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Ansätze einer adäquaten Klimamigrationsforschung

Befeuert durch die Fridays for Future-Demonstrationen und die sich überbietenden Schlagzeilen über Dürrekatastrophen, Waldbrände oder Flutereignisse ist der Klimawandel mittlerweile zu einem zentralen Thema unserer Zeit avanciert. Die Angst, dass vielleicht schon in wenigen Jahren eine gigantische Zahl an »Klimaflüchtlingen« nach Europa oder Nordamerika kommen wird, ist allenthalben zu spüren und nicht für wenige auch ein wichtiges Argument dafür, es endlich ernst zu meinen mit dem Klimaschutz. Bereits seit den 90er Jahren kursieren Prognosen und Schätzungen durch Politik und Medien, wonach wir bis Mitte des 21. Jahrhunderts mit mindestens 200 Millionen Geflüchteter aufgrund der Auswirkungen der globalen Erwärmung rechnen müssen. Das Thema Klimawandel und Migration beschäftigt dabei seit einigen Jahren auch schon den Weltklimagipfel und wird zunehmend z. B. auch ein Thema in der Entwicklungszusammenarbeit.

Dabei ist das Bild, zu welchem die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema »Klimamigration« gelangt, deutlich differenzierter und lässt (noch) wenig Raum für alarmistische oder gar apokalyptische Deutungen. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Forschung zum Thema ökologischer Wandel und seine Auswirkungen auf Flucht und Migration deutlich intensiviert. Verschiedene große Forschungsprojekte wie etwa das zweijährige EACH-FOR der Europäischen Kommission, »Where the rain falls« der United Nations University und CARE oder das EU-finanzierte Projekt MECLEP (Migration, Environment and Climate Change: Evidence for Policy), welche sich alle zeitgleich Fallstudien in mehreren Ländern anschauten, wurden seither ins Leben gerufen. Die Ergebnisse dieser Projekte zeichnen ein komplexes Bild bezüglich des Zusammenhangs zwischen Klimawandel und Migration. Selbst in ökologisch sehr verwundbaren Kontexten wie am Horn von Afrika oder in Teilen Bangladeschs werden Flucht- und Migrationsentscheidungen immer auch maßgeblich von anderen Faktoren mitbestimmt. Dazu zählen politische, wirtschaftliche, soziale, demografische oder kulturelle Faktoren. Einen simplen Automatismus zwischen stärker werdendem ökologischen Wandel und stärker werdender Abwanderung gibt es nicht. Wenn Migration stattfindet, dann geschieht dies zumeist für eine begrenzte Zeit und innerhalb der eigenen Landesgrenzen oder zwischen Nachbarländern, denn die vom Klimawandel besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen sind kleinbäuerliche Familien, Viehnomaden oder städtische Arme im globalen Süden. Ihnen fehlt schlichtweg das notwendige Geld für »großflächige« Migration in Richtung Europa bzw. in den globalen Norden. Ein Ansturm eines »Millionenheers von Klimaflüchtlingen« auf die »Festung Europa« wird auf absehbare Zeit wohl erst mal ausbleiben. Viele der Betroffenen sind sogar so arm, dass sie nirgendwohin migrieren können – nicht zuletzt auch weil die Auswirkungen des Klimawandels in Form von Vieheinbußen oder Missernten ihnen noch die letzten wertvollen Ressourcen rauben. Diejenigen, die (noch) migrieren können, haben durchaus auch die Chance, die durch den Klimawandel erlittenen Verluste durch ihr woanders verdientes Geld zumindest potenziell zu kompensieren. Deshalb ist in der wissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahre verstärkt auch die Frage von »Migration als Anpassungsstrategie« diskutiert worden. Allerdings werden durch oftmals schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen von Migranten diese positiven Mechanismen von Migration auch wieder gefährdet.

Nun besteht für die wissenschaftliche Gemeinde, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Klimawandel und menschlicher Mobilität auseinandersetzt, kein Grund sich entspannt zurückzulehnen. Dafür kann man verschiedene Gründe ins Feld führen: Zum einen werden sich die Folgen des Klimawandels weltweit immer heftiger äußern. Das heißt auch, dass aufgrund des fortschreitenden Anstiegs des Meeresspiegels bestimmte Territorien wie etwa Teile Bangladeschs oder der pazifischen Inselstaaten vielleicht in schon wenigen Jahrzehnten nicht mehr existieren werden. Die Problematik »Klimamigration« wird also mit absoluter Sicherheit nichts von ihrer Brisanz verlieren. Die positive Nachricht in diesem Zusammenhang ist, dass die im Dezember 2018 verabschiedeten Globalen Pakte für Migration und für Flüchtlinge sowie auch andere internationale Initiativen der letzten Jahre (wie die Schaffung der Platform on Disaster Displacement oder der Task Force on Displacement beim UN-Klimasekretariat) das Potenzial einer politischen Gestaltung von »Klimamigration« deutlich erhöht haben. Hinzu kommt, wie erwähnt, dass die Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit das Thema vermehrt aufgreifen. Als Beispiel sei hier die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) genannt, die 2017 ein Globalprogramm Sustainable management of human mobility within the context of climate change ins Leben gerufen hat.

