Es war ein denkwürdiger Protest, der im Winter 2024 die Stadien der Männerbundesliga eroberte. Mit Massen an Tennisbällen und Schokotalern, die auf dem jeweiligen Rasen landeten, verhinderten aktive Fans erfolgreich den Einstieg eines Investors bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Ihre Sehnsucht: Mitsprache und Demokratie bewahren, in einer Liga allerdings, deren Klubs selbst längst maßgeblich von Investoren gesteuert werden. Der Wunsch nach einem richtigen Fußball im falschen ist ein alter Wunsch und oft widersprüchlich. Alles soll schöner werden. Aber gleichzeitig soll sich an Strukturen wie Leistungsideologie, Auf- und Abstiegen oder Sponsoring durch undemokratische Konzerne auch nach dem Willen vieler Kritiker:innen nichts ändern.
Viel Faszination richtet sich deshalb auf Vereine, die einen Mittelweg versprechen: Erfolgreich mitspielen und trotzdem anders sein, das geht. Profiklubs wie der FC Sankt Pauli etwa, der SC Freiburg oder Union Berlin engagieren sich nebenher gesellschaftspolitisch. Sie setzen neue Impulse, manchmal haben sie aber auch einfach nur eine gute Marketinggeschichte. Niedrigklassig oder außerhalb des DFB spielen manche deutlich idealistischer. Neu ist dieser »andere« Fußball nicht. Was kann er leisten?
Seit der Fußball im 19. Jahrhundert als Verbandssport vereinheitlicht wurde, haben Teams, Klubs und ganze Verbände mit politischer (Neben-)Mission aufbegehrt. Die erträumte Revolution gelang ihnen nie, oder jedenfalls nicht sofort. Aber immer wieder sickerten oppositionelle Ideen in den Mainstream, zwangen Proteste die Mächtigen zum Einlenken. Sie haben den Fußball, den wir heute für selbstverständlich halten, mitgeformt, wurden aber auch vom System geformt, wurden oft mit der Zeit weniger politisch oder passten sich an.
Die Engagierten lassen sich vielleicht in drei nicht immer trennscharfe Gruppen einteilen: die leistungsorientierten Klubs, die den sportlichen Erfolg an die erste Stelle setzen, aber nebenbei etwa auf Druck einer progressiven Fanszene gesellschaftspolitische Innovationen ins System tragen; dann die Teams und Ligen, die gezielt als politisches Projekt gegründet wurden – wilde Ligen, fangeführte Vereine oder Alternativklubs im unteren Teil der Leistungspyramide; sowie die Teams, die sich kaum als politisch sehen, aber dennoch politisch wirken. Wo etwa Frauen, Schwarze oder Schwule trotz Diskriminierung und Verboten kicken, wird ihr Spiel selbst zum Widerstand.
Diese Player agieren in sehr verschiedenen Sphären. Die Stärke der Leistungsklubs liegt vor allem in ihrer Reichweite und ihren gut organisierten Aktivist:innen. Mit einem nachhaltig produzierten Trikot oder der weltweit ersten Kita im Stadion eines Profifußballklubs (Sankt Pauli), mit dem Verzicht auf Trainerrauswurf bei Misserfolg (Freiburg) oder mit Positionspapieren für einen solidarischeren Fußball (das keineswegs linke Union Berlin und Sankt Pauli) können die Klubs Impulse mit nationaler Strahlkraft setzen.
»Für eine tiefergehende wirtschaftliche Revolte sind die Daumenschrauben des Spitzenwettbewerbs zu stark.«
Das gilt auch für Halbprofiklubs wie den SV Babelsberg, der mit der Initiative »Nazis raus aus den Stadien« oder dem ersten derartigen Geflüchtetenteam Welcome United großen Einfluss ausübte. Oder für Tennis Borussia Berlin mit der Kampagne »Fußballfans gegen Homophobie«. Die Fanszenen politisierter Klubs sind zudem ein unverzichtbarer Personalpool für die kritischen landesweiten (Fan-)Organisationen. Nicht zufällig allerdings fokussiert sich viel Engagement auf weichere Themen wie Diversität und Nachhaltigkeit. Für eine tiefergehende wirtschaftliche Revolte sind die Daumenschrauben des Spitzenwettbewerbs zu stark. Sportlicher Erfolg steht für die Managements und viele Fans unverkennbar an erster Stelle. Druck in Richtung Veränderung kommt daher oft eher dank hartnäckiger Mitglieder als aus der Vorstandsetage. Und gerade bei Initiativen mit wirtschaftlichem Risiko finden sich kaum Nachahmer. Ein grundlegend neuer Fußball entsteht hier nicht.
