Seit nunmehr anderthalb Jahren hält die Coronapandemie die Welt in Atem, und ein Ende ist nicht wirklich absehbar. Ende Juli 2021, zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Zeilen, diskutieren die Experten die Auswirkungen der Delta-Variante und Pessimisten oder Realisten fragen sich, wie viele Buchstaben das griechische Alphabet denn eigentlich hat. Die Idee für den hier zu besprechenden Band ist bereits zu Beginn der Pandemie entstanden und verdankt sich der Weitsicht der Herausgeber, die bereits früh erfassten, welch gravierende Auswirkungen Corona auf weltweite Arbeitswelten und Arbeitsbedingungen haben würde. Andreas Eckert als Direktor des 2009 ins Leben gerufenen Zentrums »Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive« (kurz: re:work) an der Berliner Humboldt-Universität und Felicitas Hentschke als wissenschaftliche Koordinatorin dieses Käte Hamburger Kollegs in Berlin versammeln in diesem Band eine ganze Reihe von namhaften Autor:innen, die ganz überwiegend Fellows von »re:work« waren und über das letzte Jahrzehnt in Deutschland maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich die Geschichte der Arbeit in globaler Perspektive unter jungen Wissenschaftler:innen wachsender Beliebtheit erfreut und sich zugleich die deutsche Arbeitergeschichte zunehmend global vernetzen konnte.
Dem zu Recht international herausragenden Ruf von »re:work« wird der hier vorgelegte Band in jeder Hinsicht gerecht. Die darin versammelten, weitgehend im Sommer 2020 geschriebenen Beiträge vermitteln ein umfassendes, kaleidoskopisches Bild von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Welt der Arbeit und die Summe der hier vorgestellten Analysen vermittelt ein kritisches Bild des globalen Kapitalismus unter den Bedingungen der Pandemie. Es gibt zudem zahlreiche Anregungen, die Forschungen zu den hier angeschnittenen Themen in den nächsten Jahren weiter voranzutreiben.
Ohne Frage zeigen viele Beiträge, dass die ohnehin Schwächsten am Arbeitsmarkt oftmals am heftigsten von der Pandemie betroffen waren. Arbeitsbeziehungen und Arbeitspraxen haben sich unter den Bedingungen der Pandemie massiv verändert. Populistische und antidemokratische Kräfte haben durch Corona Auftrieb erhalten.
Mahua Sarkar, Soziologieprofessorin an der Binghamton Universität in New York, eröffnet den Reigen von Analysen und Betrachtungen mit einem Essay zum Alltag an den Hochschulen unter Coronabedingungen, der in den letzten anderthalb Jahren komplett auf den digitalen Betrieb umgestellt wurde, zum Leidwesen vieler Studierender und Lehrender, auch wenn Universitätsangehörige, zumindest insofern sie feste Stellen innehaben, sicher nicht zu den Pandemieverlierern gerechnet werden können.
Ganz anders sieht es mit denen aus, denen sich die Beiträge der ersten thematischen Sektion widmen – den ärmsten und marginalisiertesten Arbeiter:innen. In Kalkutta führte Supurna Banerjee, Professorin am Institut für Entwicklungsstudien der dortigen Universität, Interviews mit migrantischen Arbeiter:innen, deren prekäre Situation durch die Pandemie noch einmal deutlich verschärft wurde. Ihre Kollegin Chitra Joshi von der Universität Delhi, zeigt eindrücklich, wie der indische Staat in der Pandemie gerade gegen die schwächsten der Arbeitsmigrant:innen vorgeht. Dass sich die Arbeitswelten des globalen Nordens, trotz aller Vorzüge, manchmal doch fatal denen des globalen Südens annähern, zeigt der Beitrag der historischen Anthropologin Alina-Sandra Cucu, die sich mit rumänischen Arbeiter:innen beschäftigt, die in der Pandemie oftmals ihre Arbeitsplätze wechseln mussten, um am Rande des Existenzminimums zu überleben. Selbst im reichen Deutschland, so resümmiert der überzeugende Beitrag der Direktorin des SOFI in Göttingen, Nicole Mayer-Ahuja, ist das inflationäre Gerede von der angeblich gesellschaftlichen Solidarität nur schwer in Einklang zu bringen mit den, entlang der Klassen-, Geschlechter- und ethnischen Grenzen verlaufenden Diskriminierungen und Benachteiligungen am Arbeitsmarkt, die sich in der Pandemie tendenziell eher noch verschärft haben, auch wenn Mayer-Ahuja schlussendlich leidenschaftlich dafür plädiert, tatsächliche Kulturen der Solidarität und ihre Akteure in der Gesellschaft zu stärken.
Dass bestimmte Gruppen von Arbeiter:innen in der Pandemie als systemisch relevant eingestuft wurden, beschäftigt die Autor:innen der dritten Sektion des Buches. Die Historiker Larissa Rosa Corrêa und Paulo Fontes beschäftigen sich mit der Situation von Hausangestellten in ihrer Heimatstadt Rio de Janeiro, die besonders von der Pandemie betroffen waren. Die Soziologin Bridget Kenny untersucht den Arbeitsalltag von weiblichen Reinigungskräften in Johannesburg, die, ähnlich wie ihre brasilianischen Kolleg:innen besonders stark von der Gefahr, sich mit der potenziell tödlichen Krankheit zu infizieren, bedroht sind, während sich ihre Arbeitsbedingungen in der Pandemie weiter verschlechterten. Die sich ähnelnden deprimierenden Perspektiven aus Südafrika und Brasilien werden konterkariert durch das Beispiel einer Modedesignerin aus Addis Abeba, die die Krise als Chance nutzte und sehr erfolgreich Gesichtsmasken produziert – eine anrührende Geschichte, die von dem Historiker Bahru Zewde spannend erzählt wird.