Für eine politische Gestaltung von menschlicher Mobilität lassen sich folgende zentrale Ideale oder Leitziele formulieren: das Verhindern von Zwangsmigration (sofern möglich), eine Maximierung der positiven Potenziale von Migration (z. B. Rücküberweisungen oder Regelungen der Personenfreizügigkeit) und eine Minimierung der Risiken und negativen Aspekte, welche vom Menschenhandel bis hin zur Arbeitsausbeutung von Migranten reichen. Um sich dem anzunähern, bedarf es einer stärkeren Integration von unterschiedlichen, für die Problematik »Klimamigration« aber potenziell sehr relevanten Politikbereichen, welche Migrations-, Umwelt-, Klima-, Flüchtlings-, Landwirtschafts- oder Katastrophenschutzpolitik umfassen können. Und dies muss auch vertikal von der lokalen, nationalen, regionalen bis hin zur globalen Ebene geschehen. Ein besonderes Problem dabei ist, dass verschiedene Politikbereiche zumeist auch sehr unterschiedliche Grundeinstellungen zur Migration haben: Während Migrationspolitik sich zumeist an einer regel- und normbasierten Ausgestaltung von menschlicher Mobilität orientiert, ist für die Klimapolitik traditionell eher ein Verhindern von Migration in all seinen Erscheinungsformen eines der Ziele von Anpassungs- oder Klimaschutzmaßnahmen. Hier gilt es also gerade auch für die wissenschaftliche Beratung Brücken zu schlagen. Zum anderen ist die Datenlage zu Migrationsprozessen weltweit nach wie vor recht dünn. Eine politische Auseinandersetzung über klimabezogene Mobilität wird ohne eine deutlich verbesserte Datenlage sowie auch einer besseren Dokumentation von good practices kaum möglich sein. Auch hier ergibt sich ein wichtiger normativer Beitrag für eine wissenschaftliche Begleitung. Um diese Unterstützungsarbeit leisten zu können, muss sich die Wissenschaft im Bereich »Klimamigration« teilweise neu aufstellen. Ein Experten-Workshop, der im Sommer 2019 in Bonn stattfand, hat dazu folgende Empfehlungen erarbeitet:

Die Forschung muss zum einen weg von der Fixiertheit auf die Fragestellung, ab welchem Grad der klimatischen Veränderung Menschen migrieren bzw. welche Rolle der Klimawandel nun ganz genau für Migrationsprozesse spielt. Vielmehr ist eine Hinwendung zu spezifischen (mobilitätsbezogenen) Erfahrungen bzgl. der Effekte auf die Betroffenen – und gerade auch auf die besonders verwundbaren Bevölkerungsgruppen – im Kontext der verschiedenen Folgen von Umwelt- und Klimawandel deutlich sinnvoller. Denn letztendlich geht es auch darum, konzeptionelle Fragen besser mit Leben zu fühlen. Dazu zählt etwa die, unter welchen Umständen und welche Formen von Mobilität als Anpassungs- oder Bewältigungsstrategie zu zählen sind – oder auch, wann Migration eher dem Bereich Loss and Damage zuzuordnen ist. Dieser Begriff umschreibt die Auswirkungen von klimabedingten Stressfaktoren, die trotz der Bemühungen auftreten, Treibhausgasemissionen weltweit zu reduzieren. Notwendig ist in diesem Kontext unbedingt auch eine bessere interdisziplinäre Forschung und eine bessere Verknüpfung von verschiedenen Forschungsmethoden. Zwar beschäftigen sich mittlerweile Geografen, Wirtschaftswissenschaftler, Politikwissenschaftler oder auch Ethnologen mit Migration im Kontext des Klimawandels. Allerdings sind Brückenschläge zwischen den verschiedenen Disziplinen und ihrer jeweiligen Forschungsmethoden noch sehr selten. Auch die Analyse großer Datenmengen, die Möglichkeiten von Langzeitstudien oder auch Studien in Ländern und Regionen, welche bis dato in diesem Kontext noch kaum betrachtet wurden, sind im Bereich Klimawandel und Migration sicherlich noch (sehr) ausbaufähige Forschungselemente. Auf diese neuen Wege müssen sich natürlich nicht nur die Forschenden selber einlassen, vielmehr müssen forschungsfördernde Institutionen auf allen Ebenen auch bereit sein, die skizzierten neuen Paradigmen, Methoden und Ansätze auch zu unterstützen.

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