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© Sebastian Gollnow/picture alliance/dpa

Erfahrungen mit der AfD im Landtag von Baden-Württemberg Beleidigend, diffamierend, offen rechtsextrem

»Das ist hier schlimmer als in der Nazi-Zeit!« Es dauerte 2016 keinen Monat im noch frisch gewählten Landtag von Baden-Württemberg bis die AfD den fortlaufenden Reigen an Tabubrüchen eröffnete. Der Satz des Abgeordneten Udo Stein ist exemplarisch für das, was seitdem üblich ist: Lächerlichmachen und Infragestellung des Parlaments, Verharmlosung des Nationalsozialismus, Inszenierung als Opfer. Anlass war eine Debatte um die antisemitischen Äußerungen des AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon. Dieser hatte in einem seiner Bücher den Völkermord an den Juden als »gewisse Schandtaten« verharmlost und Holocaust-Leugner mit chinesischen Dissidenten gleichgesetzt. Die parlamentarische Auseinandersetzung hierüber führte zur Entgleisung von Udo Stein. Gedeon sollte noch im Sommer 2016 vom damaligen Fraktionschef Jörg Meuthen aus der AfD-Fraktion ausgeschlossen werden. Im Streit darüber spaltete sich die Fraktion vorübergehend in AfD und ABW (Alternative für Baden-Württemberg). Steins Ausfall führte zu einem Ordnungsruf. Von Anfang an zielte die AfD darauf ab, zu beleidigen und zu diffamieren, um die Demokratie und ihre Institutionen zu beschädigen.

Ich bin so erzogen worden, dass auch ein politischer Kontrahent einen respektvollen Umgang verdient – auch für mich eine Lehre aus der deutschen Geschichte. Diesen Grundanspruch hat die AfD nicht: »Kanzlerdarstellerin«, »Kartellparteien«, »grüne Ökofantasten«, »magentafarbene Nominalliberale«. Mit solchen Rhetorikspielen sorgt der erste Fraktionsvorsitzende Jörg Meuthen regelmäßig für eine ausgelassene Stimmung in seinen Reihen. Noch weniger lustig war es, als er am 8. März 2017 verkündete: »Deutschland ist kein Rechtsstaat, sondern ein Staat, der rechtliche Grundlagen unterminiert. So schaut der Schurkenstaat aus.« Der AfD-Landtagsabgeordnete Rainer Podeswa ließ sich dazu hinreißen vom »totalen Steuerstaat« zu sprechen (3. Mai 2017). Hier wird wieder eine Diffamierung des deutschen Staates inklusive Anlehnung an NS-Sprache deutlich. Im Wettbewerb um den persönlichsten Angriff ist auch Stefan Räpple immer vorne mit dabei: »Volksverräter« (Landtag, 9. November 2016), »vollgefressene, kaputtgesoffene Politiker«, »Koksnasen der SPD, Antifa-Kiffer von den Grünen« (Facebook, 26. Juli 2018) und »So sind sie, die roten Terroristen« (Landtag, 12. Dezember 2018): damit waren die Jusos gemeint. Letzteres brachte ihm die zweifelhafte Ehre ein, zusammen mit Wolfgang Gedeon nach erfolgten Ordnungsrufen und der Weigerung, einem Saalverweis zu folgen, als erste Parlamentarier in der Geschichte des Landes von der Polizei aus dem Saal geführt zu werden. Erneute Körperbeherrschung wurde uns als SPD-Abgeordneten abverlangt, als 2017 die Nachricht von einem Facebook-Post von Meuthen durch die Reihen ging: »Die SPD hat sich längst zu einer Partei entwickelt, deren Verhalten immer mehr an eine Diktatur anstatt an eine Demokratie erinnert«. Im Parlament zur Rede gestellt, kam er an den Tisch unseres Fraktionsvorsitzenden Andreas Stoch und beteuerte, es sei »alles nur ein Versehen seiner Mitarbeiter« gewesen. Auch dies ist eine Strategie der AfD: Wenn es doch einmal als zu hart erscheint, geht man wieder einen Schritt zurück und Schuld sind im Zweifel die Mitarbeiter.

Apropos Mitarbeiter: Deren eindeutig rechtsextremer Hintergrund war am 24. Oktober 2018 Anlass einer Parlamentsdebatte. So zeichnet sich der Parlamentarische Berater für Wirtschaft und Petitionen durch eine Nähe zur Identitäten Bewegung und als Autor antisemitischer Schriften aus. Sein »Kollege Finanzen« arbeitete zuvor bei Björn Höcke. Ein Mitarbeiter der AfD-Fraktion in Wiesbaden war zuvor wegen Hasskommentaren gegen Muslime entlassen worden. Ein weiterer war früher Bundesführer der heute verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend«. Alles nur Ausrutscher? Im Januar 2019 wollte der jetzige Fraktionsvorsitzende Bernd Gögel den Ex-Chef der Republikaner, Rolf Schlierer, einstellen. Gögel gilt kurioserweise als »gemäßigt«, da er nicht dem Flügel angehört. »Gemäßigt« bedeutet bei ihm zum Beispiel: »Die Meinungsäußerung, ob jemand [die Protokolle von] Zion (...) für echt hält (...) ist doch seine eigene Einschätzung. Da können Sie doch hier nicht eine Antisemitismusdiskussion aufmachen.« (Landtag, 7. März 2018). Zur Erinnerung: Diese »Protokolle« gelten als eine der schlimmsten Ansammlungen antisemitischer Lügen des 20. Jahrhunderts und als Teil des Nährbodens, der zur Schoah geführt hat. Der gleiche Abgeordnete bezeichnete politische Stiftungen als »Geheimdienstbetriebe« (Landtag, 30. November 2016) oder Ministerpräsident Winfried Kretschmann als »gescheiterten Alt-Maoisten«, der mit »widerlichen Propagandamethoden« arbeite. Politisch fordert er u. a. die Abschaffung des Europäischen Parlaments, bezeichnet Journalisten als »infantile Jubelpresse« oder sagt mit Blick auf die Finanzierung der öffentlichen Medien: »Das deutsche Volk (...) soll seine Verknechtung auch noch selbst bezahlen« (Landtag, 30. November 2016). Wie gesagt, »gemäßigt«.

Spätestens bei den Anträgen und Gesetzesinitiativen der AfD hört dann aber auch der Sarkasmus auf. Sie belegen eine klare rechtsradikale Stoßrichtung. Beispiele: Im Finanzausschuss wurde 2017 ein Antrag vorgelegt, die Mittel für die KZ-Gedenkstätte im französischen Gurs komplett zu streichen (Drucksache 16/1304). Dorthin wurden 1940 die badischen Juden zunächst deportiert. Viele starben später in Auschwitz. Im Dezember 2019 sollte eine Haushaltsstelle von »Gedenkstätten nationalsozialistischen Unrechts« in »bedeutsame Stätten der deutschen Geschichte« umbenannt werden. Im Rahmen der aktuellen Gesetzesinitiative »Neunjähriges Gymnasium« soll ein Teil der mehr zur Verfügung gestellten Stunden für Geschichte verwandt werden. Dabei: »Anzustreben ist eine gleiche Gewichtung aller Zeitepochen.« Für die NS-Zeit und die Schoah also genauso viele Stunden wie für die Biedermeierzeit? Nivellierungsversuche auch hier. Zu einem Aufschrei in der Kulturszene sorgte die Kleine Anfrage der AfD-Abgeordneten Rainer Balzer und Klaus Dürr, die eine Auflistung deutscher und nicht-deutscher Künstler an Theatern verlangte. Der Reaktion des Personalrats des Staatstheaters Stuttgart, Klaus Schrankenmüller, ist nichts hinzuzufügen: »Solche Listen (...) gab es vor 80 Jahren schon einmal«. Und auch die »weiteren« Anträge sind vor allem frauenfeindlich, unsozial und rückwärtsgewandt und beinhalten die Streichung von Mitteln für Chancengleichheit, Arbeitslosenberatungszentren, Pro Familia, den Runden Tisch der Religionen, die LSBTTIQ-Arbeit, die Flüchtlingsarbeit etc.

Fazit: Wer für die Rechte von Homosexuellen und für die Förderung der Gleichstellung von Frauen ist und das Projekt Europa und Demokratie wünschenswert findet, dem rate ich sich nicht zurückzulehnen, sondern gegen die rechtsradikalen und rechtsextremen Kräfte in den deutschen Parlamenten aufzustehen. Vier Jahre AfD im Landtag von Baden-Württemberg: Es reicht!

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