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Beschäftigung in Zeiten massiver Veränderung und neuer Verteilungsfragen Arbeit muss Teilhabe garantieren

Die Coronapandemie hat das gesellschaftliche Leben weltweit in den vergangenen zwei Jahren massiv beeinträchtigt. Ende Januar 2020 trat der erste Coronavirusfall in Deutschland auf. Am 13. März 2020, beschlossen die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder sowie die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten einen weitreichenden Lockdown. Diese in Teilen über zwei Jahre anhaltenden Beschränkungen haben auch Einfluss auf die Art und Weise genommen, wie wir miteinander arbeiten.

Das Homeoffice ist zu einem Leitbild für jegliche Arbeit geworden, die ortsunabhängig ausübbar ist. Die Pandemie wirkte vor diesem Hintergrund wie ein Katalysator für die bereits stattfindende Digitalisierung. Die Veränderungen der Arbeitswelt sind daher für die meisten Beschäftigten bereits spürbar. Der Einsatz digitaler Technologien, flexibles Arbeiten und wechselnde Arbeitsorte oder auch die Notwendigkeit, sich immer wieder auf veränderte (Qualifikations-)Anforderungen einzustellen, gehören zur neuen Normalität.

Und der Prozess der Veränderungen wird weitergehen. Denn wir stehen vor weitreichenden Veränderungen in der Gesellschaft und im Arbeitsleben, weil der Klimawandel eine andere Arbeits- und Lebensweise auf dem gesamten Globus erfordert. In der kommenden Dekade werden dazu weitreichende Entscheidungen auf allen politischen Ebenen zu treffen sein.

Um gute und klimafreundliche Arbeit gestalten zu können und aus den vielen Risiken auch Chancen für die Beschäftigten und ihr Arbeitsleben werden zu lassen, müssen sich betriebliche Interessensvertretungen qualifizieren und ihre Handlungsmöglichkeiten erweitern, um neue Kompetenzen und Fertigkeiten zu erwerben. Denn auch zukünftig bleiben gute Arbeit und Bildung die zentralen Wohlstandsquellen und die Grundlagen einer sozial gerechten Gesellschaft und einer nachhaltigen Wirtschaft.

Dieser Beitrag zeigt Eckpunkte auf, wie Arbeit auch unter den Bedingungen der digitalen und sozial-ökologischen Transformation sozial und demokratisch gestaltet werden kann.

Corona hat die Stärken und Schwächen unseres Erwerbssystems offengelegt: Schwächere Arbeitsmarktgruppen sind während der Krise unverhältnismäßig stark belastet gewesen. Personen mit geringerem Haushaltseinkommen berichteten häufiger von durch die Pandemie bedingten Einkommenseinbußen. Hier führten problematische Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, die lange vor der Krise ihren Anfang genommen haben, zu einer Verschärfung existierender Ungleichheitsmuster.

Vor allem Personen in prekärer Beschäftigung und in unsicheren Beschäftigtenverhältnissen sowie Soloselbstständige waren von Einkommenseinbußen betroffen. Der Ausbau des Niedriglohnsektors und die Schaffung prekärer und schlecht geschützter Erwerbsverhältnisse in den letzten Dekaden wirkte sich während der Krise besonders dramatisch aus, weil Maßnahmen, wie das Kurzarbeitergeld für diese Gruppe entweder gar nicht griffen (beispielweise im Fall von Minijobs) oder nicht ausreichend waren (insbesondere für Personen mit geringen Einkommen waren die Kompensationen im Rahmen des Kurzarbeitergeldes nicht ausreichend). Auch viele Soloselbstständige und Freiberufler*innen waren während der Krise auf Hilfe angewiesen und erlebten die Unterstützung, die sie erhalten haben, häufig als nicht ausreichend.

