel, wie etwa parteipolitische Ausgrenzung, rechtliche Restriktionen und staatliche Überwachung. Der tolerantere Umgang in den Nachbarländern ist gelegentlich aber auch den Umständen geschuldet. In Staaten wie Polen, Ungarn und Italien sind rechtspopulistische oder gar rechtsradikale Parteien an der Regierung – und damit repressive verwaltungsrechtliche Maßnahmen unwahrscheinlicher.
In den Niederlanden und in Skandinavien gab es auf den ersten Blick widersprüchliche Strategien: zum einen phasenweise eine strikte Abgrenzung wie in Deutschland, zum anderen die Zusammenarbeit in einer Minderheitsregierung, dort häufig erzwungen durch die komplexen Bedingungen zur Mehrheits- und Regierungsbildung. Diese im Parteienwettbewerb erzwungene Teil-Kooperation führte insbesondere in Skandinavien zu einer veränderten Debatte über die Kernthemen der rechtspopulistischen Parteien wie die Migrationspolitik.
Dabei erfolgte keine Übernahme der rechtspopulistischen Positionen, sondern eine Aufnahme des Wettbewerbs um die beste Lösung nicht nur durch konservative, sondern auch durch sozialdemokratische Parteien. Elektoral scheint dies für sozialdemokratische Parteien erfolgreicher zu sein, als – wie in den Niederlanden und in der Schweiz der Fall – den dortigen Rechtspopulist*innen einen rot-grünen Block entgegenzusetzen und somit die thematische Kluft quasi unüberbrückbar zu machen.
Was tun?
Der in Deutschland dominante repressive Umgang lässt oftmals zwei Dinge außer Acht: Zum einen braucht es auch mit Populist*innen eine ernsthafte inhaltliche Debatte; zum anderen sollten allgemeine Überlegungen zum Parteienwettbewerb beherzigt werden. In Abwandlung und Ergänzung bestehender Kataloge, wie etwa dem von Fedor Ruhose, wollen wir folgende Handlungs-empfehlungen geben:
»Eine Verurteilung der Menschen sollte vermieden werden.«
Erstens: »Empathische« Gegenrede. Nicht Menschen, sondern Themen konfrontieren. Auch wenn es häufig schwerfällt: Hinter dem Anspruch, das »wahre Volk« zu repräsentierten, steht oft das Gefühl, mit den aktuellen Problemen, Bedürfnissen und Sorgen nicht gesehen zu werden. Mit den dahinterstehenden Themen soll und muss sich eine Demokratie auseinandersetzen – auch wenn die Anliegen zunächst unverständlich erscheinen. Eine Verurteilung der Menschen sollte vermieden werden – mit einer wichtigen Einschränkung: Von Extremist*innen, die sich nicht an die Spielregeln der Demokratie halten, muss man sich klar abgrenzen.
Zweitens: Gerüchten nicht glauben – von keiner Seite. Viele Populist*innen tendieren zum Verschwörungsglauben. Ihre Positionen werden daher selten ernst genommen. Umgekehrt werden aber auch Gerüchte über Populist*innen gestreut. Für eine Auseinandersetzung ist es wichtig, sich mit den tatsächlich vertretenen Aussagen der Populist*innen auseinanderzusetzen und nicht mit vermuteten. Eine gute Vorbereitung ist notwendig.
Drittens: Problemlagen in Populismushochburgen wahrnehmen. Die Hochburgen populistischer Parteien weisen europaweit ähnliche Strukturen auf: Entweder liegen sie wie in den Niederlanden und in Frankreich in ländlichen Regionen, wo sich der Widerstand gegen Reformen in der Agrarpolitik oder die grundsätzliche Vernachlässigung des ländlichen Raums Bahn bricht. Oder sie konzentrieren sich auf die schrumpfenden (ehemaligen) Schwerindustriestädte.
Auch bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Oktober 2022 konnte die AfD dort – wie in Salzgitter oder Wolfsburg – besonders zulegen. Der Strukturwandel hin zu einer nicht-fossilen Wirtschaft wird hier (in nachvollziehbarer Weise) als besonders bedrohlich empfunden. Innerhalb der Städte – seien es Universitäts- oder Industriestädte – zeigt sich übrigens ein ähnliches Muster: Rechtspopulistische Parteien, werden vor allem in den klassischen industriell geprägten Arbeitervierteln gewählt. Die Politik sollte die dort vorherrschenden Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit und das geringe Sicherheitsgefühl direkt angehen. Die Menschen in ländlichen Regionen brauchen verstärkt das Gefühl, mit ihren Sorgen und Nöten gesehen zu werden.
»Sozialdemokrat*innen sind die erste und sichtbarste Alternative zum Populismus.«
Viertens: Materiell und nicht kulturell argumentieren. Für sozialdemokratische Parteien ergibt sich ein besonderes Problem: Ihre Hochburgen liegen oftmals in denselben Vierteln und Regionen. Sozialdemokrat*Innen sind vor Ort viel stärker und öfter als andere Parteien mit Populist*innen konfrontiert. Sie bilden daher die erste und sichtbarste Alternative zum Populismus. Glaubwürdig sind sie aber nur dann, wenn sie die materiellen Sorgen der Bürger*innen aufnehmen. Die kulturalistischen – meist ausländerfeindlichen und klimaskeptischen - Argumentationsmuster des Rechtspopulismus sollte dabei ebenso vermieden werden wie eine naive Übernahme grüner Politikentwürfe. Ersteres legitimiert rechtspopulistische Rhetorik, letzteres führt zu einer weiteren Entfremdung von im Prinzip noch erreichbaren Wähler*innen, die zum (Rechts- oder Links-)Populismus neigen. Es gilt hier eigene Stärken und Deutungsmuster zu entwickeln.
Fünftens: Gemeinsame Initiativen vermeiden – aber auch nicht die Zustimmung zu einer Initiative ablehnen. Ein besonderes Problem ist, wie mit Populist*innen in der alltäglichen politischen Arbeit umgegangen werden sollte. Aufgrund des teils extremistischen Charakters rechtspopulistischer Parteien verbieten sich gemeinsame Initiativen in Stadt- und Gemeinderäten und darüber hinaus in allen Parlamenten. Allerdings sollte den Populist*innen auch nicht verwehrt werden, mit abzustimmen. Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass sie auch Zustimmung aus dem populistischen oder gar extremistischen Lager erhält.
Sechstens: Mit Demokrat*innen zusammenarbeiten. Auch wenn die besondere Rolle der Sozialdemokratie hervorgehoben wurde: Es ist eine Aufgabe aller Demokrat*innen, dem Populismus entgegenzutreten. Es muss klar sein, dass die Spielregeln der pluralistisch-liberalen Demokratie verteidigt werden müssen. Dies wird nur gelingen, wenn die Ablehnung eines radikalisierten Populismus partei- und lagerübergreifend deutlich gemacht wird.
Ein repressiver und abgrenzender Umgang sollte durchaus Teil einer jeden Strategie in einer Demokratie im Umgang mit Populismus sein. Aber: Abgrenzung allein reicht nicht. Politik muss sich mit zugrunde liegenden Problemen auseinandersetzen, ohne dabei populistisch eingestellte Menschen moralisch zu verurteilen. Wenn auf diese Weise zuvor vernachlässigte Themen und Pro-blemlagen ins Bewusstsein zentraler politischer Akteure gelangen, kann die Auseinandersetzung mit Populismus die Demokratie sogar revitalisieren.
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