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AfD-Wähler/innen verstehen? Ein Versuch

Als der französische Parlamentspräsident François de Rugy am 22. Januar im Bundestag anlässlich der Erinnerung an den 55. Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages in perfektem Deutsch erklärte, dass Populismus »mit der Ablehnung des Fremden« beginne und »schließlich die Demokratie in Schutt und Asche« lege, rührte sich bei der AfD keine Hand. Man werde weder die Resolution zum Jubiläum mittragen noch am Festakt in Paris teilnehmen, erklärten die Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland, denn man sei nicht in die Vorbereitung eingebunden worden; allerdings lehne die AfD »eine weitere Aushöhlung der nationalen Souveränität unseres Landes« sowieso ab. Ein Vorgeschmack auf das, was von der neuen Fraktion am rechten Rand in dieser Legislaturperiode zu erwarten ist.

Wir erleben gegenwärtig eine Erosion von Gesellschaft und Politik und die Medien haben noch keinen gangbaren Weg für einen angemessenen Umgang mit diesem neuen Phänomen gefunden. Früher galt: Anprangern regt alle auf und schreckt ab – heute werden Unentschlossene dadurch eher noch motiviert, sich ebenfalls nach rechts zu wenden. Bisher erscheint alles, was an Vorschlägen angeboten wird, als hilflos. Eine sachliche Argumentation wird von AfD-Wählerinnen und Wählern als Oberlehrerattitüde missverstanden und der kalkulierte Tabubruch gilt ihnen als Leistungsnachweis nach dem Motto: »Political Correctness gehört auf den Müllhaufen der Geschichte!«

Die ganz überwiegende Mehrheit will diese Partei nicht haben. Sie bekam aber bei der Bundestagswahl im letzten Jahr immerhin annährend 13 %, was sich für viele in den (keineswegs sympathisierenden) Medien wie über 50 % anfühlt. Durch die permanente Berichterstattung wird diese Partei indirekt weiter unterstützt. Denn jede Nennung ihres Namens, jede Wiederholung eines ihrer Frames (und sei es auch nur zur Abschreckung oder Information) graviert diesen noch tiefer in das individuelle und kollektive Gedächtnis. Was letzten Endes hängen bleibt, ist also nicht die Ablehnung der Partei, sondern der Name selbst. Und bei den Mitläufern verfestigt sich das Gefühl, Opfer zu sein und ausgegrenzt zu werden. Sehr wahrscheinlich war die Ablehnung durch die »Anständigen« von Anfang an in das Werbekalkül der AfD eingebaut.

Durch die permanente Nennung befördern »die Medien« diese Strömung indirekt mit und helfen somit den Populisten dabei, die gesellschaftliche Normalität zu verändern. Über ihre Sprüche und Formulierungen hatte ihr Geist bereits Einzug in den Sprachgebrauch von Politik und Medien gehalten, lange bevor sie im Bundestag angekommen waren.

Dabei spielt die Partei virtuos auf der Klaviatur der sozialen Medien: Die Art, wie Rechtspopulisten kommunizieren, korrespondiert besonders gut mit deren Auswahl und Darstellungslogik. In seiner Analyse Propaganda 4.0, die kürzlich bei J. H. W. Dietz erschien, bezeichnet Johannes Hillje Rechtspopulisten als »Spitzenverdiener der Aufmerksamkeitsökonomie«. Während die AfD bei Facebook, dem mit 30 Millionen Nutzern größten Massenmedium Deutschlands, sehr aktiv ist oder auf AfD-TV.de (mit fünfstelligen Klickzahlen), in Blogs, auf Nachrichtenportalen und in WhatsApp-Gruppen, hinken die seriösen Parteien hier weit hinterher. Hier saugt die AfD einerseits die Ängste von Millionen auf, unabhängig davon, ob diese berechtigt sind. Eine Angst ist für ein Individuum Realität in dem Sinne, dass sie eine Wirklichkeit schafft – und Wirkung haben wird. Oft werden Ängste aber auch einfach behauptet, erst erzeugt und dann geschürt.

Die Psychologie kennt verschiedene Grundformen der Angst. Eine davon ist die existenzielle oder konkrete Angst, also die Angst vor Verarmung, vor Krieg, Hungersnot oder dergleichen. Diese Angst löst meist konkrete Handlungen aus, meistens plausible, aber nicht immer rechtskonforme, zum Beispiel den Diebstahl eines Brotes. Eine andere Form der Angst ist die emotionale unkonkrete, etwa die Angst davor, keinen Respekt zu genießen, keine Bedeutung zu haben oder hilflos den Dingen gegenüber zu stehen. Hier sind die Folgen in der Regel nicht so offen, nicht direkt nachvollziehbar. Dafür aber oft umso schlimmer und folgenreicher, vielfach auch grausamer. Die Geschichte ist voll von blutrünstigen Despoten, deren Hass sich aus Minderwertigkeitsgefühlen speist.

