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Rassenkonflikte im Krimi Code-Switching

Gegenüber der traditionellen Hochliteratur hat die Genreliteratur, hat vor allem der Kriminalroman in den letzten Jahrzehnten erheblich an Boden gewonnen. Längst ist der Wechsel vom Heft zum Hardcover gelungen. Gerade hat bei Kampa eine neue Edition der Werke Georges Simenons begonnen und bei Suhrkamp, wo man mit Franz Rottensteiners »Phantastischer Bibliothek« schon viel für dieses Genre getan hat, gibt nun mit Thomas Wörtche einer der erfahrensten Lektoren eine eigene Krimireihe heraus. Trotz der Marktmacht der großen Publikumsverlage erscheinen die Spitzentitel einschlägiger Rankings aber oft gerade bei kleinen Verlagen wie Polar oder Pulp Master. Während sich die Publikumsverlage an den Trends des Mainstreams orientieren, lebt der Krimi doch eigentlich von dem, was der geltenden Ordnung widerspricht, dem Regel-, dem Gesetzesverstoß, dem Verbrechen. Um daraus eine spannende Geschichte zu machen, bedarf es eines ausgeprägten Gespürs für die herrschenden Codes und Regeln, aber auch für deren Wandlungen und Widersprüche. Detektive sind Wanderer zwischen den Welten, welche die Sprache des Gesetzes, aber auch die der Gewalt beherrschen. Zum simplen Whodunit kommen Fragen nach dem Wie und Warum. Und die Ordnung, die verletzt worden ist, erweist sich bei genauerer Betrachtung oft als korrumpiert. Der Detektiv nimmt nicht nur das Blut auf dem Teppich unter die Lupe, sondern auch die Gesellschaft, in der es vergossen wurde. Und schaut unter deren Teppiche.

Einer der Maßstäbe setzenden Kriminalromane, Raymond Chandlers The Big Sleep, begann 1939 mit einer ironischen Verbeugung vor einem Kulturgut, das schon zu Zeiten eines Cervantes zur Parodie seiner selbst geworden war – dem Ritterroman. Über dem Eingangstor der schlossähnlichen Residenz seines Auftraggebers General Sternwood prangt ein Fensterbild, auf dem ein Ritter in schwarzer Rüstung einer an einen Baum gebundenen Dame die Knoten ihrer Fesseln zu lösen sucht. Richtige Mühe aber scheint er sich nicht zu geben, und so stellt sich Philip Marlowe nicht nur als seinen Nachfolger, sondern als den besseren Ritter vor: »I stood there and thought that if I lived in the house, I would sooner or later have to climb up there and help him.«

Dass dieser Klassiker der Genreliteratur in den USA unlängst in ausführlich kommentierter Ausgabe erneut erschienen ist, dokumentiert eine Aufwertung des Kriminalromans. Schon 1994 aber war in Deutschland eine sachkundig kommentierte Ausgabe in der Roten Reihe – Fremdsprachentexte bei Reclam erschienen. Und einer der in Deutschland am höchsten gelobten Krimis des Jahres 2018 – Tom Franklins Südstaatenkrimi Krumme Type, krumme Type – lag hierzulande beim Erscheinen der Übersetzung schon im Originaltext für den Englischunterricht vor.

Gerade das erste Kapitel von Chandlers Roman zeigt nicht nur, dass es der Kriminalroman mit der gängigen »Hochliteratur« durchaus aufnehmen kann, sondern auch, dass manche seiner vermeintlichen Klischees nur Ironisierungen überkommener Codes sind. Zwar hat der moderne Ritter Marlowe zu Beginn seine vor allem durch die Verfilmung ikonisch gewordene »Rüstung« aus Hut und Regenmantel noch nicht angelegt, doch schon der erste Satz deutet an, dass er sie – ausgerechnet im sonnigen Kalifornien – bald brauchen wird: »It was about eleven o’clock in the morning, mid October, with the sun not shining and a look of hard wet rain in the clearness of the foothills.«

Bevor der erste Dialog beginnt, hat Chandlers Held schon begonnen, kulturelle Codes zu zitieren, zu entziffern, zu ironisieren und durch Neuschöpfungen zu konterkarieren. Das Wetter liefert den deprimierenden Hintergrund, und angesichts des hochherrschaftlichen Hauses mit seinem quasi-feudalen Ambiente erfindet der Privatdetektiv sich selbst als Retter dessen, was an den Sternwoods noch nicht jenem öligen Sumpf aus Wahn und Verkommenheit verfallen ist, der sich Marlowe dort bald enthüllen wird.

