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Grenzzaun an der griechisch-türkischen Grenze © picture alliance / NurPhoto | Nicolas Economou

Die globalisierte Grenze im 21. JahrhundertBefestigung – Exterritorialisierung – Smartifizierung

Dass wir in einer grenzenlosen Welt leben, glauben heute nur noch eingefleischte Jetsetter oder Superreiche, für die Grenzen in der Tat leichter als für andere zu überwinden sind. Die Schließung der Balkanroute, die Tausenden Ertrunkenen im Mittelmeer, der EU-Türkei-Deal, der über fünf Meter hohe Zaun, den Polen an seiner Grenze zu Belarus errichtet hat – das alles sind untrügliche Zeichen dafür, dass sich Grenzen verfestigen, sogar unpassierbar werden. Die Vorstellung, wir würden im Zuge der Globalisierung in einen durch wirtschaftliche Verflechtung und Welthandel angetriebenen Prozess der Entgrenzung, womöglich sogar des Obsoletwerdens von klassischen Grenzbefestigungen hineinkommen, hat sich als trügerisch erwiesen.

Allerdings ist die Grenze viel mehr als Barriere oder Raumtrenner, also ein physisches Objekt, das aufhält oder die Grenzpassage unmöglich machen soll: Sie ist Technologie, Recht, Bürokratie, Politik, weshalb wir auch oft von Grenzregimen sprechen, um deutlich zu machen, auf welche vielfältige Weise und durch welche Arrangements Migration und Mobilität gesteuert und reguliert werden. Wer die Grenze also nur als Tor, Schlagbaum oder Zugbrücke versteht, der übersieht, was die Grenze im 21. Jahrhundert ausmacht.

Will man die Grenze der Gegenwart besser verstehen, ist es sinnvoll, sich ihr über ihre Funktionen zu nähern und erst dann nach ihrer Form und den Instrumenten der Grenzziehung zu fragen. Unter den Bedingungen der Globalisierung haben viele Staaten ohne Zweifel ein Interesse an Öffnung. Sie wollen Investoren und Touristen anlocken, der eigenen Bevölkerung Freizügigkeitsangebote machen, sich international vernetzen, grenzüberschreitende Kooperationen ausbauen, Produkte importieren und exportieren.

Rigide Grenzkontrollen, harte Grenzen und ein hoher administrativer Aufwand bei der Grenzüberquerung bremsen den Austausch über Grenzen hinweg, machen ihn zeit- und kostenintensiv. Schon allein das Vorhandensein der Visumpflicht in einem Land reduziert die Direktinvestitionen aus dem Ausland und den grenzüberschreitenden Handel erheblich.

Zugleich gibt es staatlicherseits ein großes Interesse daran, sich nicht ungebremst und unreguliert der Zirkulation von Personen, Gütern und Kapital über Grenzen hinweg auszusetzen, wobei die politische Sensibilität im Hinblick auf die freie Bewegung von Personen am größten sein dürfte. Staaten haben also ein Interesse daran, Grenzüberschreitung zuzulassen, wie sie ein Interesse daran haben, Grenzen zu kontrollieren und bestimmte Transaktionen über Grenzen hinweg zu unterbinden.

Dieses Nebeneinander von Öffnungs- und Schließungsinteressen wird durch die Selektivität von Grenzen durchgesetzt. Grenzen sind schon immer »Sortiermaschinen« gewesen, die zwischen gewünschten und ungewünschten Formen der Mobilität unterscheiden sollen, aber im Zeitalter der Globalisierung wird diese Selektionsfunktion vertieft und immer weiter durchgesetzt.

