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Programme und Projekte der Kulturpolitik zur Freiheit der Künste Arts Rights Justice

Am 26. Juli 2018 meldete The Moscow Times, dass ein russisches Gericht den Hausarrest des Regisseurs Kirill Serebrennikow erneut um zwei Monate verlängert hat. Serebrennikow wurde im August 2017 zunächst festgenommen und dann unter Arrest gestellt. Er musste diverse Inszenierungen – auch in Deutschland – absagen. Dem Regisseur und fünf weiteren Theaterleuten wird vorgeworfen, im Rahmen des russischen Theaterförderprogramms Platforma Subventionen veruntreut zu haben. Er bestreitet die Vorwürfe. Kritische Beobachter glauben an einen politischen Hintergrund. Serebrennikow lebt offen homosexuell und macht keinen Hehl aus seiner kremlkritischen Haltung.

Am 19. August 2017 wurde der Kölner Schriftsteller Doğan Akhanlı im andalusischen Granada von der spanischen Polizei festgenommen. Auslöser war ein über Interpol verbreitetes Ersuchen der türkischen Behörden, die ihm die Verwicklung in einen Mordfall aus dem Jahr 1989 in Istanbul vorwerfen – ein Vorwurf, von dem er in einem Verfahren in der Türkei 2010 schon einmal freigesprochen worden war. Bereits am Tag nach der Festnahme hatte ihn Spaniens Nationaler Gerichtshof wieder auf freien Fuß gesetzt, er durfte das Land aber bis zu einer endgültigen Entscheidung nicht verlassen. Die fiel durch den Ministerrat in Madrid am 13. Oktober: Der Künstler wird nicht an die Türkei ausgeliefert; ein Politikum und ein Plädoyer für die Freiheit der Künste. Denn dass die Verfolgung zwar zweifelhaft, aber juristisch begründet wurde, war nur die halbe Wahrheit. Doğan Akhanlı ist für das »Erdoğan-Regime«, im Originalton seines deutschen Anwalts, ein missliebiger Autor, ein Kritiker der antidemokratischen Entwicklungen am Bosporus.

Und noch ein Beispiel vom Sommer dieses Jahres: Liu Xia, die Frau des verstorbenen Dissidenten Liu Xiaobo, darf China verlassen. Bislang wurde die Aufhebung ihres Arrests stets abgelehnt, obwohl Liu nie eines Vergehens angeklagt wurde. Die Dichterin war gesundheitlich angeschlagen und hatte einen Herzanfall erlitten. Zuvor war ihr Mann, der chinesische Bürgerrechtler und Dichter Liu Xiaobo, nach vielen Jahren in Haft an Leberkrebs gestorben. Der Wunsch, sein Leiden in Deutschland behandeln lassen zu dürfen, wurde ihm nicht gewährt. Liu Xia stand seit 2010 unter Hausarrest, nachdem das Nobelkomitee in Norwegen ihrem inhaftierten Mann den Friedensnobelpreis zugesprochen hatte. Dies hatte die Führung in Peking derart verärgert, dass sie Liu Xia mit einer Art Sippenhaft bestrafte. Im Jahr zuvor war ihr Mann wegen Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht zu elf Jahren Gefängnis verurteilt worden. »Das Ende des Arrests ist ein Segen für Liu Xia und ein kleiner Sieg für die Menschenrechte«, schreibt Steffen Richter am 10. Juli 2018 bei Zeit Online. »Doch werden in China weiterhin Bürgerrechtsanwälte und Menschenrechtsaktivisten mit dubiosen Gerichtsurteilen weggesperrt und mundtot gemacht. Manche wurden mit erzwungenen Geständnissen in der Öffentlichkeit noch zusätzlich gedemütigt. Wer sich zu offen gegen die Politik der herrschenden Kommunistischen Partei stellt, riskiert mindestens Ärger.«

Wieso leben eigentlich Künstlerinnen und Künstler so gefährlich? Offensichtlich gestalten sie mit der Kraft der Kreativität gesellschaftliche Selbstverständigungen, die eine kritische Sicht möglich machen. Und die wird in autokratischen Systemen und durch antidemokratische Tendenzen sowie nationalistische und rassistische Entwicklungen zum Problem – das Problem einer öffentlichen Kommunikation, bei der Fragen aufgeworfen, aber nur einfache Antworten propagiert werden; die Diversität pflegen, wo Leitkultur angesagt ist; die von Offenheit zeugen, wo Abgrenzungen wieder oder immer noch die politische Agenda bestimmen.

