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© picture alliance / dpa-tmn | Christin Klose

Die Energiepolitik wird nun endlich als existenzielles Thema betrachtet Bewusstsein wächst, Strategie fehlt (noch)

Russland war einer der wichtigsten und zuverlässigsten Lieferanten für Öl, Gas und Kohle. Die Entwicklung der Klimadaten weist schon seit Langem auf die zerstörerischen ökologischen Folgen dieser Praxis hin. Nun hat zudem das Risiko eines vorsätzlichen Ausfalls russischer Energielieferungen deutlich gemacht, wie fragil dieses Energiesystem ist und wie gravierend die Konsequenzen eines Versorgungsausfalls wären. Klimaschutzerwägungen und die veränderte geopolitische Lage erfordern einen möglichst raschen Umbau des bestehenden Energiesystems.

Energiepolitik hat immer auch eine Sicherheitsdimension. Das ist nicht neu – wurde aber lange vernachlässigt. Die bestürzende Abhängigkeit der deutschen Energieversorgung von Russland ist im Wesentlichen auf zwei Ursachen zurückzuführen: die Entpolitisierung energetischer Fragestellungen und das Fehlen einer Gesamtstrategie für das Energiewesen.

Die deutsche Energiepolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte war geprägt durch die Verweigerung einer politischen Steuerung des Energiesystems. Fragen der Energieversorgung galten oftmals als rein technische Angelegenheit. Dabei stellen sie eine zentrale Wohlstandsvoraussetzung dar und konstituieren globale Abhängigkeiten. Im Zuge der Liberalisierung des Energiewesens wurde die Gestaltung des deutschen Energiesystems im Wesentlichen privatwirtschaftlichen Akteuren überlassen. Statt an politischen Zielen orientierte sich die Energiewirtschaft fortan an Gewinnmaximierung. Die energiepolitischen Impulse der vergangenen Bundesregierungen, wie etwa der Atomausstieg und die Förderung erneuerbarer Energien, erfolgten über Instrumente, die sich in die Marktlogik einfügten, ohne ihre Grundbedingungen zu hinterfragen.

Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab

Einen Kulminationspunkt dieses Marktradikalismus stellte der Verkauf wesentlicher Teile der deutschen Gasspeicherkapazitäten an russisch kontrollierte Firmen dar. Der Versuch, die Pipeline Nord Stream 2 als »privatwirtschaftliches Vorhaben« zu etikettieren und so einer vermeintlich unzulässigen politischen Kritik zu entziehen, ist der Tiefpunkt der deutschen Energiepolitik der Merkel-Ära. Die enge energetische Verflechtung mit Russland war schon immer politisch – im Zeichen des liberalisierten Marktes wurden die erheblichen strategischen Gefahren aber verschwiegen, unterschätzt und ausgeblendet.

Der Verzicht auf politische Lenkung ist offensichtlich gescheitert und es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel in der Energiepolitik ab. Im Zuge der Ukraine-Krise kommt ein bemerkenswertes ordnungspolitisches Instrumentarium zum Einsatz: Das neue Gasspeichergesetz, das Mindestfüllmengen der Speicher vorsieht, ist beispielweise ein fundamentaler Eingriff in die Geschäftspraxis der Speicherbetreiber. Auch die Linie der Bundesregierung, in Energiegesetzen zu verankern, dass Ausbau und Nutzung erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen, lässt auf neuen energiepolitischen Elan und einen selbstbewussteren Gestaltungsanspruch hoffen. Öffentlicher Widerspruch zu diesen Maßnahmen ist bislang kaum zu vernehmen – der Scherbenhaufen des bisherigen energiepolitischen Laissez-faire mahnt.

Das zweite große Versäumnis der deutschen Energiepolitik stellt das Fehlen einer klaren und umsetzbaren Gesamtstrategie für die Weiterentwicklung des Energiesystems dar. Die Notwendigkeit eines solchen Plans bestand schon vor der Ukraine-Krise: Die ambitionierten deutschen Klimaschutzziele erfordern bis 2045 den Ausstieg aus fossilen Energieträgern und damit den grundlegenden Umbau des gesamten Energiesystems. Bis heute fehlt ein Fahrplan, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Es ist eben jenes Fehlen einer klaren und nachhaltigen Strategie, die in einem liberalisierten Energiemarkt in die Abhängigkeit von russischen Energieträgern geführt hat.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien liest sich zunächst als energiepolitische Erfolgsgeschichte: Über 40 Prozent der Elektrizität werden heute aus erneuerbaren Quellen gewonnen. Bezogen auf den deutschen Gesamtenergieverbrauch, der alle Energieträger umfasst, ist der Anteil erneuerbarer Energien jedoch weit geringer und beträgt nur gut 20 Prozent. Der weit überwiegende Anteil der in Deutschland verbrauchten Energie wird nach wie vor aus importierten fossilen Trägern gewonnen.

Zwischen dem Status quo und dem Klimaschutzziel klafft eine erhebliche Lücke. Aus welchen Quellen der deutsche Energiebedarf im Jahr 2045 gedeckt werden soll, kann die Bundesregierung noch nicht mit Sicherheit sagen. Im Zuge der Ukraine-Krise gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens, aus der Verbrennung russischer Energieträger auszusteigen. Dieses Momentum gilt es zu nutzen, um eine Strategie für den grundsätzlichen Umbau des Energiesystems und der Energieimportrouten zu entwickeln.

