Karsten D. Voigt wurde 1976 in den Bundestag gewählt und war dort bis zu seinem Ausscheiden 1998 in verschiedenen Funktionen, u. a. als außenpolitischer Experte, tätig. Von 1999 bis 2010 war er der Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Im Gespräch für die NG/FH eruiert er die Gründe für den Wahlsieg Donald Trumps, die kulturellen Veränderungen in den USA und die Folgen für die transatlantischen Beziehungen. Die Fragen stellte Thomas Meyer.
NG/FH: Viele haben am Anfang über Donald Trump gesagt: Der macht zwar einen ziemlichen Wirbel, aber gewählt werden kann so einer in den USA nicht. Haben Sie es für möglich gehalten?
Karsten D. Voigt: Ich hatte es von Anfang an für möglich gehalten, dass er von der Republikanischen Partei nominiert wird. Ich hielt es für unwahrscheinlich, aber nicht für ausgeschlossen, dass er gewählt wird. Der Grund dafür: Ich habe mich viele Jahre lang mit den Republikanern beschäftigt. Der Charakter dieser Partei hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Nach der Aufhebung der Rassentrennung durch Lyndon B. Johnson sind viele konservative Südstaatler, die seit dem Bürgerkrieg nie republikanisch gewählt hatten, schrittweise zu den Republikanern gewechselt. Antiintellektuelle und evangelikale Strömungen gewannen an Einfluss. Und die Forderungen einer weißen, wenig gebildeten Mittelschicht, die sich in ihrer Identität und in ihrer sozialen Lage bedroht fühlten, gewannen an Bedeutung. Die Grand Old Party, die früher auch eine Partei der wohlhabenden liberal-konservativen Ostküsten-Elite war, hat sich seit längerer Zeit und für eine längere Zeit verändert. Diese Veränderung hat verschiedene Ausprägungen. Symbole hierfür sind die Tea-Party-Bewegung oder Sarah Palin als bekannteste rechtspopulistische Figur oder die Evangelikalen. Diese verschiedenen Gruppen hat Trump erfolgreich mobilisiert.
NG/FH: Aber Trump ist ja noch einmal ein anderes Kaliber als die konservativen Republikaner. Im Grunde musste er sich zunächst einmal brutal gegen das eigene Parteiestablishment durchsetzen.
Voigt: Das ist richtig, aber die Partei hatte sich schon vorher in diese Richtung verändert. Viele, die ursprünglich demokratisch gewählt haben, sind schon in den 80er Jahren zu sogenannten Reagan-Demokraten geworden und haben Republikaner gewählt.
Trump hat jetzt nur noch einen draufgesetzt, indem er diese unterschiedlichen Strömungen in eine Kampagne gegen das Establishment integriert hat. In gewisser Weise hat auch Barack Obama 2008 in den Vorwahlen mit einer Kampagne gegen das Establishment über Hillary Clinton gesiegt. Es gibt rechte und linke Varianten der Anti-Establishment-Strategie. Hillary Clinton war nun einmal das Symbol für das Washingtoner Establishment. Und der Milliardär Trump inszenierte sich erfolgreich als Kämpfer gegen dieses.
NG/FH: Ich war überrascht zu lesen, dass es einen landesweiten Hass auf Clinton gebe?
Voigt: Hillary Clinton hat nicht nur Gegner, sondern auch Anhänger. Aber viele der Anhänger Trumps haben sie gehasst. Auch manche Demokraten haben sie nicht gemocht, und es nicht über sich gebracht, sie zu wählen.
Hillary Clinton hatte Schwierigkeiten, die Wähler, die für Bernie Sanders waren, zur Stimmabgabe für sich zu bewegen. Sie hat die afroamerikanische Bevölkerung und die jungen Wähler nicht in gleicher Weise mobilisieren können wie Obama. Das Wahlergebnis wäre sonst anders ausgefallen.
NG/FH: Was ist nach Ihrer Auffassung der entscheidende Grund dafür gewesen, dass Trump am Ende das Rennen gemacht hat? Manche sehen in seinem Sieg den Triumph des Trash-Fernsehens über die Politik, eine Entwicklung, die mit dem Ex-Schauspieler Ronald Reagan begann und jetzt noch eine radikale Runde weiter gedreht wurde.
Voigt: Das würde ich so nicht sehen. Obama hat mit Hoffnung gewonnen, Trump mit Angst. Angst etwa der sogenannten Reagan-Democrats vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze in der Kohle- oder Stahlindustrie; Angst der Weißen, vor allem der weißen Männer, dass sie ihren Einfluss in einer sich verändernden Gesellschaft verlieren; Angst der Evangelikalen etwa vor liberalen Urteilen des Supreme Court, des Obersten Gerichtshofes, besonders bei Fragen der Abtreibung und der Homosexualität; Angst der Konservativen vor dem Verlust amerikanischer Identität und amerikanischer Werte; Angst vor der Schwächung der Rolle der USA in der Welt. Amerika verliert in der Tat im Vergleich zu anderen Staaten an Macht. Das ist aber nicht Ergebnis der Schwächung der USA durch die Politik Obamas, sondern Resultat der zunehmenden Stärke anderer Mächte, etwa Chinas.
NG/FH: Was hat Trump denn glaubwürdig erscheinen lassen?
Voigt: Trump hat gelogen; er hat einen Lebenswandel, für den normalerweise ein Evangelikaler niemals stimmen kann; er hat am Rande der Legalität und jenseits der Legalität mit großen Geldmengen jongliert. Trotzdem gilt er für die große Mehrheit seiner Wähler im Vergleich mit Hillary Clinton als glaubwürdiger. Das ist ein Kunststück. Er hat dieses Kunststück vollbracht, indem er seine eigenen Schwächen so vorgeführt hat, wie sie tatsächlich sind. Er hat sich für sie nicht entschuldigt, sondern zu ihnen gestanden. Es gibt eine alte amerikanische Tradition: Wenn man bei irgendeiner Missetat ertappt wird, besonders, wenn diese moralischer Art ist, dann stellt man sich zerknirscht vor die Öffentlichkeit, bekennt seine Schuld und wird dadurch rehabilitiert. Diese traditionelle Norm hat Trump überhaupt nicht beachtet. Er hat sich zu seinen Schwächen bekannt, sie aber zu seinem Nutzen öffentlich inszeniert. Diese Art der Inszenierung seiner Schwächen haben viele Wähler als Beweis der Identität, der Glaubwürdigkeit, der Persönlichkeit und des Anti-Establishment-Verhaltens honoriert.
Wir müssen uns klarmachen, dass sich die Politik und Gesellschaft der USA in den letzten Jahrzehnten polarisiert hat. Wenn ich Demokraten treffe und sie nach ihren Bekannten frage, stelle ich fest, dass der größte Teil ihrer Bekannten auch Demokraten sind. Umgekehrt haben Republikaner kaum demokratische Bekannte. Untersuchungen zeigen, dass in den letzten 10, 20 Jahren auch vor Ort die Zahl der Countys, die entweder eindeutige demokratische oder republikanische Mehrheiten haben, zugenommen hat. Das heißt: Viele Amerikaner kennen nur noch Landsleute mit ähnlichen Einstellungen, ähnlicher Mediennutzung usw. Sie sind fest davon überzeugt, dass die Zahl der Gleichgesinnten größer ist, als es die Medien berichten. Dies ist ein wesentlicher Grund für den Zorn auf die Medien.
NG/FH: Als man sich in den 60er, 70er Jahren mit den Ursachen für das Scheitern der Demokratie in Europa befasste, wurde die berühmte Studie von Gabriel Almond und Sidney Verba über die Civic Culture zugrunde gelegt, die zu dem Schluss kam, dass es in Großbritannien, mehr noch in den USA eine tief sitzende politische Kultur der Demokratie gebe. Eine Grundfrage der Untersuchung lautete: Würde es Sie stören, wenn ihre Tochter, so fragte man zum Beispiel einen Republikaner, einen Demokraten als Bräutigam mit nach Hause brächte? In den USA sagten die meisten: Das würde uns nicht stören. In Italien und in Deutschland war das Ergebnis ein anderes. Das Selbstverständnis der amerikanischen Kultur war also: Ja, wir haben politische Differenzen, führen Kontroversen, wir schätzen uns aber als Menschen uneingeschränkt. Jetzt haben wir doch das komplette Gegenteil, oder?
Voigt: Das ist wahr. Die politische Kultur in den USA hat sich Richtung Polarisierung, in Deutschland aber in Richtung Konsens verändert.
NG/FH: Warum? Was ist da passiert?
Voigt: Im Vergleich mit den Zeiten der Studentenbewegung und des Streites um die Ostpolitik gibt es seit einigen Jahren im breiten Zentrum der bundesdeutschen Politik eine viel geringere Polarisierung. Aber das ändert sich gerade: An den rechten und linken Rändern der deutschen Politik gibt es zurzeit Anzeichen für den Beginn einer neuen Polarisierung. Das gilt für Teile der Anhängerschaft der Linkspartei, was z. B. außen- und europapolitische Themen betrifft, das gilt insgesamt für die AfD, die ansonsten breit akzeptierte Grundnormen der Toleranz und der Ablehnung von Fremdenfeindlichkeit und des Autoritarismus infrage stellt. In den USA ist demgegenüber der Konsens früherer Jahrzehnte durch eine zunehmende Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten abgelöst worden. Diejenigen, die von Wahl zu Wahl parteiübergreifend abgestimmt haben, haben im Kongress an Einfluss verloren oder sie sind aus dem Kongress ausgeschieden. Die Abstimmungen im Kongress finden zunehmend entlang der Parteigrenzen statt, ganz anders als das früher der Fall war; und das gilt für das Repräsentantenhaus wie für den Senat. Diese Veränderung der amerikanischen politischen Kultur hat nicht nur mit Trump zu tun. Sie hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Die zunehmende Polarisierung beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit des amerikanischen Systems.
Es gibt aber auch inhaltliche Veränderungen. Als ich z. B. als junger Abgeordneter in den USA an einem methodistischen College unterrichtete, hat man mich als Vertreter Deutschlands wegen unseres Vorgehens gegen die Rote Armee Fraktion angeprangert. Man sah darin eine Wiederbelebung des deutschen Autoritarismus. Wenn man in den letzten Jahren die liberale Presse in den USA verfolgte, konnte man lesen, dass Deutschland wohl ein Trauma wegen seiner Vergangenheit habe und deswegen nicht in der Lage sei, mit der nötigen Härte gegen den Terrorismus durchzugreifen. Nach 9/11 ist in Amerika das Gleichgewicht von Freiheit und Sicherheit in Richtung Sicherheit gekippt.
Aber es hat sich auch bei uns etwas verändert. Die Mehrheit der Deutschen hat sich in den 50er, 60er Jahren überwiegend mit den amerikanischen Konservativen identifiziert. Bei den Konservativen vermutete man geringere Vorurteile gegenüber den Deutschen. Andererseits fürchtete man ein negatives Vorurteil bei den amerikanischen Juden. Helmut Kohl sprach etwa noch von der »Ostküstenpresse«, was nichts anderes als ein Codewort für die jüdisch beeinflusste Presse war. Wenn man heute Deutsche fragt, wo sie sich in den USA am wohlsten fühlen, lauten die Antworten: New York, Chicago, San Francisco, Miami, also die Zentren des liberalen Judentums. Kaum einer nennt den mittleren Westen, außer wenn es um die Schönheit der Landschaft geht.
Bei den Wahlentscheidungen der letzten Jahrzehnte haben sich die Deutschen, mit Ausnahme bei George Bush senior, zu über 70 % mit den demokratischen Kandidaten identifiziert. Im Verhältnis zu Donald Trump waren es jetzt sogar über 80 % für Hillary Clinton. Damit hätten die Deutschen interessanterweise ähnlich wie die Afroamerikaner und die amerikanischen Juden abgestimmt, nämlich für den jeweiligen liberalen Kandidaten.
Nicht nur die Amerikaner haben sich verändert, wir haben uns auch verändert. Nur wird das bei uns gar nicht so wahrgenommen, weil sich die Veränderungen in der deutschen politischen Kultur langsam vollzogen haben.
NG/FH: Wie wird das in den USA weitergehen? Man hat ja den Eindruck, dass das irgendwann auf eine Art kulturellen Bürgerkrieg hinausläuft. Die Polarisierung wird immer stärker. Und nun repräsentiert auch noch eine Art Extremist die Regierung und das Regierungssystem.
Voigt: Die Amerikaner reden schon jetzt ganz offen über cultural wars. Das sind keine Auseinandersetzungen, die mit Waffen ausgetragen werden, aber es gibt große gesellschaftliche Differenzen darüber, was die amerikanischen Werte – auf die sich ja beide Seiten berufen – ausmacht und darüber, wie man sich die Zukunft Amerikas vorstellt, trotz aller Bekenntnisse zum parteiübergreifenden Konsens.
Ein Beispiel: Talkshows gibt es in den USA wie bei uns. Darin werden die Extreme überrepräsentiert. Bei uns begegnen sich z. B. in einer Talkshow Prostituierte und Nonne. Im amerikanischen Fernsehen gibt es mit Fox News und MNSBC einen Fernsehkanal für die Prostituierte und einen für die Nonne. Im übertragenden Sinne bedeutet das, dass Republikaner und Demokraten nicht nur weniger miteinander reden, es finden im privaten Bereich auch seltener politische Streitgespräche statt. Selbst in den Wohngebieten werden die Kontakte geringer.
NG/FH: Es gibt also eine Art kultureller Segregation?
Voigt: Ja, und es gibt zusätzlich zur vielerorts noch nicht überwundenen rassischen Segregation, auch eine zwischen dem blauen demokratischen und dem roten republikanischen Amerika.
NG/FH: Wie wird das jetzt weitergehen? Wird Trump jetzt opportunistisch das Land mehr oder weniger normal regieren, nachdem er seinen Wählern ein bisschen Beute hingeworfen hat, wie etwa die Mauer an der mexikanischen Grenze oder etwas Ähnliches?
Voigt: Das kann ich nicht voraussagen. Was man sagen kann, ist, dass diejenigen, von denen wir jetzt hoffen, dass sie in der republikanischen Partei mäßigend auf Trump einwirken, vor zwei, drei Jahren von uns noch als extreme Konservative und Ideologen wahrgenommen wurden.
NG/FH: Aber das sind sie ja immer noch …
Voigt: … ja, aber angesichts der heute dominierenden Republikaner gelten sie mittlerweile als relativ gemäßigt und vernünftig. Die Maßstäbe verschieben sich. Wenn man die ersten Personalentscheidungen Trumps analysiert, dann gehe ich davon aus, dass die Wahlen zu einem tiefen innenpolitischen Einschnitt in den USA führen werden. Die vielzitierten Checks and Balances werden nicht mehr funktionieren: Der Kongress hat in beiden Häusern republikanische Mehrheiten. Der Supreme Court wird republikanisch geprägt. Und der Präsident ist ein rechter Populist mit der Neigung zu radikalen Politikentwürfen. Wo sollen dort die Balances herkommen? Man kann sie sich wünschen, aber eher wahrscheinlich ist, dass es eine deutliche Verschiebung der Politik nach rechts gibt und dass Trump America First in einer Weise definiert, die sich noch weniger als multilateral eingebettet versteht als bisher.
America First kann ja bedeuten, die amerikanischen Interessen so zu vertreten, dass derjenige, der sich diesen Interessen nicht beugt, mit den USA in Konflikt geraten wird. Obama hingegen steht ja für eine Politik, die zwar die amerikanischen Interessen vertritt, aber die im wohlverstandenen amerikanischen Eigeninteresse immer auch Rücksicht auf die Partner und deren Vorstellungen genommen hat. Das führt zwar zu keiner multilateralen Politik, wie sie Deutschland liebt und selber praktiziert. Die Politik eines Präsidenten Obama hat sich aber eher an internationalen Rechtsnormen orientiert, als ich dies von Trump erwarte.
Von Trump erwarte ich ein Beharren auf amerikanischen Interessen in einem engen Sinne, eine geringere Rücksichtnahme auf Verbündete und zugleich ein im Vergleich zu Obama geringeres Verständnis für die Notwendigkeiten einer internationalen Ordnung. Das ist deshalb besorgniserregend, weil die Amerikaner weiterhin als internationale Ordnungsmacht z. B. beim Klimaschutzabkommen, bei Rüstungskontrollabkommen sowie bei der Lösung zahlreicher Krisen in vielen Teilen der Welt als konstruktive Macht gebraucht werden.
NG/FH: Ein Einschnitt, den die ganze Welt spüren wird?
Voigt: Absolut. Es kommt ja z. B. gar nicht darauf an, ob sich Trump mit Wladimir Putin gut versteht. Das kann durchaus positiv sein. Aber nicht jede Verständigung zwischen Amerikanern und Russen ist positiv. Die entscheidende Frage ist doch, ob bei einer russisch-amerikanischen Verständigung die Interessen von kleineren und mittleren Staaten flöten gehen und ob sich die USA und Russland in Europa und darüber hinaus auf die wechselseitige Akzeptanz von Einflusssphären einigen. Das würde den außenpolitischen Prinzipien Deutschlands widersprechen.
NG/FH: Aber man kann doch nicht erwarten, dass er das, was er seinen Wählern versprochen hat, auch liefert. Es gibt da so viele Widersprüche, vieles geht aus finanziellen oder anderen Gründen nicht. Da ist die Enttäuschung vorprogrammiert. Oder kann Trump diese wiederum durch eine Art von symbolischer Politik überspielen?
Voigt: Außenpolitik hat ja in Trumps Wahlkampf keine große Rolle gespielt. Dennoch kann der amerikanische Präsident in der Außen- und Sicherheitspolitik vielfach agieren, ohne auf die Stimmung im Kongress oder im Land Rücksicht nehmen zu müssen. Aber sein Handlungsspielraum ist in der Außenpolitik außerordentlich groß. Der Widerspruch zwischen seinen Versprechungen und dem, was er liefern kann, wird besonders in der Wirtschaftspolitik groß sein.
Es kann aber auch sein, dass er durch das Schüren von Feindbildern Zustimmung für sich und seine Politik mobilisieren kann. Ähnlich wie die AfD könnte er versuchen, soziale Probleme durch eine Mobilisierung nationaler Vorurteile Scheinlösungen zuzuführen: Also nicht etwa »Arbeit für alle«, sondern »Arbeit für alle Amerikaner«. Die Konsequenz könnte sein, die amerikanischen Arbeiter durch Abschottung (Aufkündigung von Handelsabkommen, Mauerbau an der Grenze zu Mexiko) und die Abschiebung von Illegalen schützen zu wollen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass Trump versuchen wird, soziale Probleme in nationale Lösungen umzudefinieren.
NG/FH: Wie wird sich denn jetzt der Widerstand organisieren?
Voigt: Ein Teil der Demokraten wird sagen: Wir müssen einen klareren Kurs einschlagen, so wie ihn Bernie Sanders vertreten hat. Ein anderer Teil wird sagen: Wir haben bestimmte Leute der Mitte nicht erreicht und wir müssen uns deshalb in diese Richtung neu definieren. Dieser Streit wird die Demokraten in der nächsten Zeit beschäftigen. Als die SPD 1982 wegen des Koalitionswechsels der FDP aus der Regierung verschwand, haben wir diesen Streit auch in unserer Partei ausgetragen.
Das ist ganz typisch: Wenn reformerische oder im Kern sozialdemokratische Parteien die Macht verlieren, dann gibt es traditionellerweise solche Auseinandersetzungen über die richtige programmatische Weichenstellung. Das ist in den USA nicht anders als bei uns.
NG/FH: Wird es soziale Bewegungen geben, die das nicht hinnehmen?
Voigt: Ja, diese Bewegungen wird es geben. Die Frage ist, wie schnell sie aktiv und wie breit sie aufgestellt sein werden. Zuerst einmal führt eine Wahlniederlage auch zu einer Schwächung des politischen Selbstvertrauens. Es wird immer Leute geben, die sich nach einer Wahlniederlage hoch und heilig versprechen, künftig umso engagierter für eine fortschrittliche Idee kämpfen zu wollen. Aber in der Regel entmutigen und demotivieren Niederlagen. Deshalb glaube ich, dass sich der Widerstand von breiteren Gruppen erst allmählich formieren wird.
NG/FH: Also keine rosigen Aussichten. Jakob Augstein hat die Wahl Trumps mit den Worten kommentiert, das sei »das Ende des Westens«. Die gemeinsamen Grundlagen seien zerstört.
Voigt: Heinrich August Winkler würde dem entgegen halten, dass sich der Westen durch bestimmte Normen, Standards, Ideen und Werte definiert und dass es in seiner Geschichte immer wieder Phasen gab, in denen diese Werte diskreditiert und verraten wurden. Trotzdem orientiert man sich an diesen Werten. Aber die Wahl Trumps ist sicherlich ein Einschnitt. Leider wird die Entwicklung in den USA die innenpolitischen Entwicklungen in Europa negativ beeinflussen.
NG/FH: Nehmen die USA wieder Entwicklungen vorweg, die etwas später auch in Europa stattfinden werden?
Voigt: Es gibt solche Entwicklungen ja bereits bei uns. Die Kommentare der letzten Wochen waren sehr disparat: Ein Teil sagt: Europa müsse jetzt zusammenstehen und die Werte des Westens, also Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und einen humanitären Internationalismus verteidigen. Ein anderer Teil aber sagt: Die deutsche Politik hat die Wähler nicht richtig verstanden. Die Wahlergebnisse in den USA seien jetzt eine Aufforderung zur Kurskorrektur nach rechts, dies auch im Interesse guter transatlantischer Beziehungen.
NG/FH: Konnte Trump nur deshalb gewinnen, weil die Gegenkandidatin eben die verhasste Hillary Clinton war?
Voigt: Dieser These stimme ich zu. Man darf ja nicht vergessen, dass sie bereits gegen Barack Obama verloren hat, weil Obama den Wunsch nach Erneuerung verkörperte und sie nicht.
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