Der langjährige thüringische SPD-Vorsitzende Christoph Matschie war von 2009 bis 2014 Kulturminister und stellvertretender Ministerpräsident von Thüringen und ist seit 2017 wieder Mitglied des Deutschen Bundestages, dort im Auswärtigen Ausschuss und für die SPD-Fraktion zuständig für Afrika. Im Gespräch mit Thomas Meyer und Manfred Öhm erläutert er, wie eine Partnerschaft zwischen Afrika und Europa gelingen kann und wie sich Europa der Konkurrenz mit China stellen sollte.
NG|FH: Was sind die Haupthindernisse einer verzögerten oder mangelhaft inklusiven Entwicklung in vielen Teilen Afrikas?
Christoph Matschie: Eine ganz wesentliche Voraussetzung für die positive Entwicklung einer Gesellschaft ist eine gut funktionierende Regierung und ein verlässlicher Ordnungsrahmen. Hier gab es in vielen afrikanischen Staaten in den letzten Jahrzehnten Probleme. Auch etliche Parteien, die mit einem progressiven Anspruch gestartet sind, waren oft nach einer gewissen Zeit nicht mehr in der Lage, politische Prozesse unter Einbeziehung der Bevölkerung zu organisieren. Manche Staaten wurden zu autokratischen Systemen. Dazu kamen wenig entwickelte Bildungssysteme und mangelnde wirtschaftliche Infrastruktur.
Das hat natürlich auch mit dem politischen Erbe der Kolonialzeit zu tun, mit der Art und Weise wie Staaten gebildet wurden und wie sich Gesellschaften entwickeln konnten. Dazu kommt ein fatales ökonomisches Erbe. Die Wirtschaft war in der Regel darauf ausgerichtet, Rohstoffe zu exportieren und Konsumgüter zu importieren. Diese Grundstruktur haben wir in vielen Staaten heute immer noch. Der innerafrikanische Handel ist nach wie vor marginal. Die meisten Konsumgüter kommen aus Ostasien, aus Europa oder den USA. Ein Umsteuern hin zu einer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung gelingt bisher erst in Ansätzen und nur langsam.
Aber es gibt in den letzten Jahren auch eine Aufbruchsstimmung. Im vergangenen Jahr etwa haben die Staatschefs eine gemeinsame Freihandelszone für ganz Afrika beschlossen. In diesem Jahr ist sie bereits in Kraft getreten. Diese Dynamik hätte noch vor wenigen Jahren niemand für möglich gehalten.
NG|FH: Sind es hauptsächlich die von den Kolonialmächten geschaffenen Strukturen, die eine inklusive Entwicklung verhindern? Welche Rolle spielen Mentalitäten, Verhaltensweisen und Kulturen?
Matschie: Ich glaube nicht, dass es spezielle afrikanische Mentalitäten gibt, die Entwicklung erschweren. Wir haben ähnliche Entwicklungsprobleme ja auch in anderen Weltregionen gesehen. Da spielen Klientelismus, Machtmissbrauch und Korruption eine Rolle. Immer wieder passiert es, dass Eliten politische Macht vor allem für sich selbst, den eigenen Clan, die eigene Anhängerschaft ausnutzen. Es wird dann wenig in die Entwicklung des Landes investiert. In einigen Ländern sind Präsidenten seit über 30 Jahren im Amt.
NG|FH: Wie kann man von außen mit diesem Problem umgehen?
Matschie: Zunächst muss man fragen, wie afrikanische Gesellschaften selbst damit umgehen, da gibt es in den letzten Jahren viele positive Zeichen. Die Zivilgesellschaften versuchen, sich ihre Handlungsfähigkeit zurückzuholen. Das prominenteste Beispiel ist der politische Umschwung in Äthiopien. Dieser wurde zwar aus der Regierungspartei heraus vollzogen, dahinter stand aber ein großer gesellschaftlicher Druck in Richtung Öffnung der Gesellschaft und Mitsprache der Menschen im politischen Prozess. Oder der Sudan, wo die Zivilgesellschaft monatelang auf der Straße demonstriert hat, bis ein bestimmtes politisches Ziel erreicht wurde. Oder es gibt ökonomische Aufbrüche in einigen westafrikanischen Staaten, die auch mit einer größeren gesellschaftlichen Öffnung und Flexibilität einhergehen.
Wir können diese positiven Prozesse unterstützen, politisch und ökonomisch, damit die Menschen sehen, dass es sich lohnt, einen solchen Weg zu gehen. Denn es gibt durchaus eine Art Konkurrenzkampf um Entwicklungsmodelle.
NG|FH: Gibt es einen Wettbewerb zwischen einem westlich-demokratischen und einem chinesisch-autoritären Entwicklungsmodell?
Matschie: Manche afrikanischen Gesprächspartner sagen: Für uns ist es doch gut, dass wir nicht nur vom Westen abhängig sind, sondern von verschiedenen Seiten Angebote bekommen. Das kann man erst einmal nachvollziehen. Wenn man aber weiß, dass China sich das Ziel gesetzt hat, zur Mitte des Jahrhunderts zur führenden Macht weltweit aufzusteigen, dann ist klar, dass hier ein Systemwettbewerb stattfindet. Hinter dem ökonomischen Engagement steckt auch ein politisches Ziel. China baut ja nicht nur Infrastruktur und verstärkt seinen ökonomischen Einfluss, es vergibt auch Stipendien zum Studium in China in großer Zahl, bildet Journalisten aus und etabliert Medienunternehmen. Es geht also auch um den Versuch, das eigene Gesellschaftsmodell zu transportieren.
Hier ist Europa gefordert! Wir müssen die besseren, wirksameren und nachhaltigeren Kooperationsangebote machen. Angebote, die auf längere Sicht den sinnvolleren Weg aufzeigen, der eine offene Gesellschaft begünstigt, soziale Aspekte oder Umweltfragen berücksichtigt und Frauen die Chance gibt, eine gleichberechtigte Rolle in der Gesellschaft zu spielen. Da müssen wir noch zulegen, denn China versucht mit großer ökonomischer Macht, auf diesem Markt und in diesen Gesellschaften präsent zu sein.
NG|FH: Sind das noch entwicklungspolitische Fragestellungen oder außenpolitische?
Matschie: Das sind ganz klar außenpolitische; und wenn Sie so wollen geopolitische Betrachtungen. Natürlich kann man über Entwicklungszusammenarbeit eine ganze Menge Gutes tun. Aber hier geht es um größere tief greifende gesellschaftliche Entwicklungen. Die Welt sortiert sich gerade neu. Die USA und China tragen einen heftigen Konflikt aus, wer im 21. Jahrhundert die Nummer Eins in der Welt wird. Russland baut seine Rolle als militärische Supermacht wieder aus. Daneben muss Europa seine Position neu definieren. Das transatlantische Verhältnis hat in den letzten Jahren erheblich gelitten und die Frage lautet, wie eigenständig Europa agieren muss. Zusätzlich gibt es weitere aufstrebende Mächte, die in Afrika eine Rolle spielen wollen, insbesondere die Golfstaaten, die viel Geld investieren aber auch auf religiöse Strukturen Einfluss nehmen. Die Türkei und Indien spielen eine Rolle.
Für uns stellt sich damit die Frage: Mit welchem gesellschaftlichen Modell wollen die europäischen Staaten auf dem afrikanischen Kontinent präsent sein? Welche Erzählung, welches Modell von Gesellschaft bringen wir mit? Aber die Vorstellung, wir könnten von außen die Probleme Afrikas lösen, ist nach meiner Überzeugung falsch.
NG|FH: Können wir denn wirklich helfen?
Matschie: Ja, aber die entscheidenden Entwicklungen müssen in den afrikanischen Staaten selbst stattfinden. Viele haben ja lange in dem Glauben gelebt, wir bohren ein paar mehr Brunnen, bauen noch ein paar Schulen mehr und dann steuern wir schon die Entwicklung in Afrika. Das tun wir nicht. Wir sehen immer wieder, wie wenig wir von außen zu gewissen Entwicklungen beitragen und wie sehr die eigenen Dynamiken der Gesellschaften selbst eine Rolle spielen.
Wir können aber bei diesen eigenen Entwicklungen mit ökonomischer Partnerschaft helfen, mit dem Ausbau der Infrastruktur, mit der Unterstützung politischer Prozesse oder bei der Bewältigung von Umweltproblemen. Denn eine rasch wachsende Weltbevölkerung will nicht nur ernährt werden, sie benötigt auch echte Perspektiven. Es müssen also Arbeitsmärkte geschaffen werden, auf denen junge Menschen eine Beschäftigung finden, und die industrielle Entwicklung muss so gesteuert werden, dass unser Planet dabei nicht zerstört wird.
