Als ich vor vielen Jahren eine junge Museumsmitarbeiterin war, präsentierte mir ein Kollege stolz seine jüngste Erwerbung. Als ich ihn daraufhin fragte, woher sie denn komme, sagte er spitz, dass interessiere ihn nicht, und drehte sich auf dem Absatz um.
So eine Reaktion ist heute in einer öffentlich geförderten Institution nicht mehr möglich – und das ist auch gut so. Aber woher stammen denn die vielen Objekte in unseren Sammlungen, wie wurden sie erworben? Das sind Themen, die die Provenienzforschung bewegen, eine Disziplin, die erst wenige Jahrzehnte alt ist.
Begonnen hat alles mit jüdischem Kulturgut, das Erben zurückgefordert haben. Oftmals kämpften sie gegen starre Strukturen und arrogante Beamte, wie der Film Die Frau in Gold mit Helen Mirren aus dem Jahr 2015 zeigt. Sie spielt darin Maria Altmann, eine Nichte von Adele Bloch-Bauer, die Gustav Klimt 1907 gemalt hat. Das Gemälde war vom NS-Regime beschlagnahmt und der Familie nach 1945 von der Republik Österreich nicht zurückgegeben worden. Nach achtjährigem Prozess erfolgte 2006 endlich die Rückgabe an die Erbin.
Im Fokus steht heute nicht nur im Nationalsozialismus entzogenes Kulturgut, sondern wir diskutieren auch über die Rückgabe von Objekten aus den ehemaligen Kolonien oder von archäologischen Funden aus dem früheren Osmanischen Reich, das sich von Griechenland bis nach Ägypten erstreckte. Die Debatte darüber, wie mit dem kulturellen Erbe umzugehen ist, wird durchaus emotional geführt. Das wird schon deutlich, wenn man die Titel einiger zuletzt erschienener Bücher anschaut, wie Beute, herausgegeben von Bénédicte Savoy, oder Die Schatzjäger des Kaisers von Dilek Zaptçıoğlu und Jürgen Gottschlich. Also Asche auf unser Haupt und alles zurückgeben?
Ganz so einfach ist es leider nicht, denn da steht nicht zuletzt die Frage im Raum, an wen man restituiert. Im Fall des ehemaligen jüdischen Kulturguts ist es klar: Hier erfolgt die Rückgabe an die Familien der Opfer. Bei Objekten aus den ehemaligen Kolonialgebieten dagegen finden Verhandlungen vor allem auf staatlicher Ebene statt. Aber auch die Volksgruppen, von denen die Objekte stammen, erheben einen Anspruch, ebenso Menschen aus den ehemaligen Kolonien, die heute in Deutschland leben.
Das Beispiel Elgin Marbles
Ganz anders verhält es sich mit archäologischen Funden. Die Kulturen, aus denen sie stammen, existieren heute nicht mehr. Seit Jahrtausenden haben andere Völker und Staaten die Gebiete geprägt. Noch vor dem griechischen Unabhängigkeitskampf, der 1821 begann, gelangten unter Billigung des Sultans in Konstantinopel hochkarätige Werke in europäische Metropolen. Zu ihnen gehören die Venus von Milo und die Nike von Samothrake, Highlights des Pariser Louvre. Auch die Skulpturen des Athener Parthenon wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts von dem schottischen Lord Elgin nach London gebracht, wo sie das British Museum 1816 erwarb, das dadurch zu einem der bedeutendsten Museen der Welt aufstieg.
Im gleichen Jahr erschien übrigens der Roman Emma von Jane Austen, dessen Protagonistin Emma Woodhouse über ein Vermögen von 30.000 Pfund verfügte – fast dieselbe Summe, die das Museum für die Parthenon-Skulpturen ausgab! Dabei betrugen die Ausgaben, die Lord Elgin für die Arbeiten in Athen und den Transport hatte, das Doppelte – ein Schnäppchen für das Museum!
Schon damals gab es viel Kritik an dieser Entscheidung, weil Lord Elgin einige der schönsten Reliefs mit brachialer Gewalt aus dem Tempel herausbrechen ließ. Vor allem dieser Akt war es, der im britischen Unterhaus eine Kontroverse auslöste, als man den Ankauf für das British Museum beriet.
Die Diskussion, ob es sich hierbei um einen Raub oder gar eine »Schändung des Parthenon« handelte, wie Hermann von Pückler-Muskau 1840 schrieb, hält bis heute an. Seit der Unabhängigkeit Griechenlands 1832 reißen auch die Anfragen nach Rückgabe nicht ab. Die erste Forderung stammt bereits aus dem Jahr 1842. Das Europäische Parlament forderte 1999 Großbritannien auf, die Rückgabe der Marmorfragmente »in positivem Geist zu prüfen«.
Die Verhandlungen darüber finden auf höchster politischer Ebene statt, auch wenn nicht immer eine Gradlinigkeit zu erkennen ist. Noch 1986 plädierte der damalige Student Boris Johnson leidenschaftlich für die Rückgabe der Fragmente an Athen: »Die Elgin Marbles sollten diese nordische, Whisky trinkende Schuldkultur verlassen und dort ausgestellt werden, wo sie hingehören: in einem Land mit strahlendem Sonnenschein und der Landschaft von Achill (…). Sie werden in einem neuen Museum untergebracht (…) [und] sorgfältig aufbewahrt. Sie werden nicht, wie 1938 im British Museum, von manischen Wäscherinnen, die sie mit Kupferbürsten schrubben, schwer beschädigt werden.«
Von dem inzwischen zum Premierminister avancierten Johnson klang es 2021 dann ganz anders. Bei einem Besuch in London sprach der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis mit ihm über das Thema. Der britische Premier gilt zwar als Philhellene, doch seine Liebe hat Grenzen: Er »verstehe die starken Gefühle der Griechen«, sagte Johnson, erklärte sich aber in dem Streit um die Marmorskulpturen für »unzuständig«. Die Entscheidung liege allein beim British Museum, »unabhängig und frei von politischer Einmischung«.
Das Beispiel Pergamonaltar
Ein weiteres Beispiel der Aneignung befindet sich heute in Berlin: Für den Pergamonaltar wurde sogar ein eigenes Museum errichtet. Die Erwerbung geht auf Carl Humann zurück, der 1864 zum ersten Mal das kleine Dorf Bergama im Westen der heutigen Türkei besuchte und in sein Tagebuch erschüttert über die Ruinen schrieb: »Daneben rauchte der Kalkofen, in den jeder Marmorblock, welcher dem schweren Hammer nachgab, zerkleinert wanderte. […] Das also war übrig geblieben von dem stolzen uneinnehmbaren Herrschersitz der Attaliden!« Gemeint war damit eine Herrscherdynastie, die in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten ein Reich in der heutigen Westtürkei errichtete und ihre Hauptstadt Pergamon nach dem Vorbild Athens zur glanzvollen Metropole ausbaute.
Dazu gehörte auch der große Altar aus dem 2. Jahrhundert vor Christus, der die olympischen Götter als Sieger über die Giganten zeigt. Doch in der Spätantike, als das Christentum die vorherrschende Religion wurde, verlor er seine Funktion. Im 7. Jahrhundert dienten die Altarreliefs nur noch als Baumaterial zum Schutz vor den Angriffen arabischer Invasoren.
Erst mit Carl Humann begann Pergamons Ruhm. In nur drei Wochen legten die Ausgräber 23 Gruppen des antiken Gigantenkampfes frei. Und Humann schrieb jubilierend nach Berlin: »Wir haben nicht ein Dutzend Reliefs, sondern eine ganze Kunstepoche, die begraben und vergessen war, aufgefunden.«
Schon bald nach ihrer Entdeckung kamen die ersten Teile des Altars nach Berlin. Ursprünglich war mit der Hohen Pforte in Konstantinopel eine Fundteilung vereinbart worden. Für den osmanischen Anteil soll das Deutsche Reich 20.000 türkische Franken gezahlt haben, was damals dem Wert von nur 18 Mark 50 entsprach! Dennoch: Rechtlich war alles in Ordnung, und die Reliefs erhielten eine Ausfuhrgenehmigung. Damit rückte die Berliner Antikensammlung in die erste Liga europäischer Sammlungen vor.
Ein neues Kapitel?
Zwei antike Bauwerke, die aus ihrem Kontext entfernt und in westeuropäische Museen gebracht wurden, doch auch zwei unterschiedliche Geschichten. Beide hängen unmittelbar mit dem Osmanischen Reich zusammen, dessen Herrscher im 19. Jahrhundert kein Interesse an der Antike hatten und Grabungserlaubnisse erteilten, die sogar Plünderung und Zerstörung zur Folge hatten.
Das Bewusstsein der heutigen Staaten Griechenland und Türkei ist dagegen ein anderes. Vor allem aus Athen werden die Forderungen nach Rückgabe der Parthenonskulpturen, die Lord Elgin einst entwendet hat, immer lauter. Großbritannien kann sich ebenso wie Deutschland auf die damals erteilten Ausfuhrgenehmigungen stützen, doch es geht nicht zuletzt um die Frage der moralischen Verpflichtung.
Haben wir heute weiterhin das Recht, sie als unser exklusives Eigentum zu betrachten, selbst wenn Archäologen wie im Fall des Pergamonaltars diesen damals vor Verfall und Zerstörung bewahrten? Teilhabe und Partizipation sollten nicht nur Worte sein, es müssen auch Taten folgen. Eine Lösung kann darin bestehen, das Weltkulturerbe zum gemeinsamen Eigentum zu erklären. Bewegliches Kulturgut könnte man zum Beispiel für jeweils fünf Jahre im Herkunftsland und in einem westlichen Museum zeigen. Dank einer fortgeschrittenen 3D-Technik ist es ebenso möglich, Kulturgut zu duplizieren und an mehreren Orten Originale und Repliken zu zeigen. So könnte der Zugang möglichst vielen Menschen gewährt und gleichzeitig die Objekte geschützt werden.
Der Pergamonaltar wurde politisch missbraucht, im Kaiserreich ebenso wie von den Nationalsozialisten. Peter Weiss hatte recht, als er in der Ästhetik des Widerstands schrieb: »(…) auch die Nachgeschichte des Altars wurde bestimmt von der Unternehmungslust der Begüterten«. Lassen Sie uns ein neues Kapitel aufschlagen.
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