Wo werden Künstlerinnen und Künstler verfolgt oder sind gefährdet? Was sind die Ursachen? Wie ist die Gesetzeslage vor Ort? Wie werden Verletzungen dokumentiert? Wie wird darauf reagiert? Wie können Bedrohungen künstlerisches Schaffen beeinflussen? Was bedeutet es, sie zu schützen? Das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim hat hierzu das Programm Arts Rights Justice gestartet und rückt damit das Schicksal verfolgter Künstlerinnen und Künstler und das Recht auf künstlerische Freiheit in den Fokus. Das Auswärtige Amt und das International Cities of Refuge Network mit Sitz in Norwegen unterstützen die Arbeit des am UNESCO-Chair in Cultural Policy for the Arts in Development angesiedelten Forschungsprojekts.

Zunehmend mehr Fälle von Einschränkungen der Freiheit des künstlerischen Schaffens und konkrete Bedrohungen von Akteuren in den Kulturlandschaften weltweit, die gesellschaftliche Transformationsprozesse mit ihren Mitteln und Möglichkeiten reflektieren, zeigen, dass es längst an der Zeit ist, die Vorgänge wissenschaftlich zu untersuchen, kulturpolitische Maßnahmen zu ergreifen und die engagierte Zivilgesellschaft zu vernetzen. Das Programm »Arts Rights Justice« zielt darauf ab, Räume für die Freiheit künstlerischer Ausdrucksformen zu analysieren, zu definieren und Instrumente zu entwickeln, um Menschenrechte zu wahren und zu schützen. Es gelte, Wissen zu generieren, Wissen zu vermitteln sowie Wissensaustausch zu ermöglichen. Die Teilnehmenden der ersten Akademie, rund 40 Aktivisten aus 30 Ländern, hatten für eine Woche die Chance, Erfahrungen auszutauschen, wie mit Zensur und Verfolgung umzugehen ist, um internationale Schutz- und Fördermechanismen kennenzulernen und Interessenvertretungen zu organisieren, die Veränderungsprozesse anstoßen können.

The Beatles of Sudan – ein tragisches Beispiel

Einer der Teilnehmer der internationalen Akademie 2018 war der Musiker Abazar Hamid. Der Musiker sagt von sich selbst, er sei »die Beatles vom Sudan« und singt einen von seinen Songs, die 200 Kilometer südlich von der Hauptstadt Khartoum in seinem Heimatdorf entstanden sind. Dort hat er gelebt und mit Freunden Musik gemacht, bis er die Wucht der Gewalt des Regimes von Diktator Omar al-Baschir erfahren musste. »Socially it was unacceptable to study music especially from my family. Singing is not socially respectful«, sagt er in einem Interview mit Ray Mwareya, für die Ausgabe 18/2018 der Zeitschrift Kultur. Politik. Diskurs. Die Muslimbrüder sorgten für die Stimmung gegen künstlerische Ausdrucksformen, die andere Geschichten erzählten wollten. »I am a Muslim. Islam is my culture. But I am also a Muslim that believes Islam is a faith that also needs to be questioned.«

1997 kam er zu Igd Elgalad, einer Big Band, die ihre Stimmen als Instrumente der Musik und ihre Texte zum Widerstand gegen die Ungerechtigkeit nutzen. Sie erhielten Auftrittsverbote, wurden verfolgt und ihre Familien eingeschüchtert. »I left the band, because I could see the band was heading into self-censorship to appease the regime.« Er begann eine Solokarriere mit Folksongs. Und eckte doch wieder an: »The aim of this was working with traditional musicians in conflict-affected areas of Sudan like Darfur and Nuba Mountains. It was an exercise to promote the reconciliation of Sudan because the country was headed to the referendum of 2010, a referendum that split South Sudan from the rest of the country.«

Nach dem Referendum blieb ihm nur noch die Flucht, zunächst nach Ägypten und nach dem Rollback der Militärs nach dem Arabischen Frühling nach Europa. Seit drei Jahren lebt er nun in Haarstad, einer kleinen Stadt im Norden Norwegens, die sich selbst im Verbund mit der Initiative der internationalen Städte für Geflüchtete (ICORN), zur »safe city for musicians« erklärt hat.

Kulturelle Vielfalt als UNESCO-Konvention

In Hildesheim auch mit dabei: Farida Shaheed, die 2013 bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen als UN-Beauftragte einen ersten Bericht zur Lage der Rechte für die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks und der Kreativität vorlegte, der bis heute Maßstäbe setzt und Anwendung findet, wenn Politik sich mit konkreten Attacken gegen Künstlerinnen und Künstler beschäftigen muss. Der Bericht nennt Gesetze und Regulierungen, die die künstlerische Freiheit einschränken, genauso wie ökonomische und finanzielle Vorgänge der Restriktion. Politische, religiöse und moralische Einschränkungen von Kunst werden angeprangert und Staaten gleichzeitig aufgefordert, ihre Gesetzgebung und Praktiken kritisch zu überprüfen sowie das internationale Recht – zuletzt in der UNESCO-Konvention zur Vielfalt kultureller Ausdrucksformen formuliert – zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen.

Farida Shaheed war es auch, die auf der Bühne der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin während eines Forums ermunterte, von Seiten der Kulturpolitikforschung den Veränderungen auf der Spur zu bleiben, die Freiräume der Künste immer wieder neu zu vermessen sowie die Rolle der Künste in Transformationsprozessen zu beschreiben und zur Diskussion zu stellen. Partner der wissenschaftlichen Untersuchungen sind Organisationen wie ICORN, die sich um Residenzen für verfolgte Künstlerinnen und Künstler kümmert, Artwatch, die sich für demokratische Kunstpraxen in Afrika engagieren oder Freemuse, ein Netzwerk, das gefährdete Kulturschaffende in sogenannte »sichere Häfen« vermittelt hat, die mit Sitz in Dänemark und unter Mithilfe von Beobachtern in verschiedenen Weltregionen, die Lage zur Freiheit der Kunst analysieren und kritisch befragen.

Das Hildesheimer Programm findet zudem Unterstützung bei diversen Akteuren von Museen, soziokulturellen Zentren und Theatern. Meriam Bousselmi, Rechtsanwältin und Dramatikerin aus Tunis, war es, die in Berlin die »Deklaration von Karthago für den Schutz von Künstlern in verwundbaren Situationen« präsentierte. Mit kulturellen Rechten sollen künstlerische Produktionen gesichert und das kreative Eigentum soll vor Kommerzialisierung beschützt werden.

Der allseitige Rassismus und die Einschränkungen der Rechte von Künstlern, Journalisten und Wissenschaftlern war auch Thema eines Forschungsateliers im Rahmen des Programms »Arts Rights Justice«, das im Anschluss an die Konferenz »Echoes of the South Atlantic« des und in Kooperation mit dem Goethe-Institut in Salvador de Bahia in diesem Frühjahr stattfand und die vor Ort zusammenbrachte, die sich in Südamerika um Künstlerresidenzen als »Safe Haven« kümmern. Dieses kulturpolitische Instrument wurde auf den Prüfstand gestellt und ganz pragmatisch ging es dabei auch um die Unterstützung von Künstlern aus dem Ausland, um Fragen der Unterbringung und Betreuung, der »Work-Life-Balance«, der Integration in die neue Kulturlandschaft und der Nachhaltigkeit infrastruktureller Rahmenbedingungen. Verfolgte Künstler sollen auch zukünftig in den Künstlerresidenzprogrammen des Goethe-Instituts eine größere Rolle spielen, in Salvador de Bahia wird es die »Vila Sul« sein, die sich auch als Netzwerk der Zivilgesellschaft zu positionieren beginnt. Leiter Manfred Stoffl weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, die Freiheit der Künstler zu verteidigen. Christliche Eiferer bedrohten den international anerkannten Performancekünstler Wagner Schwartz. Mehr als zehnmal hat er allein in Europa »La Bete« (»Das Tier«) aufgeführt, eine Aktion, bei der er sich nackt auf eine Bühne legt und es den Zuschauern freistellt, seinen Körper in beliebige Positionen zu rücken. Politiker werfen ihm Pädophilie vor, das deutsche Kulturinstitut als Mitveranstalter war bei der Stadt vorgeladen. Es sind die reaktionären Kräfte der Gesellschaft, die alles, was nicht ihrem Weltbild entspricht, verfolgen. »Wir müssen frühzeitig aufpassen«, sagt Stoffl, »denn es beginnt ganz oft mit unauffälliger Zensur und wird immer dreister, Künstler und künstlerische Produktionen unmöglich zu machen.«

Initiativen zur Stärkung der Menschenrechte in den Künsten

In Deutschland und Europa formieren sich derzeit parallel Plattformen, die sich der Freiheit der Kunst widmen: Persönlichkeiten der Darstellenden und Bildenden Künste haben kürzlich einen Aufruf an die Bundesregierung zur Schaffung eines Programms für verfolgte Künstlerinnen und Künstler unterzeichnet; das Internationale Theaterinstitut hat bereits 2011 ein Aktionskomitee für Künstlerrechte gegründet und macht regelmäßig Zensurfälle und staatliche Übergriffe öffentlich, »Art of Freedom. Freedom of Art« nennt sich ein Projekt der Deutschen Welle, die den besonderen Schutz der Kunst in Deutschland reflektiert und mit Beiträgen Künstler aus allen Kontinenten zu Wort kommen lässt, wie sie ihre freie persönliche Entfaltung gesellschaftlich nutzen. »Artists at Risk« ist ein nordisches Netzwerk, das sich um die Menschenrechte in den Künsten kümmert, vor allem Medienkünstler, aber auch Autoren, Kuratoren und Kritiker bei Gefahr betreut und weltweite Austauschprojekte für Praktiker organisiert.

Das Writers-in-Prison-Committee wurde 1960 gegründet, als Reaktion auf die bedrohlich wachsende Zahl der Länder, die versuchen, Schriftsteller durch Repressionen mundtot zu machen. Auch verfolgter Verleger, Redakteure, Illustratoren und Journalisten nimmt sich das Komitee inzwischen an – »jedoch unter einer Prämisse«, heißt es auf der Webseite des PEN-Zentrums Deutschland: »Gefangene, die wegen Propagierung von Gewalt oder gar ihrer Anwendung verurteilt wurden, und solche, die zum Rassenhass aufgerufen haben, werden nicht unterstützt, weil ihre Aktivitäten mit der Charta des Internationalen PEN unvereinbar sind.« 58 der insgesamt 140 PEN-Zentren wirken aktiv im Writers-in-Prison-Committee mit. Jedes dieser Zentren ernennt verfolgte Autoren zu Ehrenmitgliedern. Auf diplomatischen Kanälen oder in öffentlichen Kampagnen machen besondere Beauftragte auf deren Schicksal aufmerksam, um die Freilassung der Gefangenen zu erwirken. Sie korrespondieren mit den Angehörigen der Gefangenen, wenn möglich auch mit diesen selbst. Sie schreiben Artikel über ihre Schützlinge und setzen sich dafür ein, dass ihre Arbeiten übersetzt, in öffentlichen Lesungen bekannt gemacht und publiziert werden.

Der Deutsche Bundestag hat kürzlich für den Haushalt 2018 beschlossen, die Mittel für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) um 50 Millionen Euro zu erhöhen. Davon gehen 15 Millionen Euro an das Goethe-Institut. Zusätzliche drei Millionen Euro erhält die Philipp Schwartz-Initiative für verfolgte Forscher der Alexander von Humboldt-Stiftung. Mit weiteren 1,5 Millionen Euro wird die Martin Roth-Initiative zum Schutz gefährdeter Künstler des Instituts für Auslandsbeziehungen unterstützt. Michelle Müntefering, neue Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, äußerte sich positiv zu dem Beschluss: »Das ist ein deutliches Signal und stärkt unser Eintreten für die Freiheit von Kunst, Kultur und Wissenschaft weltweit.«

All diese Aktivitäten sind weiterhin zu beobachten und bedürfen der wissenschaftlichen Begleitung. Kulturinnenpolitik und -außenpolitik müssen nicht nur mehr zusammengedacht, sondern auch zusammengebracht werden, eine »Konzeption 2020« der AKBP wird aus all den staatlichen und zivilgesellschaftlichen Projekten ein Programm zum Schutz der Freiheit der Künste entwerfen können.

 

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