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© Photo by Maggie Jaszowska on Unsplash

Kunst(genuss) im Internet? #closedbutopen

Irgendetwas kommt ja immer dazwischen. Mal ist man gerade montags in einer Stadt mit namhaften Kunstmuseen zu Besuch, aber ausgerechnet an diesem Tag sind sie geschlossen. Ein anderes Mal hat man sich am richtigen Wochentag auf den Weg gemacht, das Museum verlangt aber, was keine Seltenheit ist, einen astronomisch hohen Eintrittspreis. Oder es kommt wie momentan eine weltweite Pandemie dazwischen, die dafür sorgt, dass gleich sämtliche Museen für längere Zeit ihre Pforten schließen mussten. Für all diese Fälle war man in früheren Zeiten auf Bildbände oder Ausstellungskataloge angewiesen. Aber auch Bibliotheken sind nicht immer zugänglich – oder pandemiebedingt geschlossen. Und wer hortet schon zu Hause Sammlungskataloge bedeutender Kunstmuseen aus aller Welt?

#closedbutopen lautet daher seit einiger Zeit das Schlagwort von Museen und Kunsthallen, die ihre erzwungene Schließung mit digitalen Angeboten überbrücken wollen. Das Internet sorgt nicht erst seit der Corona-Krise für Abhilfe – und für eine Öffnung der einst als elitär und verstaubt verschrieenen Kunstinstitutionen für ein breiteres Publikum. Viele, vor allem größere Häuser haben ihre Online-Angebote in den vergangenen Jahren systematisch ausgebaut. Unter anderem machen die Museen ihre Sammlungen in Form digitaler Abbildungen und Informationen jederzeit und überall zugänglich. Die digitalen Sammlungen kommen wie Datenbanken oder Suchmaschinen daher. Dort lassen sich Kunstwerke unter anderem nach Epochen, Gattungen, Künstlernamen oder auch beliebigen Stichworten suchen.

Einige Museen bieten auch thematische Bilderalben, etwa zu den Glanzstücken ihrer Sammlungen, an. Je nach Größe des Museums enthalten sie Tausende teilweise hochaufgelöste Reproduktionen von Kunstwerken. Das Städel Museum in Frankfurt am Main etwa verzeichnet online 29.397 Abbildungen der Objekte aus seiner Sammlung. Insgesamt umfasst die Kollektion nach Angaben des Museums über 3.100 Gemälde, 660 Skulpturen, über 4.600 Fotografien sowie über 100.000 Zeichnungen und Druckgrafiken. Das Online-Sammlungsportal der Münchner Pinakotheken versammelt (erst) etwa 25.000 Objekte. Auch wenn sie (noch) nicht vollständig sein mögen, zeigen digitale Sammlungen weit mehr Werke, als ein Museum in seinen Räumen tatsächlich präsentieren kann. Viele Objekte bleiben jahrelang im Depot verborgen und entgehen damit der Öffentlichkeit. Sie ans Licht zu bringen, ist unzweifelhaft ein Verdienst digitaler Sammlungspräsentationen.

Zudem eignen sie sich als kunsthistorische Nachschlagewerke. Sie erleichtern journalistische, wissenschaftliche, aber auch private Recherchen. Daten zu Material und Technik, Größe, Entstehungszeit und Ankauf der Kunstwerke ergänzen in den allermeisten Fällen die Abbildungen. Das Städel führt ausgewählte wichtige Werke aus seiner Sammlung mit kurzen, einführenden Texten und Audios ein. Die in einigen Fällen hervorragende Bildauflösung der digitalen Sammlungen ermöglicht einen genauen und detaillierten Blick auf die Objekte. Überhaupt erlauben sie einen unverstellten Blick auf Meisterwerke, vor denen sich oft Besucherscharen sammeln. Es ist ein Privileg, etwa Albrecht Dürers berühmtes Selbstbildnis im Pelzrock von 1500 aus der Alten Pinakothek in München so lange man möchte studieren zu können.

Und doch bleibt dieser digitale Kunstgenuss defizitär. Denn man betrachtet letztlich eine völlig flache Bilddatei, und sei sie noch so hoch aufgelöst. Einige unverzichtbare Komponenten der Kunsterfahrung kann die digitale Abbildung nicht vermitteln. Denn ein Kunstwerk lässt sich nicht auf seinen visuellen Gehalt reduzieren. Es ist kein Plakat, das Informationen vermitteln soll. Bis auf wenige Ausnahmen ist jedes Kunstwerk ein physisches Objekt, dessen Größe, Form und materielle Ausgestaltung die Wahrnehmung entscheidend beeinflussen. Johannes Vermeers Gemälde aus dem Amsterdamer Rijksmuseum sind denkbar kompakt, ihr Sog ist dennoch unvergleichlich. Man könnte auch von einer besonderen Aura sprechen. In einer digitalen Sammlung lässt sich diese Ausstrahlung, aber auch die Wirkung monumentaler malerischer Großformate, etwa von Peter Paul Rubens, nur erahnen.

Noch unzulänglicher muten im Internet Skulpturen an. Denn sie leben von ihrer jeweiligen Materialbeschaffenheit und physischer Dimension. Eine Skulptur benötigt den Raum, sie entfaltet ihre Wirkung vor allem im Dreidimensionalen. Der Betrachter muss sie umrunden und in Bezug zur eigenen Körperlichkeit setzen können. Das gilt auch für materialübergreifende Installationen, die oftmals ganze Räume füllen. Joseph Beuys' Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) etwa kondensiert die rätselhafte Energie des legendären Düsseldorfer Kunstschamanen – wenn man das Werk vor Ort erfährt. Die gut bestückte digitale Sammlung des MMK kann mit einer Abbildung auf das Werk hinweisen, mehr aber auch nicht. Es gibt zudem nicht wenige Installationen, die mehrere Sinne des Museumsbesuchers ansprechen, indem sie etwa Klang und Bewegtbild, aber auch Gerüche integrieren. Eine digitale Reproduktion ist nicht in der Lage, dies zu vermitteln.

Flüchtige oder situative Kunstwerke, wie zum Beispiel Performances, sind für Museen ohnehin schwer zu präsentieren, denn sie werden nur für eine kurze Zeit vor meist wenigen Anwesenden aufgeführt. Zumeist behilft man sich im Anschluss mit dokumentierenden Fotografien und Videos. Weil sie aber oft selbst als Werke teuer gehandelt werden, können diese Dokumentationen meist nicht vollständig im Internet gezeigt werden. Der in der Kunstwelt übliche Kult um das Unikat macht vor der Performancekunst nicht Halt. Gleiches gilt für Videokunst. Eigentlich könnte man annehmen, dass sie, solange das Werk digital vorliegt, einfach zugänglich sein sollte. Doch wer ein Video kauft, möchte zu einem kleinen, exklusiven Kreis gehören. Daher beschränkt sich die Präsentation von Videokunst in Online-Sammlungen auf Filmstandbilder und Ausstellungsansichten. Eigens für den digitalen Raum entworfene Kunstwerke fristen unterdessen weiterhin ein Nischendasein.

Ein geglückter Museumsbesuch bietet eine Kombination aus Eindrücken, die auch durch die Hängung und Zusammenstellung der Werke zustande kommt. Bezüge zwischen Werken unterschiedlicher Gattungen, Künstler und Epochen können den Besucher intellektuell und ästhetisch anregen und herausfordern. Nicht zuletzt ist das Museum ein öffentlicher, sozialer Raum. Oft gilt es, die Kunst im Gespräch mit anderen Besuchern oder Museumsmitarbeitern zu erfahren. Digitale Sammlungen können den persönlichen Museumsbesuch daher nicht ersetzen. Es gibt aber Angebote, die den »richtigen« Besuch zumindest zu simulieren versuchen. So lädt etwa die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin zu einem virtuellen 360°-Panorama-Rundgang durch die Ausstellung Marken:Zeichen. Das Grafische Atelier Stankowski+ Duschek ein. Der Besucher kann sich durch den Ausstellungsraum bewegen, sich umsehen und auch auf die rund 300 gezeigten Werke der Grafikdesigner Anton Stankowski und Karl Duschek zoomen.

Als hilfreich erweisen sich digitale Angebote, wenn es darum geht, einen Ausstellungsbesuch vorzubereiten oder zu ergänzen. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt, die über keine eigene Sammlung verfügt, begleitet ihre Ausstellungen seit einigen Jahren mit multimedialen inhaltlichen Einführungen, den sogenannten »Digitorials«. So kann man etwa mithilfe kurzer Texthäppchen und Abbildungen einen ersten Eindruck von der Schau Fantastische Frauen (siehe dazu auch den Beitrag in der April-Ausgabe der NG|FH) erhalten. Sie präsentiert anhand von 34 Künstlerinnen den weiblichen Beitrag zum Surrealismus. Die Ausstellung musste einen Monat nach ihrer Eröffnung wegen der Corona-Pandemie schließen. Auch das Städel Museum bietet »Digitorials« zu seinen Wechselausstellungen an.

Die digitalen Aktivitäten von Schirn und Städel erhielten unter dem ehemaligen Direktor Max Hollein, der heute das New Yorker Metropolitan Museum of Art leitet, einen erheblichen Schub. So bietet das Städel einen fünfteiligen Videokurs an, der anhand von etwa 250 Werken aus der Museumssammlung den Umgang mit moderner und zeitgenössischer Kunst vermitteln soll. Die Schirn wiederum betreibt seit mittlerweile zehn Jahren ein eigenes, quasi-journalistisches Online-Magazin, dessen Konzept über die inhaltliche Begleitung hauseigener Ausstellungen hinausgeht. Das Schirn Mag berichtet regelmäßig, wenngleich nie kritisch, auch über Ausstellungen an anderen Orten und porträtiert lokale Künstler und Kreative.

Andere Museen, wie die Londoner Tate, betreiben YouTube-Videokanäle, die mit Künstlergesprächen sowie thematischen Videos zur Sammlung und zu Wechselausstellungen aufwarten. Solche Formate stehen für die verstärkte Tendenz von Museen und Kunsthallen, als eigenständige Content-Produzenten, wenn nicht sogar Medienmarken, aufzutreten. Printmedien, Radio und Fernsehen verlieren für die Kunstinstitutionen immer mehr an strategischer Bedeutung, da sie zunehmend nur noch das zwar wichtige, aber ältere Publikum erreichen. Auf ihren Social-Media-Kanälen können größere Institutionen unterdessen in direkten Kontakt mit hunderttausenden, vor allem jüngeren Menschen treten und nebenbei mögliche Hemmschwellen abbauen.

Denn alle Nutzer digitaler Angebote sind auch potenzielle zukünftige Besucher. Im Endeffekt laufen die Marketingaktivitäten der meisten Museen und Kunsthallen noch immer darauf hinaus, Publikum real anzuziehen. Oft aber ist der Museumsbesuch nicht möglich – ob nun die geografische Entfernung, ein hoher Eintrittspreis oder eine Pandemie dies verhindern. Für diese Fälle stehen Interessenten aus aller Welt jederzeit frei zugängliche digitale Inhalte in einem Umfang zur Verfügung, der mittlerweile jegliche Grenzen der Aufnahmefähigkeit sprengt. Und das ist, trotz aller Makel dieser Angebote, eine sehr gute Nachricht.

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