Während die Erderhitzung und ihre existenziellen Folgen selbst in aufgeklärten Demokratien noch immer von vielen bagatellisiert werden, erlebt die Welt 2023 einen regelrechten Klimakrisensommer. Zeitgleich zu den ständigen Wetterrekorden wird in politischen Diskussionen im hauptverantwortlichen Globalen Norden oft so getan, als sei das alles nicht so schlimm, sodass real nach wie vor zu wenig getan wird oder der Eindruck besteht, es werde bereits genug getan. Die Abwehr- und Verzögerungsnarrative sind sehr vielfältig. Dabei geht es zunehmend populistisch und demagogisch zu.
Trotz der allgegenwärtigen politischen und medialen Bagatellisierung einer erwiesenen Bedrohung mit ausgeprägter Eintrittswahrscheinlichkeit ist ein großer Teil der Bevölkerung zumindest besorgt – und dies stabil selbst über die Zeit der Coronapandemie hinweg. Das spricht aber mehr für die bisherige positive Wirkung von Demokratie als für ihre aktuelle reale Umsetzung. Zahlreiche Menschen sind tatsächlich angemessen alarmiert und engagieren sich entsprechend oder haben das ernsthaft vor. Anderen wiederum fällt dies schwer, so übermächtig erscheint ihnen die Bedrohung, so wirkungslos erscheinen oftmals die politischen Maßnahmen. Diskutiert werden beide Reaktionsmuster kurioserweise hauptsächlich mit Blick auf die jüngeren Generationen, als seien die sozialökologischen Krisen allein deren Problem und ihre Lösung allein deren Aufgabe.
Baustelle Klima- und Umweltschutz
Junge Menschen sind mit dem Aufkommen von »Fridays for Future« als wirkmächtiger Akteur in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Und tatsächlich hat diese immer noch junge Jugendbewegung einiges bewegt: Innerhalb kürzester Zeit wurde die Klimakrise sehr stabil zu einem der Top-Themen in Medien und Politik gemacht, das Krisenbewusstsein der Bevölkerung wurde geschärft, viele Berufsgruppen wurden animiert, ihrem Vorbild zu folgen, und es wurde womöglich ein entscheidender erster Schritt in Richtung einer nachhaltigen Transformation von Gesellschaft und Ökonomie getan.
»Entgegen dem öffentlichen Bild sind längst nicht alle jungen Menschen aktiv ›klimabewegt‹«
Der Diskurs hat »die Jugend« dabei mitunter sehr verzerrt dargestellt: Entgegen dem öffentlichen Bild sind längst nicht alle jungen Menschen aktiv »klimabewegt«, nur weil sie jung sind und den Großteil ihres Lebens mit den gravierenden Konsequenzen des die planetaren Grenzen überschreitenden und fossilen Wirtschaftens und Konsumierens werden leben müssen. Risikowahrnehmung ist ein komplexer Prozess – vielen jungen Menschen sind ihre unmittelbaren Entwicklungsaufgaben und Alltagssorgen oder aktuelle persönliche Herausforderungen psychisch deutlich näher als schlechtere Lebensbedingungen in der Zukunft. Das menschliche Denken ist generell immer noch relativ kurzsichtig. Und eher langfristig angelegte Konzepte wie Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz sind längst nicht allen so selbstverständlich wichtig, als dass ihnen andere Werte wie das aktuell dominierende Zerrbild von Freiheit untergeordnet würden.
Trotzallem werden junge Menschen die Last des politischen und wirtschaftlichen Versagens im Klima- und Umweltschutz der letzten 40 bis 50 Jahre tragen beziehungsweise ertragen müssen. Und da sie vergleichsweise weit in die Zukunft schauen, sind sie im Schnitt besorgter als die älteren Erwachsenen. Die neue Klimabewegung hat diesen Sorgen einen Raum gegeben. Dabei hat sie bewiesen, dass Ängste und Sorgen mitnichten lähmend sein müssen, wie landläufig angenommen wird, sondern durchaus aktivieren können.