Tiefgreifende Neuerungen waren historisch vor allem dort möglich, wo Menschen ein eigenes Spielfeld eröffnen. Oft betrifft das die zweite Sphäre, die originär politisch motivierten Player. Die ambitionierteste Gegenbewegung auf deutschem Gebiet: der Arbeiterfußball, der ab 1920 eigene Bundesmeisterschaften in einem eigenen Ligensystem ausspielte. Die deutsche Auswahl des Arbeiter-Turn- und Sportbunds (ATSB) absolvierte bis zur Auflösung durch den Nationalsozialismus 77 Länderspiele vor bis zu 40.000 Zuschauer:innen, 1928 stellte der ATSB rund zehn Prozent der deutschen Fußballer. Ganz so revolutionär, wie er ursprünglich sein sollte, wurde dieser linke Fußball nie. Radikalere Vorschläge – etwa, den Titel für schönes Spiel und Fair Play zu vergeben – unterlagen gegen Tore und Punkte, und der bereits entwickelte kommerzielle bürgerliche Fußball blieb für Spieler wie Fans attraktiver.
Das eher körperlose Passspiel der Arbeiter aber prägte maßgeblich den Kombinationsfußball, der heute Standard ist. Der Schutz von Torhüter:innen im Strafraum stammt aus dem stärker gesundheitsorientierten Arbeiterfußball. Und trotz eines ausgeprägten Sexismus erlaubte der ATSB Frauen theoretisch das Fußballspiel, es gab im Sportbund sogar einen rein weiblich besetzten Frauenausschuss und eine Frauenquote – rund ein Jahrhundert, bevor sie in bürgerlichen Verbänden erstritten wurde.
Alternativligen konnten den bürgerlichen Fußball nie ins Wanken bringen, vielen Fans scheinen sie zu ideologisch. In ihrer Grundsatzkritik und Experimentierfreiheit liegt aber zugleich eine Stärke. Sie sind stiller Ursprungsort oder Testwiese vieler Umstürze. Ein aktuelles Beispiel: Die Reformen im Kinderfußball des DFB zur Saison 2024/25, deren Prinzipien – Spiel ohne Schiris, starke und schwache Spieler:innen erhalten gleiche Spielzeit, Erlebnis ist wichtiger als Ergebnis – Kernideen des freien Fußballs sind.
»Der gesamte organisierte Frauenfußball wäre undenkbar ohne freie Ligen.«
Mitunter stoßen freie Ligen sogar Revolutionen an. Der gesamte organisierte Frauenfußball etwa wäre undenkbar ohne sie. Es war die vorerst letzte Bewegung, die ernsthafte Konkurrenzstrukturen aufbaute. 1956 bestritten die westdeutschen Frauen ihr erstes freies Länderspiel vor 18.000 Zuschauer:innen; bis Mitte der 60er Jahre absolvierten westdeutsche Frauen rund 220 solche Länderspiele. Die unabhängigen Turniere stießen teils auf enorme Nachfrage: das Finale der WM in Mexiko 1971 fand vor 110.000 Zuschauer:innen statt. Dieser Protest erzwang den Fall der Verbote. Manche Spielerinnen waren Feministinnen, viele wollten nur kicken.
Die dritte Gruppe der Engagierten – Teams, die sich für unpolitisch halten, und dennoch politische Wirkung erzielen – ist also nicht trennscharf. Tatsächlich aber gehören Teilhabekämpfe zu den erfolgreichsten Kämpfen der Fußballgeschichte. So auch der queere Fußball. 1980 entstand mit dem SC Janus in Köln der größte und älteste queere Sportklub Europas. 1982 fanden die ersten Gay Games statt, an denen teilnehmen kann, wer möchte, in der offenen Tradition des Arbeitersports. Die Klubs haben massiv dazu beigetragen, den Diskurs über LGBT im Sport zu verändern.
