Nein, weil sie es mit ihrer Art Aktionen nicht versteht, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen – und weil Politik und Gesellschaft nicht in ausreichendem Maße willens sind, die notwendigen Schritte zu gehen.
Zuletzt waren sie allemal zu weit gegangen. Klimaschutz-Aktivist/innen der Letzten Generation hatten Anfang März die Glasskulptur »Grundgesetz 49« vor dem Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages in Berlin beschmiert, »in Erdöl getränkt«, wie sie es selbst formulierten. Die Empörung war groß. Steht damit jetzt allmählich nicht nur das Klima selbst, sondern auch die Letzte Generation vor einem »Kipppunkt«?
Protestforscher wie Dieter Rucht sehen bei Teilen der Klimabewegung mittlerweile »ein Fenster offen in Richtung Radikalisierung«. Er rät den Aktivistinnen und Aktivisten daher, »behutsam« vorzugehen, um nicht auch noch die letzten Befürworter zu vergraulen. Fatal wäre es, so selbst der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, wenn die Aktionen am Ende »den reaktionären Kräften in die Hand [spielten], die eben gerade keinen Klimaschutz wollen«.
Falsche Symbolik
Auch wenn die Verunreinigung an den Grundgesetz-Tafeln keinen dauerhaften Schaden anrichtete, so war doch Kopfschütteln wieder mal die vorherrschende Reaktion nach einer Aktion. »Das ist falsche Symbolik. Hier wird dem Klimaprotest ein Bärendienst erwiesen«, sagte Christoph Heinrich, geschäftsführender Vorstand von WWF Deutschland. In der Rechtsgeschichte kennt man zwar durchaus die Bestrafung »in effigie«, wobei zum Beispiel eine Puppe anstelle des Täters, dessen man nicht habhaft werden kann, symbolisch zur Rechenschaft gezogen wird. Mit der »letzten Ölung« des Grundgesetzes sollte aber ja eigentlich auf die notwendige Respektierung desselben hingewiesen werden, sagen die Aktivist/innen. Das freilich ist ziemlich verquer gedacht.
Man sollte auch keinen Baum absägen, wenn man für den Erhalt der Natur ist – selbst wenn es sich bei der Aktion im Februar nur um einen »kleinen Baum« vor dem Kanzleramt handelte. Die sogenannten »Klima-Kleber« sollten doch vielleicht besser bei ihrer Kernkompetenz bleiben: dem Festkleben auf Straßen und der Blockade des Berufsverkehrs. Ärgert viele, das Motiv versteht man aber wenigstens, auch wenn viele die Nötigung nicht mit sich machen lassen wollen.
Jedenfalls muss die Letzte Generation dringend an ihrer Performance arbeiten. Ihre Aktionen kommen in der Allgemeinheit mehrheitlich nicht gut an, in einer Civey-Umfrage vom November sagten 86 Prozent der Befragten, diese schadeten dem Anliegen des Klimaschutzes. »It doesn't matter if they hate us«, sagte vor einiger Zeit eine Aktivistin der Gruppierung in einem Youtube-Interview nach einer Aktion in der Hamburger Elbphilharmonie. Aber in einer Demokratie muss man für Veränderungen nun mal größere Bevölkerungsgruppen überzeugen. Das gelingt der Letzten Generation nicht. Und sollte sie es auch gar nicht wollen, stellen sich zusätzliche grundlegende Fragen.
Die Aktivist/innen verbuchten zwar Vereinbarungen mit den Stadtoberen von Hannover, Tübingen und Marburg als Punktsiege, die ihre Forderungen unterstützen wollen, wenn die Aktionen beendet werden. In Hamburg und Köln aber wurden Drohungen und Ultimaten zurückgewiesen, es war von »Nötigung« und »Demokratieverachtung« die Rede, denen man keinesfalls nachgeben werde. Die »Erfolgsserie« kann also bald schon wieder ein Ende haben.
Ärgerlich ist vor allem, dass im Hin- und Herwabern zwischen Empörung, Unverständnis und Belächeln die berechtigten Forderungen zum Schutz des Klimas fast untergehen. Und diese Forderungen sind im Verhältnis zu den gigantischen klimapolitischen Herausforderungen und der öffentlichen Aufregung doch eher harmlos: ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern, ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket sowie die Einberufung eines Gesellschaftsrates. »Wir sind mitten im Klimanotfall und brauchen einen umfassenden Wandel!« heißt es allzu brav auf der Website der Letzten Generation.
Das Dilemma
So steckt die Gruppierung längst in einer Zwickmühle: Ihre Forderungen sind eher noch zurückhaltend, ihre Aktionen sind im Verhältnis dazu schon jetzt in Teilen zu radikal und verschrecken damit auch Wohlgesonnene. Und schließlich: Sogar die maßvollen Forderungen sind weit entfernt von einer Realisierung. Beispiel Tempolimit auf Autobahnen. Hier wäre es tatsächlich mal angebracht, dass die FDP, die das Verkehrsressort in der Ampelregierung besetzt, endlich umschwenkt. Aber die »Freie Fahrt für freie Bürger«-Partei denkt nicht daran, sich dem europäischen Zug anzuschließen. Deutschland ist mittlerweile das einzige Land in der EU, in dem es kein generelles Tempolimit gibt.
Gerade bei diesem Thema wird deutlich, wie man mit einem relativ geringen Aufwand etwas erreichen könnte. Neue Berechnungen des Umweltbundesamtes auf der Grundlage von Zahlen der Deutschen Umwelthilfe zeigen, dass mit Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen jährlich über elf Millionen Tonnen CO2 eingespart werden könnten. Doch immer noch behauptet die FDP, ein Tempolimit würde einen »Keil in die Gesellschaft« treiben. Ja, nicht alle sind dafür. Aber mittlerweile gibt es eine deutliche Mehrheit von 64 Prozent, die zumindest ein Limit von 130 auf Autobahnen befürwortet.
Ausschließlich »die Politik« in die Pflicht zu nehmen, greift aber auch zu kurz. Umfragen zeigen zwar, dass die Menschen Klimaschutz grundsätzlich befürworten, bei Wahlen und beim Verhalten äußert sich das aber nicht unbedingt. In der jüngsten Wählergruppe der 18–21-Jährigen etwa erhielten bei der letzten Bundestagswahl die Grünen mit 23 Prozent den größten Zuspruch, die FDP lag allerdings in dieser Gruppe gleichauf. Von einer »Generation Greta« kann man da wohl nicht sprechen. Im Konsumverhalten wird das ganz deutlich.
Nur ein Beispiel: Der zuvor bereits anhaltende Trend in der jungen Zielgruppe zu Fast-Fashion hat sich auf digitalem Weg fortgesetzt, nochmal gesteigert während der Coronapandemie. Deutsche Verbraucher/innen kaufen im Schnitt 60 Kleidungsstücke pro Jahr – tragen diese allerdings nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren. Der neue Trend vor allem unter Jüngeren heißt gar Ultra-Fast-Fashion. Der Absatz von Kleidung wird entsprechend weiter zunehmen.
In der Coronakrise ist die Nachfrage dann zu einem großen Teil vom stationären in den Onlinehandel gewandert. Der klimapolitische Haken: Deutschland ist Retouren-Europameister. Wie die Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Uni Bamberg ermittelte, wurde im Jahr 2021 fast jedes vierte Paket im deutschen Onlinehandel zurückgeschickt, schätzungsweise fast 530 Millionen Sendungen, die rund 800.000 zusätzliche CO2-Äquivalente erzeugten.
Um ein konsequentes Umsteuern in der Klimapolitik zu erreichen, müssten die Bürgerinnen und Bürger ihr Verhalten wirklich radikal ändern (und überwiegend Parteien wählen, die die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen). Unvorstellbar, dass ausgerechnet die Aktionen der Letzten Generation das bewirken könnten.
Denkbar einzig, dass eine Art unabsichtliche Arbeitsteilung – zwischen einem moderaten, populären Bewegungshauptteil (Fridays for Future) und der radikalen, die Bevölkerung bewusst provozierenden Flanke (Letzte Generation) doch etwas bewirkt. Die Ablehnung der Provokateure könnte die Erfolgsaussichten der moderaten Mitte erhöhen. Nur dann wäre das Ende dieser Geschichte noch offen.
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