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Nicole Seifert denkt über Autorinnen im Literaturbetrieb nach »Banal, kitschig, trivial«?

So oder so: Der Begriff Frauenliteratur ist nicht neutral, sondern negativ konnotiert. Die Romane z. B. von Martin Walser hingegen werden nicht als »Männerliteratur« gehandelt, obwohl es dafür Argumente gäbe.

Der unscharfe Begriff Frauenliteratur soll Autorinnen und die Literatur über Frauen herabwürdigen. Kein neuer Befund, doch unsere Gegenwart schreit nach Veränderung, und das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten aller Art wächst. Es wird aufgepasst und gezählt: Wie viele Frauen tauchen wo, wie oft und wie prominent auf? Die Pilotstudie »#frauenzählen« zur Sichtbarkeit von Frauen in den Medien und im Literaturbetrieb aus dem Jahr 2018 fand auf diese Weise heraus, dass auf eine besprochene Autorin zwei Autoren kommen. Und nicht nur das: Drei Viertel aller von Männern besprochenen Werke sind von Autoren verfasst. Kritikerinnen besprechen zwar hinsichtlich des Geschlechts ausgewogener, aber ebenfalls überwiegend Männer. Auch die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert beginnt irgendwann zu zählen. Ihre Bestandsaufnahme: Lediglich ein Drittel ihres Bücherregals ist mit Autorinnen belegt. Deshalb bespricht sie in ihrem Literaturblog nachtundtag ausschließlich Literatur von Frauen. In ihrem gerade erschienenen Buch Frauen Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt lässt sie ihre eigene Lesehistorie Revue passieren und erläutert, wozu es führt, wenn die Werke von Autorinnen seltener, auf weniger Platz und mit anderem Anspruch besprochen werden.

Sie schreibt: »Diese Art der ungleichen Beurteilung legt den Grundstein dafür, dass die Werke von Autorinnen auch in Literaturgeschichten, akademischen Handbüchern und den Auflistungen wichtiger Bücher weniger vorkommen, dass sie also schlechter kontextualisiert und kanonisiert werden.« Und das hat Konsequenzen: Denn wer nicht kanonisiert wird, bleibt oft gar nicht im Gedächtnis. Als Beispiel dient Seifert das Schicksal der Schriftstellerin Gabriele Reuter (1859–1941) Gabriele wer? Genau, das ist das Problem. Selbst wer Literaturwissenschaften studiert hat, muss sie nicht kennen. Dabei war sie eine frühe deutsche Bestsellerautorin. Ihr 1895 erschienener Roman Aus guter Familie machte sie schlagartig berühmt. Er erschien ungefähr zeitgleich mit Theodor Fontanes Evergreen Effi Briest. Doch während Fontane und sein Ehebruchklassiker in Schulen, Universitäten und Bücherregalen immer noch sehr lebendig ist, fehlt von Gabriele Reuter beinahe jede Spur. Woran liegt das? Nicole Seifert: »Weniger Raum, schlechtere Platzierung und die Markierung als ›von einer Frau, über Frauen, für Frauen‹ innerhalb der Literaturkritik machen im Falle von Gabriele Reuter die Marginalisierung aus. Das sieht heute leider nicht besser aus (…) Einzig das Kinder- und Jugendbuchgenre erscheint als ausgeglichenes Genre; die als intellektuell oder ›maskulin‹ empfundenen Genres wie Sachbuch und Kriminalliteratur werden von Autoren wie Kritikern vereinnahmt.« Jede und jeder kann sich selbst einmal fragen, welche Autorinnen sie oder er in der Schule gelesen hat. Ich selbst komme auf eine einzige, Leonie Ossowski (Die große Flatter). Andere nennen Annette von Droste-Hülshoff (Die Judenbuche) oder kamen ohne Autorinnen durch ihre Schulzeit.

Diese Art der Benachteiligung begegnet uns nicht nur im Literaturbetrieb, sondern in der Kulturbranche insgesamt wie auch in der Politik, den Medien, im Sport, der Wirtschaft und sonst wo. Überall drängt sich die Frage auf: Was ist der Grund für das Ungleichgewicht in Bezug auf Bezahlung, Sichtbarkeit, Wertschätzung, Ruhm? Es gehe eben streng nach Leistung sagen keineswegs nur Witzbolde. Die vermeintlich leidende Qualität wird auch gerne als Argument für die Bevorzugung von Männern und gegen die Einführung von Frauenquoten vorgebracht. Mit solchen tut sich auch Nicole Seifert schwer, wie sie auf Nachfrage erläutert. »Diese Art Vorschrift führt nur zu weiterer Abwertung und ändert am Bewusstsein für die Qualitäten von Literatur, die nicht weiß und cis männlich ist, nicht unbedingt etwas.« Doch sie weiß auch, dass die Erfahrung zeigt, dass Quoten etwas bewirken können: »Der Deutsche Buchpreis etwa geht erst regelmäßig an Autorinnen, seit die Jury paritätisch besetzt ist, was nicht von Anfang an der Fall war.«

Der Vorwurf der minderen Qualität paart sich im Falle der Literatur oft mit Kitschverdacht, unter dem besonders Autorinnen zu stehen scheinen. Ein alter Hut, wie Nicole Seifert klarmacht, denn schon dem ersten jemals in Deutschland von einer Frau verfassten Roman, der Geschichte des Fräuleins von Sternheim (1771) von Sophie von La Roche machte man diesen Vorwurf. In jüngster Zeit traf es die Autorin Karen Köhler und ihren 2019 erschienenen Roman Miroloi, der teilweise kräftig verrissen wurde. Die Debatte, die das damals auslöste, fasst die Schriftstellerin Isabelle Lehn in einem Artikel unter dem Titel »Weibliches Schreiben in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur« zusammen und schlussfolgert: »Natürlich muss es möglich sein, auch ein Buch wie ›Miroloi‹ zu kritisieren. Allerdings ohne auf Stereotypen des ›weiblichen‹ Schreibens zurückzugreifen, des gefühligen, trivialen und naiven Schreibens, des poetisierenden oder gar ›pseudopoetisierenden‹ Schreibens, die immer wieder dazu genutzt werden, die Arbeit von Schriftstellerinnen zu entwerten.« (fischerverlage.de)

Das von Susan Sontag in Bezug auf die Beurteilung des Älterwerdens von Frauen und Männern geprägten Phänomen des doppelten Standards scheint es auch in der Literaturkritik zu geben. Die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt spricht vom »männlichen Verstärkungseffekt«, der dazu führe, dass Kunst von Männern höher bewertet werde, und zwar ideell wie monetär. Das mag auch mit den Themen der Bücher zusammenhängen, bei Karen Köhler etwa geht es um Feminismus und Frauenfeindlichkeit. Weibliche Sphären wie Kinder, Küche, Weiberkram stehen in der Literaturkritik nicht hoch im Kurs. So konstatierte die auch von Nicole Seifert zitierte Schriftstellerin Tanja Dückers einmal: »Endlose Abhandlungen über Potenz- und Prostataprobleme gelten jedes Jahr als nobelpreisverdächtig, wenn Autorinnen übers Kinderkriegen oder ihren Körper schreiben, wird dies schnell als ›Menstruationsprosa‹ abgetan.«

»Frauen lesen anders«, wusste bereits die 2020 gestorbene Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger. Sie schreibt in ihrem 1996 erschienenen gleichlautenden Buch: »Zwar lernen lesefreudige Frauen wie Minderheiten früh und schnell die Distanz zu überbrücken, die ihre eigene Lebenserfahrung von der des weißen, christlichen, männlichen Autors trennt; doch bleibt es immer ein Sprung, ein Energieaufwand, den Männer so nicht machen müssen.« Als Leserin möchte man diesen Sprung zwar nicht missen, die eigenen Belange aber dennoch nicht herabgewürdigt sehen. Männliche Helden werden bis heute in erster Linie als Menschen gelesen, während Frauen immer nur Frauen zu repräsentieren scheinen. Nina George, Koordinatorin des Projekts #frauenzählen, schreibt dazu: »Die Überrepräsentanz des männlichen Blicks auf die Welt ist kein unbekanntes Symptom. Die Ergebnisse decken sich mit denen anderer Studien zur Sichtbarkeit von Frauen in Medien. So vertiefen sich überkommene Bilder: Die Frau, das andere, das zweitklassige Geschlecht. Hier müssen wir in fortlaufenden Analysen untersuchen, welche Strukturen sich wiederum hinter diesem Ergebnis verbergen: Was haben zum Beispiel Veröffentlichungsraten, Verlagswahl, Themen oder sogar literarische Bilder von Frauen damit zu tun?«

Dabei können alle im Literaturbetrieb dazu beitragen, etwas zu verändern, gegenzusteuern. Überall gibt es kleine Stellschrauben, die sich drehen lassen. Kritikerinnen und Kritiker beispielsweise entscheiden oft selbst, wen und was sie rezensieren. Keine dumme Idee, sich selbst eine Quote aufzuerlegen. Dasselbe gilt für Leserinnen und Leser. Auch in Lehre und Forschung könnte man selbstverständlich Fontane jemanden wie Gabriele Reuter zur Seite stellen. Es gibt Möglichkeiten, doch um Strukturen zu knacken, braucht es strukturelle Veränderungen. Dabei geht es nicht nur um Frauen, sondern auch um Migrantinnen und Migranten, People of Color, Queere, Menschen mit Behinderung. Sie alle verdienten mehr Teilhabe und Sichtbarkeit. Frauen sind im Gegensatz zu diesen freilich keine Randgruppe, sondern die Hälfte der Menschheit. Sogenannte intersektionale Feministinnen indes bestehen darauf, die eine Diskriminierung nicht von der anderen zu trennen, weil sich diese überlappten und damit verschlimmerten.

Schon die 2016 von der Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Auftrag gegebene Studie »Frauen in Kultur und Medien« dokumentierte die Ungleichbehandlung von Frauen im Kulturbereich. Und Carlos Collado Seidel, ehemals Generalsekretär des PEN-Zentrums Deutschland, mahnte schon vor ein paar Jahren: »Autorinnen sind nicht nur im Rezensionsbetrieb unterrepräsentiert. Das betrifft auch Literaturpreise, Stipendien usw. Hier muss weiter nach den Ursachen geforscht werden. Gleichermaßen müssen sich aber auch die Verantwortlichen im Literaturbetrieb und in den Redaktionen in ihrem Selbstverständnis hinterfragen. Geschlechtergerechtigkeit ist eine Frage der Integrität unserer Gesellschaft«. Das Thema Preise ist dabei nicht zu unterschätzen, denn Preise haben Einfluss auf den Marktwert der Autorinnen und damit auf ihr Einkommen. Wer Preise gewinnt, wird gebucht, kann höhere Gagen verlangen, bekommt Interviews und Sendezeit und verkauft sich besser. Autorinnen haben diesbezüglich immer noch das Nachsehen, auch wenn sich schon etwas zu ändern scheint, wie etwa der Blick auf die Preisträgerinnen des Jahres 2020 zeigt: Helga Schubert (Ingeborg-Bachmann-Preis), Elke Erb (Georg-Büchner-Preis), Anne Weber (Deutscher Buchpreis), Louise Glück (Nobelpreis für Literatur). Trendwende oder nur Ausnahme von der Regel? Fest steht: Es ist etwas in Bewegung geraten.

Nicole Seifert: Frauen Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021, 224 S., 18 €.

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