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picture alliance / Sascha Steinach/dpa-Zentralbild/dpa | Sascha Steinach

Bücher über Geschwafel, Streit und demokratieförderndes Debattieren Besser nur mit halbem Ohr?

Sich über Absonderlichkeiten des öffentlichen Sprachgebrauchs zu mokieren lohnt sich. Schließlich gibt er Aufschluss über gesellschaftlichen Wandel – zum Guten und zum Schlechten. Manchmal vielleicht so’n bisschen. Dass Relativierungsformeln wie diese den öffentlichen Sprachgebrauch durchziehen, kann nerven. Aber auch neugierig machen – auf mögliche gesellschaftliche Hintergründe.

Wer sprachsensibel ist und stolz darauf, findet beim Radiohören täglich Anlässe, sich gepflegt zu echauffieren. Gefeit vor? Nein, nein, gegen! Win-win-Situation für beide Seiten? Ja bitteschön, für wen denn sonst? Unfreiwillige Komik inklusive: etwa neulich im Deutschlandfunk, als ein Studiogast den Halbsatz »weil der Tod vielleicht so’n bisschen das Ende ist« formulierte. Schütteln Sie in solchen Momenten auch genervt den Kopf – statt, wie neuerdings üblich, mit dem Kopf?

»Laber-Podcasts« – Fundgrube für die im heutigen Deutsch gras­sierenden Unsitten.

Da die Linguistik sich mit Wertungen traditionell zurückhält, ist Sprachkritik meist ein Zeitvertreib von gebildeten Fachfremden, die sich dann, hoch geschätzt von einem orientierungsbedürftigen Publikum, ebenso laienhaft wie eloquent ereifern – wie jüngst Wolfgang Kemp mit seinem Buch Irgendwie so total spannend. Offenkundig vom Radiohören arg gepeinigt, arbeitet der emeritierte Kunsthistoriker sich hier an einer speziellen Variante eines boomenden, vorrangig auf Edutainment setzenden Sendeformats ab. »Laber-Podcasts«, sie gelten ihm wegen ihrer Nähe zur ungezwungenen, lockeren Alltagssprache, der von Spontaneität geprägten Gespräche, als Fundgrube für die im heutigen Deutsch gras­sierenden Unsitten.

Entdeckt hat Kemp ein bemerkenswertes »Syndrom«: ein Nebeneinander zweier extrem unterschiedlicher Redeweisen, die widersprüchlich scheinen, sich aber in Wahrheit aufs Unschönste ergänzen. Einerseits walte das »Umgehungsdeutsch«, eine »Irgendwie-weiß-auch-nicht-Sprache«, die mit abschwächenden, vagen Füllwörtern à la »irgendwie«, »quasi«, »ein bisschen«, »sozusagen« jedwede Aussage verwässere. Andererseits signalisiere das »Ultradeutsch« mit bekräftigenden, zuspitzenden Steigerungsadverbien wie »absolut«, »definitiv«, »total« Entschiedenheit, gebe aber durch die Kombination mit austauschbaren Adjektiven wie »wichtig« oder »spannend« letztlich entweder bedeutungslose Wertungen ab oder verteile verbale Streicheleinheiten, wie »Ich bin da ganz bei dir« oder »Da hast du so was von recht«. Was bleibt unterm Strich? Emotionalisierung statt Erkenntnis und Information? Das wäre zu kurz gegriffen.

»Sprache beeinflusst nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern ist vor allem Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse.«

Schließlich beeinflusst Sprache nicht nur unsere Wahrnehmung (Stichwort »Sondervermögen«), sondern ist vor allem Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse – und deshalb 1-a-Material für zeitdiagnostische Spekulationen. Doch woher kommt die Vorliebe für »Umgehungsdeutsch« respektive »Ultradeutsch«, diese Scheu vor klaren Statements, gepaart mit forcierter Freundlichkeit? Hat uns der digitale Like-Button das mühsame begründungspflichtige Bewerten zugunsten eines sekundenschnell verbreitbaren Geschmacksurteils abgewöhnt? Fördert die Angst vor dem Shitstorm, dem oft anonymen Plunder, die Neigung, Aussagen rundzuschleifen? Formulieren wir, geprägt von paartherapeutischer Ratgeber-Lektüre, auch dann lieber deeskalierende Ich-Botschaften wenn klare Statements angebracht wären? Mit »Ich finde das irgendwie problematisch« lässt sich das eigene Meinungsrevier so defensiv markieren, dass ein scharfer Konter höchstwahrscheinlich ausbleibt.