Auch wenn der populistische Teil des Diskurses immer wieder versucht, die Ängste und Sorgen des klima- und umweltbewussten Teils der Bevölkerung und insbesondere junger engagierter Menschen als »hysterisch« abzuwerten: Die Fachwissenschaften sind sich einig, dass solche emotionalen Phänomene gesunde Reaktionen gegenüber einer realen und akuten vielfältigen Krise darstellen. Zwar lassen sich Ängste und Sorgen durchaus verdrängen, indem die ihnen zugrunde liegende Bedrohung verleugnet oder heruntergespielt wird. Das wird mit dem Heranrücken der Bedrohung jedoch immer schwieriger. Am besten kann man ihnen begegnen, indem man sich bewusst mit der Bedrohung auseinandersetzt und sie zu bekämpfen versucht.
»Fridays for Future hat gezeigt, wie man mit realer Bedrohung konstruktiv umgehen kann – und welche positive Rolle dabei die Gemeinschaft spielt.«
Dafür müssen Menschen jedoch sowohl wissen, was sie wirksam tun können, als sich auch zum Handeln überhaupt in der Lage sehen. Das gilt für Jüngere wie Ältere gleichermaßen. Die Fridays-for-Future-Bewegung hat gezeigt, wie mit der realen Bedrohung konstruktiv umgegangen werden kann, ohne in der Ohnmacht zu landen – und welche positive Rolle dabei die Gemeinschaft spielt, die im Zuge der neoliberalen Entkontextualisierung, die alle sozialen und ökonomischen Probleme zur primär individuellen Verantwortung macht, lange Zeit eine untergeordnete Rolle gespielt hat.
Es braucht also Handlungswissen und realistische Handlungsmöglichkeiten, um von der Angst oder Sorge zum Handeln zu kommen, und die Zuversicht, dabei nicht alleine zu sein – vorausgesetzt, dass überhaupt zu einer angemessenen Risikowahrnehmung gefunden wird, denn ohne diese gäbe es subjektiv gesehen nichts Bedrohliches, worauf sich emotional reagieren ließe.
Handlungsleitend sind zudem die wahrgenommenen Normen und Werte insbesondere aus der eigenen »sozialen Blase«, Identifikationsfiguren und Vorbilder wie die ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate oder die FFF-Begründerin Greta Thunberg, und die Erwartung, dass sich die Krise überhaupt gemeinsam bewältigen lässt. Flankiert wird dies bestenfalls von einer hohen Informationsdichte hinsichtlich des tatsächlichen Risikos und wirksamer Handlungsmöglichkeiten sowie einem gesellschaftlichen Diskurs, der nicht immer wieder zur psychischen Abwehr eines realistischen Krisenbewusstseins einlädt.
Baustelle Demokratie
In der psychologischen Forschung zu diesen Zusammenhängen, insbesondere mit Blick auf junge Menschen, ist die Lage noch sehr unübersichtlich, wenngleich die Zahl der Forschungsarbeiten dazu in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Doch entscheidender als Fragen wie jene, wie weit die »Klimaangst« in der Jugend tatsächlich verbreitet sei und wie diese damit am besten umgehen sollte, ist vielmehr die Frage, wie mit der Jugend in dieser gesellschaftlichen Krisensituation umgegangen wird.
Die Antwort auf diese Frage hat einiges damit zu tun, warum sich die erste Frage überhaupt stellt, denn die Jugend ist politisch nicht nur in Deutschland, sondern auch global zunehmend desillusioniert. Gerade die Coronakrise dürfte hier für einen Schub gesorgt haben, da sich viele junge Menschen in den Pandemiejahren nicht gehört gefühlt haben, während sie gleichzeitig zu den am meisten betroffenen Bevölkerungsgruppen zählten.
»Eine mögliche Ursache für die nachhaltige politische Desillusioniertheit der Jugend dürfte ihre prekäre gesellschaftliche Position sein.«
Eine mögliche Ursache für diesen »Seelenzustand« der Jugend dürfte ihre prekäre gesellschaftliche Position sein: partizipativ weitgehend marginalisiert, selbst in etablierten Demokratien, und gleichzeitig massiv unter Druck, das Schicksal ihrer stark gefährdeten Lebenswelt selbst in die Hand nehmen zu müssen. Aus der psychologischen Perspektive lässt sich diese Position als Pendel zwischen den beiden Extremen »Adultismus« und »Parentifizierung« beschreiben.
Adultismus steht dabei für die aktuelle soziale Hierarchie, in der die Erwachsenen privilegiert sind und über den Jüngeren stehen, diese nicht ernst nehmen oder gar unterdrücken. Ein bekanntes Beispiel für politischen Adultismus ist Christian Lindners Einlassung im Zusammenhang mit den Schulstreiks von Fridays for Future 2019, dass Klimaschutz doch eher eine »Sache für Profis« sei. Von Kindern und Jugendlichen, so der damalige FDP-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag gegenüber der Bild-Zeitung, könne »man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen«.
Parentifizierung bezieht sich hingegen ursprünglich auf eine familiäre Dynamik, bei der Kinder gezwungen werden, Verantwortung für die elterlichen Aufgaben zu übernehmen. Die Rollenverteilung zwischen Eltern und Kindern kehrt sich dabei um.
Übertragen auf die Klimakrise bedeutet dies, dass Jugendliche die Aufgaben der eigentlich verantwortlichen Erwachsenen übernehmen müssen. Angela Merkel hat noch in ihren letzten Tagen als Bundeskanzlerin diese Rollenumkehr in einem Interview mit der Deutschen Welle im Zuge der Weltklimakonferenz von Glasgow 2021 auf den Punkt gebracht: »Und da sage ich den jungen Leuten, sie müssen Druck machen, und wir müssen schneller werden.« Das »und« darf dabei getrost als »damit« verstanden werden.
Während Parentifizierung auf Dauer eine massive Überforderung darstellt, die gerade in sensiblen Lebensphasen mit verschiedenen Entwicklungsrisiken für junge Menschen einhergehen und das Vertrauen in eine funktionierende Gesellschaft unterminieren kann, birgt Adultismus unter anderem die Gefahr für eine nachhaltige Desillusionierung bis hin zu dauerhafter Handlungsohnmacht.
Beides gleichzeitig erleben zu müssen – in diesem Bereich bewegen sich die aktuell weitgehend unzureichenden Klimaschutzanstrengungen ebenso wie die Forderung nach einem sozialen Pflichtdienst zur Verbesserung des gesellschaftlichen Klimas – kann Verleugnung begünstigen (im Sinne einer Flucht aus der Realität) oder Lähmung (im Sinne eines Erstarrens vor der Realität). Es kann jedoch auch wütend machen und in den Kampf führen.
Die Gleichgültigen, die Ohnmächtigen und die Entschlossenen
Letztlich ist dies das Spektrum, das sich derzeit angesichts der vielfältigen, globalen sozialökologischen Krisen vor allem in den jüngeren Generationen zeigt: die Gleichgültigen oder Hoffenden, die sich vor der Realität schützen; die Ohnmächtigen, die angesichts der Realität nicht mehr weiterwissen; und die Entschlossenen, welche die Rollenumkehr akzeptieren und energisch versuchen, auf Augenhöhe mit den eigentlichen Entscheidungsträgern zu gelangen – mit einer großen Bandbreite an politischen Instrumenten.
Politische Verweigerung hat den Anschein des Normalen.
Die Radikalität dieser Instrumente scheint sich dabei proportional zur Radikalität der politischen Verweigerung gegenüber Handlungsnotwendigkeiten zur Abwendung irreversibler Schäden an Klima, Umwelt und Gesellschaft zu entwickeln. Es spricht gegen die Qualität des Diskurses, dass nur Ersteres als radikal oder gar extrem bezeichnet wird, während für Letzteres der Anschein des Normalen weitgehend gewahrt bleibt – obwohl diese Normalität so vielen Menschen Schaden und Leid zufügt und letztlich einen ganzen Planeten zerstört.
Konflikte werden in Demokratien idealerweise mit Dialog gelöst. Doch davon ist die Gesellschaft aktuell weit entfernt. Vielmehr sieht es nach Eskalation aus, der gerade die jüngeren Generationen mangels echter Partizipationsmöglichkeiten im – zunehmend postdemokratischen – Geschehen ziemlich ausgeliefert sind. In diesem Sinne trifft die Diagnose »Generation Krise« leider gleich doppelt zu: im Hinblick auf das meteorologische Klima wie auch auf die gesellschaftliche Atmosphäre.
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