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Neue Bücher zum Thema Ungleichheit Arm und Reich

Globalisierung und Digitalisierung haben die Ressourcen der Welt, haben Dinge, Daten und menschliche Arbeitskraft in einem noch nie gekannten Maße verfügbar gemacht, aber die Kosten und Gewinne dieser Entwicklung sind ungleich und ungerecht verteilt. Mit der Migration und dem Wandel tradierter Lebenskonzepte geht gleichzeitig eine Liberalisierung und Pluralisierung einher, die die Wiener Philosophin Isolde Charim in ihrem Buch Ich und die Anderen als ein »unhintergehbares Faktum« bezeichnet. Homogene Nationalstaaten und Gesellschaften lösen sich auf, und die arbeitsteilige Gesellschaft der »Ersten Welt« muss damit fertig werden, dass viele der klassischen Lohnarbeiten und Erwerbsmöglichkeiten durch eine neue Welle der Automatisierung wegfallen werden. Während tradierte Arbeitskarrieren im Nichts enden, explodieren in begehrten Stadtlagen die Miet- und Grundstückspreise, und die Schere zwischen Spitzenverdienern und prekär Beschäftigten, zwischen Vermögenden und Vermögenslosen öffnet sich immer weiter.

Bei den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst in diesem Frühjahr versuchte die Gewerkschaft ver.di vergeblich, eine Aufstockung der Einkommen um mindestens 200 Euro monatlich durchzusetzen. Dies wäre vor allem den unteren Lohngruppen zugutegekommen, während die Arbeitgeberseite argumentierte, man brauche mehr Geld für hochqualifizierten Nachwuchs, um mit der freien Wirtschaft konkurrieren zu können. Das ist nachvollziehbar, doch zugleich fehlt es in beiden Bereichen gerade im unteren Einkommenssektor – etwa bei Polizei und Pflegekräften – spürbar an Personal. Was aber ist ein hoch qualifizierter Chefarzt wert, wenn dessen Patienten wegen Personalmangels unzureichend versorgt und/oder zu früh entlassen werden? Und was wäre ein Fußballstar heute »wert«, wenn nicht das Fernsehen dem Rasensport ein Milliardenpublikum verschafft hätte?

Dass sich eine oft hoch spezialisierte Leistung heute mehr lohnt als je zuvor, ist das Ergebnis der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, der Abgasskandal hat aber gerade gezeigt, dass manche Spitzenverdiener es mit den realen Leistungsdaten nicht so genau nehmen.

So kritisiert Alexander Hagelüken, der leitende Wirtschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung in seinem Buch Das gespaltene Land eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland. »Wie Ungleichheit unsere Gesellschaft zerstört – und was die Politik ändern muss« lautet der Untertitel, den der Autor gleich eingangs statistisch unterfüttert: »Die Unternehmer- und Vermögenseinkommen stiegen von 2000 bis 2014 um 30 Prozent – mehr als viermal so stark wie die Löhne. Dagegen hat fast die Hälfte der Deutschen inzwischen weniger Geld zur Verfügung.«

Das Problem des Reichtums

Bezieherinnen kleiner Renten, prekär beschäftigte »Aufstocker« und Langzeitarbeitslose zählen längst zu den Stammgästen von Tafeln, in denen ehrenamtliche Helferinnen und Helfer Lebensmittelspenden an Bedürftige verteilen. Unlängst kam aus Kreisen der Berliner CDU auch noch die Forderung, das Arbeitslosengeld (ALG) II für unter 50-Jährige zu streichen. War früher die DDR eine Art »Alternative für Deutschland« avant la lettre, die es auch in sozialer Hinsicht zu überbieten galt, so ist die schmerzhaft spürbare Armut heute als Drohkulisse wieder salonfähig geworden. Zu den Absurditäten dieser Entwicklung aber zählt der Umstand, dass ein großer Teil der Waren, die durch Tafeln verteilt werden, ansonsten auf dem Müll landen würden.

Deshalb legt der Gründer der Drogeriekette »dm« Götz W. Werner eine aktualisierte Neuausgabe seines bereits 2007 erschienenen Buchs Einkommen für alle vor und fordert darin nun noch nachdrücklicher ein »bedingungsloses Grundeinkommen«. Dies böte zumindest eine Abmilderung eines Prozesses, der in unserem Wirtschaftssystem Ungleichheit produziert. Denn darin gilt, was der britische Ökonom Anthony B. Atkinson (1944–2017) in seinem erst posthum übersetzten Buch Ungleichheit. Was wir dagegen tun können ausführt: »Was im oberen Bereich der Verteilung geschieht, wirkt sich auch auf die Menschen aus, die unten sind. Richard Tawney hat vor einem Jahrhundert geschrieben: Was nachdenkliche reiche Menschen das Problem der Armut nennen, bezeichnen nachdenkliche arme Menschen mit der gleichen Berechtigung als ein Problem des Reichtums.«

Auf die pragmatische Frage hin, »ob Länder geringe Armutsquoten erreichen können, wenn sie gleichzeitig einen hohen Anteil an Spitzeneinkommen haben«, kommt Atkinson auf Basis statistischer Daten des Jahres 2010 zu dem Ergebnis, dass ein solcher Ausgleich nur in der Schweiz gelungen sei: »In der Regel geht höhere Armut mit einem höheren Anteil an Spitzeneinkommen einher.« Zwar gebe es vollkommen gerechtfertigte Gründe, dass manche Menschen besser bezahlt würden als andere – »etwa wenn sie länger arbeiten, unangenehmere Aufgaben erledigen oder mehr Verantwortung übernehmen«. Zu den wichtigsten Rechtfertigungen für solche Einkommensunterschiede aber gehört das Argument, »dass manche Menschen für Beschäftigungen, die höhere Fähigkeiten erfordern, mehr Zeit in die Ausbildung investiert haben«. Schon in den 30er Jahren hätten Milton Friedman und Simon Kuznets belegt, dass der tatsächliche Unterschied zwischen den Einkommen von hoch qualifizierten und weniger qualifizierten Arbeitnehmern deutlich größer ist, als zum Ausgleich des zusätzlich investierten Kapitals erforderlich wäre.

Für ihre Ausbildungsanstrengungen werden solche Gut- bis Spitzenverdienenden also nicht angemessen, sondern überproportional entlohnt. Um dies zu rechtfertigen, müsste man das durchaus zweischneidige Argument hinzuziehen, dass sie damit auch das Risiko eingegangen sind, den falschen Beruf erlernt zu haben. Das Arbeitsleben wäre damit ein Roulette, in dem – außer der Bank – nur derjenige gewinnt, der auf die richtigen Zahlen gesetzt hat – und das auf Kosten der weniger Glücklichen. So liegt heute im klassischen Modell der Mittelstandsfamilie ein doppeltes Risiko: zum einen für Frauen, die, wie Hagelüken ausführt, »wegen ihrer Kinder den Beruf hintanstellten und darüber ihre Qualifikationen verloren«; zum anderen droht in Zeiten rasanten technischen Fortschritts und der elektronischen Datenverarbeitung auch dauerhaft Berufstätigen das Problem der »entwerteten Qualifikationen«, wenn anspruchsvolle Facharbeit von Maschinen übernommen wird. Wo auch längere und unangenehmere Arbeiten einem kein anständiges Leben mehr ermöglichen, wo erfahrene Fachkräfte abqualifiziert werden, weil man meint, sie durch Automatisierung ersetzen zu können, darf man sich über wachsende Ungleichheit und wachsenden Unmut nicht wundern.

Gleichzeitig muss man feststellen, dass gerade der von Abstiegserfahrungen und Ängsten gebeutelte Mittelstand am hartnäckigsten an Maximen festhält, die sich auf die Formel »wer nicht arbeitet soll auch nicht essen« und das Bild vom arbeitsscheuen Sozialhilfeempfänger reduzieren ließen.

Die Sozialbindung des Leistungsprinzips

Ernsthafter ließe sich mit Blick auf die Probleme der deutschen Gegenwart auf zahllose hochrespektable Beispiele von Rentnerinnen und Pensionären hinweisen, die ihre Berufs- und Lebenserfahrungen nutzten, um sich bei Tafeln und bei der Flüchtlingsbetreuung, in Sozialkaufhäusern und der Lokalpolitik ehrenamtlich zu engagieren, und zwar nicht karriere-, sondern sachorientiert. Der Mensch ist ein soziales Wesen, das sich gerne »einbringt«, wenn man ihm nur die Möglichkeit dazu gibt.

Dass sich gerade Menschen der Großelterngeneration heute sozial herausgefordert fühlen, mag zum einen daran liegen, dass es weniger Enkel und Enkelinnen gibt, aber auch an etwas, das man als Altersliberalität bezeichnen könnte. Die Generation, die mit den Folgen von Krieg und Vertreibung, Bomben und Hunger aufgewachsen ist, die die »goldenen« 50er und die bewegten 60er Jahre, die Ölkrise, Tschernobyl, den Zerfall des »Ostblocks« und eine neuerliche Weltfinanzkrise erlebt hat, reagiert auf akute Probleme mit einem abgeklärten Pragmatismus.

Nicht nur »die Zeit«, wie es der Untertitel von Götz W. Werners Buch andeutet, sondern auch die Gesellschaft ist also prinzipiell »reif« für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, das ein mit Sanktionsdrohungen bewehrtes ALG II und auch andere Sozialleistungen ablösen könnte. Ob dies aber in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern und vielfältigem politischen Gestaltungsbedarf zu dessen Realisierung reicht, darf bezweifelt werden. Auch die Vorschläge der anderen hier genannten Autoren liest man durchaus angeregt, aber skeptisch: Während Hagelüken die etablierten Parteien auffordert, »mehr Aktienbesitz, mehr Immobilien und umfassende Vorsorge« zu ermöglichen, schlägt Atkinson unter anderem vor, die Regierung solle »mittels staatlicher Sparbriefe einen garantierten positiven Realzinssatz auf Ersparnisse anbieten« und »mit Erreichen der Volljährigkeit sollte jeder eine Kapitalausstattung (ein Mindesterbe) erhalten«. Werner sieht unsere entwickelte Gesellschaft als ein System, in dem ein Grundeinkommen für alle prinzipiell bereits gewährleistet sei. So sei Grundbesitz keine Ware, da er sich nicht vermehren lasse. Wer auf Grund und Boden Gewinne erwirtschafte, solle eine Erbpacht zahlen. Und es wäre sozial nur gerecht, die Einkommensbesteuerung durch eine Konsumbesteuerung zu ersetzen.

Eine Ertragsbesteuerung belaste zwar höhere Einkommen grundsätzlich mit höheren Steuersätzen, böte faktisch aber gerade Menschen mit gehobenen Einkommen die Möglichkeit, sich »arm zu rechnen«. Zudem sei die »harte« Besteuerung besonders erfolgreicher Individuen und Unternehmen ein Grund dafür, »warum die griffige Parole, Leistung müsse sich wieder lohnen, nicht kleinzukriegen ist«. Gerechter und psychologisch einleuchtender seien deshalb progressive Konsumbesteuerungen, die bei Luxuswaren auch schon einmal ein Mehr- bis Vielfaches des Grundsatzes betragen dürften.

»Reiche Müßiggänger und Prasser« ließen sich so »richtig zur Kasse« bitten, folgert der selbst nicht unvermögende Autor mit der ihm eigenen Ironie. Der Sozialbindung des Eigentums – so ließe sich dies nüchterner formulieren – träten Verpflichtungen zur Seite, die sich aus den privilegierten Konsumansprüchen der Vermögenden und Spitzenverdiener ergeben. Das so viel und so oft zu Unrecht beschworene Leistungsprinzip erhielte damit seine soziale, solidarische Fundierung zurück.

Anthony B. Atkinson: Ungleichheit. Was wir dagegen tun können. Klett-Cotta, Stuttgart 2017, 474 S., 26,95 €. Isolde Charim: Ich und die Anderen. Wie die neue Pluralisierung uns alle verändert. Zsolnay, Wien 2018, 224 S., 22 €. Alexander Hagelüken: Das gespaltene Land. Wie Ungleichheit unsere Gesellschaft zerstört – und was die Politik ändern muss. Droemer Knaur, München 2017, 240 S., 12,99 €. Götz W. Werner: Einkommen für alle. Bedingungsloses Grundeinkommen – die Zeit ist reif. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018, 304 S., 14,99 €.

Kommentare (1)

  • Rainer Kirmse , Altenburg
    Rainer Kirmse , Altenburg
    vor 2 Wochen
    ARM UND REICH

    Armut ist wohl keine Schande,
    doch man steht damit am Rande.
    Ist das Portemonnaie ständig leer,
    hat man's im Leben doppelt schwer.
    Kein Geld für den feinen Braten,
    da bleibt nur der Tafelladen.

    Die Millionen vom Millionär,
    wo kommt der ganze Zaster her?
    Kann man soviel Schmott verdienen,
    wenn man fleißig ist wie Bienen?
    Es ist wohl die Marx'sche Lehre,
    wonach sich das Geld vermehre.

    Vielleicht wär mir's einfach egal,
    wenn nicht in ziemlich großer Zahl
    weltweit Kinder hungern müssten.
    Das sollte alle entrüsten.

    Wie lange wird das noch gut geh'n,
    wird man sich's demütig anseh'n?
    Irgendwann wird man wohl aufsteh'n,
    und am Rad der Geschichte dreh'n.

    UNGERECHTE WELT

    Es sagt uns nicht erst der Armutsbericht,
    in unser aller Welt stimmt etwas nicht.

    Immer reicher werden die Millionäre,
    daneben wachsen die Armutsheere.

    In düsteren Slums leben Millionen,
    während and're in Palästen wohnen.

    Hier im Lande geht die Spaltung weiter,
    die vielen Tafeln stimmen nicht heiter.

    Wohlstand für alle, muss heißen das Ziel,
    Frieden und Freiheit stehen auf dem Spiel.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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