In zahllosen Studien werden mögliche Wege hin zu einem klimaneutralen Deutschland skizziert. In einigen zentralen Punkten herrscht dabei Einigkeit: Technologisch können die deutschen Energiebedarfe klimaneutral gedeckt werden. Elektrizität aus erneuerbaren Trägern wird der energetische Grundpfeiler eines klimaneutralen Deutschlands sein. Überall wo technologisch machbar, müssen Anwendungen elektrifiziert werden. Dafür muss die Erzeugungskapazität erneuerbarer Energien in den nächsten 23 Jahren auf das Vier- bis Fünffache des heutigen Niveaus gesteigert werden. Sämtliche Potenziale zur Steigerung von Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft müssen gehoben werden.

Energiewende ist kein Weg aus der globalen Verflechtung

Auch bei maximalem Ausbau der erneuerbaren Energien werden die deutschen Erzeugungspotenziale aber nicht ausreichen, um den deutschen Energiehunger zu stillen. Wollen wir unseren materiellen Lebensstandard einigermaßen halten, werden wir auch künftig auf den Import von Energie angewiesen sein. Die romantische Vorstellung, mit Windkraftanlagen und Solarpaneelen im heimischen Garten den Energiebedarf autark decken zu können, wird sich aller Voraussicht nach nicht erfüllen. Die Energiewende ist kein Weg aus der globalen Verflechtung.

Es ist eine schmerzhafte Leerstelle der deutschen Energie- und Klimapolitik, dass es bislang keinen formulierten Plan gibt, woher erneuerbare Energien künftig bezogen werden sollen. Gegenwärtig werden mit großer Entschlossenheit und Geschwindigkeit Importinfrastrukturen für die Lieferung von Flüssiggas aufgebaut. Diese im Entstehen begriffenen Importrouten können die Abhängigkeit von russischem Gas kurzfristig verringern und das Energiesystem diversifizieren. Sie gehen mit weit höheren Transportkosten und wachsender Verflechtung mit anderen Herkunftsländern einher. Zudem drohen aufgrund der Investitionen in Flüssiggasterminals Pfadabhängigkeiten, die mit den Klimaschutzzielen in Konflikt stehen.

Langfristig wird es erforderlich sein, Importrouten für erneuerbare Energieträger, etwa auf Wasserstoffbasis, zu schaffen. Klimaneutraler Wasserstoff und seine Derivate sind in einem Klimaneutralitätsszenario für wesentliche Industriesektoren, etwa die chemische Industrie und die Stahlerzeugung, unverzichtbar. Sollen diese Wirtschaftszweige in Deutschland bestehen bleiben, wird der Import dieser Energieträger notwendig sein. Die nun entstehenden Flüssiggasinfrastrukturen sollen technisch auch auf die künftige Anlandung erneuerbarer Träger ausgelegt werden. Wo und wie diese Energieträger erzeugt werden können, ist indes eine unbeantwortete Frage. Die Vorstellungen, die deutschen Energiebedarfe durch die Errichtung von Energieparks in fernen Ländern zu decken, sind zum heutigen Zeitpunkt politische Luftschlösser.

Fragen globaler Gerechtigkeit sind noch unbeantwortet

Im Zuge des neuen Nachdenkens über die deutschen Energiebeziehungen werden auch Fragen von globaler Gerechtigkeit relevant: Ist es gerecht, dass die deutsche industrielle Wertschöpfung darauf basiert, Energie aus weniger industrialisierten Ländern zu importieren? Wer sind die Profiteure und Verlierer der globalen Energieketten? Wie stellen wir sicher, dass der Import von Energie zu fairen Bedingungen für unsere Handelspartner vonstattengeht? Eine weitsichtige deutsche Energiepolitik sollte heute Sorge dafür tragen, dass die Importbeziehungen der Zukunft nachhaltiger, diversifizierter und resilienter gestaltet sind.

Der skizzierte Umbau des Energiesystems erfordert enorme Investitionen. Die Kosten der verfehlten deutschen Energiepolitik treffen die Bevölkerung schon heute. Um diese epochalen Herausforderungen bewältigen zu können, ohne dass die gesellschaftlichen Fliehkräfte zu stark werden, ist eine überzeugende Strategie erforderlich.

Der Versorgungskrise mit russischen Energieträgern wohnt letztlich aber auch eine Chance inne: Fragen der Energieversorgung werden nun endlich als existenzielles Thema begriffen. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass die deutschen Energiebeziehungen verändert werden müssen. Im günstigsten Fall leitet diese Lage eine Zeitenwende in der deutschen Energiepolitik ein. Es braucht einen selbstbewusst gestaltenden Staat, der einen konkreten Entwurf für ein widerstandsfähiges und klimaneutrales Energiesystem vorlegt und umsetzt. Unser Energiesystem muss unseren politischen Zielen gerecht werden – nicht den Profitinteressen der Energiewirtschaft.

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