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picture alliance / ZB | Sascha Steinach

»Bleibt die Schuldenbremse grundsätzlich eine gute Idee?«

 

Seit die Schuldenbremse 2009 eingeführt wurde, ist sie umstritten. Damals war nach der Bankenkrise mit Blick auf die Staatsschulden eine Politik der Ausgabenbeschränkung aber auch insgesamt weit populärer als heute. Und es gab in der mitregierenden SPD eine Phase, in der diese Stimmung durchschlug – mit einem fast schon FDP-nah denkenden Finanzminister Peer Steinbrück und einem Fraktionschef Peter Struck, der sich anders immer neuer Ausgabenwünsche nicht wehren zu können glaubte.

Die strikte Obergrenze bei der Neuverschuldung, sogar verankert in der Verfassung, war vor diesem Hintergrund ein Stück bewusste Beschränkung aller künftigen parlamentarischen Regierungsmehrheiten. Sie war ein Reflex auf Jahrzehnte, in denen neue politische Projekte sehr regelmäßig aus neuen Schulden mitfinanziert worden waren. Reformpolitik auf Pump sollte beschränkt werden. Zunächst schien dies auch gut machbar zu sein. Denn es begann eine längere Phase mit hohen Wachstumsraten.

Schon in den sozialliberalen Aufbruchjahren in den 70ern waren neue Projekte vor allem aus wachstumsbedingten Steuermehreinnahmen finanziert worden. Politische Koalitionskompromisse durch reales Zusatzgeld: Das funktionierte direkt nach Verankerung der Schuldenbremse, der Staat hat parallel sogar in kleinerem Umfang noch Schulden abbauen können – bis die neue Krisenzeit begann. Erst jetzt greift der eigentliche Effekt, die Beschränkung. So weit, so schwierig. Aber das sagt ja noch nichts über Sinn oder Unsinn.

Die Schuldenbremse war ein Reflex auf Jahrzehnte, in denen politische Projekte regelmäßig aus neuen Schulden finanziert wurden.

In der Praxis hatte sich schon in den Wachstumsjahren vor dem jetzigen Krisenzyklus wieder gezeigt, wie schnell neue Ausgabenprogramme einfach nur »oben drauf« gepackt werden, wenn genug Geld zur Verfügung steht. Und man konnte nun wirklich keine großen parteipolitischen Unterschiede dabei entdecken, jenen Mentalitätswandel, der mit der Schuldenbremse bezweckt war, möglichst zu vermeiden.

Rückgriff auf Keynes

Bei engeren Finanzspielräumen wird inzwischen wieder häufig mit der keynesianischen Wirtschaftstheorie argumentiert – die dazu rät: in guten Zeiten Ausgaben eher drosseln, in schlechteren Zeiten gegen den Trend investieren. Nur zeigt aber die politische Praxis nach wie vor, dass der erste Teil, das Drosseln, im ständigen Wettstreit um demokratische Mehrheiten stets ungeheuer schwierig bleibt.

Der heute so oft bemängelte Verzicht auf Erhaltungsinvestitionen in die In­frastruktur wurde aus ähnlichem Grund ja immer wieder aufgeschoben: Wer gewählt wird, will etwas verändern, verbessern. Das kostet fast immer zusätzliches Geld.

»Dass im Interesse aller irgendwo gekürzt werden muss, ist unkommunizierbar geworden.«

Aber immer seltener haben Parlamentsmehrheiten die politische Kraft und Einigkeit, tatsächlich irgendwo Geldtransfers zusammenzustreichen, die ja alle irgendwann aus nachvollziehbaren Gründen eingeführt wurden – geschweige denn, konsequent die Einnahmesituation des Staates durch neue Steuern zu verbessern, was eigentlich dringend nötig wäre.

Und: Die reflexhaften öffentlichen Debatten funktionieren inzwischen nur noch nach dem Prinzip von Protest und Kritik. Je mehr sich die Öffentlichkeit zersplittert, desto ausschließlicher werden dort die Finanzforderungen von betroffenen Gruppen übernommen. Das Argument, dass im Interesse aller irgendwo gekürzt werden müsse, ist darüber geradezu unkommunizierbar geworden.

Gültigkeit des Realitätsprinzips

Es ist hier also auch davon zu reden, was Politik sich selbst noch zutrauen kann. Zumal in einem Föderalismus, in dem in Finanzfragen via Bundesrat letztlich immer ganz große Sachkoalitionen nötig sind und die Länder bei jeglichem finanzrelevanten Thema ihre Zustimmung an Zahlungen des Bundes koppeln. Dass der Bund sich in dieser Lage mit der Schuldenbremse selbst grundgesetzliche Fesseln angelegt hat, lässt tief blicken. Aber es folgt einem Realitätsprinzip.

Mit der Schuldenbremse wurde der Demokratiekultur ein Mechanismus übergestülpt, der bei dem ständigen Feilschen um neue Programme und Projekte sowie der Unterfinanzierung der alten Programme und Projekte Grenzen markiert – außer man hätte auch die Kraft, Vorhandenes zu reduzieren oder die Einnahmen zu verbessern. So weit ist das Prinzip also nachvollziehbar, wenn auch einer Schwäche geschuldet und nicht einer Stärke – was eine bittere Erkenntnis für alle ist, die via gesellschaftlichem Engagement etwas bewegen wollen.

Mit den Erfolgen der Populisten, der Aufsplitterung des Parteiensystems und dem mittlerweile verbreiteten Was-habe-ich-davon-Denken in der Gesellschaft wächst diese Schwäche objektiv. Was zur Beurteilung besonders wichtig ist: Deshalb geht es bei der Schuldenbremse gerade nicht um rein finanzpolitische, schon gar nicht um tagespolitische Fragen. Es geht um Handlungsfähigkeit und Handlungsraum des Politischen im Verhältnis zur Gesamtentwicklung

Die Schuldenbremse erweist sich inzwischen als zu unflexibel.

Inzwischen erweist die Bremse sich so, wie sie ins Grundgesetz geschrieben und jetzt von den Gerichten ausgelegt wurde, als zu unflexibel. Ihr Druck nämlich führt auch zu neuen Handlungsdefiziten. Einerseits, wenn es um große, Generationen dauernde Transformationsprozesse geht: Genau da kann die berühmte »schwäbische Hausfrau« kein Vorbild mehr sein. Investitionen bei historischen Umbrüchen lassen sich nicht im Jahrestakt demokratisch aushandeln, wie dies nun das Bundesverfassungsgericht in juristischer Engstirnigkeit vorschreiben will. Andererseits gibt es nach dem Instandhaltungsversagen der vergangenen Jahrzehnte bei der In­frastruktur (was man auch als Umgehung der Bremse deuten kann, als ihr Kollateralschaden geradezu) zusätzlich einen chronischen Renovierungsstau.

Beton oder Arbeit

Der einfache Gedanke, bei der Reform der Bremse künftig Investitionen anders, flexibler zu betrachten als sogenannte Konsumausgaben (unter denen insbesondere die Löhne und Gehälter verstanden werden), ist aber auch wieder nur theoretisch logisch, aber praktisch zweischneidig. Sofort meldet sich dann zum Beispiel die Bildungspolitik und sagt: Mittel für Kitas und Schulen sind immer als Investitionen zu sehen, auch wenn es »nur« Investitionen ins Personal sind. Die haushaltstechnische Trennung zwischen Ausgaben für Beton und für Arbeit ist also politisch höchst kurzsichtig. Und das ist eine alte Diskussion, denn vor der Schuldenbremse galt ja die oft unterlaufene Vorschrift, dass die Neuverschuldung die Investitionen nicht übersteigen dürfe.

All dies bedeutet, dass bei der Reform der Bremse immer mehr jener Weg in den Mittelpunkt rücken wird, der ausgerechnet bei den Militärausgaben ja recht hurtig und problemlos möglich war: grundgesetzlich abgesicherte Sondervermögen. Auch das wirft Demokratiefragen auf, wenn ein großer Ausgabenblock der jährlichen Haushaltspolitik entzogen wird, zumal das Bundesverfassungsgericht sich zuletzt stets immer wieder extrem stark auf die formalen Parlamentsrechte bezogen hat.

Die Politik zur Politik zwingen

Aber die ganz große Koalition, die Zwei-Drittel-Mehrheit, ist letztlich systembedingt beim Geld ja sowieso meistens nötig. Über den Bundesrat hat das Oppositionslager (derzeit die Union) auch heute schon immer einen Fuß in der Tür. Genau deshalb, aus purer Machtpolitik heraus, blockiert ja die Merz-Union so konsequent in der aktuellen Debatte. Und genau deshalb wäre eine noch viel stärkere AfD auch noch ein zusätzliches Staatsrisiko.

Schon aus Gründen dieser notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit wegen der Verankerung im Grundgesetz: Die Schuldenbremse wird bleiben, für ihre Abschaffung gibt es keine reale Chance. Es kommt dann darauf an, auch ihre Chancen zu sehen. Den Zwang, sichtbar Prioritäten zu setzen und auch mal gestrige Regelungen wieder abzuschaffen, statt in den immer komplexer werdenden Koalitionen den Kompromiss nur beim Zuwachs zu finden. Und den Zwang, Ausgaben durch Einnahmen auszugleichen, aktuell: durch eine deutlich höhere Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften – um der Gerechtigkeit willen.

Das eigentliche Ziel der Bremse, die Politik zur Politik zu zwingen, bleibt richtig.

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