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Eckpunkte einer sozialdemokratischen Sicherheitsarchitektur Aufgeklärte Risikokultur statt Panikmache

Wie viel Wahrheit steckt in der vielzitierten Aussage, dass wir in »unsicheren Zeiten« leben? Zunächst die gute Nachricht: Bundesweit ist die Zahl registrierter Straftaten zuletzt deutlich zurückgegangen – laut der Polizeilichen Kriminalstatistik war sie in 2017 so gering wie zuletzt in den 90er Jahren.

Allerdings stellen wir auch fest: Das Gefühl ist oft ein anderes, übrigens nicht nur in Deutschland. So führte der Terrorismus Anfang 2017 in einer Eurobarometer-Umfrage zum ersten Mal die Liste der wichtigsten Probleme an, denen die Europäische Union derzeit gegenübersteht. 44 % und damit fast die Hälfte der Menschen in Europa nannten dieses Thema. Hinzu kommt, dass die Bedrohungen unserer Zeit in der Tat komplexer und vielschichtiger als noch vor einigen Jahrzehnten sind.

Auch das trägt zu den Sorgen bei, die heute viele Menschen umtreiben. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten müssen diese Sorgen ernst nehmen und überzeugende Antworten entwickeln, ohne den populistischen Übertreibungen hinterherzulaufen oder alles Erreichte schlecht zu reden, so wie das leider sogar konservative Teile der Bundesregierung tun – insbesondere die CSU.

Wir alle haben das berechtigte und existenzielle Bedürfnis, sicher zu leben – und die ebenso nachvollziehbare Erwartung an den Staat, diese Sicherheit im öffentlichen Raum zu gewährleisten. Das gilt übrigens insbesondere aus sozialdemokratischer Sicht: Nur ein starker Staat mit gut aufgestellten Sicherheitsbehörden ist in der Lage, diese öffentliche Sicherheit zu gewährleisten – und zwar für alle, nicht nur für diejenigen, die sich kostspielige private Sicherheitsmaßnahmen leisten können.

Sozialdemokratische Innenpolitik verheddert sich nicht von Debatte zu Debatte in ideologiegetriebenen Denkverboten – im Gegensatz zu anderen Parteien. Die Sozialdemokratie kann sicherheitspolitische Missstände offen ansprechen und thematisieren, ohne diese zu dramatisieren, wie das allzu oft bei Konservativen und Rechten geschieht. Sie kann dafür sorgen, dass der Staat die Instrumente an die Hand bekommt, die er braucht, um Verbrechen wirksam zu bekämpfen oder zu verhindern – ohne diese Instrumente gleich wieder abstumpfen oder einschränken zu wollen, wie das mitunter auf der anderen Seite des politischen Spektrums geschehen kann. Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es daher, die Sicherheit unserer Gesellschaft zu verteidigen, ohne diese Freiheit durch unverhältnismäßige Maßnahmen zu beschränken.

Was heißt das konkret? Deutschland braucht starke Sicherheitsbehörden und einen starken Staat. Wir brauchen mehr Polizistinnen und Polizisten auf der Straße. Und eine gute Polizei braucht die beste Ausbildung und moderne Ausstattung. Nur so können die Sicherheitsbehörden optimal auf die aktuellen Entwicklungen reagieren – beim Terror genauso wie bei anderen Kriminalitätsformen, etwa im Cyberbereich.

Unsere Polizei ist und bleibt der beste Partner im Kampf gegen Gewalt und Terror. Erinnern wir uns etwa an den schrecklichen Amoklauf, der sich im Sommer 2016 in München ereignete: Die Polizei hat seinerzeit damit beeindruckt, dass sie die Lage schnell und verlässlich im Griff hatte. Auch deshalb erschließt sich beispielsweise nicht die reflexhafte Forderung, die Bundeswehr – trotz ihrer wertvollen Qualitäten – permanent für derartige Aufgaben einzusetzen. Wie hätte denn die Bundeswehr die Lage besser bewältigen sollen als die Polizei, die letztlich auch für solche Szenarien ausgebildet wird? Natürlich kann die Bundeswehr die Polizei bei Katastrophenlagen oder großen Unglücksfällen sehr gut unterstützen – als helfende Hand, aber nicht als künstlich verlängerter Arm der Exekutive. Das haben mehrere Großlagen der vergangenen Jahre bewiesen, z. B. das Elbehochwasser im Sommer 2013. Deshalb kann ich nur sagen: Finger weg von unüberlegten Änderungen am Grundgesetz!

