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Die Perspektiven der PSOE im neuen spanischen Mehrparteiensystem Aus zwei mach vier

Die europäische Sozialdemokratie geht durch eine schwierige Phase. Im Nachgang zur Finanz- und Eurokrise und angesichts der hohen Migrantenzahlen herrscht in ihrem Innern Zerrissenheit und Konfusion und an den Rändern ihrer Wählerbasis nagen Links- und Rechtspopulisten. Während die rechte Variante vor allem in Nord-, West- und Osteuropa auf dem Vormarsch ist, sind im Süden die neuen linkspopulistischen Bewegungen dabei, die Sozialdemokraten als führende Oppositionskraft zu verdrängen oder, wie im Falle Griechenlands, gar als Splittergruppe an den Rand zu drängen. Während sich die Genossen in Portugal erfolgreich zur Führung einer Linksallianz durchrangen, brachten die PSOE-Parlamentarier in Spanien durch eine Stimmenthaltung im letzten Jahr den seit Dezember 2015 nur noch geschäftsführenden konservativen Regierungschef Mariano Rajoy zurück ins Amt. Diese Entscheidung war der Auslöser für einen monatelangen kräftezehrenden innerparteilichen Kampf um den Kurs und die Führungslinie. Dennoch schaffte es der zurückgetretene vorhergehende Generalsekretär Pedro Sánchez wieder zurück auf seinen Posten und ist ambitioniert, der Partei einen Linksruck zu geben.

Nach dem Ende der Diktatur Francisco Francos reichten sich die Sozialdemokraten und die konservative Partido Popular (PP) im steten Wechsel die Regierungsklinke in die Hand. Oft regierten sie mit absoluter Mehrheit der Parlamentssitze, manchmal geduldet durch eine der diversen kleinen Regionalparteien. Unter ihren Ministerpräsidenten Felipe González (1982–1996; bestes Wahlergebnis 1982 mit 48,1 %) und José Luis Zapatero (2004–2011; bestes Ergebnis 2008 mit 43,9 %) leisteten die Sozialdemokraten einen entscheidenden Beitrag zum Auf- und Ausbau des spanischen Wohlfahrtsstaates und der Interessensicherung von Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechten. Mit 22 Regierungsjahren drückte die PSOE damit der spanischen Demokratie und Gesellschaft mit ihren Stempel auf.

Die Zapatero-Jahre standen zunächst im Zeichen einer erfolgreichen kultur- und gesellschaftspolitischen Modernisierung. Im Zeichen der internationalen Finanzkrise im Gleichschritt mit einer hausgemachten Immobilienblase rutschte das Land jedoch in eine tiefe Wirtschaftskrise, deren Folge erste Sparprogramme waren, die noch von Zapatero ins Werk gesetzt wurden. Bei den Wahlen 2011 folgte ein immenser Stimmenverlust von über 20 %. Auf der Suche nach einem Neuanfang verschliss die Partei mehrere Vorsitzende und landete in einem bitteren Streit um den politischen Kurs.

Die konservative Partei kam 2011 zunächst mit 44,6 % zurück an die Regierung und verschärfte die Sparpolitik. Aufgrund der Austeritätspolitik, der hohen Arbeitslosigkeit und Korruptionsvorwürfen gegen die beiden Altparteien konnten sich zwei neue Formationen im Parteiensystem etablieren. Die linkspopulistische PODEMOS (»Wir können«) und die liberalen Ciudadanos (»Bürger«) machten nach den Wahlen im Dezember 2015 aus dem Zwei- ein Vierparteiensystem.

Die PP blieb indes geschäftsführend im Amt, da die drei Oppositionsparteien kein Bündnis zustande brachten: Der damalige PSOE-Chef Pedro Sánchez scheiterte mehrmals mit Koalitionsversuchen mit Ciudadanos (und im Verein mit linken Regionalparteien) und musste schließlich – nach seinem Rücktritt – akzeptieren, dass seine Kollegen im Oktober 2016 »im Interesse des Landes« Rajoy im Amt bestätigten. Seitdem wird Spanien von seiner schwachen konservativen Minderheitsregierung geführt und die PSOE übt sich im Harakiri. Ihr Vorsitzender wurde im Zuge dieses politischen Koalitionsstreits mehr oder weniger zum Rücktritt gezwungen. Die neue sozialdemokratische Übergangsführung handelte im Gegenzug zur Wahlenthaltung zwar einige Zugeständnisse aus – beispielsweise die Erhöhung des Mindestlohns – insgesamt aber sank der Stern der Partei weiter.

Möchten die Liberalen sich rechts der Mitte gerne ein Stück vom politischen Kuchen abschneiden, geht es links der Mitte bald um die politische Vorherrschaft. Reichte es bei den Neuwahlen vom Juni 2016 mit 22,7 % der Stimmen für die PSOE noch zum zweiten Platz im spanischen Parteienspektrum (PODEMOS: 21,1 %), landete sie im April 2017 in Meinungsumfragen nur noch an dritter Stelle (20,2 %) knapp hinter PODEMOS (20,7 %). Die alte »Fortschrittsallianz« von städtischer Klientel (auch mit höherem Bildungsabschluss) und Arbeitnehmern bis hinein in die höheren Mittelschichten scheint auseinandergebrochen und die Kinder der PSOE-Mitglieder und -Wähler votieren heute eher für PODEMOS. Rund ein Drittel ihrer Wählerschaft unterstützte 2011 noch die PSOE.

Wie weit trägt der Neuanfang?

Mit dem Mitgliederentscheid vom 21. Mai kehrte Pedro Sánchez wieder als Generalsekretär zurück. Zwar profilierte er sich mit einem linken, basisdemokratischen Programm, aber er ist kein zweiter Jeremy Corbyn! Der erst 45 Jahre alte Wirtschaftsprofessor verkörpert eine attraktive Mischung aus medienwirksamem Auftritt, Intellektualität und verbindlicher Ansprache. Durch seinen Rücktritt vom Parteivorsitz, die Abgabe seines Parlamentsmandats sowie seine Kampagne hat er zudem an Glaubwürdigkeit hinzugewonnen. Er möchte nun die alte PSOE der regionalen Seilschaften mit mehr Wirkungsrechten für die Mitglieder, mehr Transparenz von Entscheidungsprozessen und einer Öffnung der lokalen Parteibüros modernisieren. Deutlich war und ist er in der Ablehnung einer Duldung des konservativen Ministerpräsidenten.

Er setzte sich klar mit 50,3 % der Stimmen gegen Susana Díaz (39,9 %) und Patxi López (9,8 %) durch. Díaz war als Favoritin ins Rennen gegangen und galt als Kandidatin der Parteielite: Sie wusste die beiden ehemaligen Regierungschefs, das Gros der Kongressabgeordneten, fast alle Regionalpräsidenten und die Mehrheit des Funktionärsapparats hinter sich zu vereinen. Letztlich gewann die andalusische Regionalpräsidentin trotz dieser Schützenhilfe nur in ihrem eigenen Landesverband. Mit ihrem traditionsbewussten »Weiter so!« hatte sie nicht den Nerv der Mehrheit getroffen. Immer wieder hatte sie die drohende »Podemisierung« an die Wand gemalt und zudem auf die verlorenen Wahlen während der Amtszeit von Pedro Sánchez verwiesen. Ohne Frage hatte er 2014 die Partei in einer schwierigen Zeit übernommen, in der der Abwärtstrend indes schon in vollem Gange war. Zudem fiel Díaz das Argument vor die eigenen Füße: Bei den Regionalwahlen im PSOE-Stammland Andalusien hatte sie 2015 nur 35,4 % geholt (im Vergleich zu 40,7 % im Jahr 2012 oder gar 50,4 % 2004).

Patxi López dagegen lag allein in seinem baskischen Heimatverband vorne. Er versuchte sich als Kompromisskandidat zu profilieren, hatte jedoch im polarisierten Wahlkampf keine Chance.

Pedro Sánchez hatte schließlich in allen anderen Landesverbänden klar die Nase vorn und kam selbst in Andalusien – dem größten Landesverband und Stammsitz von Susana Díaz (255 der 1.035 Delegierten des Parteitages im Juni kommen von dort!) – auf eine ansehnliche Quote (32 %). Seine Legitimation ist nach dem deutlichen Sieg unbestritten, zumal sich 80 % der Mitglieder an der Urwahl beteiligten. Wird er nun nach seiner formalen Kür auf dem 39. PSOE-Kongress im Juni die innerparteilichen Wunden heilen, die Reputation und Tatkraft der PSOE wiederherstellen und den konservativen Ministerpräsidenten ablösen können?

Pfeiler einer neuen Agenda

Geschlossenheit: Ob die PSOE nach dem Mitgliederentscheid so bald wieder in ruhigeres Fahrwasser kommt, kann bezweifelt werden, da die Gräben in den letzten Monaten sehr tief geworden sind, auch wenn alle immer wieder ihren Willen betonen, die Partei zusammenzuführen und die drei Kontrahenten jetzt auf einem Bild auf der Website der Partei mit gegenseitig verschränkten Händen zu sehen sind.

Der Fraktionsvorsitzende Antonio Hernando trat noch am Wahlabend zurück. Er hatte im Oktober die parlamentarische Enthaltung bei der Amtsbestätigung von Rajoy ins Werk gesetzt. Er wurde zügig durch José Luís Ábalos ersetzt – den Leiter der Kampagne von Sánchez. Seine erste Hauptaufgabe dürfte es sein, die Fraktion hinter dem neuen Vorsitzenden zu versammeln. Von den 84 Parlamentariern gelten nur 17 als klare Sanchistas gegenüber 10 Patxi- und 50 Díaz-Vertrauten. Hinzu kommt ein weiteres Handicap mit Blick auf die Kontrolle der Fraktion wie die politische Öffentlichkeit: Durch die Aufgabe seines Parlamentssitzes im Oktober letzten Jahres kann der neue Generalsekretär das Parlament nicht mehr als politische Bühne nutzen.

Glaubwürdigkeit: Seit Jahren verliert die Partei Mitglieder. Die jüngste Zählung ergab nur noch 187.360 Mitglieder, waren es doch 2014 noch gut 198.000 und vor zehn Jahren fast 237.000 Parteigänger. In den Augen von Sánchez ist dies eine Folge der beteiligungsfeindlichen Parteistrukturen.

Hinzu kommt der Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Danach gefragt, welche Partei sich am glaubwürdigsten gegen Korruption einsetze, kam PODEMOS auf 25 und Ciudadanos auf 19 % – die Konservativen wie die PSOE nur auf 10 %. Ein ähnliches Ergebnis gab es bei der Frage nach dem Einsatz für die Erneuerung der spanischen Demokratie: Hinter Ciudadanos, PODEMOS und PP landete die PSOE nur auf dem vierten Rang. Auch wenn die regierende PP von den Korruptionsskandalen weit mehr betroffen ist als die Sozialdemokraten – auch diese blicken, vor allem in einigen Regionen, in denen sie schon lange regieren bzw. regiert haben, auf eine Reihe von Fällen zurück.

Mit Blick auf das Wählerpotenzial tut sich ein Spannungsfeld auf, da die liberale Ciudadanos im Zeichen des Linkskurses der PSOE auf deren Mitte-Wähler schielt. In einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts CIS vom April hatten sich gut 20 % der PSOE-Wähler der politischen Mitte zugerechnet. Um die Wechselwähler von PODEMOS zurückzugewinnen, muss die PSOE andererseits ein deutlich linkeres Profil zeigen. Die Gefahr ist also groß, dass die PSOE zwar links Stimmen (zurück)gewinnt, aber dafür in der Mitte verliert.

Strategische Partnerschaft mit den Gewerkschaften: Selbst die (in ihrer Führung eigentlich sozialdemokratisch ausgerichtete) Gewerkschaft Unión General de Trabajadores (UGT) ging seit 2008/9 auf Distanz, von den (ehemals ex-kommunistischen) Arbeitskommissionen ganz zu schweigen. Beide arbeiten mehr und mehr zusammen, seitdem die ideologischen Fragen in den Hintergrund gerückt sind. Im Zeichen der aus ihrer Sicht negativen Effekte der Deregulierungen im Arbeits- und Tarifvertragswesen ab dem Krisenjahr 2012 wird jede Wiederannäherung an die Zurücknahme dieser Maßnahmen gebunden sein.

Erzählung: Der Parteikongress Mitte Juni skizzierte erste neue programmatische Zukunftsentwürfe. Mit deren Vorbereitung hatte noch die Übergangsexekutive der PSOE den Abgeordneten Eduardo Madina (der schon beim Entscheid 2014 einer der Gegenkandidaten von Sánchez und diesmal Unterstützer von Díaz war) und den Wirtschaftsprofessor José Carlos Díez betraut. Beide traten von diesen Aufgaben nach dem Mitgliederentscheid zurück. Und das Sánchez-Team präsentierte kurz danach 89 Änderungspunkte, die sich am Manifest »Für eine neue Sozialdemokratie« von Sánchez orientierten. Mit diesen Korrekturen, getragen von einer scharfen Kritik am globalen Finanzkapitalismus und der gnadenlosen Sparpolitik sowie der Forderung nach einem Grundeinkommen, rückt die Partei zumindest rhetorisch nach links.

Ohne Frage bedarf es vor allem endlich gezielter Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit, als alleine auf das Wiederanspringen des Konjunkturmotors zu hoffen. Tourismus und Bauwirtschaft sind die beiden zentralen Wirtschaftssektoren des Landes. Sie allein werden Spanien nicht jene wirtschaftlichen Impulse geben können, die es braucht, um die begrenzte Innovationsfähigkeit anzugehen, die großen regionalen Disparitäten auszugleichen oder die ungleiche Verteilung zu korrigieren.

Mit Blick auf die EU bleibt die PSOE ganz auf der gewachsenen proeuropäischen Linie. Wenn es um die Zukunft der europäischen Gemeinschaftswährung geht, plädieren sie gemeinsam mit den Konservativen für einen Einstieg in die Transferunion und die Stärkung der gouvernementalen Strukturen der Eurozone.

Innenpolitisch drängt die Katalonienfrage: Der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont hat für den 1. Oktober ein einseitiges Unabhängigkeitsreferendum angekündigt, nachdem er von der konservativen Regierung in Madrid keine Bewegung mehr erwartet. »Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik wird?«, soll die Frage sein. Schon lange strebt die wirtschaftlich starke und politisch immer selbstbewusstere autonome Gemeinschaft nach mehr Selbstständigkeit und die regierende PP sperrt sich gegen jede Verfassungsänderung, die den katalanisch-nationalistischen Parteien den Wind aus den Segeln nehmen könnte. Sánchez wäre bereit, in der Verfassung einen Passus zu verankern, der Spanien als »Nation der Nationen« beschreibt und die föderativen Strukturen stärkt. Es besteht akuter Handlungsbedarf, will man die spanische Einheit auf neuer Ebene wahren.

Machtoption: Im Parlament muss die PSOE ein aggressiveres Profil gegenüber der PP entwickeln, auch um sich von PODEMOS nicht von links die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Ohne PODEMOS gibt es für die Sozialdemokraten andererseits keine Machtoption. Das portugiesische Beispiel zeigt, dass man unüberbrückbare ideologische Differenzen zur Seite schieben und sich auf kurz- und mittelfristig gemeinsam lösbare Aufgaben konzentrieren kann – statt einer konservativen Minderheitsregierung das Feld zu überlassen.

Es ist indes fraglich, ob PODEMOS dazu in der Lage ist. Ihr Vorsitzender scheint beseelt von der Idee, die Sozialdemokraten auf ihre Plätze zu verweisen. Beim jüngsten Parteitag Mitte Februar hatte Pablo Iglesias erneut die Mehrheit auf seine linkspopulistische Linie »Volk versus Elite« eingeschworen, die PODEMOS mehr als soziale Bewegung der Straße verortet, denn als Teil der repräsentativen Parteiendemokratie.

Andererseits liegt hierin aber auch eine Chance für die PSOE, PODEMOS, das Kind der Krise und der Korruptionsskandale, Schritt für Schritt wieder zurückzudrängen und seine Wählerschaft durch überzeugende Politikangebote der linken Mitte zurückzugewinnen. Den Wettbewerb um die utopischen Verheißungen gewinnt immer PODEMOS. Durch die jüngste Umfrage im Auftrag von El País (4.6.17) dürfte sich der neue Generalsekretär der PSOE in seinem Kurs bestätigt fühlen: Während die PP auf 25,9 % absackte, stieg die PSOE auf 22,8 % und lässt PODEMOS mit 19,2 % wieder hinter sich (die Liberalen kommen auf starke 18,7 %).

Nur wenn die PSOE trotz aller Widrigkeiten schnell neue Kraft gewinnt, dürfte Sánchez ein Misstrauensvotum wagen. Der konservative Premier seinerseits hat im Zeichen erneut aufflammender Korruptionsskandale kein Interesse an baldigen Neuwahlen. Zunächst besteht auch kein Handlungszwang, nachdem er Anfang Juni den Haushalt durchs Parlament gebracht hat – mit den Stimmen der baskischen Nationalisten und dem Versprechen, den Schnellzug AVE auch ins Baskenland zu bringen. Gelingt ihm das im nächsten Jahr erneut, so kann er sich – ohne politisches Projekt, getrieben allein vom Versprechen auf Stabilität und dem Wunsch nach Machterhalt – handlungsschwach und reformunfähig bis zu den regulären Wahlen Mitte 2020 durchwursteln.

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