Zudem wurden geschlechtsspezifische Ungleichheiten während der Krise verschärft: Nimmt man die Verteilung der Sorgearbeit und die Arbeitsmarktbeteiligung als Marker für die Gleichstellung von Männern und Frauen, ist die aktuelle Situation schlechter als vor der Pandemie. Der Anteil der Frauen, die den überwiegenden Teil der Sorgearbeit leisten, lag im Januar 2022 das zweite Mal in Folge über dem Vorkrisenniveau.

Während 61 Prozent der befragten Mütter angaben, vor der Krise den überwiegenden Teil der Sorgearbeit zu leisten, waren es im Juli 2021 69 Prozent und im Januar 2022 67 Prozent. Der Anteil der Väter, die dies angaben, stieg zunächst von sechs Prozent (Vorkrisenniveau) auf zwölf (April 2020), um dann stetig wieder auf sechs Prozent im Januar 2022 zu sinken. Zudem haben im Januar 2022 19 Prozent der Frauen mit betreuungsbedürftigen Kindern angegeben, ihre Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung verringert zu haben, während es nur knapp sechs Prozent der Väter waren. Auch hier setzen sich Ungleichheitsmuster, die bereits vor der Krise bestanden haben, fort.

Andererseits funktionierte während der Coronakrise mit der Kurzarbeit das Prinzip der solidarischen Absicherung von Risikolagen. Das Grundprinzip, dass der Staat erhebliche finanzielle Mittel mobilisiert, um Unternehmen aber eben auch Beschäftigte zu schützen, wurde in der Krise von fast allen gesellschaftlichen Lagern anerkannt und im Zuge dieses Konsenses erlebten auch sozialstaatliche Prinzipien eine Renaissance.

Während der Pandemie zeigte sich darüber hinaus der Nutzen von Mitbestimmung und Tarifbindung: Erwerbstätige, die tarifvertraglich beschäftigt waren, hatten seltener und geringere Lohneinbußen zu verzeichnen, was sicherlich auch daran liegt, dass Beschäftigte mit Tarifvertrag häufiger eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes erhielten.

In mitbestimmten Betrieben gab es häufiger Regelungen für das Homeoffice und Weiterbildungsangebote. Darüber hinaus hatten Beschäftigte in mitbestimmten Betrieben geringere Sorgen, arbeitslos zu werden. Während der Krise hat sich somit gezeigt, dass die sozialstaatliche und kollektivrechtliche Absicherung von Arbeit durchaus noch funktioniert. Gleichzeitig wurde klar, dass sich die Absicherung von Beschäftigung noch zu stark an einem traditionellen Verständnis von abhängiger Erwerbarbeit orientiert. Unbezahlte Sorgearbeit war ebenso wie selbstständige Arbeit häufig nicht ausreichend abgesichert.

Anforderungen an gute Arbeit und Qualifizierung

Drei Megaentwicklungen – die sogenannten »drei Ds« – verändern Arbeit heute: Digitalisierung, Demografie und das Ziel der Dekarbonisierung, durch weitreichende Veränderungen im Bereich von Energie und Mobilität.

Die Dekarbonisierung verändert Berufe und Tätigkeiten, andere und zusätzliche Kompetenzen werden gefordert. Die Anforderungen an eine veränderte Mobilität werden zudem auch außerhalb der Erwerbsarbeit dafür sorgen, dass wir unser Verhalten als Kunden, Konsumenten, Mieter oder Eigentümer ändern müssen.

Um fit für die Digitalisierung zu sein, sollen sich Beschäftigte weiterbilden. Doch das wird oft nicht ausreichen. Möglicherweise werden viele nicht umhinkommen, in der Mitte ihres Erwerbslebens Betrieb und Tätigkeit zu wechseln. Dies wird nicht nur Menschen mit geringer Qualifikation betreffen, wie viele glauben, sondern auch Berufe, für die eine Ausbildung oder ein Studium notwendig ist. In vielen dieser Bereiche, wie in der Forschung und Entwicklung, bei Personalaufgaben oder auch in ganzen Berufsfeldern wie den Banken und dem juristischen Bereich wird die menschliche Arbeit durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz ergänzt oder auch ersetzt werden.

Auch wenn dies vereinzelt zu Stellenabbau führt, so bleibt aktuell die größere Herausforderung, dass die Babyboomer-Generation nun in Rente geht und Fachkräfte in fast allen Bereichen dringend gesucht werden.

Diese »drei Ds« haben durch die Pandemie und aktuell den Krieg in der Ukraine eine Beschleunigung erfahren, die nun rasches politisches Handeln, aber auch Handeln in den Unternehmensführungen erfordert. Arbeitnehmervertretungen in den Aufsichtsräten und Betriebsräte sind daher gefordert, sich in diese strategischen Unternehmensentscheidungen einzubringen.

Arbeit muss auch unter diesen Bedingungen ein Instrument gelungener sozialer Integration sein. Das bedeutet, dass Arbeit materielle, soziale und demokratische Teilhabe garantieren sollte. Hierfür ist staatliches Handeln gefragt, um die soziale und demokratische Integration zu sichern

Auf drei Ebenen müssen dafür neue Voraussetzungen geschaffen werden:

Erstens braucht es eine neue Fiskalpolitik, um sowohl die immensen Investitionsbedarfe durch eine schnellstens zu vollziehende Energie- und Mobilitätswende realisieren zu können als auch die konjunkturellen Verschlechterungen und sozial ungleichen Belastungen durch die starken Preissteigerungen der letzten Monate abzufedern.

Zweitens sind regulatorische Konzepte notwendig, die angesichts von Unsicherheiten über die künftigen Entwicklungen und die Verunsicherung von Beschäftigten und der Bevölkerung im Allgemeinen Veränderungen ermöglichen und erleichtern und gleichzeitig Risiken verringern.

Deshalb muss sich drittens Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik an einem neuen Leitbild von Erwerbsarbeit orientieren, um den Ansprüchen von Beschäftigten an ihre Arbeits- und Lebensverhältnisse und den veränderten Rahmenbedingungen von Erwerbsarbeit gerecht zu werden. Dieses Leitbild sollte die Organisation von Sorgearbeit nicht als individuelles, sondern als gesellschaftliches Problem verstehen, das eng mit der Gestaltung von Erwerbsarbeit verzahnt ist.

Konkret bedeutet dies, dass die Regulierung von guter Arbeit die Möglichkeit zur Gestaltung einer selbstbestimmten Erwerbsbiografie stärken muss. Dies setzt Institutionen und Strukturen voraus, die dies ermöglichen: Einerseits betrifft dies die sozialstaatliche Absicherung von Arbeit, andererseits die betriebliche Mitbestimmung, die, wie im Betriebsverfassungsgesetz angelegt, dazu beitragen muss, dass das Individuum nicht nur individualisierte Rechtsansprüche hat, sondern auch eine echte Chance, diese durch eine garantierte Mitbestimmung real durchsetzen zu können.

Unsere Arbeitswelt steht vor einer dreifachen Belastung: Angesichts des Angriffs Russlands auf die Ukraine und dem anhaltenden Kriegsgeschehen ist absehbar, dass das Jahr 2022 von extremen Preissteigerungen und einer schwächelnden Konjunktur geprägt sein wird. Dies ist auch mit Konflikten verbunden, stellt neue Verteilungsfragen und verlangt den Menschen viel ab. Die Folgen der Pandemie haben Erwerbstätige in unterschiedlich starkem Ausmaß betroffen. Die Folgen werden für bestimmte Gruppen, insbesondere Frauen, noch länger nachwirken.

Die skizzierten Transformationsprozesse werden Erwerbsarbeit nachhaltig verändern. Dies erleben Erwerbstätige, gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen der letzten Jahre, auch als Bedrohung. Diese anstehenden gesellschaftlichen Veränderungen sollten daher auch als Gerechtigkeitsfragen diskutiert und verstanden werden. Erwerbsarbeit ist das wesentliche Spielfeld, auf dem es gelingen kann, die auch konflikthaften Veränderungen sozial auszugleichen, zu moderieren und demokratisch zu regulieren.

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