Faszinierend ist auch die nächste Sektion dieses seine Leserschaft in den Bann ziehenden Buches zu den Gesundheitssystemen und ihren Herausforderungen in der Pandemie. Marcel van der Linden vom Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam widmet sich dem Pflegepersonal in den Krankenhäusern, deren andauernde Überarbeitung und schlechte Bezahlung in einem denkbar scharfen Kontrast zu den heuchlerischen Lobgesängen auf ihren Heroenstatus in der Pandemie stehen. Deborah James, Anthropologin an der London School of Economics, unterstreicht die katastrophalen Folgen des voranschreitenden Rückzugs des Staates aus der Verantwortung für das nurmehr theoretisch vorbildliche staatliche Gesundheitssystem auf der Insel. Am Beispiel Dänemarks zeigt der Sozialwissenschaftler Preben Kaarsholm, wie die Pandemie in Teilen Kontinentaleuropas neoliberale Ideologien zurückdrängt und es zu einer Rückkehr keynesianischer Modelle kommt, die dem Staat wieder eine stärkere Bedeutung in unterschiedlichen Sektoren von Wirtschaft und Gesellschaft zuschreibt. Der Wirtschaftshistoriker Yoko Tanaka steuert eine außereuropäische Perspektive bei, indem er die weitgehend dysfunktionale Antwort der japanischen Regierung auf die Pandemie einer Fundamentalkritik unterzieht.
Der Einfluss der Pandemie auf die globale Jugend ist das Thema der nächsten Sektion des Buches. Die Entfremdung von Arbeit und Schule als Folge der Pandemie steht im Mittelpunkt der Beiträge der Sozialhistorikerinnen Mary Jo Maynes und Ann Waltner zu Minneapolis und des Anthropologen James Williams zu Großbritannien, während der Erziehungswissenschaftler Babacar Fall aus der Sahelzone von einer positiven Initiative berichtet, die jungen Frauen eine professionelle Perspektive eröffnet und die es auch in der Pandemie erlaubt, dass die Teilnehmerinnen einen sinnvollen Beitrag zur Bekämpfung von Corona leisten.
Fragen von sozialer Gerechtigkeit stehen im Mittelpunkt der vorletzten Sektion des Bandes. Piloten in Israel, Sexarbeiterinnen in Argentinien, US-amerikanische Polizisten und Arbeiter:innen in der Geflügelindustrie stehen im Mittelpunkt der Untersuchungen der Sozialhistoriker:innen On Barak, Cristiana Schettini und Leon Fink, die allesamt faszinierende Perspektiven auf sich verschärfende Formen von sozialer Ungerechtigkeit unter den Bedingungen der Pandemie werfen und darauf aufmerksam machen, dass unterschiedliche Gruppen von Arbeiter:innen sich unterschiedlich erfolgreich gegen Diskriminierung und Ausbeutung einsetzen.
Die letzte Sektion des Buches beschäftigt sich mit den massiv zunehmenden Formen digitaler Arbeit, die laut dem Sozialhistoriker Jürgen Kocka die Arbeitswelten in der Zukunft massiv verändern werden. Die europäische Zeithistorikerin Sandrine Kott verweist auf die zunehmende Rolle des Staates unter den Bedingungen der Pandemie, während der Filmemacher Daniel Eisenberg Selbstbeobachungen eines digitalen Arbeiters niederschreibt. Besonders erwähnt werden sollte noch der Fotoessay des Künstlers Maurice Weiss, der im März und April 2020 seine Aufnahmen in der Coronanotaufnahme eines Potsdamer Krankenhauses machen konnte. Das den Essay begleitende Interview zwischen dem Künstler und Felicitas Hentschke unterstreicht eindrücklich, inwiefern die Fotografie in der Lage ist, jenseits von Worten zum Verständnis unserer zeitgenössichen Welt wesentlich beizutragen.
Man kann den Herausgebern zu diesem herausragenden Band zu globalen Arbeitswelten unter Bedingungen einer globalen Pandemie nur gratulieren und hoffen, dass die Lektüre möglichst viele andere Forscher:innen dazu anregen wird, tiefer zu schürfen und weiter zu fragen. Ebensowenig wie ein Ende der Pandemie absehbar ist, ist klar, wie sich Corona auf die Welt der Arbeit in unterschiedlichen Ländern der Erde langfristig auswirken wird. Das die tektonischen Platten dieser Welten allerdings durch die Pandemie in Bewegung geraten sind, das wird auf jeder Seite dieses zur Lektüre unbedingt empfohlenen Bandes deutlich.
Andreas Eckert/Felicitas Hentschke: Corona and Work Around the Globe. Band 11 der Reihe: Work in Global and Historical Perspective. De Gruyter, Berlin 2021, 278 S., 24,95 €.
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