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Berufsbild Influencer oder die entstellte Solidarität

Pamela Reif und Daniel Fuchs, erfolgreiche Influencer auf Instagram, haben mehr Follower als alle deutschen Parteien und Gewerkschaften zusammen Mitglieder. Ihre Zielgruppe ist die Alterskohorte zwischen 18 und 25 Jahren. Neben Instagram sind die beiden auch auf Facebook, Twitter, YouTube und neuerdings auf TikTok aktiv. Dieser Beitrag beschränkt sich aber auf ihren Instagram-Auftritt.

Ihr Geschäft ist Werbetätigkeit, die als solche nicht erscheint und durch ihr Nichterscheinen als besonders erfolgreich gilt. Anfänglich wohl tatsächlich als Amateure gestartet, sind die beiden mit der wachsenden Zahl ihrer jugendlichen Fans ins Radar der Medienagenturen geraten. Diese organisieren Reklamekampagnen für Zielgruppen, die mit der klassischen Werbung in Funk, Fernsehen und Zeitungen nicht mehr zu erreichen sind. Die Auftraggeber dieser Agenturen sind Großkonzerne.

Das Provisionsgeschäft funktioniert über den Link zur Outdoor-Jacke, die Dan so gut steht, und die dem Follower den gleichen coolen Auftritt verspricht. Kommt der Kauf zustande, hat der Influencer seinen Job erledigt und bekommt sein Geld. Sein Geschäft ist zudem diversifiziert. Die von Otto versandte eigene Kleidermarke, der Werbespot für Puma und Porsche, die vegane Pam-Box, der Kochbuch-Bestseller, demnächst die Eigenmarke eines Müsliriegels ergänzen das Provisionsgeschäft. Die Workout-Videos von Pam sind zeitlich so gestreckt, dass Warner Brothers möglichst viele ihrer Hits anspielen können.

Nun kann sich die statistische Mehrheit der Zielgruppe keinen Porsche leisten. Dan steht für ein Lebensgefühl, das auf den Sportwagen hinauslaufen soll. Der Porsche dient als vorgehaltene Karotte, zu erhaschen sind die zu ihm passenden Brillen, Stiefel, Jacken, Hosen, Uhren und Urlaubstrips. Die für Nachhaltigkeit zuständige Pam hat neben veganen Lebensmitteln auch noch Kleidung aus recycelten Materialien im Angebot.

Obwohl sie für die Waren milliardenschwerer Konzerne werben, sieht der Auftritt der Influencer nach Heimarbeit und Küchenstudio aus. Pam und Dan geben vor, alles selbst zu machen; nur der Bruder oder der befreundete Fotograf gingen ein bisschen zur Hand. Ein Smartphone, ein Laptop, und schon könne es losgehen, suggerieren sie. Sie treten wie Amateure auf, darin liegt ihre Professionalität. Der Wechsel vom Follower zum Influencer sei jederzeit möglich, gaukelt der Influencer vor. Das Interesse, das die Nutzer an Instagram haben, lebt von dieser Täuschung. Sie ähnelt dem Andy Warhol-Versprechen, wonach jeder in seinem Leben einmal für 15 Minuten berühmt sein kann.

Die den Followern vermittelte Biografie der Influencer löst Identifikation aus. Pam und Dan haben in der Sprache der Jungen ihr eigenes Ding gemacht. In Dans Fall wäre auf das Maschinenbaustudium die Anstellung bei einer Firma Dürr oder Trumpf gefolgt, bei Pam die wenig aufregende Verkaufstätigkeit in der elterlichen Karlsruher Boutique. Ihre Fans fühlen Identität mit den Stars, weil es denen gelungen ist, einem Lebenslauf auszuweichen, dem auch sie gerne ausweichen würden. In ihren Praktika, der Ausbildung und den Gesprächen ihrer Eltern erlebt die nächste Angestelltengeneration – gegenwärtig noch in verlängerter Adoleszenz – was auf sie zukommen wird. Eine vergleichsweise permissive Lebensphase wird zu Ende gehen.

Im Subtext der Botschaften eines erfolgreichen Influencers schwingt ein Gleichheitsversprechen mit: Ich bin wie Du, ich kenne Deine Träume und nehme sie ernst; ich interessiere mich für Dich und das, was Du tust; denn Du und ich, wir gehören zur gleichen Gruppe und haben gleiche Interessen. Das im Unbewussten des Followers gespeicherte Bild eines Influencers suggeriert Gleichheit und wechselseitige Anerkennung. Damit zehren die Accounts der Influencer, ihren Kontoinhabern unbewusst, von dem Gedanken der Solidarität. Sie partizipieren an der Idee einer Gesellschaft, in der die Beziehung der Gesellschaftsmitglieder nicht über Geld vermittelt wäre. Dieser Fantasiestoff ist in das Beziehungsgewebe zwischen Follower und Influencer eingesponnen.

Das Verhältnis von Star und Fan hat Günther Anders in Die Antiquiertheit des Menschen so beschrieben: »Jeder Johnny will küssen wie Clarke Gable«, und daraus gefolgert: »Damit wird die Wirklichkeit zum Abbild ihrer Abbilder.« Das Verhältnis von Influencer und Follower ist diesem, auf den Kopf gestellten Abbildrealismus nachgebildet. Die von Pam begeisterten jungen Frauen wollen deren makellose Figur haben, die von Dan begeisterten jungen Männer seine kräftigen, tätowierten Oberarme und seinen Waschbrettbauch. Dass junge Frauen ein bis vor kurzem noch als Unterwäsche geltendes Kleidungsstück in der Öffentlichkeit eines Fitnesscenters tragen, geht auf solche Vorbilder zurück. Pam tritt in der Öffentlichkeit des Internets mit dem beworbenen Bustier eines Sportartikelherstellers auf. Sie verschiebt Schamschwellen bei den Rezipientinnen ihres Outfits.

Wenn Pam per Smartphone ihren Auftritt kontrolliert, ein digitaler Spiegel-im-Spiegel-Effekt, wäre einer Fallstudie über Narzissmus reichlich Anschauungsmaterial geboten. Das Smartphone gleicht dem Spiegel im Märchen, der die Frage nach der Schönsten im Land beantworten soll. Pam weist mit ihrer knappen Bekleidung und ihrer kindlichen Stimmlage Züge einer Lolita auf. Fast die Hälfte ihrer Fans sind männliche Verehrer. »Die kommerzielle Befriedigung von Schaulust« haben Oskar Negt und Alexander Kluge in Öffentlichkeit und Erfahrung einmal einen »Prostitutionsersatz« genannt.

Das Posing von Pam und Dan übt einen tyrannischen Effekt auf die Körper junger Männer und Frauen aus. Es vermittelt, so müsse ein Körper sein, und wenn er vom Ideal abweiche, weiche er wie ein Fehler ab, und es fehle am Willen, ihn fehlerfrei zu machen. Weil Natur kein unveränderbares An sich besitzen soll, gilt sie als völlig formbar. In den von Pam veröffentlichten an sie gerichteten Fragen kommt mitunter Verzweiflung zum Ausdruck: »Wie werde ich bloß meinen Muffin-Top los«, fragt da beispielsweise eine junge Frau (Das Wort steht für die aus der Form geratene Figur, bei der das Bauchfett über die Hose quillt, wie der Muffinteig über die Backform). Pam ist Ratgeber in solchen Nöten und verschärft sie zugleich. Sie rät zu ihren gymnastischen Übungen und zu ihrem, kalorienarme Gerichte bietenden Bestseller. Sie setzt mit ihrem Körper eine ästhetische Norm, und dieser Norm nicht genügen zu können, setzt ihre weibliche Fangemeinde unter Druck. Von diesem Druck wiederrum lebt Pams Geschäftsmodell.

Die Vorbilder ahmen auch ihre Gefolgsleute nach, benutzen vor allem deren Sprache. Pam spricht neuerdings meist englisch, seit sich ihre Fangemeinde internationalisiert hat. Bei Dan fallen alle Codewörter der Jugendszene, alles ist cool, geil, krass, oder fett. Manchmal erlaubt er sich eine kleine Zote. Dann spricht er von seinem Porsche, den er »hakt« und fügt hinzu »die Jungs wissen, was ich meine«. Solche Sprüche sind eher pflichtgemäße Verbeugung vor der jugendlichen Kundschaft als Ausdruck von Dans Sprachniveau. Er beherrscht beide Codes, den der Jungen und den elaborierten. Wird er von einem Werbefachblatt interviewt, spricht er das Idiom der Marketingleute. Er will »inspirieren«, für die »Brand Awareness« sorgen, den beworbenen Marken »Authentizität« geben und für seine eigene »Visibility« sorgen.

Auch Pam agiert auf beiden Sprachebenen. Spricht sie zu ihren Fans in ihrer Lolita-Rolle, nutzt sie zudem die höhere Stimmlage. Im auf YouTube eingestellten Forbes-Interview, vor Leuten, denen sie ihre Dienste anbietet, redet sie in tieferer Stimmlage. Sie spricht über »my age group« in einem perfekten Englisch und verkauft sich und ihren Verkaufskanal als soziales Medium für die Weltmärkte. »You don’t see borders on social media.«

Die Sprache der beiden Influencer wäre für einen Hermeneutiker wie Ulrich Oevermann eine Fundgrube der Absurdität. Was antwortet man auf Dans Frage am Wochenbeginn »Was geht ab?« Erwartet Dan eine Antwort? Ist er beleidigt, wenn er keine bekommt? Wie sein Wochenende war, mit dem Porsche bei 280 km/h auf dem Nürburgring, hat man im Video gesehen. Pam postet: »I want to interact and talk with you personally.« Ein Gespräch hat Rede und Gegenrede zur Bedingung. Instagram schließt die Möglichkeit einer solchen Interaktion nicht aus. Pam und Dan bekommen jede Menge Fanpost. Eine E-Mail ist rasch geschrieben, aber Tausende zu beantworten, ist nicht möglich. Interaktion wird daher simuliert. Pam fragt beispielsweise, ob sie das chocolate granulate kalorienreduziert oder in der schmackhafteren Vollmilchschokoladenversion backen soll. Die Kommunikation schrumpft auf einen Like zusammen. Der hochgereckte Daumen ist das gängige, vom Follower genutzte semiotische Zeichen.

Das an den Follower gerichtete Wort des Influencers, »erzeugt den Schein einer personalisierten Sozialbeziehung, (…) reproduziert somit die Strukturlogik von Entfremdung und Verblendung«, schrieb Oevermann einmal über die alten sozialen Medien. Er sprach in der Adorno-Konferenz 1983 von einer »fernseh- und rundfunkspezifischen Beziehungsfalle«. Instagram erweitert die Spezifik dieser Beziehungsfalle.

Rückmeldungen ihrer Rezipienten, sogenannte Feeds, erhalten die Influencer auch in Form zugesandter Videos. Pam stellt die für sie brauchbaren in ihr Netz. Als brauchbar gilt, was als lustig oder als exotisch erscheint. Beleibte Männer, die in engen Gymnastikhosen ihren Sexy Dance nachmachen, oder eine Frau aus Singapur, die den Tuesday Workout absolviert, erfüllen dieses Kriterium. Damit solche Videos nicht zu viel Werbezeit beanspruchen, werden sie meist im Schnelldurchlauf präsentiert. Die Follower wirken verulkt, die Szenen erinnern an Charlie Chaplins Modern Times.

Bei den Influencern auf Instagram hat sich eine semiotische Hierarchie etabliert, die die Schrift dem Gesprochenen und dem Visualisierten nachordnet. Die wertvollste Mitteilungsweise ist das Video, dann kommt das Audio (der Podcast), dann das Geschriebene. Das Geschriebene verlinkt in der Regel auf eine Shoppingseite. Sogenannte Emojis ersetzen Gefühlsregungen wiedergebende Aussagesätze. Die Audiodatei macht sich zunutze, dass man online sein kann und noch anderweitig beschäftigt.

Der Vorrang, dem sie dem Bild vor der Schrift einräumen müssen, ist den Influencern bewusst. Damit sie im Geschäft bleiben »geht viel Zeit drauf, Instagram-Bilder und -stories zu produzieren, damit meine Fans immer etwas zu gucken haben«, so Pam in einem ihrer zahlreichen Interviews (Neon). Sie glaubt nicht an die Kraft des Buchstabens, sondern an die des sogenannten Video-Contents und des Podcasts. Sie nutzt die Rezeptivität der menschlichen Sinne Sehen und Hören. Ihre beiden Werbekanäle und die beiden Sinnesorgane sind als kommunizierende Röhren angeordnet.

Beim regelmäßigen Aufsuchen von Instagram-Konten wie die von Pam oder Dan stellt sich rasch Langeweile ein. Der Content aller Videos ermüdet, die ewige Wiederholung des immer Gleichen von Swimmingpool, Fitnesscenter, Sportwagen-Tuning, Sonnenuntergang am Strand und Backvorbereitung in der Musterküche. Das Kaufen, Konsumieren, den Körper Modellieren, das Lebensmodell der Role Models Pam und Dan, kennt nur rezeptive Vergnügungen. Sie haben nicht wirklich etwas zu tun, und dieses Nichtstun am Strand von Bali oder an den Geysiren Islands spielen sie ihren Followern als den Inhalt eines sinnvollen Lebens vor. Auf ihren Instagram-Konten ist ein Nichts verbucht, eine bleibende Leere.

Nun wird es einer auf Öffentlichkeit verwiesenen, an Aufklärungsprozessen interessierten Publizistik nicht genügen, die Welt im Format von Instagram zu beschreiben oder im Entlarvungsgestus zu kritisieren. Nicht dass junge Frauen das Schminken lernen, steht zur Kritik, auch nicht das Bedürfnis nach Entspannung am Feierabend. Dass dies alles sein soll, daran wäre anzusetzen. Der vor dem Feierabend liegende Arbeitstag wird von den Influencern ja ausgeblendet. Zugleich biegen sie, wie beschrieben, den Solidaritätsgedanken zum Geschäftsmodell um. Dies setzt die Existenz dieses Gedankens voraus. Die entstellte Solidarität lässt sich zur richtigen wieder zurechtbiegen. Dies kann gelingen, wenn die einschlägigen Internet-Plattformen mit klugen Texten, Videos und Audios gefüttert werden. Die Versinnlichung von Texten muss mit ihrer Versimpelung nicht einhergehen.

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