Menü

Die Geschichte der Frankfurter Hefte und des Linkskatholizismus Analyse, Utopie – und moralische Werthaltung

Das sagte Metz 1980 in seiner Rede vor dem Gesprächskreis »Kirchen und SPD in Bayern«.

Walter Dirks und Eugen Kogon, die beiden Herausgeber der Frankfurter Hefte, sahen das genauso. Als sie im Oktober 1984 ihren Lesern das Ende des bisherigen Zeitschriftenformats ankündigten, erinnerten sie an ihren Gründungsimpuls: Sie wollten eine demokratische, genossenschaftliche Gesellschafts- und Staatsordnung in einem freien Europa verwirklichen. Aber die dafür anvisierte Koalition von Katholiken, linken Bürgern und Arbeitern war in der Restauration zerrieben worden.

Die Frankfurter Hefte konnten gerettet werden, indem sie mit der Neuen Gesellschaft fusionierten, in der nach der Wahlniederlage 1953 im Umfeld der SPD Intellektuelle die theoretisch-programmatischen Veränderungen diskutierten, auch um aus der traditionellen Arbeiterpartei eine moderne Partei der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft zu machen, wozu auch eine Annäherung an die Kirchen gehörte.

Im ersten Heft der gemeinsamen Zeitschrift Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte im Januar 1985 eröffnete Chefredakteur Peter Glotz in seiner Erklärung ein neues Bündnis für die soziale Demokratie als europäische Idee. Den neuen und alten sozialen Bewegungen sollte eine gemeinsame Plattform linker Optionen geboten werden. Walter Dirks griff diese – seine alte – Idee auf mit der Vorstellung, dass die traditionelle parteiorientierte Linke und die moderne bewegungsorientierte Linke aufeinander zugehen und voneinander lernen sollten, weil nur so die der Menschheit drohenden Katastrophen verhindert werden könnten.

1946 waren die Frankfurter Hefte als die einzige linke »Zeitschrift für Kultur und Politik« in Deutschland gestartet. Mit 75.000 verkauften Exemplaren im Frühjahr 1948 und 150.000 angefragten Abonnements wurde sie zur auflagenstärksten Zeitschrift in der entstehenden Bundesrepublik. Ein halbes Jahr später betrug die Auflage allerdings nur noch 40.000 Exemplare, im Frühjahr 1960 konnten noch 6.000 Hefte verkauft werden. Lediglich 3.000 waren es ein Jahr vor der Fusion mit der Neuen Gesellschaft. Was war passiert? Standen die Frankfurter Hefte ein für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität mit hochwertigen Beiträgen, so veränderten die verfestigten Mehrheitsverhältnisse diese politische Vision.

Ab Mitte der 60er bis hinein in die 80er Jahre wandelte sich erneut die Kultur des öffentlichen Diskurses. Tendenzen der Auflösung überkommener Ordnungsstrukturen führten zu Differenzierungen und zur Individualisierung und schufen neue soziale Verbindungen und politische Optionen. Der »andere Katholizismus«, an den Walter Dirks gern appellierte, ließ sich mittlerweile in vielen Gruppierungen wahrnehmen: Pax Christi, Bensberger Kreis, Kritischer Katholizismus, Christen für den Sozialismus, Leserinitiative Publik, Initiative Kirche von unten, Oscar Romero Initiative, Homosexuelle und Kirche.

Hinzu kamen die Studenten- und Hochschulgemeinden und die kirchlichen Jugendverbände mit ihren lokalen Aktivitäten für Frieden, Ökologie, Dritte Welt, gerechtes Wirtschaften, Ökumene, Frauenrechte und innerkirchliche Demokratie. Der Linkskatholizismus erreichte eine so große Basis wie niemals zuvor, fand aber nicht mehr zu den Frankfurter Heften. Zu seinem bevorzugten Mitteilungsorgan wurde dann – ebenfalls in Frankfurt am Main angesiedelt – das Publik-Forum.

Der Traum von einer christlich-sozialistischen Partei

Bereits im Mai 1945 formulierte Walter Dirks zwölf Thesen für eine Partei nach Vorbild der britischen Labour Party. Gemeinsam mit Eugen Kogon war er dann an der Gründung der hessischen CDU beteiligt. Ihr Traum von einer christlich-sozialistischen Partei zerschlug sich aber recht bald. Walter Dirks hatte diese Perspektive bereits vor der NS-Zeit entwickelt als Redakteur des linkskatholischen Zentrumsblattes Rhein-Mainische Volkszeitung.

Anders war das bei Eugen Kogon gewesen. Vor der NS-Zeit gehörte er zu den rechtskatholischen Vertretern eines Ständestaates nach vormodernem Muster. Seine Erkenntnis, dass diese Idee auch zu einem totalitären NS-Regime passte, ließ ihn dann allerdings zum Nazigegner werden. Jahrelang saß er dafür im KZ Buchenwald. Im Sommer 1945 verfasste er seinen berühmten Bericht Der NS-Staat als eine Analyse des Totalitarismus und als Plädoyer für eine humanitäre Demokratie.

Als 1954 die Neue Gesellschaft ihren publizistischen Weg antrat, war Walter Dirks bereits im ersten Heft mit dabei. Gleich im zweiten Beitrag darin reflektierte er über die politische Option des Sozialismus und über den Weg der Sozialdemokratie. Er sei schon seit 1919 bei der SPD, aber der Sozialismus sei weit mehr als die Partei, betonte Walter Dirks, um dann seine Vorbehalte aufzuzählen, die er bereits 25 Jahre zuvor und auch noch 25 Jahre später auf ähnliche Weise hervorhob.

Diese sind typisch für den Linkskatholizismus: Die SPD sei nationalistisch und provinzialistisch, sie orientiere sich nicht an einer europäischen Friedenspolitik, sie habe von sich selbst ein »Unfehlbarkeitsbewusstsein«, die Parteidisziplin sei abschreckend, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel als Start in die Überwindung der Klassengesellschaft lediglich ein Lippenbekenntnis, die Kulturpolitik der SPD ließe sehr zu wünschen übrig. »Mut zur Analyse und Utopie« lautete die Überschrift dieses Beitrags von Walter Dirks im ersten Heft des ersten Jahrgangs der Neuen Gesellschaft. Sozialistische Politik basiere auf der Utopie einer möglichen besseren Welt sowie auf der Analyse von Wegen zu ihrer Verwirklichung einschließlich der permanenten kritischen Überprüfung ihres Status.

Der weitaus größte Teil der SPD-Theoretiker wäre mit dieser doppelten Grundlage »Analyse und Utopie« einverstanden gewesen. Aber Walter Dirks ging noch einen sehr wichtigen Schritt weiter, wenn er betont, dass es ohne Glauben, Hoffnung, Bekenntnis und Entscheidung, also letztlich ohne eine moralisch-religiöse Dimension, ohne eine Werthaltung nicht ginge. Das hatte er aus den Weimarer Jahren von seinen Lehrern Ernst Michel und Theodor Steinbüchel übernommen. Moralische Werthaltung, humanistische Utopie und politische Analyse: In dieser Trias stimmten alle linkskatholischen Initiativen der letzten 100 Jahre überein.

Sie trafen sich darin auch mit Willi Eichler, dem ethischen Sozialisten, Mitherausgeber der Neuen Gesellschaft und von Geist und Tat sowie »Vater« des Godesberger Programms der SPD. Walter Dirks formulierte zu Beginn der Arbeit an dem neuen Parteiprogramm mit erkennbar deutlichem Blick auf diese historische Stunde eine linkskatholische Option für die SPD. Willi Eichler integrierte sie in das Godesberger Programm.

Abweichler und Störenfriede

Die katholische Linke zeichnete sich dadurch aus, dass sie kaum Kontakte zum Sozialkatholizismus besaß, dass sie unorganisiert in kleine, oft kurzlebige, aber erfolglose Gruppen zerfiel und sich parteipolitisch nicht eindeutig erklärte. Das hatte auch zu tun mit dem kirchenoffiziellen Katholizismus, dem »Einheit und Geschlossenheit« alles bedeutete. Dieser nahm andere Stimmen im eigenen Bereich nicht wahr oder ließ sie einfach als irrelevant beziehungsweise als irregeführt abprallen. Es gab in den 50er und 60er Jahren keine aufmüpfigen Jugendverbände oder widerspenstigen Frauengruppen. Der Verbandskatholizismus wurde von den Unionsparteien dominiert. Autoritäre Patriarchen führten die Kirche.

Die beginnende Pluralisierung der Gesellschaft wurde ignoriert oder in sittlicher Hinsicht als Gefahr an die Wand gemalt. Die Linken gehörten zwar zur Kirche, wenn sie auch in der Messe meistens in einer Seitenkapelle stehen mussten, aber sie gehörten nicht zum Katholizismus. Walter Dirks verzichtete auf den von Friedrich Heer wohlwollend eingeführten Begriff »Linkskatholizismus«, weil er wusste, dass in der innerkatholischen Wahrnehmung diese Bezeichnung eher abwertend verwendet wurde, im Sinne von Abweichler und Störenfriede.

Als typisch dafür mag an das folgende Ereignis erinnert werden. Im Jahr 1958 erschien als erstes linkskatholisches Buch Christ und Bürger – Heute und morgen, Alfred Horné hatte es herausgegeben. Im selben Jahr veröffentlichte eine Gruppe von konservativen katholischen Sozialethikern und Politikern den Sammelband Die Katholiken vor der Politik.

In seinem Vorwort ging der Herausgeber Gustav E. Kafka auf das Fehlen von Beiträgen der »Nonkonformisten« wie er sie nannte – ein, die das »restaurative Denken« kritisierten. Diese Stimmen seien schlicht nicht repräsentativ für die Katholiken. Dabei hatte Alfred Horné auch den »Brief an einen jungen Katholiken« von Heinrich Böll mit veröffentlicht. Dessen Kirchenkritik traf zu diesem Zeitpunkt auch außerhalb der linkskatholischen Kreise bereits auf großes politisches Echo.

Das war aber auch schon zwölf Jahre zuvor nicht anders gewesen, als die Frankfurter Hefte Ende 1946 den »Brief über die Kirche« von Ida Friederike Görres abdruckten. Zwar sahen die Herausgeber sich damals noch verpflichtet, über eine ganze Seite eine Rechtfertigung voranzuschicken, aber Walter Dirks und Eugen Kogon mussten nachher trotzdem beim Limburger Generalvikar antreten, wo ihnen kirchenschädigendes Verhalten vorgeworfen wurde. Man halte sich diesen Vorgang noch einmal vor Augen: Eine Zeitschrift, die nicht von der Kirche finanziert wurde und sich selbst auch nicht als katholisches Organ verstand, sollte sich von der Kirchenführung eine Zensur gefallen lassen!

Das gehörte aber zu dem, was Walter Dirks als den »restaurativen Charakter der Epoche« bezeichnete. Die alten Kräfte in Kirche, Politik und Wirtschaft traten mit demselben Selbstverständnis auf wie vor 1933. Im Nachkriegskatholizismus herrschte die folgende Deutung vor: Die Nazis fielen als dämonische Kräfte über das Land her, allein die Kirche blieb standhaft und deshalb müssen sich jetzt alle zur Kirche bekennen, um die Kraft für den Neuaufbau zu finden.

Eine andere Politik bedarf einer anderen Kirche

Die Linkskatholiken opponierten von Anfang an gegen diese Geschichtsdeutung und fragten nach der eigenen Schuld und nach den Mechanismen der Verdrängung. Vor allem Walter Dirks und Eugen Kogon leisteten in den Frankfurter Heften dazu Herausragendes, weil sie selbst das Aufkommen der Barbarei erlebt hatten. Sie waren Zeugen der Kapitulation des Katholizismus und des Stillschweigens der Kirche gewesen.

Sie propagierten Entmilitarisierung und Abrüstung, weil sie sich anders keine Aussöhnung mit den europäischen Nachbarn vorstellen konnten. Während der Katholizismus allgemein einen wütenden Antikommunismus propagierte, der jede Kritik am marktwirtschaftlichen Kapitalismus als Kritik am Christentum einstufte, verstanden die Linkskatholiken den Sozialismus als humane und gerechte gesellschaftliche Utopie. Sie erwarteten von der SPD ein stärkeres Bekenntnis zu diesem Sozialismus.

Der Linkskatholizismus schaffte es erst 1980, aber dann auf bislang unübertroffene Weise, die Kirche selbst der Kritik zu unterziehen. Mit Walter Dirks äußerten sich sieben Theologieprofessoren in einem christlichen Wort zum Hirtenbrief der Bischöfe zur Bundestagswahl. Dabei kam es zu einer deutlichen Zurechtweisung der Bischöfe: »Aber es können und müssen angesichts der bischöflichen Stellungnahme Kriterien christlichen Handelns im Raum der Politik in Erinnerung gebracht werden, welche für die Konzilien, die päpstliche Lehre und vor allem die biblische Botschaft selbstverständlich sind.«

Damit wurde konstatiert, dass die deutschen Bischöfe in ihrer Werbung für den Kanzlerkandidaten Strauß nicht die kirchliche Lehre vertraten. Und dann legten die Unterzeichner dar, wo und wie die Bischöfe den Geist der Versöhnung, der Gerechtigkeit und der sozialen Achtung der Unterdrückten missachten. Erstmals hatten damit Vertreter des Linkskatholizismus die beiden auch von ihnen oft getrennten Wirklichkeiten – Politik und Kirche – zusammengeführt und gesagt, die Forderung nach einer anderen Politik bedarf einer anderen Kirche. Übrigens gab es danach diese parteipolitisch gefärbten Hirtenbriefe nicht mehr.

McDonald’s hat sich bereits vor Jahren die Parole »Changing the face of the world« gesetzlich schützen lassen. So weit ist es mittlerweile gekommen mit der linken Vision zur Veränderung des Bestehenden zu mehr Solidarität und Gerechtigkeit. Und so weit ist mittlerweile die eschatologische Dimension des Christentums verkommen.

Bereits auf dem Höhepunkt des restaurativen Stillstandes kritisierte Walter Dirks in den Frankfurter Heften 1956 den Verlust der messianischen Grundlagen des christlichen Glaubens. Es geht um die Nöte der Menschheit, um die konkrete Nachfolge Christi in Brüderlichkeit, um die Gegenwart des Reiches Gottes auch im Wirtschaftlichen und Sozialen. Stattdessen werde die messianische Botschaft entweltlicht, verinnerlicht und verjenseitigt.

Eines wissen wir von jenen, auf deren Schultern wir heute stehen: Zum Besseren wird es sich erst dann wenden, wenn wir eine Vision davon besitzen, wenn wir Koalitionen dafür schmieden und wenn wir bereit sind, in oft mühevollen Anstrengungen für den besten Weg zu streiten und ihn dann mit aller Kraft zu gehen.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben