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Dänemark – die Welt als Wille und Vorstellung

Dänemark! Ein Lichtstreif am Horizont der überall gebeutelten europäischen Sozialdemokratie. Hier scheint das wahr zu werden, wovon andere nur träumen. Die dänische Arbeiterpartei konnte die Regierung übernehmen, ihre Vorsitzende Mette Frederiksen wurde neue Ministerpräsidentin. Schnell hagelte es Empfehlungen: Die deutsche Sozialdemokratie müsse doch bitteschön die Realitäten anerkennen und sich am dänischen Weg orientieren, der hier vor allem als harsche Migrationspolitik verstanden wurde. Ein blauäugiges »Weiter so« dürfe es nicht geben, die Spitze der SPD müsse sich endlich mit unangenehmen Fragen im Bereich Migration auseinandersetzen und der Wirklichkeit ins Auge sehen. Schließlich haben die Dänen gezeigt, wie es geht.

Neben dem ehemaligen Parteivorsitzenden, dem in den fast neun Jahren seines Vorsitzes diese unangenehmen Fragen offenbar nicht präsent waren, sind es die üblichen Verdächtigen: Thilo Sarrazin fordert in einem Gastbeitrag für die Junge Freiheit, dass die SPD von Dänemark lernen müsse, ebenso wie Frank A. Meyer im Cicero. Diejenigen, die sich dabei als Anwälte der Realität darstellen, gehen allerdings selbst abenteuerlich mit den Fakten um.

Migration als Wahlthema

Zunächst ist vom Sieg oder vom »schnellen Aufstieg« der dänischen Sozialdemokraten die Rede. Faktisch haben die dänischen Genossen bei der letzten Wahl im Vergleich zur vorvergangenen Wahl leicht verloren. Dazugewonnen hat tatsächlich der linke »rote Block«, sogar um 7 %. Das ist allerdings mehreren kleineren linksliberalen und linksgrünen Parteien zu verdanken, die sich allesamt deutlich von der Migrationspolitik der Sozialdemokraten distanziert haben, bis hin zu dem Hinweis, dass es mit dieser Migrationspolitik keine Koalition mit den Sozialdemokraten geben werde. Der Wahlsieg des linken Lagers ist also gerade denjenigen Parteien zu verdanken, die den Rechtsschwenk nicht mitgemacht haben.

Die zweite Deutung lautet, dass das Thema Migration den Wahlausgang bestimmt habe. Wer sich die Statistiken zu den wahlentscheidenden Themen anschaut, stellt fest: Am wichtigsten waren den Dänen Fragen der Klima- und Umweltpolitik. Hier haben die dänischen Sozialdemokraten übrigens ein bemerkenswertes Profil entwickelt. Zweitwichtigstes Thema war die Zukunft des Wohlfahrtsstaates. Erst an dritter Stelle schließlich, mit unter 20 %, wurde das Thema Migration genannt. Wahlentscheidend dürfte das nicht gewesen sein.

Dennoch wird munter weiter über die dritte Annahme fabuliert, nämlich dass man wegen der sozialdemokratisch-harschen Migrationspolitik die Rechtspopulisten erledigt habe. Tatsächlich hat sich das Ergebnis der rechtspopulistischen »Dänischen Volkspartei« von 21,1 auf 8,7 % mehr als halbiert. Dass die ehemaligen Wähler der Rechten nun aber reihenweise zur Sozialdemokratie gefunden hätten, ist schlicht falsch. Die Wählerwanderungen zeigen, dass nur ein geringer Teil (etwa 9 %) von den Rechtspopulisten zu den Sozialdemokraten gewandert ist. Die Skandalserie der Rechtspopulisten dürfte für deren Abschneiden wichtiger gewesen sein als der Migrationskurs der Genossen. Darüber hinaus haben sich gleich zwei neue rechtspopulistische Parteien etabliert, »Nye Borgerlige« und »Stram Kurs«, die von den Verlusten der Dänischen Volkspartei profitiert haben.

Für alle drei Annahmen – Wahlsieg der Sozialdemokraten, Migration entscheidend, den Rechtspopulisten Stimmen abgenommen – gibt es also keinen Beleg. Wer nun mutig genug ist, einen Schritt zurückzutreten von dem, was er schon immer dachte, und unvoreingenommen auf die jüngsten Wahlergebnisse sozialdemokratischer Parteien in Europa schaut, kommt zu einem differenzierten Ergebnis, sowohl zum dänischen Fall, als auch zur europäischen Sozialdemokratie insgesamt.

Keine leeren Versprechungen

Zunächst zeigt sich, dass der dänische Weg ein Sonderweg innerhalb der sozialdemokratischen Parteien Europas ist. Die Dänen verfolgen spätestens seit 2015 einen radikalen Wechsel hin zu einer drastisch-verschärften Migrationspolitik (»Udlændingepolitik« = Ausländerpolitk). Baustein dessen ist die Reduktion der sogenannten »nicht-westlichen« Zuwanderung, also ein Zuwanderungsregime, welches nicht nach Qualifikation oder Status entscheidet, sondern nach Herkunft. Auch die faktische Abschaffung des Asylrechts in Dänemark ist Bestandteil des Programms. Es soll demnach nicht mehr möglich sein, einen Asylantrag in Dänemark zu stellen, weder an den Grenzen noch im Land. Wer es versucht, wird in ein von Dänemark geführtes Flüchtlingslager überführt, etwa nach Nordafrika, wo über seinen Antrag entschieden wird. Wird ihm Asyl gewährt, kann er in diesem Lager verbleiben oder in dem Land, in dem das Aufnahmezentrum steht. Dass es sich bei dieser Programmatik nicht um leere Versprechen handelt, hat die dänische Sozialdemokratie schon während der vergangenen Oppositionsphase bewiesen, als sie eine Reihe von Verschärfungen in der Migrationspolitik der konservativen Regierung mitgetragen hat. Dazu gehört, dass Menschen, die in sogenannten Gettos Verbrechen begehen, härter bestraft werden sollen als für Verbrechen in anderen Vierteln oder die Isolierung von straffällig gewordenen Asylsuchenden auf der Insel Lindholm.

Innerhalb der Partei ist dieser Weg nicht unumstritten. Bei dem Parteitag, auf dem ein neues, die Zuwanderung und Integration im o. g. Sinne thematisierendes Grundsatzprogramm angenommen wurde, gab es kontroverse Debatten darüber, ob man tatsächlich die Sprache der Rechtspopulisten übernehmen solle. Die breite Mehrheit der Partei scheint aber mit diesem Kurs einverstanden zu sein und schließt damit an einen gesellschaftlichen Diskurs an, der seit Jahren durch eine sehr harsche Auseinandersetzung um eine restriktivere Einwanderungspolitik gekennzeichnet ist.

Andere sozialdemokratische Parteien gehen diesen Weg nicht, sei es, weil sie ihn für unvereinbar mit ihren programmatischen Kernversprechen halten – der Gleichheitsbotschaft oder der Vorstellung von Solidarität – sei es, weil ihre Wähler und Mitglieder in diesen Fragen sehr uneinheitlich aufgestellt sind. Wie sieht es dann mit anderen Erfolgsfaktoren sozialdemokratischer Parteien aus?

Es gibt sie ja durchaus, die Zugewinne sozialdemokratischer Parteien. Am augenfälligsten wahrscheinlich gerade auf der iberischen Halbinsel mit den spanischen und portugiesischen Sozialisten. Auch die niederländischen Sozialdemokraten haben bei der Europawahl eine erstaunliche Renaissance erlebt. Die jeweiligen Fälle sind dabei unterschiedlich, einzelne Policy-Empfehlungen nur schwer abzuleiten. In gesellschaftspolitischer Hinsicht – eher liberal oder eher autoritär orientiert – ist die Bandbreite groß. Sozioökonomisch allerdings werden durchaus Muster erkennbar. Alle sozialdemokratischen Parteien, die in jüngeren Wahlen Erfolge erzielen konnten, haben sich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik eher in Richtung Begrenzung der kapitalistischen Logik und größerer gesellschaftlicher Umverteilung positioniert. Die Erfolgsfälle sind davon gezeichnet, dass die Sozialdemokraten sozioökonomisch nach links gerückt sind. Auch die dänischen Genossen übrigens. Und das ergibt vielleicht bessere Hinweise für die Strategiedebatte der deutschen Sozialdemokratie, als ein verkürzter Blick nach Dänemark. Denn die empirischen Befunde sind eindeutig: Die deutschen Europawahlergebnisse machen deutlich, dass die AfD dort am stärksten ist, wo das sozioökonomische Gefälle der Menschen am größten ist. Hierin zeigt sich der entscheidende Hebel für die Renaissance der sozialdemokratischen Parteien: Zeigen, dass Einzelpersonen nicht Spielball unbeherrschbarer und unberechenbarer Marktkräfte sind, Eintreten gegen krasse soziale Ungleichheiten und für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt.

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