Altbewährte und neue Operationsweisen

Das Janusgesicht der Globalisierung besteht darin, dass Öffnung und Schließung nicht nur gleichzeitig durchgesetzt werden, sondern aus staatlicher Perspektive immer wichtig werden. Wie die Konflikte um den Schengenraum eindrucksvoll belegen: Die Bereitschaft, Grenzen zu öffnen und Grenzkontrolle zu deinstitutionalisieren, steht und fällt damit, dass es im Gegenzug gelingt, die »unwillkommenen Mobilen« effektiv auszuschließen. Man kann es noch drastischer formulieren: Mit der Grenze als Sortiermaschine wird Mobilität möglich gemacht, aber zugleich Immobilität durchgesetzt.

Aber wie genau operiert die Grenze des 21. Jahrhundert? Einerseits beobachten wir seit den 90er Jahren, und nochmals forciert nach dem 11. September 2001, eine Renaissance der Mauergrenze, also der Grenze aus Beton, Stacheldraht und Sperranlagen, heute zudem aufgerüstet mit Kameratechnik und Sensoren, um Bewegungen genau registrieren zu können. Von diesen befestigten Grenzen gab es während des »Kalten Krieges« und der Blockkonfrontation, also der Zeit, die wir mit dem Eisernen Vorhang und den Mauertoten verbinden, weltweit weniger als 15, heute liegt ihre Zahl bei etwa 80.

Manche gehen auf eingefrorene Konflikte, politische Spannungen oder terroristische Bedrohungen zurück, besonders stark ist aber der Zusammenhang zwischen Wohlstandsgefällen und Grenzbefestigungen. Immer dort, wo die Wohlstandskluft zwischen benachbarten Staaten besonders groß ist, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine Mauergrenze finden, die irreguläre Migration verhindern soll. Da sich die Migrationsdistanzen aber vergrößern, findet man solche Grenzen, die oft von Transitländern errichtet werden, dann eben auch auf den bekannten Migrationsrouten, wie etwa zwischen Ungarn und Serbien oder Griechenland und der Türkei.

Die Mauergrenze ist eine altbekannte Grenzform, aber welche neuen Operationsweisen der Grenze lassen sich erkennen? Orientiert man sich an der Sortierfunktion und nicht am Grenzverlauf oder der Grenzlinie, dann sieht man, dass wir es vielerorts mit einer Vorverlagerung oder Exterritorialisierung von Kontrolle zu tun haben. Die Grenzkontrolle findet nunmehr nicht mehr am Eintrittsort in ein Territorium statt, sondern wird in Herkunfts- und Transitländer von Migrantinnen und Migranten verschoben, indem diese Länder, teils durch finanzielle Anreize, teils durch politischen Druck, in Kooperationszusammenhänge hineingebracht werden, die sie zum Teil eines umfassenderen Grenzregimes werden lassen. Sie übernehmen nunmehr Türsteherfunktion für andere und sorgen dafür, dass es für Menschen schwieriger wird, ihr Land zu verlassen oder dieses im Transit zu durchqueren.

In dem von der Europäischen Union angestoßenen Khartoum-Prozess, der eine Kooperationsbasis zwischen der EU und einer ganzen Reihe von afrikanischen Staaten darstellt, sind neben der Bekämpfung der Ursachen irregulärer Migration und der Unterbindung von Schleusung und Menschenhandel viele Maßnahmen vorgesehen, die dazu dienen, den Weg von Migrantinnen und Migranten beschwerlicher zu machen oder sie sogar ganz daran zu hindern, nach Europa aufzubrechen. Die Einbindung von Drittstaaten in das europäische Migrationsregime macht diese zu Gatekeepern weit vor dem Erreichen des europäischen Territoriums oder des Schengenraums.

Ähnlich grundlegend sind die Veränderungen in Richtung der smartifizierten Grenze. »Smart Borders« ist der Oberbegriff für die technologische Auf- und Ausrüstung traditioneller Grenzen einerseits, etwa durch Wärmebildsysteme, Drohnen und Radaranalgen, die zur Grenzraumüberwachung eingesetzt werden, andererseits auch für veränderte Formen von personenbezogener Grenzkontrolle durch biometrische Identifikation, algorithmische Risikoanalysen, automatisierte Kontrollschleusen und Big Data.

Während sich die alte Schlagbaumgrenze dadurch auszeichnete, dass die Grenzbeamtin oder der Grenzbeamte die Übereinstimmung von mitgeführtem Pass und Eintritt suchender Person prüfte, so ist die smarte Grenze informationstechnologisch und datenbankmäßig in der Lage, eine Person zu erkennen und mit vorab gespeicherten Daten in Verbindung zu bringen. An vielen Grenzkontrollorten sind einzelne Kontrollschritte an Maschinen delegiert worden, die Gesichter vermessen, die Iris scannen oder einen elektronischen Fingerabdruck nehmen, und diese Daten dann zum Informationsabgleich verwenden. Smart Borders werden als Antwort auf ein weiter steigendes Passagieraufkommen gesehen, weil es durch sie möglich wird, Kontrolle zu automatisieren und eine immer effizientere Risikoklassifizierung vorzunehmen.

Die Grenze der Zukunft wird damit zunehmend von vorab gespeicherten oder übermittelten Daten abhängen, die dann immer wieder mit dem biometrisch ausgelesenen Körper verbunden werden, um den Risikostatus einer Person zu etablieren. Schon heute gibt es sogenannte Trusted-Traveller-Programme, bei denen sich Personen mittels App registrieren und biometrisch ausmessen lassen können. Sie übermitteln dazu weitere personenbezogene Daten, etwa zum Finanzstatus oder zu den eigenen sozialen Netzwerken, aus denen dann Vertrauensscores berechnet werden. Im Gegenzug für diese Datenabgabe wird ein schneller, wenig kontrollaufwendiger Grenzübertritt oder ein unkompliziertes Einchecken in Aussicht gestellt.

Die Kundinnen und Kunden werden sogar mit einer eigenen Grenzübertrittsspur belohnt, vorbei an allen anderen, die zeitintensive Kontrollprozeduren über sich ergehen lassen müssen, was bei diesen neben neidvollen Blicken auch ein Interesse daran erzeugt, selbst zum Trusted Traveller zu werden. Inzwischen gibt es die ersten Smart Tunnel, durch die man als vorregistrierte Person einfach hindurch laufen kann, ohne dass man merkt, dass man eine Grenze passiert oder kontrolliert wird.

In der nicht allzu fernen Zukunft wird die Smart Border womöglich nicht viel anders funktionieren als eine gläserne Kaufhaustür, die sich öffnet, wenn man auf sie zuläuft und hinter einem wieder schließt, allerdings nur für die willkommenen Reisenden. Die bislang wichtigen mitgeführten Papierdokumente würden dann überflüssig, das biometrisch auslesbare Gesicht wäre unser Türöffner.

Die Grenze der Zukunft dürfe sich vor diesem Hintergrund mehr und mehr vom Grenzverlauf ablösen. Die Vorverlagerung von Grenzkontrolle oder die Zirkulation von Daten sind nunmehr selbst Bewegungsformen einer einstmals stationären Grenze. Man könnte sogar sagen, dass sich die Grenze globalisiert, um ihre Aufgabe als effiziente Sortiermaschine zu erfüllen. Auch wenn wir manchmal meinen, Grenzen öffneten sich oder verschwänden, gibt es zugleich neue und räumlich verstreute Kontroll- und Überwachungsformen, die eben nicht von der Aufhebung der Grenze künden, sondern von einer Vervielfältigung der Grenzorte und Grenzformen.

Für manche, die zu den privilegierten frequent flyers (Craig Calhoun) gehören, mögen Grenzen irrelevant werden oder ganz aus dem Horizont der Aufmerksamkeit verschwinden, für andere schließen sie sich aber umso fester, werden auch dort unüberwindbar, wo sich gar keine Mauer mehr sehen lässt.

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