Im ersten Fall kann Psychotherapie relativ schnell helfen. Nicht so im zweiten Fall: Hier läuft der Helfende Gefahr, gerade ein Gefühl der Demütigung zu wecken, bedeutet doch die Hilfe auch, dass es der Klient nicht alleine geschafft hat. Betroffene, etwa gewaltbereite Rechtsradikale, würden das Etikett »Angst« natürlich weit von sich weisen – es wäre für sie zu beschämend. Da ist es scheinbar einfacher, Asylbewerberheime anzuzünden. Die Angst etwa vor eigener Bedeutungslosigkeit kann man so unterdrücken – allerdings nur für eine gewisse Zeit, dann muss der nächste Kick her. Die Angst erfährt keine »Bewusstseinsnähe« angesichts ihres rauschartigen Ablaufs, dessen Ergebnis dann auch noch im Fernsehen gezeigt wird – und eventuell Nachahmer provoziert.

Das Feld wurde ihnen bereitet

Politiker und Medien, welche die heutigen Wähler/innen der AfD, deren (u. a. aus ständig zunehmender Ungleichheit gewachsene) Ängste – und zum Teil ganze Regionen gleich mit – nie ernst genommen haben, wundern sich nun paradoxerweise umso mehr über die aktuellen Folgen wie den Einzug der Partei in die Parlamente. Das war Gratis-PR vom Feinsten.

Die Rechtfertigung dafür, Menschen nicht ernst genommen zu haben, lautet vielfach, bei allen »Vorgängern« sei doch immer eine »Selbst-Erosion« eingetreten; alle Parteiensplitter hätten sich – außer bei den GRÜNEN – stets selbst zerlegt, zuletzt die Piraten. Hier ist aber größte Vorsicht geboten. Es geht nämlich gerade nicht darum, ob die Gründe, AfD zu wählen, nachvollziehbar sind oder nicht. Es geht im ersten Schritt darum, zu erkennen, welche Konsequenzen es hat, wenn Menschen sich nicht ernst genommen fühlen. Dann droht die Gefahr der Flucht ins Sendungsbewusstsein.

Durch Desinteresse, Egoismus und Arroganz haben es Gesellschaft, Medien und Politik den Populisten zu leicht gemacht – das Feld wurde ihnen bereitet, im neoliberalen Zeitgeist waren uns die auf der Strecke Gebliebenen einfach egal.

Und wie soll es weitergehen? Die Top-down-Strategie hat immer den faden Beigeschmack einer Umerziehungsmaßnahme und verstärkt oft genau das, was sie verhindern soll. Es entwickelt sich Trotz und eine Art Opferhaltung – eine hochexplosive Mischung. Sie entspricht den Ergebnissen, die der amerikanische Soziologe Theodore Fred Abel 1934 zutage förderte. Gefragt nach ihren Gründen für den Eintritt in die NSDAP antworteten viele: »angeschlagener Nationalstolz, Wut auf die alten Parteien und Angst vor sozialem Abstieg«. Wiederholt sich Geschichte wirklich nicht?

Wir sollten künftig effektiver mit dieser Herausforderung umgehen und nicht verstärken, was wir bekämpfen wollen. Wir müssen das Gefühl, auf der Strecke geblieben zu sein, ernst nehmen, wann immer es geht, mit AfD-Anhängern reden, so schwer es fällt, zu verstehen und versuchen zu erklären, dass etwa Selbstjustiz bestraft wird. Die Bürgerinnen und Bürger übertragen ihre »Gestaltungsmöglichkeit« dem Staat in der Erwartung, dieser schütze mit seinem Gewaltmonopol ihre Sicherheit. Löst der Staat aber sein Versprechen nicht ein, wird er vertragsbrüchig. So werden etwa viele Delikte aus Personalmangel gar nicht mehr verfolgt. Die Rechtspopulisten beklagen entsprechend das Gefühl, der Kriminalität, »denen da oben« und den anderen, den Flüchtlingen und anderen Fremden ausgeliefert zu sein. So entsteht ein Vakuum – und die Sehnsucht nach einem, der es richtet. Eine ganze Weile ist es den Anhängern egal, ob die neuen vermeintlichen Heilsbringer ihre Versprechen einlösen – oder ob sie die reale Situation der Vergessenen gar noch verschlechtern, sie bleiben trotzdem treu. Joachim Poß hat in der Ausgabe 12/2017 der NG|FH diesbezüglich darauf hingewiesen, dass die von der AfD geforderte Abschaffung der Erbschaftsteuer sicher nicht dem »einfachen Volk« zugutekäme. Geschadet hat es ihren Umfragewerten aber nicht.

Ortwin Renn weist in seinem Buch Zeit der Verunsicherung. Was treibt Menschen in den Populismus? nach, was virtuelle Realität ausmacht: »In Deutschland gibt es pro Tag rund einen Mord (2016 waren es genau 373; 2015 waren es 296). Wenn man alle Programme auswertet, finden dagegen in den Fernsehsendungen (die Nachrichten ausgenommen) im Schnitt mehr als 50 Morde pro Tag statt.« Fake News und die Echokammern der sozialen Medien leisten Schützenhilfe: Das künstlich erzeugte Virtuelle ersetzt die Wirklichkeit, alles dagegen Sprechende wird ausgeblendet und aus der selektiven Wahrnehmung entstehen scheinbar Wahrheiten. Eigene selektive Erfahrungen oder Stammtischgespräche befeuern Stimmungen und Ängste weiter, Ratio und Argumente werden ausgeblendet. Dennoch bleibt nach Renn die Informationskompetenz das einzige wirksame Mittel gegen Fake News, genährt aus kognitiver Dissonanz nach dem Motto: »Erwäge das Gegenteil!«

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