Ethnische Codes

Dass dem Detektiv vor allem im Kino Schlapphut und Trenchcoat den ritterlichen Helm und Harnisch ersetzen, sollte nicht verwundern – selbst im »Hardboiled-Krimi« sind für ihn gerade auch die Soft Skills wichtig – Einfühlungsvermögen, Wortgewandtheit und die Fähigkeit zum Code-Switching. Letzteres haben auch die Gestalten von Attica Lockes Kriminalroman Bluebird, Bluebird gelernt. Nur ist der FBI-Agent Greg Heglund »ein Weißer, der die meiste Zeit seines Lebens mit Schwarzen verbracht hatte«, während Darren Mathews ein Schwarzer ist, der als Texas-Ranger eine Familientradition in einer traditionell weiß beherrschten Umgebung fortsetzt. Zum Code-Switching zählt hier, welche Tänze man tanzt, welchen Sport man treibt und ob man Sportschuhe von Jordan oder Johnston & Murphy trägt. Ob man »y’all« oder »you all« sagt. Was man in Deutschland als Dialekt, Soziolekt, Ober- oder Unterschichtensprache klassifizieren würde, wird von afroamerikanischer Seite als Ausdruck rassischer beziehungsweise rassistischer Segregation verstanden. Spricht man noch die eigene Sprache oder schon die Sprache der anderen? Die Karriere in der Welt der Weißen entfremdet, Treue zur Herkunft hemmt.

Für den Ranger Mathews zeigen sich die Codes, zwischen denen er wechselt, nicht nur in den unterschiedlichen Reaktionen beim Betreten einer von Schwarzen betriebenen Imbissstube oder eines Treffpunkts weißer Rassisten. Sie zeigen sich mehr noch, sobald er dort seinen Rangerstern anlegt, der – je nach Umfeld – Freundlichkeit in Misstrauen oder ostentative Verachtung in widerwilligen Respekt umschlagen lässt. Als er nach einer zeitweiligen Suspendierung auf eigene Faust einen Doppelmord mit vermutlich rassistischem Hintergrund untersucht, lässt er den Stern nicht nur aus disziplinarischen Gründen zunächst weg: »Ohne die Marke war er lediglich ein Schwarzer, der allein über einen Highway fuhr.«

Nicht nur auf dem Highway ist Mathews ein Wanderer zwischen den Welten, denn eigentlich hätte er Jurist werden wollen. Doch in das Studium war eine Nachricht aus dem texanischen Ort Jasper geplatzt, wo der Schwarze James Byrd jr. von Weißen mit einem Pick-up zu Tode geschleift worden war. Attica Lockes Helden ging es beim Wechsel von der Juristerei in den Polizeidienst nicht nur um Gerechtigkeit, sondern um die Integrität seines Heimatstaates Texas. Und um die Sehnsucht nach einem Ort, wo man nicht schwarz oder weiß, sondern einfach zu Hause ist.

Während die Geschichte dieses Texas-Rangers den Stand eines afroamerikanischen Marsches durch die Institutionen markiert, erzählt Thomas Mullens Roman Darktown von dessen Anfängen. Auf Druck des Bürgermeisters von Atlanta sah sich das Police Department dieser Stadt 1948 gezwungen, die acht ersten »Negro-Officers« einzustellen. Auch der Bürgermeister hatte dies nicht freiwillig veranlasst, sondern weil es immer mehr »Negroes« wagten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, was bis dahin an vielen Orten mit brutalsten Mitteln verhindert worden war. So weit, dass man die neuen Kollegen zu sich ins Polizeigebäude gelassen, ihnen Autos oder das Recht gegeben hätte, verdächtige Weiße festzunehmen, war es damals noch nicht gekommen. So beginnt Darktown mit einer demütigenden Szene, in der die beiden schwarzen Protagonisten einen betrunkenen weißen Autofahrer anhalten, der eine Laterne beschädigt und eine verletzte Schwarze bei sich im Wagen hat. Auf die höfliche Ansprache reagiert der Weiße herablassend, nennt einen Officer »Junge« und duzt ihn: »Du darfst mich doch gar nicht festnehmen, und das weißt du.«

