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Wie mit Rechten reden? Antifaschismus und Gespräch

Mit Rechten reden – seit Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn ihr gleichnamiges Buch, das den Untertitel »Ein Leitfaden« trägt, veröffentlicht haben, ist dieser Ausspruch zu einer Art Parole geworden. Seine Implikation wird oft missverstanden, ist der Titel doch nicht als Imperativ zu verstehen, sondern lediglich als Infinitiv, als neutrale Beschreibung eines Vorgangs. Doch allein das stieß schon auf Ablehnung. Mit Rechten, so stellten es Vertreter einer nicht kompromiss- und dialogbereiten Linken in Deutschland kategorisch fest, rede man nicht. Man ignoriere sie. Man grenze sie aus, entferne sie aus dem Diskurs, gebe ihnen keine Plattform, reproduziere ihre toxischen Thesen nicht. Das Vokabular ist bekannt. Dahinter steckt, wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen, in denen derzeit rhetorische Strategien neu verhandelt werden, zumindest ansatzweise ein magisches Denken: Wenn etwas nicht erwähnt, sondern tabuisiert wird, ist es auch nicht mehr vorhanden.

Dabei ist es noch nicht einmal kompliziert, die permanent fehlgehende und sich darum stetig aufheizende Kommunikation, von der unsere Gegenwart bestimmt ist, zumindest teilweise auch auf die Starrheit eigener Positionen, geschlossene Weltbilder und infantile Rechthaberei zurückzuführen. Leo, Steinbeis und Zorn führen gleich zu Beginn ganz praktisch das Schema einer aus dem Ruder gelaufenen Gesprächssituation vor: Angenommen, es gäbe in unserem Leben einen Menschen, der uns stört. Einen Arbeitskollegen, einen Verwandten, einen neuen Gast in der Stammkneipe. Eines Tages beschließt man, diesen Menschen anzusprechen. Man sagt: »Deine Ansichten sind falsch.« Das Gegenüber antwortet: »Nein, Deine.« So setzt sich das fort. Am Ende bezeichnet man sich gegenseitig als Nazi, der eine den anderen als den wahren und echten Nazi; man geht auseinander, ist wütend, entsetzt, vor allem aber ratlos. »Was Rechte und Nicht-Rechte miteinander tun«, so heißt es in Mit Rechten reden, »ist schon immer mehr als eine Frage des persönlichen Umgangs gewesen. Uns verbindet ein politisches Verhältnis, ob wir wollen oder nicht. Rechte und Nicht-Rechte streiten miteinander, ganz gleich, wer sich im Einzelnen daran beteiligt.« Man darf hinzufügen: Auch ganz gleich, auf welche Weise dieser Streit sich artikuliert, in welchem Medium er geführt wird. Und vor allem, welche Konsequenzen er hat.

Nicht nur vor dem Hintergrund dieser Überlegungen und der aktuell verfahrenen Sachlage ist Der Dichter und der Neonazi, das Buch, das der Kultursoziologe Thomas Wagner kürzlich veröffentlicht hat, zum einen ein Kuriosum der bundesrepublikanischen Kulturgeschichte, zum anderen eine interessante Fallstudie: Was bringt es, mit Rechten zu reden? Wo ist der Zugangspunkt? Und wo scheitert diese Form der Kommunikation möglicherweise grandios? Im Jahr 1983 wird der Neonazi Michael Kühnen als Gast in die NDR-Talkshow 3nach9 eingeladen. Kühnen war, auch wenn diese Beschreibung in diesem Zusammenhang ein wenig deplatziert erscheinen mag, eine schillernde und auch charismatische Figur. Der Typus des Altnazis war in der Bundesrepublik der späten 70er und frühen 80er Jahre keine Ausnahmeerscheinung; Kühnen jedoch, Sohn aus einem bürgerlich-liberalen Haushalt in Bonn und Absolvent eines katholischen Gymnasiums, war das Gegenteil eines verschwiemelten Strickjacken-Faschisten. Sein Outfit, zumeist mit schwarzer Lederjacke und streng gescheitelter Frisur, war zeitgeistig. Er wirkte intelligent und rhetorisch gewandt. Umso größer war die Irritation, wenn ein junger Mann wie er mit größter Selbstverständlichkeit verkündete, er glaube nicht daran, dass Juden in Konzentrationslagern ermordet worden seien und dass er sich für eine Neugründung und Legalisierung der NSDAP einsetze. Kühnen, so sagt es Autor Thomas Wagner, konnte »in einem sachlichen, unaufgeregten Ton seine ungeheuerliche Weltanschauung vortragen«. Und: Kühnen beherrschte das Spiel mit den Medien. Sie förderten seinen Bekanntheitsgrad. Auch das eine bemerkenswerte Parallele zur Gegenwart.

Die Einladung Kühnens in die 3nach9-Talkshow sorgte für Empörung. Eine der Moderatorinnen der Sendung, Lea Rosh, setzte schließlich die Absage von Kühnens Auftritt durch. Da saß der allerdings schon im Zug nach Bremen. Dass er nicht teilnehmen durfte, erfuhr er erst, als er vor der Studiotür stand. Er ließ sich seine Fahrtkosten erstatten und ging wieder. Ein anderer Gast der Talkshow war an diesem Abend der Schriftsteller Erich Fried, zu dieser Zeit ebenfalls ein Star. Fried, 1921 geborener Sohn Wiener Juden, war mit seinen Gedichten zu einer der literarischen Stimmen der Friedensbewegung geworden, war mit Rudi Dutschke befreundet und hatte sich in konservativen Kreisen aufgrund seiner Interventionen den Spitznamen »Störenfried« erworben. Nach der Talkshow saßen die Gäste und das NDR-Team beim Abendessen in der Kantine zusammen. Michael Kühnen rief im Sender an, wurde in die Kantine durchgestellt und bekam Erich Fried an den Apparat. Das Gespräch war der Beginn einer merkwürdigen, rational nur schwer fassbaren Beziehung, die Thomas Wagner im Untertitel seines Buchs »Eine deutsche Freundschaft« nennt. Er erklärt die Bereitschaft des Juden Fried, sich aus dem Exil in England auf den Neonazi einzulassen, mit einem komplexen Geflecht aus Erfahrungen und Haltungen: »Ob man mit Nazis reden dürfe, mit neuen und mit alten«, schreibt Wagner, »schien für Fried nie eine Frage zu sein, über die er sich den Kopf zerbrach. Der offen geführte Streit, aber auch das Gespräch, um ihre Motive zu verstehen, gehörte für ihn selbstverständlich zum antifaschistischen Kampf. Von der Dämonisierung von Menschen, die der Ideologie der Nazis anhingen, hielt er nichts. Man dürfe nicht so tun, als ob sie völlig andere Menschen seien. Auch sie würden lachen und weinen.«

Aus heutiger Perspektive erscheint das zum einen geradezu rührend naiv und möglicherweise auch für manche fast ein wenig anstößig. Eine der erstaunlichen Erkenntnisse, die sich aus Thomas Wagners Buch ziehen lassen, ist die, dass der Diskurskorridor in der vermeintlich so engen und bleiernen alten Bundesrepublik der 80er Jahre weiter war als heute. Man konnte mehr sagen und mehr wagen, im Guten wie im Schlechten. Erich Fried hatte schon früh begonnen, sich über die vermeintliche moralische Überlegenheit gegenüber Nazis Gedanken zu machen. Im Wien der 30er Jahre hatte er es plötzlich mit Klassenkameraden zu tun gehabt, die in der Hitlerjugend aktiv waren. Er beschreibt diese Zeit in seinen 1986 erschienenen Erinnerungen Mitunter sogar Lachen. Diese jungen Menschen, so Frieds Fazit, waren keineswegs moralisch verkommener oder gar weniger intelligent als er selbst. Frieds einziger Roman Ein Soldat und ein Mädchen, begonnen 1946, veröffentlicht 1960, verhandelt die Frage, ob es gerechtfertigt ist, eine junge KZ-Wärterin mit dem Tod zu bestrafen. Von dem in den 70er Jahren aufgekommenen Slogan »Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft«, wandte Fried sich spätestens 1978 in einer programmatischen Rede ab, in der er dazu aufforderte, das Gefühl der moralischen Überlegenheit gegenüber Andersdenkenden von Seiten der Linken zu überprüfen. Fried war der Ansicht, so fasst Thomas Wagner es zusammen, »es könnten auch Situationen vorstellbar sein, in denen man solchen Menschen helfen oder mit ihnen sprechen muss«.

