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Aktuelle Dokumentarfilme zum Thema Schule Burger erster Klasse

Irgendwann wird die ganze Aufregung um die Schülerinnen und Schüler, die fürs Weltklima freitags die Schulpflicht ignorieren, wieder dem normalen Themenzirkus Platz gemacht haben: Migration, Integration, Bildungsmisere, soziale Ungleichheit, Populismus. In der Zwischenzeit schleppen sich Millionen junger Menschen weiter in den Unterricht. Was haben sie davon? Was haben wir davon? Dass alles so weitergeht wie bisher?

In zwei aktuellen Dokumentarfilmen über zwei sehr gegensätzliche Schulen kann man derzeit Teenagern begegnen, deren Lebensträume gar nicht so weit voneinander entfernt liegen. Radek Wegrzyn porträtiert in Die Schule auf dem Zauberberg, der im Februar 2019 ins Kino kam und Ende des Jahres auf DVD erhältlich sein wird, den Alltag an einem Schweizer Superreichen-Internat. In Florian Heinzen-Ziobs Schwarz-Weiß-Film Klasse Deutsch (seit dem 16. Mai im Kino) versucht die Lehrerin einer Kölner Vorbereitungsklasse, Kindern mit Migrationshintergrund Deutsch beizubringen.

Klasse Deutsch beginnt mit dem Kamerablick in leere Unterrichtsräume, untermalt von Johann Sebastian Bachs »Aria« aus den Goldberg-Variationen. Ein Möglichkeitsraum wird eröffnet, zeitlos in Schwarz-Weiß, verheißungsvoll, aber auch beklemmend. Die Räume strahlen eine gewisse Vergeblichkeit aus und scheinen doch darauf zu warten, dass Gebrauch gemacht wird von all den leeren Tafeln, den staubsicher eingepackten Mikroskopen, den Turngeräten, den unbequemen Stühlen. Eine verlassene, melancholische Welt.

Von Melancholie findet sich in Die Schule auf dem Zauberberg zunächst keine Spur, denn sogar die Leere strahlt in herrschaftlichem Glanz: Kostbare Teppiche liegen in den Fluren aus, die Kronleuchter an den Decken hängen hoch, die Erwartungen auch. Hier, in der Schweizer »Leysin American School«, bereitet sich der Nachwuchs des internationalen Geldadels aufs Abitur vor. »Euer Buch ist unbeschrieben«, erklärt der Direktor zum Schuljahresbeginn, »ihr könnt die Geschichte hineinschreiben, die ihr wollt«. Wenig später sitzt eine Schülerin niedergeschlagen an ihrem Uni-Bewerbungsschreiben. Sie müsse etwas Interessantes über sich formulieren, sagt sie, »aber ich finde nichts«. Sie spricht von Gruppendruck und Zukunftsangst und weiß »absolut nicht«, was sie nach der Schule machen soll.

Schulfilme in Spielfilmform haben normalerweise klar umrissene Themen. Sie zeigen soziale Labore, in denen Herrschaftsformen (Die Welle) oder Ideale wie Freigeistigkeit (Der Club der toten Dichter) durchgespielt werden. Den Filmen Klasse Deutsch und Die Schule auf dem Zauberberg ist anzumerken, dass sie erst im Laufe der Dreharbeiten zu ihren Geschichten fanden. Explizit geht es zwar um die Entwicklungschancen von Arm und Superreich, eigentlich aber um etwas viel Umfassenderes: um das globale Wachstum, das von den Biografien Heranwachsender Besitz ergreift und das diese selbst voranzutreiben haben. »Wir erschaffen nichts selbst«, sagt ein reicher Schüler mehr traurig als stolz. »Wir leben von unserer gesellschaftlichen Position.« Trotzdem gilt das Diktat, etwas aus seinen Privilegien zu machen. Und zwar etwas »Bedeutendes«.

In Die Schule auf dem Zauberberg hat sich der lieblose Vater des 17-jährigen Einzelkindes und Einzelgängers Berk aus einfachsten Verhältnissen hochgearbeitet und will, dass sein Sohn ihn »überholt«. Alles muss schließlich immer mehr und größer werden. Doch Berk ist nicht gerade ein Musterschüler, er gähnt, kommt zu spät und hat schlechte Noten. Die Vorstellung, sich zum Super-Geschäftsmann zu entwickeln, erfüllt ihn mit Angst, »denn dann zählt nur noch das Geld«, dabei sei das »definitiv nicht genug, um glücklich zu sein«, wie er sagt. Wie er sich Glück vorstellt, zeigt der Film auch: Zu Hause in Istanbul trifft er seine zwei besten Freunde, zusammen gehen sie angeln am Meer. Zurück am winzigen Schweizer Schreibtisch wirkt Berk wie eingeklemmt. Eines Tages erklärt ein Lehrer, dass es »Grenzen des Wachstums« gibt. Dass das Erdöl irgendwann nicht mehr reicht. Berks gemütlich zugequollener Blick wird plötzlich hellwach. Er entwickelt einen Plan für Windkraft in den Schweizer Alpen. Doch Windräder im Bergidyll sind ein Tabu. Berk sackt wieder in sich zusammen.

Der Astrophysiker Harald Lesch sagte im März bei Anne Will denen, die bei den Schülerstreiks Faulheit wittern, die Schulpflicht sei »unerheblich im Vergleich zur Klimakatastrophe«. Seit 40 Jahren weise die Wissenschaft auf die Risiken hin, und nur die jungen Leute würden das ernst nehmen. Er plädierte dafür, auch als Erwachsener mehr »radikale Brüche« in den Alltag einzubauen und etwa statt wegzufliegen lieber mal auf dem Sofa sitzen zu bleiben. »Nichtstun kann sehr viel Unheil verhindern.« Berk hat diese Weisheit verinnerlicht. »Ich beruhige mich oft und gerne«, sagt er und bringt damit seinen Lehrer auf die Palme.

Auch in Klasse Deutsch kämpft die Lehrerin Ute Vecchio gegen die Schwerkraft so mancher Geister und Augenlider. Ferdi, der Automechaniker werden will, schläft, ähnlich wie der superreiche Berk, im Unterricht regelmäßig ein. Im Gegensatz zu Berk hat er einen Vater, der zum Nichtstun verdammt ist, die Familie lebt im Container. Was er will? »Mit den Mädels chillen im City Center«. Er weiß, was er dafür tun muss: »Geld verdienen«. Dass dafür fleißiges Lernen nötig sein soll, leuchtet ihm nicht ein. Deshalb hängt er schon seit zwei Jahren in der achten Klasse fest. Die Lehrerin findet, er tue »zu wenig«. Darauf er: »Aber für mich ist es zuviel!«

Vom Biegen und vom Brechen

Die Schüler aus verschiedenen Ländern in Klasse Deutsch sehen sich einem ähnlichen elterlichen Druck ausgesetzt wie die teils im Privatjet eingeflogenen Kinder der Superreichen im Schweizer Internat. Als eine albanische Schülerin sagt, ihre Deutschnote werde den Eltern nicht gefallen, wird die Kölner Lehrerin wütend: »Was sollt ihr denn sein? Alles kleine Wunderkinder? Du bist angekommen und du wirst weiterkommen. Da sollen deine Eltern mal stolz auf dich sein!« Erhobenen Hauptes sieht man das Mädchen dann die Treppe hinuntergehen, gestärkt, aufrecht.

Der Zauberberg-Direktor bestellt Berk zum Krisengespräch. Viel Zeit bleibe ihm nicht mehr, um den Abschluss noch zu schaffen. Berk lässt die Schultern hängen. Als er dann auch noch sein Lebensziel kundtut – »Ich möchte eine Kneipe eröffnen in Istanbul« – verschlägt es dem Direktor fast die Sprache: »Das möchte ich auf gar keinen Fall!« Er solle seine Privilegien zum Wohle der Menschheit einsetzen. Doch dann gibt es den Moment, in dem sich Berk erhebt und »Nein« sagt. Da wirft er seinem Mentor vor: »Sie haben mich dazu gebracht, alle meine vier Lebensregeln zu brechen: Regel Nr. 1: keine Sorgen. Regel Nr. 2: keine Sorgen! Regel Nr. 3: Hakuna Matata – es gibt keine Probleme. Regel Nr. 4: Lebe den Augenblick!« Der Lehrer, spöttisch und selbstgewiss: »Aber du musst dir Sorgen machen! Du musst dir Sorgen um dein Versagen in Wirtschaftskunde machen, Sorgen um deine Textsicherheit bei den Theaterproben, Sorgen um die Choreografie (…).« Berk steht auf und sagt: »Nein. Sorgen haben meine Großmutter ins Krankenhaus gebracht. Sorgen haben meinen Vater ins Krankenhaus gebracht. Denn Sorgen verursachen Stress, und Stress verursacht Symptome am Herzen.« Er tritt ab. Eine große Szene.