Dass gerade Teilhabekämpfe so erfolgreich verliefen, ist kein Zufall. Dem kapitalistischen Wachstumsstreben stehen sie nicht im Weg, sie erschließen neue Marktsegmente. Wesentlich schwerer haben es Versuche, den ideologischen Kern des Spiels anzugreifen. Die feministische und queere Sportkritik träumte von solidarischem Fußball ohne Gewalt und Leistungskult. Doch gerade der Erfolg, mit dem Frauen und Queers Teilnahme erstritten, ließ den politischen Anspruch in den Hintergrund treten.
Seit der neoliberale Fußball ein Monopol hat, hat sich Revolte endgültig verlagert: weg vom Anspruch eines großen anderen Fußballs, eher hin zu lokal engagierten Klubs mit Mission. Diese Vereinzelung macht es grundsatzkritischen Klubs schwer, denn um Reichweite für ihre Ideen zu erreichen, brauchen sie sportlichen Erfolg oder hohe Mitgliedszahlen. Je mehr Geld aber für den Erfolg akquiriert werden muss oder je mehr Spieler:innen und Fans von außen dazustoßen, umso mehr gerät die Ursprungsidee unter Druck. In diesem Spagat leben viele fangeführte und basisdemokratische Klubs, die ab den 90er Jahren überall in Europa als Protest gegen Kapitalisierung und Demokratieverlust im Spitzenfußball gegründet wurden.
Zu den bekanntesten Beispielen zählen die englischen AFC Wimbledon und FC United of Manchester. In Deutschland erhielt vor allem der HFC Falke, eine Protestgründung von HSV-Fans, viel Aufmerksamkeit. Diese Klubs verändern ganz real lokale Verhältnisse, schaffen eine greifbare Utopie vor Ort. Auf den Spitzenfußball aber konnten sie kaum Einfluss nehmen. Wer hingegen ideologisch rein bleibt, wie die wilden Ligen, in denen seit den 70ern ohne Verbände, Schiris und Trainer:innen gekickt wird, hat kaum Reichweite. Es fehlt der Kapitalismuskritik an einem großen Gegenentwurf und einer starken Trägerorganisation.
Vorteile der zweiten Sphäre
Nichtsdestotrotz gibt es Amateurklubs mit Mission, die eine enorme Dynamik ins System bringen. Sie nutzen die Vorteile von Klubs der zweiten Sphäre: Weniger Erfolgsdruck, eine häufig engere Bindung ans eigene Viertel – und die Anziehungskraft ihrer Idee. Roter Stern Leipzig und der FC Internationale Berlin sind beides fußballpolitische Projekte aus der linken Subkultur, die bewusst im konventionellen Fußball mitspielen.
»In einer Zeit, in der es Amateurklubs ohne wiedererkennbare Marke zunehmend schwer haben, kann gerade die gesellschaftspolitische Idee auch zum Erfolgsmodell werden.«
Roter Stern erreichte mit seinem Widerstand gegen Rechtsextremismus auf dem sächsischen Land und seiner Plenardemokratie bundesweit Vorbildfunktion. Der FC Internationale sorgte maßgeblich dafür, Integrationsarbeit im Fußball zu verbreiten und ist stark in der ökologischen Transformation engagiert. Beiden Klubs ist es gelungen, ein kritisches Gegengewicht im lokalen Verband zu etablieren. Und großen Zulauf erhalten sie gerade deshalb, weil es bei ihnen um viel mehr geht als nur um Fußball. In einer Zeit, in der es Amateurklubs ohne wiedererkennbare Marke zunehmend schwer haben, kann gerade die gesellschaftspolitische Idee auch zum Erfolgsmodell werden.
Widerständigen Klubs gelingt es mithin trotz ihrer insgesamt schwachen Position im System, den Fußball punktuell zu beeinflussen, oder auf indirektem Wege Umbrüche und manchmal gar Revolutionen anzustoßen. In den vergangenen Jahrzehnten ist das Feld derer, die mit Mission kicken, durch eine regelrechte NGO-isierung massiv angewachsen. Soziale Organisationen weltweit nutzen Fußball. Anders als früher sehen sich die meisten Modelle aber nicht als Opposition, sondern als Ergänzung, und werden oft von der FIFA gefördert. Nicht ganz zufällig richten sie sich meist an Kinder. Ein anderer »ernsthafter« Fußball der Erwachsenen ist für viele derzeit unvorstellbar.
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