Genau das geschah dann in den Jahren nach dem Telefonat zwischen Fried und Kühnen aus der NDR-Kantine in Bremen. Fried lebte in England, war nur selten zu Lesereisen in Deutschland. Kühnen wiederum saß später wegen Volksverhetzung und Leugnung des Holocausts mehrfach im Gefängnis. Sie schrieben sich Briefe, in denen beide ihre Haltung deutlich machen. Darunter liegt aber ein überraschender Tonfall der Zuneigung, der vor allem von Fried ausgeht. Er versichert Kühnen in einem Brief ins Gefängnis, dass er ihm selbst dann in Zuneigung verbunden bleiben würde, wenn er ihn von gar nichts überzeugen könne, während Kühnen gegenüber dem Juden Fried weiterhin stur die Judenvernichtung im »Dritten Reich« abstreitet. Was war der Antrieb für diese asymmetrische Freundschaft? Was steckte dahinter? Beide verstanden sich als Idealisten. Beide positionierten sich dezidiert antibürgerlich. Und beide waren, auch das spielt eine Rolle, tödlich krank: Erich Fried hatte Krebs; Michael Kühnen, dessen Homosexualität in rechten Kreisen bekannt und Zielscheibe bösartiger Karikaturen war, infizierte sich mit HIV und starb 1991 an Aids. Doch der Kontakt war vor allem Frieds, heute würde man sagen: überaus gutmenschlichem Antrieb zu verdanken, seiner Überzeugung, dass Menschen, die sich von ihrem eigentlichen Selbst entfremdet hätten, auch wieder zurückgeführt und in Einklang mit ihrem wahren Wesen gebracht werden könnten. Michael Kühnen wiederum, ein Taktierer mit großem Ego, war sich bewusst, welche Imageverbesserung ihm der öffentlichkeitswirksame Kontakt zu einem berühmten jüdischen Dichter verschaffen würde. Fried bekam im Übrigen einige empörte Reaktionen auf seinen öffentlichen Protest gegen die Ausladung Kühnens aus der Talkshow, doch »der Aufruhr«, so Thomas Wagner, »war auch nach einer Woche wieder vergessen«. Eine Epoche weit jenseits der Erregungskultur der sozialen Medien.

In einem anderen deutsch-deutschen Zeitraum bewegt sich ein 2019 erschienener Roman, der nicht explizit die Frage, wie und ob mit Rechten zu reden sei, thematisiert, sondern das Eintauchen in neonazistische Kreise: Mit der Faust in die Welt schlagen ist der Debütroman des 1974 in der Oberlausitz geborenen Autors Lukas Rietzschel. Er erzählt darin die (kurze) Auf- und die (deprimierende) Abstiegsgeschichte einer Familie im fiktiv ausgestalteten sächsischen Dorf Neschwitz in den Jahren 2000 bis 2015. Der viel und oft überstrapazierte Begriff der Identität und des Identitätsverlustes wird in Rietzschels literarisch nicht unbedingt elaboriertem, in seinem gesellschaftlichen Deutungsansatz aber erhellendem Buch konkret ausgeführt. Im Mittelpunkt stehen zwei Brüder, Philipp und Tobias, die im Jahr 2000 noch Grundschüler sind. Der Vater hat nach dem Zusammenbruch der DDR seinen Job verloren, arbeitet aber nach einer Umschulung als Elektriker. Man baut sich ein Haus und glaubt, im neuen Land ankommen zu können. Das allerdings erweist sich als Trugschluss. So wie das alte Land DDR zerbröselt ist, so zerbröselt auch zuerst der Neubau, geht die Ehe der Eltern den Bach runter und lösen sich nach und nach sämtliche Hoffnungen auf ein persönliches oder ökonomisches Ankommen im wiedervereinigten Deutschland auf. Stattdessen tauchen Hakenkreuzschmierereien auf und Philipp und Tobias geraten in den Einflussbereich einer neonazistischen Vereinigung, die den Gescheiterten, Enttäuschten oder längst Abgehängten im Dorf ein neues Selbstbewusstsein eintrichtern und ein Gemeinschaftsgefühl, das sich gegen alles Fremde richtet.

Mit der Faust in die Welt schlagen ist ein Roman, der keine Auswege zulässt. Es ist das Buch einer alternativlosen Radikalisierung, der man sich nur entziehen kann, indem man sich aus dem Staub macht. Rietzschels Roman erschien kurz nach den pogromartigen Verfolgungsjagden in Chemnitz, kurz nach Beginn der PEGIDA-Demonstrationen in Dresden. Erich Fried würde heute wahrscheinlich sagen, dass man auch diese Menschen nicht aufgeben dürfe, dass man sie von ihrer Entfremdung retten müsse. Das Ernüchternde an Rietzschels Roman ist unter anderem, was er veranschaulicht: dass die soziale und die kulturelle Deutungshoheit zumindest in Teilen der neuen Bundesländer längst von Rechten besetzt ist. Es stellt sich also nicht mehr die Frage, ob man mit Rechten reden solle, sondern nur noch wie. Und dafür wiederum, so schließt sich der Kreis, gibt das Buch des Autorentrios Leo, Steinbeis und Zorn eine Handreichung.

Per Leo/Maximilian Steinbeis/Daniel-Pascal Zorn: Mit Rechten reden. Ein Leitfaden. Klett-Cotta, 5. Aufl., Stuttgart 2017, 184 S., 14 €. – Lukas Rietzschel: Mit der Faust in die Welt schlagen. Roman. Ullstein Taschenbuch, Berlin 2019, 320 S., 12 €. – Thomas Wagner: Der Dichter und der Neonazi. Erich Fried und Michael Kühnen. Eine deutsche Freundschaft. Klett-Cotta, Stuttgart 2021, 176 S., 20 €.

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