Noch größer ist die, in der Berk endlich sein Lebensziel findet. Jener Lehrer, der ihm auch schon die Grenzen des Wachstums erläutert hatte, zeigt ihm ein Buch über Permakultur mit dem Titel Resilienz. Der Lehrer erklärt: »Resilient ist etwas, das sich biegen lässt, ohne zu brechen. Das macht seine Stärke aus.« Berk ist verblüfft: Sein Name, sagt er, bedeute im Türkischen genau das: Stärke. Lehrer: »Wirklich? Das ist ein gutes Zeichen«. Auf dem Laptop zeigt Berk dem Lehrer die Farm seines Vaters, die könne er doch so umbauen, dass er dort mit Solarenergie Tomaten pflanze, die er dann für sein Restaurant zur Verfügung hätte. Ließe sich damit womöglich alles verbinden, der eigene Traum vom einfachen Glück und die Zufriedenheit des Vaters? Und ein bisschen auch die Rettung der Welt? Man müsse nicht die Welt retten, sagt der Lehrer. Es reiche auch, »gut aufs unmittelbare Umfeld« einzuwirken. In Berks Blick keimt Hoffnung. Endlich genügen.

Lehrerin Vecchio sagte beim Kinofest Lünen, wo Klasse Deutsch den Publikumspreis gewann: »Es reicht nicht, wenn wir in der Schule Integration vorantreiben. Es ist die Aufgabe von jedem. Darum gehe ich mit meiner Klasse so oft wie möglich in die Stadt, und es ist schön, was von der Kölner Bevölkerung zurückkommt. Gehen Sie alle auf die Menschen zu. Schule allein wird Integration nie und nimmer stemmen können.« Schule ist vielmehr geeignet, die Grenzen zwischen sozialen Klassen noch zu verfestigen. Entgegen hehrer Ziele wie »Brücken zwischen den Kulturen zu bauen«, bekennt ein Lehrer in Zauberberg: Er denke manchmal, »dass mein Job darin besteht, Reichen beizubringen, wie sie reich bleiben«. Doch versuche er, seinen Schützlingen klarzumachen, »dass sie Teil der menschlichen Geschichte sind, die Hunderttausende Jahre zuvor begonnen hat und nach uns weitergehen wird«. Manche freilich lassen das Thema Ressourcenknappheit cool an sich abperlen: »Wenn das zum Problem wird, bin ich längst tot«, sagt eine Schülerin, »also was daran ist mein Problem?« Lehrer: »Wir alle sind Teil des Problems und wir alle sind Teil der Lösung«.

»Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß«, erklärt im Schwarz-Weiß-Film Klasse Deutsch die Lehrerin. Das ist etwas, dass auch Berk längst verinnerlicht hat. Er schreibt einen Aufsatz: »Obwohl wir alle gleich geboren sind, bekommen wir nicht die gleichen Chancen. Aber egal, in welche Schicht wir geboren sind: Als Teenager haben wir die gleichen Probleme«. Für sein geplantes Öko-Burger-Restaurant erfindet er sogar ein eigenes Hybrid-Wirtschaftssystem, er nennt es »Kopitalismus«, eine Mischung aus Kommunismus und Kapitalismus: Er würde ein Restaurant anführen, in dem jeder »fast gleich« bezahlt werde, »ohne dass jeder gleich ist«.

Am glücklichsten wirkt Berk, wenn er fragt: »Habt Ihr Hunger?« Und wenn er dann seine »Berk-Burger« braten und verteilen kann. Es ist dieselbe, fast feierliche Zufriedenheit, die auch die Kinder in Klasse Deutsch zeigen, wenn sie beim Schulfest Waffeln backen, einander etwas Gutes reichen. Wenn alles reicht. Irgendwann, und da schwappt die Melancholie auf den Zuschauer über, geht dieses einfache Glück unterwegs verloren.

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