Demokratie braucht Streit

Von Svenja Flaßpöhler lässt sich lernen, dass unsere deliberative Demokratie den Meinungskampf braucht. Ebenso wie den sachlichen, konsensorientierten, am habermasschen Ideal orientierten Diskurs. In ihrem Essay Streiten plädiert die Philosophin leidenschaftlich dafür, sich trotz Anfeindungen, den »Abgrund der Vernichtung« vor Augen, pointiert in Debatten einzumischen, sich angriffslustig dem Aufeinanderprallen der »Seinsweisen, gar Weltbilder« zu stellen.

Warum? Zum einen, weil missliebige Ansichten sonst ins Hintertreffen gerieten; zum anderen, weil sich die zerstörerische Kraft von Aggressionen umso heftiger entlade, »wenn die Grenzen des Sagbaren eng gezogen« sind, wenn Widerspruch vorschnell unterdrückt wird. Letzteres Argument besitzt alltagsnahe Evidenz: Wenn Riesenschilder vor Autobahn-Baustellen mit »Danke für Ihr Verständnis« auf den Stau einstimmen, kann die mit moralischem Druck verbundene Unterstellung schon mal das Missbehagen verstärken.

Auch die Juristin Frauke Rostalski, Mitglied im Deutschen Ethikrat, schätzt Demokratie per se als »Zumutung« ein: Gefordert seien Resilienz und Robustheit. Sie begrüßt es zwar, dass »wir als Gesellschaft sensibler geworden sind« und es ernst nehmen, dass »jeder Mensch« verletzlich ist. Doch die Coronapandemie habe die Inanspruchnahme sowie Zuschreibung von Verletzlichkeit kontraproduktiv ausgeweitet. Eine Hauptthese ihres Buchs Die vulnerable Gesellschaft lautet: Eine »neue Empfindlichkeit« bedroht das »Herzstück« der Demokratie, den »freien Austausch von Ideen und Meinungen« – durch überzogene Ausgrenzung von Personen und Standpunkten im Namen des Schutzes marginalisierter Gruppen vor Hassrede, Mikroaggressionen und Beleidigungen.

Don’t look lost and vulnerable?

Schwach sich am besten nur dort zu zeigen, wo man geliebt wird? Rostalskis Argumentation erschöpft sich keineswegs in dem Appell, sich gelegentlich ein dickeres Fell überzustreifen. Vielmehr will sie uns für die Kehrseite einer zunehmenden Verrechtlichung zwischenmenschlicher Lebensbereiche sensibilisieren und fragt beispielsweise provokant, ob Betroffene nur Vorteile davon hätten, wenn Catcalling strafbar würde. Wären Frauen dann wirklich sorgloser in der Öffentlichkeit unterwegs? Paradoxerweise fühlen wir Menschen uns nämlich oft umso gefährdeter, je abgesicherter wir sind. Weil eine immanente »Steigerungslogik« den Blick für weitere, ähnlich gelagerte Risiken schärft. Übertragen auf die Debattenkultur: Wer sich immer seltener einem Streit aussetzt, reagiert womöglich immer empfindlicher.

Wenn die Zeitschrift Cosmopolitan die »Power of Verletzlichkeit« preist, weil es »enorme Kraft« entfalte, sich bei »den richtigen Menschen« vulnerabel zu zeigen, mag das noch als harmlos-trendiger Lebenshilfe-Tipp durchgehen. Wenn aber privilegierte Weiße in den USA Bücher zum Thema Sklaverei aus Schulbibliotheken zu verbannen trachten, um ihre Kinder vor Schuldgefühlen zu bewahren, erweist sich der Rekurs auf Verletzbarkeit als rhetorische Immunisierungsstrategie im Kampf um Hegemonie.

Wer das ›Du-Ohr‹ aktiviert, öffnet sich dem Fremden, Verschiedenen und ist bereit, sich verunsichern zu lassen.

Wenn Diskussionen in grimmige Performances von Durchsetzungsstärke ausarten, dann könnte das durchaus an mangelnder Zuhörbereitschaft liegen, einer verbreiteten Unsitte. Wer nur auf die nächstbeste Gelegenheit lauert, dem Gegenüber das Wort zu entreißen, praktiziert, was Bernhard Pörksen »Sprungbrett-Zuhören« nennt. In Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen unterscheidet der Medienwissenschaftler zwischen zwei Extremen. Wer mit dem »Ich-Ohr« zuhört, tue das mit egozentrischer Aufmerksamkeit, filtere das Wahrgenommene durch den Abgleich mit eigenen Überzeugungen und Interessen, sperre das Gegenüber in eine »Klischee-Schublade« und bleibe gefangen in einem »Kokon« aus Vorurteilen und bequemen Illusionen. Wer hingegen das »Du-Ohr« aktiviert, öffne sich dem Fremden, Verschiedenen, verabschiede sich vom Sofort-Bescheidwissen und der »Schnell-schnell-Etikettierung«. Und sei bereit, sich verunsichern zu lassen – zumindest innerhalb gewisser Grenzen: Denn das, was wir erlebt und erfahren haben, erzeugt ein spezifisches Sensorium, macht uns entweder empfänglicher, hellhörig für bestimmte Dinge oder taub für manche Zwischentöne und Missklänge.

Instrumentalisierung des Zuhörens

Das Zuhören mit dem »Du-Ohr« definiert Pörksen als »gelebte Demokratie im Kleinen«. Im Kleinen deshalb, weil es keine Praxis für die politische Bühne sei, wo es um Macht und Einfluss geht, wo Abgrenzung nottut. Wenn Politiker:innen beteuern, die »Sorgen der Menschen« ernst zu nehmen, entspreche dies lediglich einem beschwichtigenden, instrumentellen »Fassaden-Zuhören«. Ebenso scharf lehnt Pörksen die »endlose Folge therapeutisch-pastoraler Zuhörappelle« im Namen von gesellschaftlichem Zusammenhalt ab: als »Verkitschung« des Zuhörens.

Ungeeignet scheint die Du-Ohr-Aufmerksamkeit auch für die Rezeption von »Laber-Podcasts«, die erfahrungsgemäß die beiläufige Verfertigung unausgegorener Gedanken beim Plaudern praktizieren. Das Phänomen »Laber-Podcasts« ist aber schillernder, als Wolfgang Kemp uns weismachen will. Insbesondere die Ausführungen Flaßpöhlers und Rostalskis lassen zahlreiche Vorzüge dieses Sendeformats erahnen. Zum einen dürfte sich in der kuschelig-herzlichen Gesprächsatmosphäre das gewachsene Bewusstsein für die Vulnerabilität des Gegenübers niederschlagen, auch das Bemühen, angesichts verrohter, von Triggerpunkten stimulierter Debatten, ein Best-Practice-Beispiel abzuliefern.

Zum anderen wird das Relativieren unterschätzt, taugt es doch als Präzisierungstool. Pauschale Aussagen sind anfälliger für eine Widerlegung durch Faktenchecks, denn Ausnahmen, Besonderheiten und Spezialfälle tummeln sich allerorten. Die Formel »vielleicht ein bisschen« mag zum Reflex geworden sein, aber die Haltung dahinter, huldigt sie nicht der Einsicht in die Begrenztheit der eigenen Perspektive, in den mangelnden Durchblick angesichts vertrackter Problemlagen, und einer schier rebellischen Skepsis gegenüber allem, was als unbestreitbare Wahrheit oder TINA-Politik gilt?

Schwammigkeit wirkt einfach sympathischer als apodiktisches Beharren auf Irrtumslosigkeit, Bescheidenheit gewinnender als Selbstgewissheit – jedenfalls manchmal vielleicht ein bisschen. Wer nun trotzdem nach wie vor beim Radiohören zu meckern beginnt, wenn jemand etwas »irgendwie total inspirierend« findet, könnte ultimative Gelassenheit mit einer Einsicht Eckhard Henscheids gewinnen, der 1992 in einem Vorwort dem verbalen »Neo- und Zeitlosquatsch« etwas »konstitutionell Hirnzerbröselndes« bescheinigte und gleichwohl zugestand: »Dummdeutsch hat mitunter auch was Schönes.«

Wolfgang Kemp: Irgendwie so total spannend. Unser schöner neuer Sprachgebrauch. zu Klampen, Springe 2025, 144 S., 18 €.

Svenja Flaßpöhler: Streiten. Hanser Berlin, Berlin 2024, 128 S., 20 €.

Frauke Rostalski: Die vulnerable Gesellschaft. Die neue Verletzlichkeit als Herausforderung der Freiheit. C. H. Beck, München 2024, 189 S., 16 €.

Bernhard Pörksen: Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen. Hanser, München 2025, 336 S., 24 €.

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