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Die Angriffe auf kritischen Journalismus zeigen seine Relevanz Alles fake?

Die Rede von Fake News ist schal geworden. Die unablässigen Angriffe des US-Präsidenten auf Journalisten sind eine manipulative Masche, die das Wort in einen Kampfbegriff verwandelt hat. In der Alltagskommunikation wird der Begriff für alles verwendet, was falsch oder dubios erscheint. Das schließt ungewollte Fehler und Schlampereien ein. Im wissenschaftlichen Kontext dagegen sind mit Fake News gezielt lancierte Falschmeldungen gemeint. Es geht um ein Handeln aus Vorsatz. Um den Assoziationen des Kampfbegriffs zu entgehen, sprechen viele Forscher lieber von »Desinformation«. Professionelle Journalisten machen zwar Fehler und sind nicht völlig objektiv, bewusste Täuschung betreiben aber nur wenige.

Seit jeher muss sich die Geschichtsschreibung damit herumplagen, Fakten und Fiktionen zu unterscheiden, seriöse Geschichte und wilde Geschichten. Desinformation ist seit alters her eine Herrschaftstechnik, ein Mittel im Kampf um die Köpfe. Und auch der Gebrauch als Kampfbegriff – die Strategie, eine Lüge zu verkaufen, indem man die anderen als Lügner darstellt – ist keine Erfindung der Neuzeit. Vor allem in Kriegszeiten waren und sind Fake News ein gängiges Mittel der Propaganda. Hieß es nicht 1990 nach der Invasion des Irak in Kuwait, irakische Soldaten hätten Frühgeborene aus den Brutkästen gerissen? Das waren Fake News im Dienste der Propaganda. Und heute im Fall des vergifteten Ex-Spions Sergej Skripal: Wer lügt?

Desinformationen sind nichts Neues, dennoch haben viele den Eindruck, das Problem sei heute größer als früher. Weil nun im Prinzip jeder Mensch, der Zugang zum Internet hat, allen möglichen Unsinn sofort und weltweit verbreiten kann. Anfang des Jahres ergriff Papst Franziskus das Wort zum Thema und rief die Menschen dazu auf, sich gegen die Verbreitung von Fake News zu stellen. Vor allem Journalisten seien gefragt – als »Hüter der Nachrichten«.

Aufgabe des Journalismus ist es, Nachrichten zu verbreiten, die stimmen. Diese Aussage ist weniger trivial, als sie den Anschein hat. Nicht nur, weil sich viele scheuen, große Worte wie »Wahrheit« in den Mund zu nehmen. Wer sich im Besitz der Wahrheit wähnt, wirkt ja eher verdächtig. Für Journalisten ist die Bindung an Wahrheit und Wahrhaftigkeit aber eine ganz wesentliche Verpflichtung. »Sagen, was ist« – dieser Leitspruch des Nachrichtenmagazins Der Spiegel und seines Gründers Rudolf Augstein bringt es auf den Punkt, auch wenn viele darin heute eine Hybris erkennen wollen. Es geht um einen Anspruch, eine Haltung, ein Ethos. Ein Journalist soll sich nicht blenden lassen von falschem Schein. Er oder sie darf der PR der wirtschaftlich oder politisch Mächtigen nicht auf den Leim gehen; auch nicht der PR derer, die für eine tatsächlich oder vermeintlich gute Sache kämpfen.

Man kann diese Emphase naiv nennen oder größenwahnsinnig. Ich sehe darin jedoch einen Anspruch von unschätzbarem Wert für eine demokratische Öffentlichkeit. Ohne solide Informationen sind vernünftige Diskurse nicht möglich.

Es mag sein, dass der Journalismus diesen Anspruch nicht perfekt einlöst. Es mag sein, dass er weniger unabhängig ist, als er sein sollte. Es mag auch sein, dass sich manche Journalisten aufführen wie Politiker oder wie Richter. Es mag sein, dass die Medienrealität schon wegen der notwendigen Auswahl an Themen und Aspekten nicht verwechselt werden darf mit der Wirklichkeit. Es mag sein, dass die Medien stets bestimmte »Frames« verwenden, mit denen sie unseren Blick auf die Verhältnisse prägen, und es deshalb notwendig ist, eine Metaebene in die öffentliche Kommunikation einzuziehen, auf der über diese »Frames« debattiert wird. Dennoch oder gerade deshalb bleibt richtig: Die Wahrheitsorientierung ist von großem Wert.

In der Geschichte des Journalismus bildete sich diese Norm früh heraus. Viele der »Neuen Zeitungen« des 16. Jahrhunderts führten entsprechende Beteuerungen im Titel. Sie trugen Namen wie »Warhafftige Newe Zeitung« oder »Wahre Newe Zeytung«. Seit Anfang der 1520er Jahre, so hat es mein Mainzer Kollege Jürgen Wilke gezeigt, gerannen solche Titel zu einer feststehenden Formel. In den Anfängen des Journalismus war die öffentliche Kommunikation zwar von der Zensur eingeschränkt, dennoch entwickelten sich Kriterien für korrekte Berichterstattung. Tobias Peucer, Verfasser einer frühen Dissertation über die Presse, entwickelte im 17. Jahrhundert Maßstäbe, die auf das zielten, was wir heute Sorgfaltspflicht nennen. So sollte beispielsweise darauf geachtet werden, ob ein Ereignis durch »Zeugnisse mehrerer bestätigt wird«.

So sehr wir durch die Wissenschaftstheorie dafür sensibilisiert sind, wie schwer oder unmöglich es ist, Daten unabhängig von ihrem Kontext festzustellen: In der Moderne verlangen unsere Gesetze von Journalisten die »Wahrheit«. In den Pressegesetzen der Bundesländer ist die journalistische Sorgfaltspflicht verankert. Darin stehen Formulierungen wie diese: »Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Herkunft und Wahrheit zu prüfen.« Und im Pressekodex des Deutschen Presserats heißt es in Ziffer 1: »Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.« Wer dies anders sieht, hat im Journalismus nichts zu suchen.

In der Realität freilich haben Journalisten immer wieder auch falsche Nachrichten verbreitet. In Demokratien kommt die Gefahr nicht unbedingt nur vom Staat, sondern auch vom Markt. Aufmerksamkeit, Auflage, Quote – das sind starke Treiber im journalistischen Geschäft. Das berühmteste Beispiel für einen Fälschungsskandal in der Presse der BRD sind die Hitler-Tagebücher. Dieser vermeintliche Scoop des Stern, der zur Lachnummer wurde, beruhte zwar nicht auf einer Fälschung durch Journalisten, sondern auf einer Fälschung durch den Maler Konrad Kujau, aber die Journalisten übten ihre Sorgfaltspflicht nicht gewissenhaft aus. Solche Fälle passieren in kleinerem Maßstab immer wieder, auch in Qualitätsmedien, in denen ab und zu journalistische Fälscher auffliegen. Das sind Ausnahmen. Zum einen haben wohl die meisten Journalisten die Wahrheitsorientierung verinnerlicht; sie wollen ihren Beruf rechtschaffen ausüben. Zum anderen ist das Risiko, dass ein Fake auffliegt, nicht gering.

Häufiger sind es unabsichtliche Fehler und Verzerrungen, die mit journalistischen Routinen zu tun haben, unter Umständen auch mit einer bewussten oder unbewussten Parteilichkeit. Unabsichtliche Fehler sind oft auch die Folge fehlender Kompetenz und des Tempowahns. Frühjahr 2017: Das Bundesverfassungsgericht verbietet die NPD! Ach, wirklich? Unsinn. Es hat ein NPD-Verbot abgelehnt. Dennoch haben unter anderem Spiegel Online und Zeit Online die falsche Eilmeldung gebracht. Die Journalisten sahen die Urteilsverkündung im Fernsehen und konnten das Wasser nicht halten, als der Vorsitzende des Senats noch einmal – wie üblich – den Antrag vortrug, über den zu entscheiden war; in diesem Fall den Antrag, die NPD zu verbieten. Die Journalisten fassten dies bereits als das Urteil des Gerichts auf. Peinlich. Aber keine Fake News im Sinne gezielter Desinformation.

Mit dem Tempo einer Echtzeit-Öffentlichkeit wachsen die Gefahren, dass Medien ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigen. Das ist Wasser auf die Mühlen jener Kritiker, denen es darum geht, das Vertrauen in den Journalismus zu untergraben, weil sie den etablierten Medien grundsätzlich misstrauen.

Zweifellos können sich Gerüchte und Fake News im Internet rasant verbreiten. Die Quellen sind halbseidene Akteure, nicht seriöse Journalisten. Dass Fakes zum realen Problem werden, dafür gibt es viele Beispiele, seien es schmutzige Behauptungen über Emmanuel Macron vor der Wahl in Frankreich oder der oft zitierte Fall »Lisa«: Dass die 13-Jährige, die in Berlin kurzzeitig verschwunden war, angeblich von Geflüchteten entführt worden sei, stellte sich als falsch heraus, wurde aber massenhaft behauptet und vom russischen Außenminister aufgegriffen. Oder »Pizzagate«: Im US-Wahlkampf kursierte 2016 das infame Gerücht, Hillary Clinton und ihre Vertrauten würden einen Kinderpornoring betreiben. Ihr Hauptquartier sei eine bestimmte Pizzeria in Washington. Ein Mann, der dies für wahr hielt, stürmte in das Lokal und feuerte mit einer Waffe um sich.

So etwas hätte es früher nicht gegeben – oder doch? Zwei Beispiele aus der Zeit vor der Digitalisierung: In Frankreich machte Ende der 60er Jahre in mehreren Städten das haltlose Gerücht die Runde, in Modeboutiquen werde ein Mädchenhandel organisiert. Es dauerte lange, bis diese Geschichten abebbten. In den USA wurde der Konzern Procter & Gamble in den 80er Jahren zum Objekt eines teuflischen Gerüchts. Das Logo der Firma würde auf den Gründer der Moon-Sekte anspielen und die satanische Zahl 666 abbilden. Das Gerücht war kaum totzukriegen. Mittlerweile hat das Unternehmen ein anderes Logo.

Fake News, Gerüchte, Verschwörungstheorien – das alles hat eine lange Geschichte. Und es ist gar nicht so klar, ob das Ausmaß größer geworden ist. In den USA haben die Politikwissenschaftler Joseph Uscinski und Joseph Parent die Leserbriefe der Chicago Tribune und der New York Times eines Zeitraums von 120 Jahren auf Verschwörungstheorien untersucht. Einen Trend zu mehr Verschwörungstheorien haben sie nicht gefunden. Die meisten kursierten eher um das Jahr 1900 sowie Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre.

Sicherlich haben sich durch die Digitalisierung neue Kanäle geöffnet, die dazu führen, dass etablierte Medien ihre Rolle als Schleusenwärter, die darüber bestimmen, worüber kommuniziert wird, teilweise eingebüßt haben. Was früher als Gerücht von Mund zu Mund ging und schon dabei ein erstaunliches Tempo erreichen konnte, rast nun mit einem Tastendruck rund um den Globus. Laut einer in Science veröffentlichten Studie verbreiten sich falsche Behauptungen auf Twitter viel schneller als verifizierte Nachrichten. Das bedeutet indes nicht, dass alle diese Fake News für wahr halten.

Viele Menschen, auch Journalisten, sind unsicher, was wahr ist und ob es so etwas wie Wahrheit überhaupt gibt. Die Wissenschaft hat mit ihren mitunter etwas verschwommenen Postmoderne- und radikalen Konstruktivismus-Diskursen zu dieser Verunsicherung ihren Teil beigetragen. Es ist sicher gut, wenn wir nicht mehr einem naiven Realismus anhängen und uns von der Vorstellung verabschiedet haben, die Medien zeigten uns die Wirklichkeit so, wie sie ist. Aber das gefährliche Propagieren »alternativer Fakten« sollte eine Mahnung sein, es mit der Relativierung von Wahrheit und Fakten nicht zu weit zu treiben. Es macht sehr wohl einen Unterschied, ob etwas als Tatsache gelten kann oder nicht. Spätestens wenn sich jemand vor Gericht für etwas verantworten soll, was er oder sie gar nicht begangen hat, dürfte dieser Person schmerzlich bewusst werden, wie wichtig die Unterscheidung zwischen vermeintlichen und tatsächlichen Tatsachen weiterhin ist.

Das Problem an Wahrheitszynikern wie Donald Trump ist, dass sie nicht nur einen laxen Umgang mit der Wahrheit hoffähig machen, sondern das Konzept der Wahrheit insgesamt ins Lächerliche ziehen. Ein normaler Lügner ist immer noch mit der Wahrheit in Kontakt, er weiß ja, dass er die Unwahrheit sagt. Er zehrt noch vom Glanz der Wahrheit, wie Hannah Arendt das in ihrem berühmten Essay über Wahrheit und Politik herausgearbeitet hat. Nun aber treten Zyniker auf den Plan, die mal so und mal anders reden. Sie arbeiten daran, die Grenzen zwischen Tatsachen und Meinungen zu schleifen und jede Tatsache nach Belieben zu nutzen oder zu verwerfen. Das ist ein noch gefährlicherer Angriff auf die Wahrheit als die klassische Lüge.

Es handelt sich um ein Phänomen, das der Philosoph Harry G. Frankfurt voller Sorge in seinem hellsichtigen Büchlein über Bullshit registriert hat. Der »Bullshitter«, so Frankfurt, ignoriere die Autorität der Wahrheit: »Er weist die Autorität der Wahrheit nicht ab und widersetzt sich ihr nicht, wie es der Lügner tut. Er beachtet sie einfach gar nicht.«

»Comment is free, but facts are sacred« – so lautet eine Formel, die der Herausgeber des Manchester Guardian, C. P. Scott, Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt hat. In der Meinung ist man frei, aber die Fakten sind heilig. Ist dieser hohe Ton vermessen? Ich halte ihn für angemessen. Es geht um viel. Es darf nicht geschehen, dass sich ein Lügengespinst über die Politik und die Öffentlichkeit legt. Jeder Versuch, Fake News zu verbreiten, ist ein Beleg dafür, wie sehr auch in der digitalen Ära kritischer, sorgfältiger Journalismus gebraucht wird.

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