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© picture alliance / ZB | Sascha Steinach

»Bleibt die Schuldenbremse grundsätzlich eine gute Idee?«

Die obersten Juristen der Republik haben im Herbst letzten Jahres ein politisches Erdbeben ausgelöst. Die Karlsruher Richterinnen und Richter entzogen mit ihrem Verfassungsspruch der Ampelregierung die Geschäftsgrundlage. Seitdem kämpft Berlin mit einer schweren Haushaltskrise.

Quadratur des Kreises

Zur Erinnerung: Die »Fortschrittskoalition« wollte in die Zukunft investieren, die Schuldenbremse einhalten und keine Steuern erhöhen. Eine haushaltspolitische Quadratur des Kreises. Dafür griffen Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner tief in die Trickkiste. Die Ampel verschob 60 Milliarden Euro schwere Kreditermächtigungen, die ursprünglich für die Pandemiebekämpfung vorgesehen waren, in einen Klimafonds (KTF). Dagegen klagten CDU/CSU-Abgeordnete. Im November 2023 stoppte Karlsruhe diese kreative rot-grün-gelbe Haushaltspraxis.

Der oberste Kassenwart regierte sofort. Christian Lindner sperrte den Haushalt und setzte die Schuldenbremse für 2023 außer Kraft. Alles stand jetzt auf dem Prüfstand: Die Haushaltsplanung ebenso wie sämtliche Sondervermögen. Der Ampel fehlten plötzlich Milliarden für Gebäudesanierung, Wasserstoff, Elektromobilität, Bahn, Chipfabriken, kommunale Wärmeplanung und Krankenhäuser. Der sozial-ökologische Umbau stand auf der Kippe.

Guter Rat war teuer

Die Koalitionäre stritten lange über den Weg aus der Haushaltskrise. Die FDP bestand auf der Schuldenbremse. Dafür sollten Rentnerinnen, Kinder und Bedürftige den Gürtel enger schnallen. Zudem wollten die Liberalen bei Entwicklungshilfe und Subventionen kürzen. Sozialdemokraten und Grüne wollten die Wirtschaft grün anstreichen, ohne den Sozialstaat zu rupfen. Deswegen sollte die Schuldenbremse ausgesetzt und umgebaut werden. Da war guter Rat teuer.

Das Ergebnis ist alles andere als ein großer Wurf. Die Energiepreise werden deutlich steigen und die deutsche Wirtschaft läuft sowieso nicht rund. Sobald die staatliche Nachfrage schrumpft, verschärft sich der Abschwung. Zudem drohen der Scholz-Regierung harte gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Das schürt weitere Unsicherheit.

»Manchen wurde sogar unterstellt, sie könnten nicht mit Geld umgehen.«

Die Wurzel allen Übels ist die Schuldenbremse. Der Finanzminister Peer Steinbrück ließ die strengen Fiskalregeln 2009 in die Verfassung meißeln. Seitdem dürfen Bund und Länder kaum mehr Schulden machen. Die neoliberalen Erfinder der Schuldenbremse wollten den Sozialstaat auf Zwangsdiät setzen und demokratische Politik entmündigen. Manchen wurde sogar unterstellt, sie könnten nicht mit Geld umgehen. Strenge Schuldenregeln sollten verhindern, dass die Volksvertreter das Geld zum Fenster hinauswerfen.

Katastrophale Bilanz

Die Bilanz der Schuldenbremse fällt aber katastrophal aus: Das Regelwerk entpuppte sich in den letzten 14 Jahren als Investitions- und Zukunftsbremse. Unsere Volkswirtschaft fährt auf Verschleiß. Wenn die Kassen leer sind, streichen die Schatzmeister immer erst bei den Investitionen. Die gesetzlichen Pflichtausgaben sind hingegen vor Kürzungen geschützt. Die öffentliche Investitionsquote dieser Republik – Anteil der Investitionen am Sozialprodukt – lag im vergangenen Jahr bei bescheidenen 2,6 Prozent. Seit der Jahrtausendwende hat kein einziges EU-Land so wenig in seine Infrastruktur investiert wie Deutschland.

»Seit der Jahrtausendwende hat kein EU-Land so wenig in seine Infrastruktur investiert wie Deutschland.«

Die staatlichen Nettoinvestitionen sind rückläufig. Der Großteil der öffentlichen Investitionen entfällt auf Städte und Gemeinden. Der kommunale Investitionsstau beläuft sich inzwischen auf über 160 Milliarden Euro. In den Schulen und Kitas bröckelt der Putz, der Strom kommt nicht von Nord nach Süd, die Straßen sind voller Löcher und das Internet lahmt. Für eine leistungsfähige moderne physische und soziale Infrastruktur müsste die öffentliche Hand jedes Jahr mindestens 50 Milliarden Euro mehr investieren. Und dies über einen Zeitraum von zehn Jahren. Die Schuldenbremse verhindert das. So verschlechtern die Fiskalregeln die Bildungs-, Entwicklungs- und Lebenschancen unserer Kinder und Enkel. Mit Generationengerechtigkeit hat das nichts zu tun.

Investitions- und Zukunftsbremse

Inzwischen kritisieren auch wirtschaftsliberale Ökonomen, konservative Politiker und Arbeitgeber die investitionsfeindliche Wirkung der Fiskalregeln. Schließlich bedroht der Verfall des öffentlichen Kapitalstocks auch die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen. Erschwerend hinzu kommt, dass gleichzeitig USA und China massiv in die Infrastruktur ihrer Wirtschaftsräume investieren. Somit wird die Schuldenbremse zu einem gravierenden Standortnachteil.

Doch damit nicht genug. Auch die Hoffnung einiger Genossen und Umweltfreunde, dass die Schuldenbremse Steuergeschenke verhindere und so die Staatseinnahmen stabilisiere, löste sich in Luft auf. Die Ampel verteilt gerade Steuergeschenke an Spitzenverdiener (Abbau kalte Progression) und Unternehmen (Wachstumschancengesetz) in Höhe von über 50 Milliarden Euro – trotz Schuldenbremse. Der Großteil dieser Steuerausfälle geht zu Lasten der Städte und Gemeinden.

Die Ampel verteilt Steuergeschenke an Spitzenverdiener zu Lasten der Städte und Gemeinden.

Wir brauchen endlich einen ökonomisch vernünftigen Umgang mit Staatsschulden. Kredite sind kein Teufelszeug. Entscheidend ist immer, wofür die Schulden verwendet werden. Öffentliche Investitionen auf Pump machen unsere Wirtschaft und Gesellschaft klimafreundlicher und modernisieren Daseinsvorsorge und Sozialstaat. Jeder sinnvoll investierte Euro schafft zusätzlichen Wohlstand.

Die Scholz-Regierung hat nach wie vor mehrere Möglichkeiten. Die Ampel kann die Schuldenregeln für 2024 doch noch aussetzen, wenn sie – zum Beispiel wegen des Ukrainekriegs – die Notlage erklärt. Besser wäre eine grundlegende Reform der Schuldenbremse. Zukünftig sollten Bund und Länder Kredite in Höhe ihrer Nettoinvestitionen aufnehmen können (Goldene Regel). Ferner könnte die Regierung gemeinsam mit der Opposition ein Klimasondervermögen – wie beim Sondervermögen Bundeswehr – in die Verfassung schreiben.

Umverteilende Steuerpolitik

Noch besser wäre eine Streichung der ökonomisch unsinnigen und unsozialen Fiskalregeln aus dem Grundgesetz. Das scheitert aber am Widerstand konservativ-liberaler Hardliner. Darüber hinaus könnte eine umverteilende Steuerpolitik, die den privaten Reichtum in die Pflicht nimmt, um die öffentliche Armut zu überwinden, die Staatseinnahmen erhöhen.

Die großen Herausforderungen der Vielfachkrise erfordern einen handlungsfähigen Sozialstaat. Die Schuldenbremse verhindert notwendige Zukunftsinvestitionen. Sie ist völlig aus der Zeit gefallen. Wer die Zukunft politisch gestalten will, muss die ökonomisch schädlichen und unsozialen Schuldenregeln überwinden.

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