Menü

© picture-alliance / OKAPIA KG, Germany | Manfred Danegger/OKAPIA

Philipp Blom über den Anfang und das Ende menschlicher Herrschaft über die Natur Archäologie eines Wahns und eines Widerstands

An wissenschaftlichen Natur- und Menschheitsgeschichten mangelt es nicht. Doch eine Geschichte der menschlichen Herrschaft über die Natur, verbunden mit einer Geschichte des Nachdenkens über dieses Phänomen, gab es bisher nicht. Eine solche, versehen mit eindrucksvollen Abbildungen und Bilddeutungen, hat der Wiener Historiker Philipp Blom nun vorgelegt.

Wie ein roter Faden durchzieht ein Vers der hebräischen Bibel sein Buch: das an Adam und Eva gerichtete Gebot »Vermehrt euch, bevölkert die Erde und macht sie euch untertan« (Genesis, Kap. 1, 28). Dieser Vers habe, so der Autor, »eine enorme Karriere durchlaufen« und sei »in vielerlei Hinsicht Matrix des westlichen Zugangs zur Natur« geworden. Die Verlagswerbung und der Klappentext des Buches spitzen die Aussage noch zu: »Damit war die Idee geboren, dass der Mensch eine Sonderstellung auf der Erde einnimmt und deren Ressourcen rücksichtslos ausbeuten darf.« Allerdings ist im Buch selbst zu lesen, dass das »erste Zeugnis für die Idee der Unterwerfung der Natur« bereits das Gilgamesch-Epos liefere.

Das Gebot aus der um 500 v. Chr. redigierten und mit anderen Schriften vereinten biblischen Schöpfungsgeschichte existiert in mehreren deutschsprachigen Versionen. Zu Recht weist Philipp Blom in dem Kapitel »Lost in translation?« darauf hin, dass die von ihm gewählte Übersetzung nicht die »einzige gültige Lesart« ist; sie sei jedoch diejenige, die eine »eindeutige Übersetzungstradition« begründet habe. Vor allem aber sei sie diejenige, die in den christlich geprägten Weltregionen »historisch wirkmächtig« wurde, sei es als Triebkraft ausbeuterischen Verhaltens gegenüber der Natur, sei es als dessen Rechtfertigung. In aktuellen Neuübersetzungen wird zuweilen die Formulierung »macht sie [die Erde] urbar« gewählt, die insofern nicht abwegig ist, als im hebräischen Original das Wort »erobern« benutzt wird, das im Sinn von »sie ist euch anvertraut« oder »macht sie euch (durch Landarbeit) vertraut« gelesen werden kann.

Widerstand

Einen Teil seiner Arbeit widmet Philipp Blom den Strömungen und Persönlichkeiten, die im Laufe der Jahrhunderte gegen die Unterwerfung der Natur aufbegehrten – er nennt sie »Archäologie des gedanklichen Widerstands«. Ihn leisteten im 16. und 17. Jahrhundert Gelehrte und Philosophen wie Bernardino Telesio, Michel de Montaigne und Baruch Spinoza, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etwa Denis Diderot und Paul Henri Thiry d’Holbach, dessen kolossales Werk Système de la nature (Das System der Natur) von 1770 die Zugehörigkeit der Menschen zur Natur und ihre Abhängigkeit von den Naturgesetzen hervorhebt. Die radikal materialistischen Werke jener Jahre wurden geächtet: Sie stellten die Legitimität der »Herrschaft der Herrschenden« nicht infrage.

Im 20. Jahrhundert – Industrialisierung, Kapitalismus und empirische Wissenschaften hatten sich rapide weiterentwickelt und ausgebreitet – traten in den »Gesellschaften der Unterwerfung« vermehrt Menschen und Gruppen auf, die sich der Verteidigung, ja der Rettung der Natur widmeten. So wiesen in den 60er und 70er Jahren Robert Jungk und andere nach, dass »die innere Ordnung der Natur« angetastet worden sei, ohne dass eine Wiederherstellung dieser inneren Ordnung, eine Ent-Schädigung, zustandekam.

Philipp Bloms ernüchternder Kommentar: »Grenzenloses Wirtschaftswachstum durch maximale Ausbeutung der Natur genoss erste Priorität«. Mehr noch: Als Konsequenz der »absoluten Selbstermächtigung des modernen Menschen« entwickelten sich ungeahnte Methoden und Möglichkeiten der Naturausbeutung, und zum »Unterwerfungswahn« gesellte sich eine »Ökonomie des Wahnsinns«.

Beseelte Erde

Die hebräische Bibel – der Autor weist selbst darauf hin – ist reich an Widersprüchen. Doch sind laut Martin Buber die widersprüchlichen Passagen offen füreinander oder aufeinander bezogen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es bedauerlich, dass Philipp Blom die tierethischen Stimmen der Bibel und die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Tiere und Pflanzen (Einbeziehung der Tiere in die Sabbatruhe; Hilfeleistung für kranke Tiere; Gebot, Bäume zu pflanzen; Sabbatjahr für die Felder; pflanzliche Ernährung) nicht in seine »Archäologie des Widerstands« aufgenommen hat.

Nachgerade befremdlich klingt seine Kritik: »Anstatt die natürliche Welt als beseelt und voller Akteure darzustellen (...), kannte die Bibel des einzigen Gottes nur eine tote Erde, eine Welt aus Staub, die unbeseelt, ohne eigenen Willen (...) nur darauf wartet, unterworfen zu werden.« Mag die Erde am Anfang der biblischen Schöpfungsgeschichte auch »wüst und leer« gewesen sein, so war sie doch nach ihrer vollständigen Erschaffung prallgefüllt mit Leben und reich an Pflanzen und Tieren, von den Kräutern und Bäumen über die Fische und Vögel bis hin zum Gewürm.

Die Natur ist real und metaphorisch allgegenwärtig in der Bibel. Man schlage nur die »Zahlensprüche« im »Buch der Sprichwörter« (Kap. 30, 15–33) auf, die von Empfindungen und Verhaltensweisen der Tiere handeln. Es heißt dort: »Vier sind die Kleinsten auf Erden und sind doch die Allerklügsten.« Es folgen Aussagen über die Ameisen, Klippdachse, Heuschrecken und Eidechsen, die eine Klugheit verkörpern, von der die Menschen lernen könnten.

Im dritten Kapitel des Buches Kohelet (»Prediger«) stößt man auf die erstaunliche Feststellung, dass die Menschen ihr eigenes Tiersein erkennen sollten. Betont wird auch, dass die Tiere und Menschen dasselbe Schicksal erwartet, nämlich das Sterbenmüssen. Hier stehen die berühmten Verse: »Beide haben ein und denselben Lebensatem. Der Mensch hat nichts voraus vor dem Tier. Beide gehen an ein und denselben Ort. Beide sind aus Staub entstanden, beide werden wieder zu Staub. Wer weiß, ob der Lebensatem des Menschen nach oben steigt und der Lebensatem des Tieres hinab fährt zur Erde?«

Für Lebensatem ließe sich auch das Wort Seele verwenden. Man muss nicht gläubig sein, um solche Aussagen für kostbar und aktuell zu halten. Hier wird vorweggenommen, was im 16. Jahrhundert der von Philipp Blom bewunderte und oft zitierte Michel de Montaigne mit den Worten ausdrückte: »Wir sind weder höher noch niedriger als der übrige Teil. Alles, was unter dem Himmel ist, sagt der Weise, ist einerlei Gesetz und gleichem Glück unterworfen.« Ist damit nicht Kohelet, der Weise der hebräischen Bibel, gemeint?

Die jüdische Tradition führte die tierethische Orientierung der Bibel fort. So schreibt der Arzt und Philosoph Moses Maimonides (Mosche ben Maimon, etwa 1135–1204) in seinem Ende des 12. Jahrhunderts verfassten More Nevuchim (Führer der Unschlüssigen): »Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Schmerz des Menschen und dem Schmerz anderer Lebewesen.«

Eine weite Kluft besteht zwischen dieser Überzeugung und der Position des von Philipp Blom kritisch vorgestellten Philosophen René Descartes (1596–1650), der die Tiere zur »ausgedehnten Substanz« (res extensa) zählt, das heißt zu den Dingen ohne Gefühl und ohne Seele. Eine noch größere Kluft tut sich auf zwischen Maimonides und uns, die wir aus den Nutztieren transportable und verschrottbare Maschinen gemacht haben. Der israelische Historiker Yuval N. Harari nennt in seinem Werk Eine kurze Geschichte der Menschheit (2013) »die moderne industrielle Tierhaltung«, wenn auch unter Vorbehalt, »das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte«.

Riskantes Denken

Europa trug laut Philipp Blom seinen »Unterwerfungswahn in die ganze Welt« und hinterließ dort Zerstörung und Ausrottung. Der Autor trägt viele Belege für dieses Desaster zusammen, nennt viele Gründe, die hier nicht im Einzelnen ausgebreitet werden können. Nur der Fall China sei hier wenigstens gestreift. Das chinesische Reich bedurfte des europäischen Eingriffs nicht, um schon früh mithilfe von Agrartechnik und Wassermanagement – Kanalisierung, Bewässerung und Trockenlegung – intensive Landnutzung zu betreiben und natürliche Ressourcen auszubeuten. Doch gab es auch in China Denktraditionen, die sich dieser Entwicklung widersetzten. So verehrt der Taoismus das Ewige in der Natur, lehrt den Dialog mit ihr und die Einheit allen Lebens. Menschliche Eingriffe in das Wirken des Tao (»Weg«) lehnt er ab. Doch auch in China konnten diese Stimmen die dauerhafte Unterwerfung der Natur nicht verhindern.

Heute hat sich die Lage weltweit verändert. Die Wahnidee der Naturbeherrschung stellt sich immer mehr als Selbstmordprogramm heraus, das die Lebensgrundlagen der Menschheit systematisch zerstört. Philipp Blom kommt zu einer doppelten Diagnose: Unablässiges Wirtschaftswachstum sei »durch die Klimakatastrophe obsolet« geworden. Und: »Ein ganzes Archipel von Gesellschaften« stehe nun »ohne das bewährte Verständniswerkzeug da«, was durch die digitalen Entwicklungen noch weiter erschwert werde.

Philipp Blom liefert uns ein solches »Verständniswerkzeug«, ohne sich als Wissender zu inszenieren und konkrete Handlungsschritte vorzuschreiben. Am Ende gibt er den Rat, »riskantes Denken« zu wagen – ein Denken, das den Menschen als Teil einer Natur begreift, die »keine unterworfene Erde mehr ist«. Auch der Mensch, der zwecks Teilnahme am Unterwerfungswahn und der Ökonomie des Wahnsinns sich als natürliches Wesen unterdrückt, müsse befreit werden, damit das Ende der Unterwerfung der Natur möglich wird.

Philipp Blom: Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur. Hanser, München 2022, 368 S., 28 €.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben