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© picture alliance/dpa | Sebastian Willnow

Wie die Politik mit den Rechten umgehen sollteAnnähern oder Abgrenzen

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Im Jahr 2023 feierte die AfD ihr zehnjähriges Bestehen. Fast so alt wie die Partei sind die öffentlichen Debatten über die Frage, wie sich die anderen (vor allem Mitte-rechts-Parteien) ihr gegenüber verhalten sollten. Wie viel Abgrenzung ist nötig und wichtig? Was tun, wenn die AfD inhaltlich einen berechtigten Punkt formuliert? Die Debatte hat angesichts des innerhalb der AfD erstarkenden Rechtextremismus und gestiegener Umfragewerte der Partei in den zurückliegenden Monaten stark an Dynamik und Schärfe zugenommen.

»Die vieldiskutierte Brandmauer wurde bereits häufig eingerissen.«

Die vieldiskutierte Brandmauer, durch den CDU-Chef Friedrich Merz einst für seine Partei ausgerufen, wurde – so sieht es eine Reihe von Beobachter*innen – auf kommunaler Ebene bereits häufig eingerissen und auch durch öffentliche Äußerungen von Merz selbst infrage gestellt. Die anderen Parteien machen sich in diesen Diskussionen gerne einen bisweilen schlanken Fuß. Abgrenzung nach rechts sei zwar, so etwa der Co-Vorsitzende der SPD Lars Klingbeil oder die Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang, eine Aufgabe aller Parteien. Zugleich kann man sich des Eindrucks aber nicht erwehren, dass sie und andere diese Aufgabe innerhalb des Parteienspektrums, wenn es um Koalitionen und Mehrheitsbildungsprozesse geht, erst einmal bei der CDU/CSU sehen.

Das ist nicht falsch, etwa wenn man sich anschaut, von welchen Parteien die AfD in den vergangenen Jahren Wähler*innen gewinnen konnte. Auch programmatische Überschneidungen zwischen beiden sind erkennbar. Als Erklärung ist dies aber alleine nicht ausreichend, denn in zahlreichen Wahlen haben auch SPD, FDP, Die Linke und jüngst sogar die Grünen in unterschiedlicher Intensität an die AfD verloren. Mit der angekündigten Gründung des Bündnisses von Sahra Wagenknecht ist künftig zudem wohl eine neue Mitspielerin beim Thema »Umgang mit der AfD« auf dem Spielfeld unterwegs.

Die Wählerschaft der AfD

Stammwähler*innen, Protestwähler*innen, besorgte Bürger*innen – es ist viel über die Wählerschaft der AfD geschrieben und spekuliert worden. Die politikwissenschaftliche Forschung beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit der Partei, auch im vergleichenden europäischen Kontext, denn das Erstarken rechtspopulistischer Parteien ließ sich in den vergangenen Jahrzehnten in anderen Ländern weitaus früher beobachten, als dies in Deutschland der Fall war.

AfD-Anhänger*innen geben selten bereitwillig Auskunft über ihre Motive. Die Tatsache, dass soziale Erwünschtheit etwa im Kontext von Meinungsumfragen oder Straßenumfragen in Medien inzwischen eine deutlich geringere Rolle spielt, nimmt bereits einen Aspekt vorweg, der die zunehmende »Normalisierung« der Partei unterstreicht. Trotz dieser Entwicklung sind alle Daten und Umfragen zur AfD weiterhin mit einer besonderen Sensibilität zu behandeln. Wie übrigens bei allen Analysen von Parteianhängerschaften ist Differenzierung geboten.

»Die Anhängerschaft ist inzwischen in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden.«

Verschiedene Forschungen zeigen, dass die AfD aus ähnlichen Gründen wie andere radikal rechte Parteien in Europa gewählt wird. Ihre Anhänger*innen haben starke Abstiegsängste und Zukunftssorgen. Sie lehnen Mi­gration vehement ab, haben nur wenig Vertrauen in das politische System, mit dem sie oftmals Enttäuschungen verbinden. Auch rechtsextreme und rechtspopulistische Einstellungen sind in der Anhängerschaft der Partei stark verbreitet – stärker als in jeder anderen Partei.

Michael A. Hansen und Jonathan Olsen zeigen anhand der German-Longitudinal-Election-Study-Daten zur Bundestagswahl 2021, dass politische Einstellungen besser als soziodemografische Variablen erklären können, ob Wähler*innen für die AfD stimmten. Dies wird daran deutlich, dass die Anhängerschaft inzwischen in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden ist, in weiten Teilen geeint in politischen Einstellungen. Die Anhängerschaft besteht aus ökonomischer Sicht aus Angehörigen der unteren Mittelschicht und aus niedrigen Einkommensgruppen. Zudem ist der formale Bildungsgrad innerhalb der Anhängerschaft deutlich unterdurchschnittlich. Die Anhängerschaft ist männlich dominiert, die Altersgruppen zwischen 40 und 60 Jahren sind besonders stark vertreten.

Das macht die AfD nicht mal eben zur Partei der »armen« oder wahlweise »kleinen« Leute, als die sie sich selbst gerne inszeniert. Im Gegenteil: Forschungen zur Programmatik der Partei zeigen, dass die Umsetzung ihrer Forderungen vor allem Gutverdiener*innen begünstigen und einkommensschwache Menschen verstärkt benachteiligen würden. So zeigte etwa die Otto-Brenner-Stiftung in einer Studie im Dezember 2021, dass die Partei Maßnahmen, die gerade die sogenannten »kleinen Leute« unterstützen, etwa den Mindestlohn oder staatliche Transferleistungen wie das Bürgergeld, in weiten Teilen nicht unterstützt oder ablehnt. Stattdessen forderte die Partei zum Beispiel Steuersenkungen für einkommensstarke Menschen und präsentiert ein stark von neoliberalen Vorstellungen geprägtes Programm.

Die meisten Forschungen zur Anhängerschaft verdeutlichen, dass diese sich kaum eindeutig in Protest- und Stammwähler*innen unterscheiden lässt. Widersprüche, die Forschungen bisweilen ergeben, sind nicht nur auszuhalten, sondern sie zeigen vielmehr die intensive, aber eben auch die mit dem Bestehen und den Veränderungen der Partei verbundene fortdauernde, wissenschaftliche Auseinandersetzung.

Nachwahlbefragungen machen deutlich, dass sich innerhalb der AfD-Wählerschaft sowohl jene finden, die nach eigener Aussage die Partei in erster Linie aus Protest gegenüber anderen Parteien und der aktuellen Politik gewählt haben, als auch jene, die der AfD aus inhaltlicher Überzeugung ihre Stimme gaben. In Bayern lag das Verhältnis beider Gruppen bei der Landtagswahl 2023 bei fast 50:50. Populismusforscher wie Marcel Lewandowsky weisen seit Längerem zu Recht darauf hin, dass diese Trennschärfe bisweilen müßig ist. Denn es ist gut möglich, dass Einstellungen und Protest bei der Wahlentscheidung zusammentreffen.

Normalisierung in der Bevölkerung

Viel entscheidender scheinen die Befunde aus den vergangenen Monaten, etwa im Deutschlandtrend von Infratest dimap erhoben, die verdeutlichen, dass viele Menschen den erstarkenden Rechtsextremismus innerhalb der Partei als zunehmend unproblematisch erachten und in der Partei trotz dieser Entwicklung eine Partei wie jede andere sehen. Diese Befunde verdeutlichen, dass zwar einerseits – etwa erkennbar an den Einstufungen mehrerer Landesverbände als »gesichert rechtsextrem« – eine Radikalisierung der Partei stattgefunden hat, diese aber parallel zu einer Normalisierung in der Bevölkerung vonstatten geht.

Ein Grund für die zunehmende Normalisierung ist mit der Ausgangsfrage dieses Textes verbunden, wie andere Parteien mit der AfD und ihrer Programmatik und Sprache umgehen. Erkenntnisse, etwa jüngst durch den Mannheimer Politikwissenschaftler Marc Debus, liegen reichlich vor. Seine und vor allem die international vergleichenden Forschungen von Werner Krause, Denis Cohen und Tarik Abou-Chadi zeigen, dass konservative Parteien im Umgang mit extrem-rechten Parteien schnell in eine Art Loose-loose-Situation geraten. Das bedeutet: Durch die Übernahme rechtspopulistischer Sprache, Narrative und programmatischer Positionen werden rechtspopulistische Parteien nicht geschwächt, sondern wenn überhaupt nutzt es ihnen sogar. Zugleich verlieren konservative Parteien überdies Wähler*innen in der politischen Mitte, die einen solchen Rechtskurs nicht gutheißen. Selbst wenn letzteres nicht immer eintrifft, zeigen die Forschungen doch die starke Tendenz, dass ein Sich-Andienen an Sprache und Programm am Ende Rechtspopulisten nützt.

»Das Thema Migration zahlt in erster Linie auf das Konto der Rechtspopulist*innen ein.«

Dabei wird auch deutlich, dass rechtspopulistische Parteien vor allem von einem Thema unentwegt und deutlich mehr profitieren können, als alle anderen Parteien: der Migration. Wird das Thema auch von anderen – zumal in scharfer und provokativer Art und Weise – in den öffentlichen Debatten hochgehalten, zahlt dies in erster Linie auf das Konto der Rechtspopulist*innen ein. Das Mainstreaming von rechtspopulistischen (Sprach-)Bildern ist ein weiterer Faktor. Gemeint ist damit, dass diese von anderen etablierten politischen Kräften verwendet werden und so sagbarer, also im Diskurs »normaler« werden. Wenn etwa Markus Söder bei der Demonstration in Erding von »Zwangsveganisierung« spricht oder Jens Spahn im Sommer 2023 fordert, dass Deutschland angesichts »illegaler Massenmigration« seine Grenzen schließen müsse, dann reiben sich die AfDler die Hände. Denn mit dieser Sprache ziehen sie seit Jahren durchs Land.

Wie soll man aber diese Sprache als populistisch, teils auf rechtsextremem Gedankengut basierend kennzeichnen und ablehnen, wenn sie zugleich in der demokratischen Mitte genutzt wird? Aus der Union hört man gerne, man dürfe die Themen nicht den Rechten überlassen und man müsse gegenwärtige Probleme benennen. Das ist mehr als richtig! Aber, könnte man ergänzen – das muss flankierend erfolgen: Erstens, eigene und konkrete programmatische Lösungen anbieten, die die Rechtspopulist*innen nämlich in den allermeisten Fällen schuldig bleiben. Zweitens, hart in der Sache argumentieren, aber verbindlich im Ton und drittens, gesellschaftliche Konflikte austragen ohne ein Gegeneinander-Ausspielen verschiedener Gruppen.

Das Thema geht alle an

Und damit sind wir bei der Gesamtverantwortung von Politik. Tatsächlich ist die Offenheit für die Wählbarkeit der AfD dem Deutschlandtrend vom September 2023 zufolge nicht bei der Union, sondern unter den Anhänger*innen der FDP am größten. L. Constantin Wurthmann et al. zeigen zudem, dass zumindest 2017 die AfD vor allem von der CDU (27 Prozent) und nur in geringem Umfang von der SPD (zehn Prozent) gewonnen hat. Zweifelsohne kommt damit dem einstigen schwarz-gelben Lager im Parteienspektrum mit Blick auf die AfD eine besondere Aufgabe zu.

Lösungen für die konkreten Probleme der Menschen zu entwickeln, gute und angemessene politische Kommunikation zu leisten und klar gegen polarisierenden Populismus und Rechtsextremismus einzutreten, ist aber nicht alleine Aufgabe von Union und FDP. Sie kommt vielmehr allen demokratischen Parteien zu. Gerade die Regierungsparteien haben sich in ihrer politischen Kommunikation 2023 nicht mit Ruhm bekleckert, zudem bei großen Transformationsvorhaben Fragen der Sozialverträglichkeit nicht ausreichend berücksichtigt, die gerade in der Anhängerschaft der AfD (aber bei Weitem nicht nur dort) von großer Bedeutung sind.

Langfristige Ansätze aus politikwissenschaftlicher Sicht.

Neben allen kurzfristig erforderlichen Lösungen lohnt überdies der Blick auf langfristige Ansätze. Hierzu zählt aus politikwissenschaftlicher Sicht die dringend notwendige Präsenz und Sichtbarkeit von Parteien im ländlichen Raum (lesenswert dazu das Buch Stadt, Land, Frust von Lukas Haffert), die gesicherte und auskömmliche Finanzierung von politischer Bildung (gerade auch im Erwachsenenalter) sowie eine intensive Beschäftigung mit Nichtwählerschaft, die aber nicht alle vier oder fünf Jahre am Tag nach der Wahl erst beginnt und nach wenigen Tagen wieder endet. Dies gilt vor allem, weil die AfD nach wie vor im Lager der Nichtwähler*innen stark mobilisieren kann. Schlussendlich lohnt eine vertiefte Auseinandersetzung mit der für Deutschland diagnostizierten geringen Selbstwirksamkeit, die eine große Zahl von Menschen mit Blick auf die Politik empfinden.

Der Faktor Sahra Wagenknecht

Wer nun glaubt, dass das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) das »AfD-Problem« schon lösen werde, dem gegenüber sei zum Ende angedeutet: abwarten und besser skeptisch bleiben. Tatsächlich scheint Wagenknecht mit einer Art links-konservativem Ansatz eine gewisse Lücke im Parteienspektrum entdeckt zu haben. Zugleich ist gänzlich offen, ob es ihr gelingen wird Parteistrukturen aufzubauen, die sie in der Kürze der Zeit (vor allem in Ostdeutschland) antreten lassen.

Dies einmal angenommen, könnte Sie womöglich in Thüringen und andernorts der AfD im Jahr 2024 entscheidende Prozentpunkte abnehmen. Ob deren Anhänger auf Dauer bei Wagenknecht bleiben, wenn sie ihre Forderungen dort nicht hinreichend (scharf) artikuliert sehen und wie weit das neue BSW dann versucht wäre nach rechts zu rücken, würde zweifelsohne Gegenstand neuer politikwissenschaftlicher Forschungen. Zumindest bislang sind hier aber zu viele Unbekannte im Spiel, die mehr als Vermutungen (noch) nicht rechtfertigen.

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