Thomas Mullen hat darauf verzichtet, seine Gestalten zu charakterisieren, indem er ihnen historische Soziolekte in den Mund legt, und der Übersetzer Berni Mayer hat den offiziösen Ausdruck »Negro« in der deutschen Ausgabe beibehalten, doch auch so wird klar, wer hier wie diskriminiert wird. Besonders der Ausdruck »Junge«, im Original »boy«, für einen erwachsenen Mann zählt zu rassistischen Beleidigungen, gegen die schwarze Arbeiter und Bürgerrechtler mit dem Slogan »I am a Man« auf die Straße gingen. So wie 1968 in Memphis, wo der Streik der Müllarbeiter und die Ermordung Martin Luthers Kings den einen Schwerpunkt von Leonhard Pitts jr. Roman Grant Park bilden. Den anderen bildet die von weißen Suprematisten geplante Ermordung Barack Obamas, der im titelgebenden Park am Wahlabend als erster schwarzer US-Präsident auftreten will. Dazwischen liegen vier Jahrzehnte, in denen Pitts Protagonist Malcolm Toussaint wie der Autor selbst eine journalistische Traumkarriere gemacht und Pulitzerpreise gesammelt hat.

Doch ausgerechnet an diesem Tag hat sich Malcolm um Kopf und Kragen geschrieben, hat eine schon abgelehnte Kolumne in seine Zeitung geschmuggelt, in der er seinen ganzen Zorn über den »Bullshit der Weißen« zu Papier gebracht hat. Dieser »Bullshit« besteht vor allem aus dem Vorwurf, er selbst als Erfolgsjournalist sei doch das beste Beispiel dafür, dass am Jammern der Schwarzen über ihre angebliche Unterdrückung nichts mehr dran sei. Doch während Malcoms Coup Vorgesetzte und Kollegen zur Weißglut treibt, hat er längst andere Probleme. Zwei weiße Fanatiker haben ihn gekidnappt und als Galionsfigur für die Autobombe auserkoren, die Obama töten soll.

Rassismus des sozialen Abstiegs

Malcolm sieht sich in tragikomische Dialoge mit einem emotional gestörten Koloss verwickelt, einem großen von krankhaftem Riesenwuchs entstellten Jungen, der nicht einsehen will, dass sein Freund und Anführer sozial weit dysfunktionaler ist als die meisten »Schwuchteln und Nigger«, von denen er das Land befreien will. »Dein Kumpel ist ein arbeitsloser Junkie«, argumentiert Malcolm, »er ist kriminell und er hat Kinder, um die er sich nicht kümmert. Mann, da verstehe ich nicht, warum ihr beiden Nigger hasst. Ihr seid selbst Nigger.« Dem widerspricht sein in solchen Dingen sehr empfindsames Gegenüber mit Zornestränen in den Augen: »›Wir sind Weiße‹, sagte er. ›Das ist der Unterschied.‹«

Seine Reaktion zeigt, warum der Rassismus gerade bei jenen Weißen so hartnäckig ist, denen es noch schlechter geht als den meisten Schwarzen. So tief wie ein »Nigger« kann selbst der »White Trash« nicht sinken, lautet ihr Credo, das jede Solidarisierung ausschließt. Dabei erzählen Locke wie Franklin und Mullen wie Pitts doch auch davon, das Schwarz und Weiß einander auch verwandtschaftlich längst viel nähergekommen sind als es der Rassismus wahrhaben will. Eine der weißen Gestalten in Mullens Darktown trauert den väterlichen Gefühlen nach, die er einst für ein farbiges Kind gehegt hatte. Pitts Grant Park geht vergleichsweise glimpflich aus, und sein Held Malcolm will es am Ende noch einmal mit der Hoffnung versuchen: »Er hatte keine andere Wahl«, heißt es im Schlusssatz so treffend wie desillusioniert.

Tom Franklin: Krumme Type, krumme Type. Pulp Master, Berlin 2018, 416 S., 15,80 €. – Attica Locke: Bluebird, Bluebird. Polar, Stuttgart 2019, 329 S., 20 €. – Thomas Mullen: Darktown. DuMont, Köln 2019, 480 S., 24 €. – Leonard Pitts Jr.: Grant Park. Polar, Stuttgart 2018, 550 S., 22 €. – Raymond Chandler: The Annotated Big Sleep. Vintage Crime, New York 2018, 512 S., 16,99 €.

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