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Die Widerstandstätigkeit des Berliner Juden Martin Monath Arbeiter und Soldat

Spezialisten der Geschichte des Widerstands gegen das »Dritte Reich« seitens der deutschen linkssozialistischen Klein- und Zwischengruppen ist schon lange die Existenz einer an Wehrmachtssoldaten in Frankreich gerichteten illegalen trotzkistischen Zeitschrift mit dem Titel Arbeiter und Soldat bekannt. Die aus der Zeit zwischen Juli 1943 und Juli 1944 erhaltenen sechs Ausgaben sowie ein lückenhaftes Fragment wurden jetzt erstmals für deutsche Leser/innen ediert.

Im Unterschied zu fast allen anderen politischen Strömungen des Sozialismus entfalteten die Autoren dieser Zeitschrift seinerzeit ein politisches Projekt, das – in Analogie zur Position der äußersten Linken im Ersten Weltkrieg – unmittelbar auf die internationale proletarische Revolution zielte und den Krieg im Süden und Westen Europas 1943/44 als innerimperialistischen Konflikt begriff. (Auch das Regime Josef Stalins in der Sowjetunion wurde abgelehnt, doch galt hier die Doktrin Leo Trotzkis vom »bürokratisch degenerierten Arbeiterstaat«: Die »sozialen Grundlagen« der UdSSR seien unbedingt zu verteidigen und damit der Sowjetstaat gegen den deutschen Angriff.)

Es ging bei der defätistischen Propaganda unter den deutschen Soldaten, die an den alltäglichen Sorgen und Problemen der Landser ansetzte, deren Schilderungen aber mit Parolen verband, die denen der Bolschewiki von 1917 entlehnt waren, also nicht darum, die bevorstehende bzw. stattgefundene Invasion der Briten und Amerikaner zu unterstützen. Vielmehr galt es, ihr zuvorzukommen bzw. sie durch Verbrüderung der deutschen mit den alliierten Soldaten zu konterkarieren: »Die Frage heißt nicht: Hitler oder Eisenhower, sondern: Wer schlägt Hitler? Eisenhower oder das deutsche Proletariat.« Immer wieder wurden die Wehrmachtssoldaten aufgerufen, sich auf die Seite von streikenden Arbeitern im besetzten Westeuropa zu stellen, wie umgekehrt antideutscher Chauvinismus und individueller Terror gegen Besatzungssoldaten als der Arbeiterbewegung fremde und kontraproduktive Kampfformen verurteilt wurden.

Welche Wirkung Arbeiter und Soldat hatte, ist nach wie vor schwer zu beurteilen. Skepsis ist angebracht, auch wenn es gute Gründe gibt, die heute verbreitete Vorstellung einer nahezu komplett nazifizierten »Volksgemeinschaft«, insbesondere innerhalb der Armee, zu bezweifeln. Die Zeitschrift ging vom Weiterwirken des durch die Niederlage von 1933 lediglich verschütteten Klassenbewusstseins bei großen Teilen der zum Kriegsdienst eingezogenen Arbeiter aus, an das appelliert werden konnte. Immerhin schien die Existenz einiger oppositioneller Zirkel, namentlich in der deutschen Garnison in Brest (Bretagne), gesichert. Als sie aufgedeckt wurden, wurden etliche Beteiligte im Oktober 1943 zusammen mit französischen Aktivisten hingerichtet, insgesamt mindestens zehn Soldaten.

Die Idee einer deutschen sozialistischen Revolution, beginnend mit dem Sturz Adolf Hitlers, und letztlich die Weltrevolution auslösend, erwies sich in der konkreten historischen Situation als Hirngespinst – und das nicht nur und nicht einmal in erster Linie wegen der Kriegführung (z. B. Flächenbombardements) und der Politik (u. a. die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation) der Anti-Hitler-Koalition.

Die Edition von Arbeiter und Soldat macht den zweiten Teil eines Buches aus, in dessen erster Hälfte Wladek Flakin aufwendig die Biografie eines der Hauptakteure rekonstruiert, und das ist eine faszinierende Geschichte. Hans Monath, Jahrgang 1913, wuchs als Sohn eines ostjüdischen Kleinhändlers in Berlin auf und schloss sich einer linkszionistischen Jugendorganisation an, die die Ausreise nach Palästina propagierte und vorbereitete. Wegen dieser Orientierung wurden zionistische Bestrebungen im nationalsozialistischen Deutschland noch jahrelang als legal geduldet. Monath (»Monte«) studierte Mathematik an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg; er scheint ein hochintelligenter, vielseitig begabter und energischer junger Mann gewesen zu sein. Als Jugendleiter im Verband Hashomer Hatzair (Der junge Wächter) machte er auch Bekanntschaft mit marxistischen Schriften und, weil in hebräischer Übersetzung vorliegend, sogar mit einem Ende 1933 legal nach Deutschland gelangten Text Leo Trotzkis. Wie Monath kamen auch andere europäische Trotzkisten, in Deutschland etwa Jakob Moneta und Rudolf Segall, ursprünglich vom linken Zionismus; der Übergang erfolgte indessen nicht ohne politischen Bruch.

Der staatenlose Monath zog 1936 mit seiner jungen Freundin nach Polen, kehrte aber 1938 nach Berlin zurück, von wo er im Mai 1939 nach Brüssel ausreiste. Sein Plan, in Paris das Studium fortzusetzen, ließ sich nicht verwirklichen; er lebte jahrelang unter der deutschen Besatzung in Brüssel, wo er schnell Kontakt zu Angehörigen der 1938 gegründeten Vierten Internationale fand und sich dann in der belgischen Sektion engagierte. Offenbar übernahm Monath schnell deren politische Positionen, insbesondere die zum begonnenen Zweiten Weltkrieg: Nicht zwischen Faschismus und Demokratie (was Trotzkisten durchaus zu unterscheiden wussten) ginge das Ringen, sondern um die Neuaufteilung der Welt zwischen den kapitalistischen Imperialismen.

Inzwischen illegal nach Paris übergesiedelt, gehörte Monath seit Sommer 1943 einem provisorischen Europäischen Sekretariat der Vierten Internationale an, das ihn beauftragte, mit revolutionär-sozialistischer Zersetzungsarbeit in der deutschen Wehrmacht zu beginnen. Im großen Kriegshafen Brest (Bretagne) entstand zunächst eine hauptsächlich von deutschen Soldaten selbst geschriebene und gestaltete, mithilfe französischer Trotzkisten vervielfältigte und verbreitete Zeitung. Im Unterschied zu den Ausgaben im Sommer und Herbst 1943 – bis zur Enttarnung der Soldatenkomitees und des überwiegenden Teils der französischen trotzkistischen Organisation, die Rede ist von rund 100 Verhafteten – dienten die ab Mai 1944 erscheinenden Nummern von Arbeiter und Soldat der breiteren Agitation unter den deutschen Soldaten: »Bei euch liegt die Entscheidung!« Es gelte, sich subversiv zu organisieren und letztlich die Waffen umzudrehen, statt individuell zu desertieren.

Monath war der Verhaftungswelle im Oktober 1943 entkommen – hier wie bei allen seinen abenteuerlichen Unternehmungen bewies er in bemerkenswerter Weise Kaltblütigkeit und Geschick, möglicherweise begünstigt durch eine im Februar 1939 in Berlin erzwungene Namensänderung – und vorübergehend erneut nach Belgien ausgewichen, doch am 13. Juli 1944 ging auch er in Paris der kollaborierenden französischen Polizei ins Netz und wurde an die Gestapo ausgeliefert. Mit zwei Pistolenschüssen im Wald von Vincennes vermeintlich getötet, wurde er schwer verletzt gefunden, ins Krankenhaus gebracht und operiert, nach seiner erneuten Entdeckung durch die Gestapo jedoch endgültig umgebracht, bevor ihn seine Genossen hätten aus dem Hospital schaffen können.

Die vom Autor gelieferte biografische Skizze – mehr ist aufgrund der sehr fragmentarischen Quellenlage offenbar nicht machbar – ist inhaltlich und schriftstellerisch gut gelungen. So sehr die Schilderung von Empathie und Sympathie getragen ist, ist doch keine blinde Hagiografie entstanden, und es wird die gebotene Distanz des Historikers im arbeitstechnisch-methodischen Sinn beibehalten. Nicht in jedem Fall sachgerecht sind die Kommentare, die jenseits des Themas im engeren Sinn angesiedelt sind, wenn etwa Karl Kautskys Position zum Ersten Weltkrieg als Kriegsunterstützung bezeichnet wird. Aber das kann hier nicht schwer wiegen.

Wladek Flakin: »Arbeiter und Soldat«. Martin Monath – Ein Berliner Jude unter Wehrmachtssoldaten. Schmetterling, Stuttgart 2018, 196 S., 14,80 €.

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