Menü

Berufliche und akademische Bildung auf Augenhöhe

Die Studierendenzahlen sind in den letzten Jahren gestiegen und werden in Zukunft auf hohem Niveau bleiben. Wer deshalb von einem vermeintlichen Akademisierungswahn spricht, übersieht die strukturellen Gründe dafür und begeht möglicherweise folgenschwere Fehler, wenn das gemeinsame Potenzial von beruflicher und akademischer Bildung weiterhin getrennt voneinander betrachtet wird. Die hohe Zahl von Studierenden ist vielmehr das jüngste Ergebnis einer langfristigen Bildungsexpansion, die ihre politischen Wurzeln in früheren SPD-geführten Bundes- und Landesregierungen hat. Die Expansion der hochschulischen Bildung ist dabei nicht nur eine Frage der Chancengleichheit – die, was die Hochschule betrifft, trotz hoher Studierendenzahlen längst nicht erreicht ist –, sondern sie hat ihre Ursachen auch im Wandel der Arbeitswelt. Automatisierung und Digitalisierung schaffen neue Anforderungen an Berufsprofile. Es bleibt festzustellen, dass insbesondere die Fachhochschulen auf diesen Wandel mit ihrem anwendungsbezogenen Studium besonders gut reagiert haben. Nicht zuletzt können sie deswegen auch die stärksten Zuwächse an Studierenden verbuchen. Gleiches gilt für die hohe Nachfrage nach Angeboten des dualen Studiums, das die Vorteile von akademischen und berufsbildenden Elementen verbindet. Das bedeutet insgesamt, dass die hohe Zahl von Studierenden nicht die Beruflichkeit zugunsten einer Akademisierung verdrängt hat. Im Gegenteil haben sich viele Hochschulen geöffnet, indem sie ihre Verantwortung für die Ausbildung von Fachkräften übernommen haben.

Dies kann im Grundsatz aber nur dann auf Dauer zu einem guten Ergebnis führen, wenn wir die berufliche Bildung stärken und als gleichwertige Säule neben der akademischen Bildung erhalten. Dafür benötigt es Anstrengungen auf drei Feldern. Es ist erstens nötig, dass sich Wertschätzung und Anerkennung der beruflichen Bildung konkret für die Menschen auszahlen. Deswegen ist die Einführung einer Mindestausbildungsvergütung so wichtig, denn sie signalisiert von Anfang an, dass produktive Arbeit ihren Wert hat. Darüber hinaus braucht es transparente Karrierewege, die verdeutlichen, dass auch nach Abschluss einer Ausbildung beruflicher Aufstieg durch Weiterbildung möglich ist. Um diese Wege zu erleichtern, ist es wichtig, Instrumente wie das Meister-BAföG auszubauen, damit nicht finanzielle Erwägungen von der beruflichen Weiterbildung abhalten. Mittelfristig benötigen wir eine sichere Weiterbildungsfinanzierung als Anspruch in der Sozialversicherung. Mit dieser Arbeitsversicherung wird Arbeitslosigkeit durch vorbeugende Qualifizierung verhindert.

Zweitens gilt es, die Innovationsfähigkeit des Systems der beruflichen Bildung verlässlich zu stärken. Dabei ist die Zukunft des Prinzips der Beruflichkeit zentral. Es geht in der beruflichen Bildung darum, Fähigkeiten und Kompetenzen zu erwerben, die in direktem Zusammenhang mit der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in der Arbeitswelt stehen. Damit hat sie gegenüber der theoretischen akademischen Ausbildung den Vorteil, dass sie für die Auszubildenden konkret anwendbar ist und eine Perspektive auf Beschäftigung schafft. Gleichzeitig sichert die Dualität ein hohes Maß an Verlässlichkeit für die Wirtschaft, da die Fachkräfte ausgebildet werden, die real gebraucht werden. Unter den neuen Rahmenbedingungen der Digitalisierung wird jedoch auch theoretisches Wissen immer wichtiger. Um diese Innovationen aufzugreifen, ist daher der Lernort Berufsschule zu stärken. Veränderungen der Arbeitswelt sollen sich unmittelbar auch an den Berufsschulen niederschlagen. Darüber hinaus sind innovative Formate wie das duale oder triale Studium (duales Studium plus Meisterbrief) besser zu regeln. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass sich Hochschulen für die berufliche Bildung öffnen, damit die Vorteile von beruflicher und akademischer Bildung kombiniert werden können. Aber es benötigt auch mehr Klarheit und Rechtssicherheit darüber, was solche Formate leisten und welche Rechte und Ansprüche die Auszubildenden dabei haben. Deswegen ist das Berufsbildungsgesetz auch auf das duale Studium auszuweiten.

Drittens sind die Zugänge zur beruflichen Bildung durch eine echte Ausbildungsgarantie zu erleichtern. Die Ausbildungsmärkte sind regional verschieden. Regionale Passungsprobleme, also die mangelnde Übereinstimmung aus Angebot und Nachfrage vor Ort, sind durch regionale Lösungen zu klären. Die Ausbildungsgarantie erhöht die Anerkennung für die berufliche Bildung, weil sie Sicherheit für junge Menschen schafft, die einen Ausbildungsplatz in ihrer Region suchen. Sie schließt aber gleichzeitig auch ein, dass es mehr staatliches Engagement für die berufliche Bildung gibt. Dazu braucht es auch mehr überbetriebliche Ausbildungsstätten, die für eine berufliche Ausbildung qualifizieren. Sie müssen immer eine Perspektive auf die Aufnahme einer dualen Ausbildung eröffnen, die der Regelfall bleiben soll.

Die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung ist möglich. Dafür braucht es einerseits mehr Anstrengungen zur Stärkung der beruflichen Bildung und anderseits mehr Öffnung der akademischen Bildung für die berufliche Qualifizierung. Beides kann gelingen, wenn wir heute die richtigen Entscheidungen treffen, um unser Ausbildungssystem fit für die Zukunft zu machen.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben