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© picture alliance / EPA | MASSIMO PERCOSSI

Die neue italienische Regierung fährt (noch) einen pragmatischen Kurs Blick von außen: »Allergie« gegenüber Deutschland?

Bei ihrem Antrittsbesuch in Berlin Anfang Februar wurde sie in der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz gefragt, ob sie denn immer noch »allergisch« auf Deutschland reagiere, wie sie 2019 in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Libero behauptet hatte. Die Premierministerin war sichtlich verlegen und versuchte, sich herauszureden. Aus ihrer ausgesprochen antideutschen Haltung hat sie in den letzten Jahren nie einen Hehl gemacht. Eine Aversion, die übrigens im rechten Lager sehr verbreitet ist: Auch für den Vorsitzenden der Lega und Innenminister Matteo Salvini musste Deutschland oft als Zielscheibe seiner populistischen Tiraden herhalten.

Diese Rhetorik hat sich nach der Regierungsbildung dahin verändert, dass Meloni Deutschland weniger direkt angreift, aber immer noch unterstreicht, Italien müsse das »nationale Interesse« in Europa stärker durchsetzen. Der »Egoismus« Deutschlands ist in den letzten Monaten, auch in den italienischen Zeitungen, stark thematisiert worden. Bevor er von Meloni als Verteidigungsminister berufen worden ist, hat der Mitbegründer der Fratelli d’Italia, Guido Crosetto, die Meinung seiner Partei so zusammengefasst: »Deutschland und Frankreich entscheiden in wichtigen Augenblicken nur in ihrem eigenen Interesse, ohne die Probleme der anderen europäischen Partner zu berücksichtigen. Und die EU-Kommission dreht sich dann einfach zur anderen Seite«. Seit Jahren wird im rechten Lager der Fratelli d’Italia und der Lega heftige Kritik an einem vom deutsch-französischen Motor angeführten Europa geübt, Ausdruck eines liberalen, freiheitlichen, moderaten Kontinents, was Meloni und Salvini aber bekämpfen.

Die Regierung ihres hoch angesehenen Vorgängers Mario Draghi hatte eine ausgewogenere Beziehung zwischen Frankreich, Deutschland und Italien angestrebt. Unter seiner Führung schwebte Italien vor, aus seiner Rolle des ewigen politischen Zwergs herauszuwachsen. Eine Ambition, die symbolisch in der gemeinsamen Reise von Draghi, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem deutschen Bundeskanzler im Juni 2022 nach Kiew gipfelte.

Im Februar dagegen haben sich nun Selenskyj, Scholz und Macron in Paris getroffen, ohne Meloni einzuladen. Die italienische Premierministerin reagierte irritiert. Weder Paris noch Berlin haben ihre Entscheidung, Italien vor der Tür stehen zu lassen, begründet. Macron erinnerte lediglich daran, dass Deutschland und Frankreich sich in den letzten acht Jahren sehr oft über die Ukraine abgestimmt haben – sie waren auch die Architekten der Minsker Verträge. Aber der Eindruck, Italien sei wieder in den Schatten gerückt, scheint dadurch bestätigt worden zu sein.

Die Kluft wird größer

Ob es weise ist, Italien zu sehr isolieren, ist fraglich. Vor allem weil Meloni versucht, ihre antideutschen Impulse zu bändigen und weil sie ihre Regierungspartner Lega und Forza Italia, die ein äußerst ambivalentes Verhältnis zu Russland haben, unter Kontrolle halten muss, um die Regierung auf pro-ukrainischem Kurs zu halten. Aber wenn Scholz und Macron ihr den Rücken kehren, ist die Gefahr groß, dass die Impulse in der rechten Koalition, den deutsch-französischen Motor zu sabotieren, stärker werden.

In den Beziehungen zwischen Deutschland und Italien war die Annäherung unter Draghi sogar so weit gegangen, dass man einen gemeinsamen »Aktionsplan« angestoßen hatte, der ursprünglich im Oktober unterzeichnet werden sollte aber aufgrund der Regierungskrise auf Eis gelegt wurde. Der Plan sah unter anderem interministeriale, regelmäßige Treffen vor, eine stärkere wirtschaftliche Kooperation und eine engere Abstimmung zwischen Rom und Berlin vor den EU- und internationalen Gipfeln (G7 oder G20). Wie der Besuch Melonis in Berlin bestätigt hat, liegt der Plan immer noch auf Eis. »Wir arbeiten daran« so ihr knapper Kommentar. Es ist nicht abzusehen, wann er unterzeichnet werden wird.

Ein hoher Diplomat spricht von einer »dossierbezogenen« statt »allianzbezogenen« Strategie Melonis im Hinblick auf Deutschland. Momentan ist die italienische Premierministerin zudem verstimmt, weil der Bundeskanzler mit dem französischen Präsidenten eine Veränderung der europäischen Regeln anstrebt, um mehr staatliche Hilfen und Investitionen vornehmen zu können. Für Italien ist das schwer zu akzeptieren: 2022 hat Deutschland fast die Hälfte der europäisch genehmigten staatlichen Hilfen beantragt, Frankreich fast ein Viertel. Italien nur sieben Prozemt, auch aufgrund der hohen staatlichen Verschuldung, die geringe Margen für öffentliche Investitionen zulässt. Wieder ist der Eindruck in Italien stark, Deutschland ziehe seine Interessen durch, ohne auf die europäischen Partner Rücksicht zu nehmen.

Die Kluft zwischen Rom und Berlin wird auch dadurch größer, dass der europäische Investitionsfond, den die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen hat, nach deutschen, französischen und holländischen Vorstellungen mit Restbeträgen des Recovery Funds finanziert werden soll – Italien strebt dagegen an, neue europäische Schulden durchzusetzen. Auch in der Reform des Stabilitäts- und Wachstumsfonds sind die Positionen von Deutschland und Italien weit voneinander entfernt.

Im engsten Kreis soll Meloni nach dem Gespräch mit Scholz in Berlin ihre Enttäuschung zum Ausdruck gebracht haben, Deutschland vertrete schon wieder nur seine eigenen Interessen. Ein Vorwurf, den auch Draghi insbesondere bei zwei Entscheidungen Berlins sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Zum einen, als Berlin zehn Monate lang den italienischen Vorschlag einer europaweiten Gaspreisdeckelung blockierte. Als er dann Ende 2022 umgesetzt wurde, erwies er sich schließlich als effiziente Inflationsbremse. Zum zweiten, als Scholz seinen 200 Milliarden »Doppelwumms« ankündigte, brachte Draghi seine Sorge vor einer kolossalen Marktverzerrung deutlich zum Ausdruck. Die Regierung Scholz scheint sich auch nicht im Klaren darüber zu sein, wie sehr diese deutschen Alleingänge den rechten und populistischen Parteien in die Hände spielen.

In den Beziehungen zwischen Deutschland und Italien scheint Meloni bisher pragmatischer als Draghi vorgehen zu wollen, ohne Brüche aber auch ohne große Annäherungen. Ein Grund ist wahrscheinlich auch, dass sie auf das Europawahljahr 2024 hinarbeitet. Und dort zeichnet sich sehr wohl eine klare politische Strategie ab. Die italienische Premierministerin ist Vorsitzende der »Konservativen und Reformer« (EKR), führt also eine Fraktion im Europäischen Parlament, die mit der polnischen PiS, den Schwedendemokraten und anderen rechten und populistischen Parteien verbündet ist.

Seit Jahren arbeitet einer der engsten Vertrauten Melonis, der Europaminister Raffaele Fitto, an einer Annäherung zwischen den »Konservativen und Reformern« und der »Europäischen Volkspartei« (EVP), wo unter anderem die deutsche CDU/CSU, Berlusconis Forza Italia, die griechische Nea Dimokratia, die österreichische ÖVP und andere konservative Parteien sitzen. Die EVP ist die größte Fraktion im EU-Parlament, aber ihre Mitgliedsparteien regieren in keinem großen europäischen Land mehr.

Der Vorsitzende der EVP, Manfred Weber von der CSU, hat keinen Hehl aus seiner Annäherungsstrategie gegenüber der Anführerin der postfaschistischen Fratelli d’Italia gemacht. »Meloni ist bezüglich Europa konstruktiv, steht an der Seite der Ukraine, und beim Rechtsstaat gibt es in Italien keine Probleme«, hat er behauptet. Andere deutsche Politiker der EVP sind da aber ganz anderer Meinung. Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke hat Weber kritisiert: »Die Brandmauer nach rechts muss immer stehen. (...) Wir dürfen unser Politikverständnis nicht auf reine Machttaktik reduzieren.« Sogar Webers Parteichef Markus Söder hat ihn ausgebremst und jede formelle Bindung mit Fratelli d’Italia ausgeschlossen.

Aber wird die Brandmauer nach rechts auch nächstes Jahr, nach den Europawahlen im Mai 2024, noch halten? Die EVP könnte wieder stärkste Fraktion im EP werden. Und sie wird dann entscheiden müssen, mit wem sie eine Mehrheit bilden will, ob mit der (auch vom Qatargate-Skandal) angeschlagenen Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) und anderen moderaten Fraktionen, oder ob sie die Öffnung nach rechts wagt und mit der EKR ein Bündnis schließt. Melonis Ziel ist jedenfalls recht klar, nicht nur in Italien, sondern auch in Europa an die Macht zu kommen.

Inzwischen versucht sie eine zwar rechte, aber verglichen mit ihren euroskeptischen und faschistoiden Schlagworten der letzten Jahre, durchaus pragmatischere Linie zu führen, auch in Italien. Die Anti-Euro-Parolen sind verschwunden, und Meloni versucht, durch Verhandlungen mit den europäischen Partnern die Prioritäten des Wiederaufbaufonds teils neu zu verhandeln. Sie weiß, wie wichtig es ist, dass Italien seinen Anteil am Next-Generation-EU-Programm in Höhe von mehr als 190 Milliarden Euro nicht verspielt, und sie weiß, dass ein Konfrontationskurs kontraproduktiv wäre.

Ein anderes wichtiges Thema ist die Migration: Meloni hat in den vergangenen Jahren einen härteren Kurs, härter sogar als der des höchst umstrittenen ehemaligen Innenministers Matteo Salvini, angekündigt. Sie hat für eine »Schiffsblockade« im Mittelmeer geworben und jegliche Aufnahme und auch Umverteilung der Flüchtlinge in der EU ausgeschlossen.

Inzwischen fährt ihre Regierung auch hier eine pragmatischere Linie. Aber in der rechten Propaganda wird nach wie vor ausgeblendet, dass Deutschland seit der Invasion der Ukraine eine Million Flüchtlinge von dort aufgenommen hat. Und ebenfalls wird nie daran erinnert, dass Deutschland immer eines jener Länder war, die auch einen Teil jener Menschen aufgenommen hat, die über das Mittelmeer nach Italien gekommen waren.

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