In den nächsten 30 Jahren wird Afrika um etwa eine Milliarde Menschen wachsen. Das ist die doppelte Anzahl der in der Europäischen Union lebenden Menschen. Um für so viele Menschen Gesundheits- und Bildungssysteme, Infrastruktur und Jobs zu schaffen, braucht es eine stark beschleunigte industrielle Entwicklung. Diese darf aber nicht über die sozialen Bedürfnisse von Menschen hinweggehen, nicht über die Bedürfnisse der Umwelt. Europa kann mit seiner Erfahrung hier einen echten Beitrag leisten. Mal ein Beispiel: Immer mehr Menschen suchen ihre Perspektive in den Städten. In Afrika wird in 10, 15 Jahren die Hälfte der Bevölkerung in Städten leben. Es gibt ein hohes Maß an ungesteuerter Stadtentwicklung. Da können wir mithelfen, entsprechende Planungskapazitäten aufzubauen oder Finanzierungsinstrumente für eine nachhaltige Infrastruktur oder Energieversorgung zu entwickeln.
NG|FH: Gibt es vor Ort Partner, mit denen man das machen kann?
Matschie: Zum Teil ja, an anderen Stellen muss der Aufbau von Institutionen neu in Angriff genommen werden. In manchen Programmen, etwa im städtischen Infrastrukturbereich, gibt es finanzielle Mittel, die aber nicht abgerufen werden, weil Planungskapazitäten fehlen. Europa hat hier eine Menge Know-how zu bieten. Wenn aber diese Arbeit hierzulande nicht als wichtig begriffen wird, dann ist kaum einer bereit, Planungskapazitäten abzugeben oder eine Städtepartnerschaft zu schließen, die das intensiv unterstützt. Wir müssen deshalb allen klar machen: Die Entwicklung in Afrika hat für die Zukunft Europas eine viel größere Bedeutung als wir das bisher geglaubt haben.
NG|FH: Willy Brandt hat ja mal gesagt, wenn wir nicht mit der richtigen Zusammenarbeit und den richtigen Hilfen dahin gehen, dann kommen die Menschen bald alle hierher. Es gibt ja Untersuchungen, dass 70 % der afrikanischen Bevölkerung es ihren eigenen Ländern nicht zutrauen, die Chancen für sie zu schaffen, so dass die sich alle nach Europa sehnen.
Matschie: Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen unter Wissenschaftlern. Momentan findet der allergrößte Teil der afrikanischen Migration innerhalb Afrikas statt. Das wird auch künftig so sein. Wenn das Wohlstandsgefälle zwischen Europa und Afrika nicht verringert wird, vielleicht sogar durch das starke Bevölkerungswachstum und mangelnde ökonomische Entwicklung zunimmt, dann nimmt allerdings auch die Instabilität afrikanischer Staaten zu. Das bedeutet in der Folge mehr Konflikte, mehr Fluchtbewegungen und ja auch mehr Migration mit dem Ziel Europa. Aber selbst, wenn sich die Migration in Grenzen hält, wird Instabilität auf dem afrikanischen Kontinent für Europa zu einer Sicherheitsfrage. Auf dem Nährboden instabiler Gesellschaften gedeiht der Terrorismus und der lässt sich am Ende von Grenzen kaum aufhalten. Wir müssen also das Wohlstandsgefälle zwischen Europa und Afrika auch deshalb verringern.
NG|FH: Wie bekommen wir es hin, die Beziehungen zwischen den Staaten Afrikas und denen Europas kooperativ zu gestalten? Die afrikanischen Partner verweisen auf Wettbewerb: Wir brauchen euch nicht zwingend als Partner. Was können wir anbieten?
Matschie: Anders als China hat Europa, wie eben beschrieben, ein Eigeninteresse an einer guten Entwicklung der afrikanischen Staaten. Deshalb können wir glaubhaft Angebote machen, die die eigenen Anstrengungen der afrikanischen Staatengemeinschaft unterstützen. Zum Beispiel ein europäisches Angebot für Zusammenarbeit, etwa im Hinblick auf die Entwicklung der gemeinsamen Freihandelszone in Afrika.
Die europäischen Staaten müssen ihre Zusammenarbeit aber in Zukunft besser koordinieren. In der Regel geschieht das schon bei Entwicklungsprojekten, es muss aber auch in einem umfassenderen außenpolitischen Sinne geschehen. Das ist noch immer schwierig, weil es unterschiedliche außenpolitische Kulturen gibt. Frankreich und Deutschland etwa haben eine unterschiedliche Geschichte auf dem afrikanischen Kontinent.
Wir müssen außerdem wegkommen von der Ein-Themen-Diskussion über die Migration. Die meisten Aktivitäten der EU und der Mitgliedstaaten waren in den letzten Jahren darauf gerichtet, die Migration nach Europa zu verringern. Für eine längerfristige ökonomische Entwicklung in den afrikanischen Staaten braucht man aber mehr Austausch. Wir brauchen mehr Migration zwischen beiden Kontinenten, die nach sinnvollen Kriterien ausgehandelt und gesteuert wird, in beide Richtungen. Undurchlässige Grenzen sind ein Entwicklungshemmnis, auch innerhalb Afrikas. Regionale Entwicklungsorganisationen wie ECOWAS in Westafrika sind gute Beispiele dafür, wie es besser geht. Dort gibt es nicht nur einen freien Warenverkehr, auch die Menschen können sich frei bewegen und in allen Mitgliedstaaten niederlassen.
Die Bundesrepublik hat jetzt ein Einwanderungsgesetz beschlossen, in dem gesagt wird, wir wollen den Austausch, nach bestimmten Kriterien können Menschen kommen. Wenn es gut geht, kann das bei der illegalen Migration den Druck vom Kessel nehmen. Schwierig wird es, wenn Menschen das Gefühl haben, alles auf eine Karte setzen zu müssen, um nach Europa zu kommen, weil die Tore zu sind. Das führt zu den Tragödien, die aktuell auf dem Mittelmeer oder auf den Wüstenrouten durch Afrika stattfinden.
NG|FH: Sofern die Lebensbedingungen vor Ort so akzeptabel sind, dass nicht allzu viele sagen, wir müssen jetzt weg, weil man dort nicht leben kann.
Matschie: Es wird immer Menschen geben, die ihre Lebensumstände verbessern und sich woanders niederlassen wollen. Das hat die Geschichte der Menschheit immer bestimmt und manche Staaten sind überhaupt erst durch Einwanderung entstanden. Wie stark man das reguliert und den Austausch organisiert wird immer eine politische Frage sein und im Zentrum eines politischen Aushandlungsprozesses stehen. Die Vorstellung aber, alle bleiben da, wo sie sind, wäre völlig ahistorisch.
NG|FH: Man kann sich ja vorstellen, dass die meisten Menschen sagen, ich bleibe, weil man in der Heimat gut leben kann, und sich nur wenige aus unterschiedlichen Beweggründen für Migration entscheiden. In vielen Weltregionen ist es aber so, dass man da gar nicht bleiben kann.
Matschie: Das stimmt. Der Großteil der Flüchtlinge, die in den letzten Jahren nach Europa gekommen sind, kam aber nicht aus Afrika, sondern wegen der Kriege aus dem Nahen und Mittleren Osten. Die meisten Menschen haben eine starke kulturelle Bindung an die eigene Heimat. Sich in der Fremde in einer anderen Kultur zurechtfinden zu müssen, ist eine ziemliche Hürde. Es sei denn, das eigene Leben ist unmittelbar bedroht, dann nimmt man alles in Kauf.
Es stimmt aber auch, dass Menschen auch aus ökonomischen Gründen zunehmend mobiler werden. Innerhalb Afrikas gibt es Wanderungsströme in erheblichem Umfang, in wirtschaftlich prosperierende Regionen und die Metropolen. Neben der Landflucht spielen aber auch Umweltprobleme eine wachsende Rolle für Migration. Der allerkleinste Teil der afrikanischen Migranten bewegt sich dabei in Richtung Europa. Wenn wir jetzt noch mehr regulären Austausch ermöglichen und eine bessere wirtschaftliche Entwicklung in Gang kommt, wenn es mehr solche gesellschaftlichen Aufbrüche gibt wie gerade in Äthiopien oder im Sudan, dann verringert sich für die Menschen der Druck, sich in eine ganz andere Kultur zu begeben. Deshalb halte ich auch die Annahme, die Massen würden sich auf den Weg machen, für falsch. Die Empirie spricht im Moment dagegen.
NG|FH: Das klassisch-klientelistische Verteilungssystem in den wachsenden urbanen Räumen Afrikas trägt nicht mehr und kommt an ein Ende. Menschen sehnen sich dort nach Veränderungen und engagieren sich auch für andere ökonomische Möglichkeiten. Muss man da den Hebel ansetzen?
Matschie: Ja, der Urbanisierungsprozess findet in rasantem Tempo statt. In den Städten trifft alles aufeinander, dort braucht es neue politische Aushandlungsprozesse. Die Erwartungshaltungen verändern sich, die Menschen wollen teilhaben an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und menschenwürdig leben. Und in den Städten wird ja die Politik gemacht. Da eine echte Partnerschaft von europäischer Seite anzubieten, wäre eine wirklich wichtige Aufgabe.
NG|FH: Gibt es hier Konzepte maßgeblicher Akteure, um das voranzutreiben?
Matschie: Wir sind noch eher am Anfang des Prozesses. Erst seit ein paar Jahren gibt es eine neue Aufmerksamkeit für unseren Nachbarkontinent. Und auch dort entwickelt sich in den letzten Jahren etwas. Das hat auch mit den veränderten Kommunikationsmöglichkeiten zu tun, mit den sozialen Medien, damit, dass Menschen sich besser verständigen, organisieren und an gesellschaftlichen Prozessen überhaupt teilhaben können. Auf beiden Seiten wächst die Aufmerksamkeit für Möglichkeiten der Zusammenarbeit und es gibt in verschiedenen afrikanischen Staaten durchaus Partner, mit denen man schnell beginnen könnte.
Zum Beispiel Regierungen, die ihre Entwicklungsprobleme angehen wollen. Manche von ihnen haben mit den chinesischen Partnern zwar die Erfahrung gemacht, dass Projekte schnell zu realisieren sind. Die chinesische Seite übernimmt die Finanzierung und Planung eines Projektes und bringt auch gleich noch ihre Arbeitskräfte mit. Zunehmend aber fragt man sich in Afrika: Wie nachhaltig ist das eigentlich? Was lernen die einheimischen Arbeitskräfte? Und solche suchen dann Partner, die mit ihnen gemeinsam etwas entwickeln und damit eine eigenständige Entwicklung voranbringen.
NG|FH: Wächst in Europa die Bereitschaft dazu auch?
Matschie: Nach meinem Eindruck, ja. Die alte Vorstellung, auf einem Krisen- und Katastrophenkontinent ein bisschen mehr Entwicklungshilfe zu leisten, wäre auch deutlich zu kurz gesprungen. Wir brauchen eine umfassende Partnerschaft auf einer ganz anderen strategischen Ebene. Das geht bis hin zu gemeinsamen internationalen Anstrengungen.
Afrika ist ein Kontinent mit 55 Staaten, die alle Sitz und Stimme in den internationalen Organisationen haben und diese wahrnehmen können. Dies sind auch für die Gestaltung globaler Prozesse wichtige Partner, die wir nicht vernachlässigen sollten.
NG|FH: Die Initiativen der neuen Europäischen Kommission, aber auch die Initiativen der Bundesregierung sind im Wesentlichen Investitionsförderungsinitiativen. Wie schafft man aber Perspektiven und Jobs für die Menschen?
Matschie: Ich glaube, im ersten Schritt müssen sich mehr Unternehmen als bisher aus Europa und anderen Weltregionen trauen, in diese Märkte hineinzugehen, dort zu investieren. Gleichzeitig müssen wir aber auch überlegen, wie man die Zivilgesellschaft in afrikanischen Staaten stärken kann: Gewerkschaften, Umweltbewegungen usw. Investitionen brauchen immer einen gesellschaftlichen Gegenpart. Wir sollten hier nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und das Geschehen einfach dem Markt überlassen.
NG|FH: Sie haben sich vor Kurzem in Äthiopien und anderen afrikanischen Ländern Sonderwirtschaftszonen angeschaut. Wie war Ihr Eindruck?
Matschie: Das war eine sehr zwiespältige Erfahrung. Ich verstehe die politisch Verantwortlichen, wenn sie mit Sonderwirtschaftszonen überhaupt erst einmal Unternehmen und Investitionen ins Land holen wollen. Die Hoffnung dabei ist, dass sich dann zunehmend mehr Unternehmen für das Land interessieren, und dass sich Märkte und Kaufkraft entwickeln.
Auf der anderen Seite stehen diese Sonderwirtschaftszonen oft in einem Konkurrenzkampf. Wer bietet die besten Bedingungen für die Unternehmen? Wer unterbietet noch die niedrigsten Steuersätze? Zum Teil gibt es Abstriche beim Arbeitsrecht oder bei den Umweltstandards. Da wird es aus meiner Sicht problematisch. Es kann vielleicht ein erster Anreiz sein, aber niemals ein Entwicklungsmodell für ein Land.
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