Mit Blick auf die Polizei müssen wir aber auch festhalten: Qualität gibt es nicht zum Nulltarif und nicht innerhalb von wenigen Wochen. Deutschland braucht eine starke und gut ausgebildete Polizei – und keine bewaffneten Hilfspolizisten, die in Crashkursen ausgebildet werden. Deutschland braucht auch eine personell deutlich stärker ausgestattete Bundespolizei, damit sie in der Lage ist, ihre eigentlichen Aufgaben bei großen Einsätzen umfassend zu erfüllen. Unterstützungseinsätze durch die Landespolizei können dann öfter entfallen und es werden Kapazitäten für andere Bereiche frei, z. B. zur Kriminalitätsbekämpfung.

Machen wir uns aber nichts vor: Natürlich gibt es in unserer Zeit auch Bedrohungen, bei denen der Nationalstaat an seine Grenzen stößt. Der Cyberraum mit sozialen Netzen, Darknet und Clouds ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr sich Bedrohungslagen globalisiert haben. Täter orientieren sich nicht mehr an nationalen Grenzen. Darauf müssen wir uns sicherheitspolitisch einstellen.

Die Perspektive ist deshalb nicht Abschottung, nicht dumpfer Nationalismus und auch nicht permanentes Misstrauen. Europa ist die Perspektive, wenn wir alle unseren Teil dazu beitragen, dass es funktioniert. Auf Sicht brauchen wir daher so etwas wie ein »europäisches FBI«, das sich aus einem mit stärkeren Kompetenzen ausgestatteten Europol entwickeln kann. Schon heute gibt es dort vielversprechende Ansätze, etwa bei der Terrorismusbekämpfung, der Cybersicherheit oder der Bekämpfung von Schlepperkriminalität.

Trotz allem, was hier in den letzten Jahren erreicht wurde, besteht kein Anlass, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Der Austausch von Informationen und Know-how zwischen den europäischen Sicherheitsbehörden muss weiter deutlich verbessert werden. Dieser Austausch und eine bessere Vernetzung untereinander sind elementar, wenn wir islamistischen Terrorismus wirkungsvoll bekämpfen wollen – wie es ja auch, wie erwähnt, die berechtigte Erwartungshaltung der Menschen in Europa ist. Wir müssen dazu den Terror an seiner Wurzel bekämpfen. Ein wichtiges Mittel dazu sind internationale Polizeimissionen, die u. a. helfen, rechtsstaatliche Strukturen weltweit zu sichern und auszubauen. Deshalb müssen wir auch zukünftig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Polizei in Auslandsmissionen entsenden.

Es ist ebenso richtig, dass die Europäische Agentur für Grenzschutz und Küstenwache (Frontex) weiter ausgebaut werden soll. Wenn wir das Schengener Abkommen – und damit eine der herausragenden Errungenschaften der europäischen Einigung – erhalten und die derzeitigen Binnengrenzkontrollen überwinden wollen, dann brauchen wir wirksam gesicherte Außengrenzen. Das heißt nicht, dass sich Europa abschotten oder alte Mauern hochziehen soll – aber wenn wir uns innerhalb der EU frei und sicher bewegen wollen, dann müssen wir wissen und zuverlässig sagen können, wer in die EU einreist und sich bei uns aufhält. Auch deshalb weisen die neuen Systeme zum Informationsaustausch, die derzeit auf EU-Ebene aufgebaut werden, genau in die richtige Richtung. Gleiches gilt für den unter dem sperrigen Begriff »Interoperabilität« verfolgten Gedanken, diese Systeme intelligent untereinander zu vernetzen. Denn welchen Sinn ergibt es, eine Fülle an Daten zu erheben, wenn diese dann nicht an die Stellen gelangen, an denen sie gebraucht werden?

In einer Zeit, in der europakritische Parteien im Aufwind sind, muss die Sozialdemokratie es entschlossen und deutlich betonen: Europa ist die Antwort und nicht das Problem – auch in Sicherheitsfragen, wenn wir es richtig angehen. Wir wissen aus historischer Erfahrung, dass Veränderungen in der EU einen langen Atem brauchen – und dass dieser sich fast immer gelohnt hat. Die von der EU verfolgte Idee der »Sicherheitsunion« ist begrüßenswert – wir müssen aber darauf achten, dass sie ihrem Namen gerecht wird und nicht von vermeintlichen nationalen Interessen ausgebremst wird. Einige der Staaten, die heute wieder ihre nationalen Interessen in den Vordergrund stellen, sind gleichzeitig die ersten, die sich in Bedrohungslagen auf die bewährte internationale Zusammenarbeit – gerade auch in Europa – verlassen wollen.

Richtig und wichtig ist es zudem, sich bereits auf nationaler Ebene auf die zentralen Sicherheitsfragen der Zukunft einzustellen. So muss es unser Ziel sein, dass Polizei und Justiz das sogenannte »Darknet« weiter aufhellen. Wir brauchen dazu in unseren Behörden mehr IT-Profis, und wir müssen durch die intensive Ermittlungsarbeit unserer Spezialisten deutlich machen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist – auch nicht in seinem Hinterzimmer. Der illegale Waffenhandel und viele andere Kriminalitätsformen im Darknet müssen von uns wirksam und intensiv bekämpft werden.

Die Sicherheitsbehörden benötigen auch geeignete Werkzeuge, um frühzeitig in sozialen Netzwerken und anderen frei zugänglichen Quellen im Internet abzeichnenden Radikalisierungen von Einzelpersonen und Gruppen zu begegnen. Erforderlich ist vor allem zielgerichtete und systematische Auswertung und Analyse. Dabei kann ein zentraler, aber auch in die Ebene vernetzter Big-Data-Ansatz helfen, mit dem Entwicklungstendenzen im Extremismus, Gefährdungslagen zu Großereignissen und Radikalisierungen von Einzelpersonen früh erkannt werden können.

Um zu verhindern, dass Menschen in radikale Milieus abdriften, braucht es zudem wirksame Präventionsprogramme auf der Höhe der Zeit, die in die gesellschaftliche Realität passen. Wir dürfen niemanden einfach abschreiben, verdammen oder abstempeln. Vielmehr müssen wir als Zivilgesellschaft gemeinsam zeigen, dass wir attraktivere Perspektiven bieten und dass Extremismus niemals eine Lösung ist. Dazu gehört es auch, junge Menschen mit passenden Aussteigerprogrammen anzusprechen und ihnen den Weg zurück in die normale, demokratische Gesellschaft zu ebnen, wenn sie sich von dem extremistischen Gedankengut lossagen wollen.

Eine andere herausragende Aufgabe unserer Zeit ist es, die Digitalisierung zu meistern. Hier stellen sich auch im Sicherheitsbereich viele Fragen. Wir müssen kritische Infrastrukturen besser schützen und für systemische Risiken sensibilisieren. Die Menschen in Deutschland können sich auf den guten Zustand lebensnotwendiger Versorgungssysteme verlassen. Es wäre aber fatal, sich darauf einfach auszuruhen oder blind zu verlassen. Was wir brauchen, ist eine aufgeklärte Risikokultur – in Abgrenzung zur teilweise stattfindenden Panikmache. Wir müssen uns daher noch viel stärker um den Schutz der empfindlichsten Bereiche unseres Gemeinwesens, die kritischen Infrastrukturen, kümmern. Hierzu zählen u. a. die Energie- und Wasserversorgung, das Transport- und Verkehrssystem und die Gesundheitsfürsorge, insbesondere aber auch Kommunikations- und IT-Systeme.

Bund, Länder und Kommunen müssen sich deshalb auf die Prävention und Gefahrenabwehr im Bereich kritischer Infrastrukturen und der IT-Systeme konzentrieren. Die gemeinsame Analyse, Prävention und Notfallvorsorge im Fall eines Blackouts oder Cyberangriffs tragen unmittelbar zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit unserer Systeme bei. Denn es ist nun mal Realität: Cyberattacken sind keine abstrakte Bedrohung mehr, sie sind kein Szenario, dass nur in Science-Fiction-Filmen stattfindet. Deshalb sind wir auf allen Ebenen gefordert, uns auszutauschen und entsprechende Vorsorge zu treffen.

All das zeigt: Wir haben bereits viel erreicht, aber es gibt weiterhin viel zu tun. Wir dürfen selbstbewusst betonen, welche Erfolge wir erzielt haben. Die rückläufige Kriminalität ist kein Selbstläufer, sondern das Ergebnis der guten Arbeit unserer Sicherheitsbehörden und der politischen Voraussetzungen, die auf den verschiedenen Ebenen geschaffen worden sind. Genauso wird es aber kein Selbstläufer sein, dass wir weiterhin stark bleiben und Freiheit und Sicherheit verteidigen gegen diejenigen, die sie aus unterschiedlichsten Winkeln bedrohen.

Freiheit und Sicherheit gewährleisten, ohne das eine gegen das andere auszuspielen – dies muss der Markenkern sozialdemokratischer Innenpolitik sein.

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