Menü

Das Jüdische Museum Frankfurt versteht sich als sozialer Ort lebendiger Erinnerungskultur Bezug auf und Reflexion über die Gegenwart

Die Aufregung um den jüdischen Sänger Gil Ofarim offenbarte Nachhilfebedarf. Es ist an dieser Stelle unerheblich, ob der Sänger wirklich aufgefordert wurde, seine Davidsternkette abzunehmen. Die gesellschaftliche Sprengkraft solcher antisemitischer Vorfälle erstaunt nämlich weit weniger als die verbreitete mangelnde Sachkenntnis. So wurde in Berichten nicht selten der Davidstern (Symbol des Judentums und des Volkes Israels) mit dem Judenstern (Zwangskennzeichen der Juden im Nationalsozialismus) verwechselt.

Aufklärung tut also nach wie vor Not. Und es besteht weiterhin Diskussionsbedarf. Davon zeugen zahlreiche Debatten, wie die zwischen Maxim Biller und Max Czollek über die Frage, was einen Juden zum Juden macht. Biller hatte Czollek abgesprochen, Jude zu sein, weil seine Mutter keine Jüdin sei und sich aufs jüdische Religionsgesetz Halacha bezogen, Stichwort Matrilinearität (»In der Linie der Mutter«).

Ganz zu schweigen von den anhaltenden Diskussionen über die Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit der Shoah sowie über die Boykottbewegung gegen Israel, die sich etwa in der Weigerung der irischen Schriftstellerin Sally Rooney, ihren neuen Roman ins Hebräische übersetzen zu lassen, äußert.

Alles Themen, die nicht nur Juden umtreiben. Themen, die Raum brauchen, den in Deutschland jüdische Museen jedweder Größe und Couleur bieten. Das größte steht in Berlin, das zweitgrößte ist das Jüdische Museum Frankfurt, das zudem das älteste eigenständige in Deutschland ist. Gleich an zwei Standorten in der Innenstadt setzt es sich mit Geschichte und Gegenwart der Frankfurter Juden auseinander. Im Museum Judengasse erhält man einen Einblick in 800 Jahre deutsch-jüdische Geschichte. Ein archäologischer Parcours führt durchs jüdische Alltagsleben in der Frühen Neuzeit.

Das Jüdische Museum wiederum versteht sich in erster Linie als sozialer Ort, was nicht heißt, dass es auf seinen 5.000 Quadratmetern kein vorbildliches Museum wäre. In den vergangenen fünf Jahren wurde es aufwändig runderneuert. Das klassizistische Rothschild-Palais wurde dazu prachtvoll hergerichtet und mit einem strahlenden Neubau, dem sogenannten Lichtbau verknüpft. Der Eingang befindet sich nun am Bertha-Pappenheim-Platz 1, benannt nach der in Frankfurt wirkenden Sozialarbeiterin, Feministin, Übersetzerin und orthodoxen Jüdin.

Während der Umgestaltung konnte sich die Bürgerschaft an der Suche nach einem Namen für den neuen Museumsvorplatz beteiligen, auch Hannah Arendt und Marcel Reich-Ranicki standen zeitweilig hoch im Kurs. Die Vielfalt der Frankfurter Juden spiegeln auch die Schließfächer im neuen Museum wider, die Namen berühmter jüdischer Frankfurter und Frankfurterinnen tragen: von Theodor W. Adorno über Rosa Marx bis Ludwig Börne. Namen, keine Nummern. Ein Gedanke, der sich der Dauerausstellung eingeschrieben hat. Die Verbindung der beiden unterschiedlichen Gebäude entspricht ebenfalls der neuen Konzeption der Dauerausstellung, die Neues mit Altem vereint. Auf drei Stockwerken widmet sich die Schau sehr unterschiedlichen Aspekten jüdischen Lebens. Dabei ist es kein Zufall, dass der Rundgang in der Gegenwart beginnt.

»Der Bezug auf und die Reflexion über die Gegenwart bilden den Nukleus unserer Museumsarbeit«, erläutert die Direktorin des Museums, Mirjam Wenzel. »Wir verstehen uns weniger als eine Einrichtung, in der Kulturgüter der Vergangenheit bewahrt und vermittelt werden, die also, zugespitzt gesagt, für Zeugnisse von toten Juden zuständig ist, sondern beziehen uns auf die jüdische Gegenwart in der Diaspora.«

Zurzeit zählt die jüdische Gemeinde Frankfurt rund 7.000 Mitglieder; einige von ihnen lernt man im Museum kennen. Dazu gehören zwei erfolgreiche Gastronomen, die ihr Pastrami-Lokal im Bahnhofsviertel nach dem jüdischen Mafiosi Maxi Eisen benannten.

Vom kulinarischen Alltagsleben geht es nonstop zu einstigen Displaced Persons (DP), die ebenso Teil der Frankfurter Stadtgeschichte sind. Bekannte Gesichter wie der ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden und Vorsitzender der Frankfurter Jüdischen Gemeinde, Salomon Korn, sind darunter, aber auch andere, deren Namen man bislang nicht kannte.

Korn lebte nach dem Krieg mit seinen Eltern im DP-Lager in Frankfurt-Zeilsheim. Neben den Videos der Zeitzeugen entdeckt man die verschiedensten Dinge in den Vitrinen: Alltagsgegenstände und Heiligtümer, Aschenbecher und Fotoalben. Im genau richtigen Maß bestückt, nicht zu karg, nicht zu überladen. An anderer Stelle darf man in einen höhlenartigen Verschlag kriechen, um zu hören, was jüdische Kinder zu sagen haben. Ein Mädchen erzählt, dass sie lange Zeit nicht gewusst habe, dass nicht vor allen Schulen in Deutschland Polizeiwagen stünden.

Eine erschütternde Aussage. So erschütternd wie die notwendige Polizeipräsenz vor dem Museum selbst. Natürlich werden auch die Taschen der Besucherinnen und Besucher kontrolliert, ihre Körper gescannt. Jüdischer Alltag. Ein anderes Kind erzählt vom Besuch in der Synagoge und vom warmen schönen Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Lokale Perspektive

Von diesen allgemeinen, überall gültigen Aussagen richtet die Ausstellung ihren Fokus immer wieder nach Frankfurt. Im Unterschied zum Jüdischen Museum Berlin, das nach seinem Selbstverständnis ein Nationalmuseum ist, glänzt das Frankfurter Haus mit seiner lokalen Verankerung. Mirjam Wenzel sieht das als Pluspunkt: »Eben diese lokale Perspektive, in der gleichwohl Migrationsgeschichten oder Parallelitäten zu anderen Kulturen erzählbar bleiben, kommt den Besonderheiten der jüdischen Kulturgeschichte, die sich im Lokalen zeigt und weiterentwickelt, mehr entgegen als die der Makrohistorie, in der die allgemeinen Strukturen in den Vordergrund treten. Jüdische Museen, für die der Bezug auf einen bestimmten Ort konstitutiv ist, räumen der Spezifität jüdischer Erfahrung daher einen größeren Stellenwert ein, als nationalstaatliche Einrichtungen.«

Einer der größten Tumulte der Frankfurter Theatergeschichte darf in diesem Zusammenhang nicht fehlen, der Skandal um Rainer Werner Fassbinders Stück Der Müll, die Stadt und der Tod, Mitte der 80er Jahre. Mitglieder des Jüdischen Gemeinde besetzten damals den Theatersaal und erwirkten die Absetzung des offensiv antisemitischen Stücks. Ein kurzer Film zeigt, wie der junge Michel Friedman die Entscheidung begrüßt und der ebenso junge Daniel Cohn-Bendit seine Bedenken zum Ausdruck bringt. Ebenso untrennbar mit der Stadt Frankfurt verbunden sind die Auschwitzprozesse (1963 bis 1965) und die Arbeit des damaligen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer. Im Museum sind Zeugenaussagen zu hören und auch ein Statement von Bauer in Bild und Ton. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten nur noch 150 Juden in der Stadt am Main, einer von ihnen war der Historiker Arno Lustiger, Vater der Autorin Gila Lustiger, der bis zu seinem Tod 2012 in Frankfurt lebte. Sein knittriger Presseausweis ist Teil der Ausstellung.

Zu den Besonderheiten des Museums gehört sein gewichtiger kunstgeschichtlicher Bestand, der 11.300 Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken umfasst. Der künstlerische Nachlass des Expressionisten Ludwig Meidner zählt dazu, aber auch Werke Moritz Daniel Oppenheims, der etwa christliche Szenen in überreligiöse Darstellungen transformierte, sowie Bilder des herausragenden Impressionisten Jakob Nussbaum, dessen Leben sich im Museum in einem wirkmächtigen animierten Film darstellt.

Parallel erklärt die Schau die zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzende Gleichberechtigung der Juden. Ihnen wurden Bürgerrechte gewährt, in Frankfurt gleichbedeutend mit dem Auszug aus der Judengasse. Sie durften sich als Teil der deutschen Gesellschaft begreifen, was nicht hieß, dass sie von nun an dazu gehörten. Der »Kölner Hof«, ein damaliges Hotel in Bahnhofsnähe, bildete sich viel darauf ein, als »judenfrei« zu gelten. Zur Ausstellung gehören antisemitische Werbemittel des Hotels. Schwer erträglich. Friedrich Hollaenders ironisch geschmetterter Schlager »An allem sind die Juden schuld« kontrastiert dann gleich um die Ecke den Ernst der Lage. Kurzum: Die neue Dauerausstellung erweist sich als extrem lehr- und abwechslungsreich und als Ort lebendiger Erinnerungskultur. Auch zeitgenössische Kunst kommt zu ihrem Recht, auf einem Video vollführt Ruth Schreiber am eigenen Leib ein jüdisches Reinigungsritual, und Peter Loewys Fotoserie hält »Jüdisches« in Wohnungsecken fest. Natürlich ist auch an die Kleinen gedacht, extra gekennzeichnete Stationen laden sie auf Augenhöhe ein mitzumachen.

In der zweiten Etage geht es um Traditionen und Riten. Die herrschaftlichen Räume des Palais fügen sich perfekt zu den ausgestellten Heiligtümern. Man erfährt etwas über die verschiedenen Strömungen in Frankfurt, die liberale Westend-Synagoge und die konservative am Börne-Platz.

Wer sich von der Fülle des Materials überfordert fühlt, kann sich an sogenannten Museum-to-go-Stationen Informationen scannen und Filme, Audios und Bilder am heimischen Rechner begutachten. Ein toller Service. Die Aussagen der sehr unterschiedlichen fünf Rabbis, die Konfliktlinien im heutigen Judentum spiegeln, kann man so noch mal in Ruhe anhören. Frankfurter Jüdinnen und Juden, berühmten und in Vergessenheit geratenen gedenkt man in der neuen Museumslandschaft allerorten.

Das untere Stockwerk jedoch ist explizit drei herausragenden Frankfurter Familien gewidmet: Den Familien Rothschild, Senger und Frank. Ein Apfelkuchenrezept der Familie Frank findet sich dort ebenso wie ein Regal mit Ausgaben des Tagebuchs der Anne Frank in den Sprachen der Welt.

Bis Ende Januar beleuchtet die sehenswerte Schau »Unser Mut« jüdische Erfahrungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit in unterschiedlichen Ländern. Dass sich das Jüdische Museum als sozialer Ort versteht, zeigt sich auch an seinem dichten und durchdachten Veranstaltungsprogramm, das selbst vor Yoga- und Feldenkrais-Kursen nicht Halt macht. Niemand muss sich hier verprellt fühlen. Es ist auch dieser niedrigschwellige Ansatz, der Erfolg verspricht. Das wurde schon in der Renovierungsphase deutlich, während der eigens dafür erdachte Comic des Zeichners Volker Reiche den Bauzaun schmückte. Eine gewitzte Idee, um nicht nur die Altbekannten anzulocken, sondern auch diejenigen, die womöglich ganz einfach Nachhilfe brauchen. Und sei es nur, um den Unterschied zwischen Judenstern und Davidstern zu lernen.

www.juedischesmuseum.de

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben