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Auf der Suche nach stabilen Koalitionen

Die AfD sitzt jetzt seit über einem Jahr im Bundestag. Die Rechtspopulisten haben die Parteien- und Koalitionslandschaft in Deutschland kräftig aufgemischt. Die von Vielen gehegte Erwartung, die Partei werde mit abnehmender Bedeutung des Flüchtlingsthemas an Zuspruch verlieren und aus dem Parteiensystem womöglich wieder verschwinden, hat sich als trügerisch erwiesen. Zusammen mit den aktuellen Migrationsbewegungen überschatten die Nachwirkungen der 2015 getroffenen Entscheidungen weiter die politische Agenda. Die AfD profitiert von dieser Entwicklung ohne viel eigenes Zutun und kann dabei auch auf die seit Jahren bestehenden Ressentiments in einigen Teilen der deutschen Gesellschaft zurückgreifen. Daher steht sie in den Umfragen heute besser da als im Bundestagswahljahr 2017. Dass sie mit zweistelligen Ergebnissen auch in die Landtage von Hessen und Bayern einziehen würde, war somit absehbar.

Aus demokratischer Sicht fällt das Urteil über den Rechtspopulismus zwiespältig aus. Auf der einen Seite hat die AfD dazu beigetragen, »Repräsentationslücken« im politischen System zu schließen. In der Bevölkerung durchaus verbreitete »skeptische« Positionen zur Migrations-, Gesellschafts- und Europapolitik, die in den Parlamenten bislang kaum zu vernehmen waren, haben dort jetzt eine hörbare Stimme. Dass die Wahlbeteiligung bei sämtlichen Landtags- und Bundestagswahlen seit 2015 zum Teil kräftig angestiegen ist, lässt sich maßgeblich auf die Mobilisierungswirkung des Rechtspopulismus zurückführen. Auch dem Parlamentarismus tut es gut, wenn die Debatten wieder kontroverser und härter geführt werden.

Auf der anderen Seite ist die AfD eine in weiten Teilen systemfeindliche, rechtsextreme Partei, die die Grenzen der legitimen demokratischen Auseinandersetzung immer wieder gezielt überschreitet. Jüngstes Beispiel sind die Auseinandersetzungen in Chemnitz. Solange dies der Fall ist, bleibt den systemtragenden Parteien keine andere Wahl, als sich vor einer wie immer gearteten Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten zu hüten. Dabei sollten sie darauf achten, diese nicht in eine »Opferrolle« hineinzutreiben, was einen klugen Umgang mit den parlamentarischen Regeln und in der verbalen Auseinandersetzung verlangt. Daran hat es in der Vergangenheit leider häufig gemangelt.

Dramatische Bündnisnot

Für die zukünftigen Koalitions- und Regierungsbildungsprozesse birgt diese Konstellation ein letztlich unauflösbares Dilemma. Je stärker die AfD wird, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Koalitionen noch innerhalb der politischen Lager gebildet werden können, also von Union und FDP auf der einen Seite, und von SPD und Grünen beziehungsweise auf der Länderebene auch SPD, Grünen und Linken auf der anderen Seite. In den Bundesländern existieren zurzeit nur noch sechs solcher lagerinternen Bündnisse (die Koalition von CSU und Freien Wählern in Bayern mitgerechnet), denen zehn »lagerübergreifende« Koalitionen gegenüberstehen. Und auf der Bundesebene musste in den letzten vier Regierungsperioden dreimal eine Große Koalition gebildet werden, nachdem in den vorangegangenen 15 Perioden mit einer Ausnahme stets lagerinterne Bündnisse amtiert hatten.

Besonders dramatisch ist die Situation in Ostdeutschland. Weil das Wählerpotenzial der AfD hier etwa doppelt so hoch wie im Westen liegt, könnte bei den im kommenden Jahr anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg das Szenario einer »negativen« Mehrheit von AfD und der Linkspartei bevorstehen. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im März 2016 wäre dieser Fall um ein Haar bereits eingetreten; er konnte nur verhindert werden, weil die Grünen den Sprung über die Fünfprozenthürde knapp schafften und sich dadurch als Mehrheitsbeschaffer für Union und SPD in einer »Kenia-Koalition« zur Verfügung hielten.

Dies wirft nebenbei auch ein interessantes Licht auf die Rolle der Fünf-Prozent-Sperrklausel im Wahlrecht. War diese ursprünglich dazu gedacht, durch Verhinderung einer übermäßigen Zersplitterung der Parlamente die Regierungsbildung zu erleichtern, so könnte sie unter den veränderten Vorzeichen der derzeitigen Parteienlandschaft in Ostdeutschland genau den gegenteiligen Effekt haben, wenn nämlich die FDP und/oder die Grünen an der Hürde scheitern. In diesem Fall würde die Union als die nach den aktuellen Umfragen in allen ostdeutschen Ländern (außer Mecklenburg-Vorpommern und Berlin) stärkste Partei nur noch zusammen mit der Linken eine regierungsfähige Mehrheit erreichen. Unter der Wirkung der Sperrklausel leidet damit also nicht nur die repräsentative Qualität der Parlamente – so gab es etwa nach dem knappen Scheitern von AfD und FDP 2013 in der vergangenen Legislaturperiode keine rechte Oppositionspartei im Bundestag –, sondern unter Umständen auch die Fähigkeit zur Regierungsbildung.

Dass solche Aussichten die CDU in helle Aufregung versetzen, ist verständlich und mag den einen oder die andere angesichts früherer »Rote-Socken-Kampagnen« der Bundes-CDU vielleicht mit Schadenfreude erfüllen. Wenn es schon der SPD in der Vergangenheit unüberwindbare Schwierigkeiten bereitet hat, sich zur Möglichkeit einer Koalition mit der Linkspartei vor einer Wahl offen zu bekennen, wieso sollte man ein solches Bekenntnis jetzt ausgerechnet von der CDU verlangen, die den Postkommunisten ideologisch noch viel ferner steht? Die abwehrenden Reaktionen der Parteiführung auf die Interviewäußerungen des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther in dieser Richtung macht die Gratwanderung in der Koalitionspolitik deutlich. Dieser sprach – genauso wie sein Brandenburger CDU-Parteikollege Ingo Senftleben – nur das aus, was ist, aber offenbar nicht sein darf: Die CDU wird nicht umhinkommen, eine Regierungszusammenarbeit mit der Partei Die Linke in den ostdeutschen Ländern ernsthaft ins Auge zu fassen. Um die Wählerinnen und Wähler nicht zu verschrecken, hält man sich mit möglichen Koalitionsaussagen am besten bedeckt, ohne dass die betreffenden Koalitionen gleichzeitig ausgeschlossen werden. Manche Politiker reden dem Publikum inzwischen sogar ein, der Respekt vor dem Wählerwillen gebiete es geradezu, vor der Wahl zu verschweigen, mit welchen Parteien man eine Regierungszusammenarbeit eingehen würde und mit welchen nicht – so etwa die damalige SPD-Generalsekretärin Katarina Barley im Vorfeld des letzten Bundestagswahlkampfes. Dabei lassen sich beide demokratiepolitischen Anforderungen – »nichts ausschließen«, aber auch »nichts verschweigen« – durchaus zusammenbringen, indem man zum Beispiel Abstufungen in der Koalitionspräferenz vornimmt.

Lieber AfD als Linkspartei?

Für die CDU wird sich diese Frage über kurz oder lang auch in Richtung AfD stellen. In einigen ostdeutschen Landesverbänden gibt es schon heute unverhohlene Sympathien für ein Zusammengehen mit den Rechtspopulisten, mit denen ideologisch und politikinhaltlich größere Übereinstimmungen bestünden als mit der Linkspartei. Wiederholt sich das, was die SPD im Verhältnis zu den Grünen und zur PDS/Die Linke im linken Lager koalitionspolitisch durchlebt hat, also jetzt im rechten Lager? Und das im Umgang mit einer in Teilen rechtsextremen Partei?

Vergleicht man die drei Parteien miteinander, spricht wenig dafür. Die Grünen, als nicht-populistische Anti-Establishment-Partei entstanden, brauchten nach der Gründung nur wenige Jahre, um Zweifel an ihrer Koalitionsfähigkeit und Regierungsbereitschaft zu zerstreuen. Heute lassen sie sich in ihrer Systemtreue von keiner anderen Partei mehr überbieten. In der Partei Die Linke sind extremistische Positionen zwar weiter präsent, dies steht aber weder einem glaubhaften Bekenntnis zur liberalen Demokratie noch der Regierungsfähigkeit im Wege. Beides war in den ostdeutschen Ländern schon ab Ende der 90er Jahre gegeben, nur auf der Bundesebene scheitert sie bisher noch an unüberbrückbaren politikinhaltlichen Differenzen mit der SPD und den Grünen.

Die AfD hat sich dagegen seit ihrer Gründung im Jahre 2013 immer weiter radikalisiert. Ihre Häutungen – der Abgang des Flügels um Bernd Lucke 2015 und der Austritt Frauke Petrys 2017 – führten zur Abspaltung ihrer gemäßigteren, nicht der extremistischen Teile. Letztere repräsentieren zwar noch nicht die Mehrheit der Partei, sie sind aber insbesondere in den ostdeutschen Landesverbänden so stark vertreten, dass sie den Gesamtcharakter der AfD entscheidend mitprägen. Weil der Rechtsextremismus hierzulande aus historischen Gründen in jeglicher Hinsicht – rechtlich, politisch und gesellschaftlich – stigmatisiert ist, bieten Parteien wie die AfD den extremistischen Kräften eine willkommene Plattform, um eben dieser Stigmatisierung zu entrinnen. Die Gefahr, von den Extremisten in Beschlag genommen zu werden, ist für Parteien dieses Typus in der Bundesrepublik insofern notorisch. Das haben vor der AfD auch schon andere rechtspopulistische Gruppierungen erfahren müssen – etwa die 1983 als CSU-Abspaltung entstandenen Republikaner.

Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum vorstellbar, dass zwischen Union und AfD demnächst ein ähnlicher Annäherungsprozess stattfinden wird, wie zwischen SPD, Grünen und Linkspartei beziehungsweise PDS in den 80er und 90er Jahren. Gäbe die Bundes-CDU entsprechenden Begehren aus den ostdeutschen Landesverbänden nach, würde das zu einer möglicherweise existenzbedrohenden Zerreißprobe in der Partei führen. Wie angespannt deren Situation ist, konnte man in den letzten Monaten ja bereits an den heftigen Auseinandersetzungen mit der bayerischen CSU über die Flüchtlingspolitik sehen, die fast zum Bruch der Unionsfraktionsgemeinschaft und vorzeitigen Ende der Bundesregierung geführt hätten.

Brücken bauen ist unerlässlich

Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel Österreich, aber auch der Rückblick auf die Regierungsbeteiligungen der Partei Die Linke und vormaligen PDS in den ostdeutschen Ländern zeigen, dass die Einbeziehung der Randparteien in die politische Verantwortung – zumindest kurzfristig – ein durchaus probates Mittel darstellen kann, um diese zu dezimieren. Eine Einbeziehung um jeden Preis kann und darf es aber nicht geben. Wenn sie aus den besagten Gründen mit Blick auf die AfD keine Option darstellt, müssen die Parteien versuchen, deren Wählerinnen und Wähler auf andere Weise zurückzugewinnen. Dies erreicht man nicht mit der Übernahme der Strategien und Themen der AfD, sondern nur durch eine Politik, die die dem Rechtspopulismus zugrundeliegenden Problemursachen systematisch und nachhaltig angeht und ihm so die Protestgründe entzieht. Um den autoritären Tendenzen entgegenzuwirken, erscheinen insbesondere folgende Aufgaben vordringlich: sozialen Zusammenhalt innerhalb der nationalen Gesellschaften fördern – durch eine Verbesserung der Lebensbedingungen der sich abgehängt fühlenden Bevölkerungsteile; eine Zuwanderungs- und Integrationspolitik, die das Identitäts- und Sicherheitsbedürfnis der aufnehmenden Mehrheitsgesellschaft ernster nimmt als bisher; eine Neuaufstellung und -bestimmung der europäischen Politik, die der EU wieder mehr Akzeptanz verschafft; ein offeneres Repräsentations- und Organisationsverständnis der politischen Parteien.

Der sprichwörtliche lange Atem, den eine solche Politik erfordert, mag mit den kurzfristigen Erfordernissen des Parteienwettbewerbs gelegentlich kollidieren. Denn so richtig es ist, dass die Parteien nicht über jedes Stöckchen springen sollten, das ihnen die AfD hinhält, so wenig dürfen sie die Provokationen der Rechtspopulisten einfach ignorieren. Auch können sie dem Wahlkalender und den auf sie zukommenden Koalitionsentscheidungen nicht entrinnen. Ob ein Zusammengehen von CDU und Linkspartei der einzige Ausweg bei einer fehlenden Mehrheit der »Zentrumsparteien« (Union, SPD, Grüne und FDP) bleibt, ist zu bezweifeln. Selbst wenn ein solches Experiment die Koalitionspalette erweitern und der Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung der Partei Die Linke im Bund den letzten Schrecken nehmen würde, hätten beide Parteien – die Union wie Die Linke – dafür einen hohen Preis zu zahlen. Als bessere Alternative böte sich eine Minderheitsregierung an: Union und SPD bilden eine Koalition unter Führung der jeweils stärkeren Partei, – in Sachsen und Thüringen also vermutlich der CDU, in Brandenburg vielleicht der SPD – die durch Die Linke im Parlament geduldet beziehungsweise gestützt wird. Bei einem solchen Arrangement ließe sich der politikinhaltliche Graben zwischen Union und Linkspartei durch die SPD als dritten Partner leichter überbrücken. Die Linke wäre außerdem nicht in die Bundesratsentscheidungen involviert. CDU und Die Linke könnten ihre programmatische Identität auf diese Weise besser wahren.

Das Spekulieren über bisher undenkbare Koalitionen zeigt, wie viel im deutschen Parteiensystem derzeit in Bewegung ist. Mit der Pluralisierung der Parteienlandschaft wächst die Gefahr für die etablierten Parteien, dass sie ihre angestammten Rollen verlieren und neue Kräfte Einfluss erringen. Wie weit das führen kann, zeigen die Entwicklungen in unserem Nachbarland Frankreich, aber auch der Rückblick auf unsere eigene Geschichte. Selbst wenn sich vorschnelle Analogien zum Niedergang der Weimarer Republik verbieten, sollte das Erstarken der autoritären Tendenzen in großen Teilen der demokratischen Staatenwelt eine Mahnung sein. Auch in der Bundesrepublik sind mit der Etablierung des Rechtspopulismus unsichere Zeiten angebrochen. Lagerübergreifende Koalitionen aus drei oder mehr Parteien werden in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme sein. Damit müssen wir uns auf instabilere Regierungsverhältnisse, das heißt langwierigere Regierungsbildungen und häufigere Regierungskrisen, einstellen.

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