Menü

Dafür & dagegen War die bisherige Außenpolitik falsch?

Ja, denn im Kern geht es im Völkerrecht um die Souveränität aller Staaten, und wie will man dieses Recht verteidigen, wenn man einem unschuldig angegriffenen Land nicht beisteht? Die veränderte Außenpolitik der Bundesregierung ist daher nicht nur völkerrechtlich korrekt, sie ist politisch und moralisch geboten.

Es gab übrigens immer deutsche Waffenlieferungen in Kriegsgebiete: so Ende der 50er Jahre an Israel, seit Langem an die afghanische Armee, 2014 an die Kurden in Syrien und im Irak, zuletzt 2021 an die im Jemen und in Libyen kriegführende Diktatur Ägypten. Das geschah stets unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung und ermöglichte der Bundesregierung so widersprüchlich zu agieren, wie sie es tat: 1991 stellte sie sich auf die Seite der Golfkriegskoalition, bezahlte sogar den Krieg mit fast 20 Milliarden D-Mark, tat aber so, als sei sie neutral.

Der Tabubruch erfolgte bereits 1999, als die erste rot-grüne Regierung an der Seite der NATO mithalf, Slobodan Milošević aus dem Kosovo zu vertreiben und in die Knie zu zwingen. Die Täter von damals landeten in Den Haag und heute kann man sagen, dass die Bundesregierung völkerrechtlich in einer Grauzone, aber politisch völlig richtig gehandelt hat, um eine weitere Unterdrückung der Kosovaren – und Serben – zu verhindern.

Die Fehler wurden zu anderer Zeit gemacht: In der schwächsten Phase Russlands schwatzte der Westen 1994 der postsowjetisch geführten Ukraine ihre Atomwaffen ab, gegen vage Sicherheitsgarantien Russlands und der NATO. Damals glaubten viele im Westen, nach dem Zerfall der UdSSR sei jede Bedrohung verschwunden und ewiger Frieden ausgebrochen. Als Putin begann, seine gewalttätige Revision der »größten geostrategischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts«, wie er das Ende der UdSSR bezeichnete, 2008 mit dem Georgienkrieg umzusetzen, wollten die USA Georgien und die Ukraine in die NATO aufnehmen, aber die Merkelregierung verhinderte dies, so der Ex-NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in einem n-tv-Interview unerwartet deutlich.

Ähnlich »schwach und zu langsam« sei 2014 die Reaktion nach der Annexion der Krim und der Separation im Donbass gewesen. Angela Merkel hatte mit dem Minsker Format den Konflikt »eingefroren«, um den Preis, dass der eigentliche Konflikttreiber – Russland – als Vermittler auftreten konnte. Dies war für Deutschland praktisch, wie Herfried Münkler in seinem Buch Kriegssplitter schreibt, aber es beinhaltete den Kardinalfehler, dass Russland den Konflikt jederzeit anheizen konnte ohne wirklich zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Die Gründe dafür liegen im Sonderverhältnis zwischen Deutschland und Russland, dass seit dem Zweiten Weltkrieg und vor allem seit der Besetzung der DDR von Schuld- und Angstgefühlen geprägt ist. Da ehrt beispielsweise der Bundespräsident das Russische Kriegsmuseum in Karlshorst – und muss sich vom ukrainischen Botschafter belehren lassen, dass Belarussen und Ukrainer auch je ein Viertel ihrer Bürger verloren haben.

Diese Leerstelle im deutschen Kollektivbewusstsein nutzte Putin weidlich aus. Dazu kommt die traditionelle Zurückhaltung der »Handelsrepublik Deutschland«, die unter Merkel den Zenit erreicht hatte: Die Priorität lag beim Export und Import, Autos gingen nach China, Energie kam aus Russland; um Politik kümmerte sich »Mutti« (»sie kennen mich«). »Wir« gingen unseren Geschäften nach. Der Deal klappte viele Jahre so gut, dass Merkel auch noch nach (!) 2014 die Abhängigkeit von russischem Gas verdoppeln konnte. All dies auch deshalb, weil die Fraktion der »Putin-Versteher« in der SPD noch größer war als in der Union: Hier trieb man Nordstream 2 gegen den erklärten Widerstand fast ganz Europas und der USA unbeirrt als »rein privatwirtschaftliches Projekt« voran. Das Desinteresse für Putins barbarische Kriegführung etwa in Tschetschenien, Georgien und Syrien war hierzulande besonders groß. Demgegenüber hatte man viel Verständnis für die »Sicherheitsbedürfnisse« des größten Landes der Welt, das sich von Finnland, Balten, Polen und Moldau »umzingelt« sah.

Bei uns sah man den Zusammenhang von immer massiverer innerer Repression in Russland und einer immer aggressiver werdenden Außenpolitik ebenso wenig, wie die Tatsache, dass wir uns seit 2014 in einem weltweit geführten Krieg mit zwei mächtigen, gewaltbereiten, revisionistischen Mächten befinden – Russland im Westen und China im Osten – die ihre Ziele mit zum Teil hybriden (Cyberattacken, Wirtschaftskriegen), aber auch militärischen Mitteln verfolgen.

Die Fehler der GroKo

In den letzten Monaten, als die Hilferufe der Ukraine flehentlicher wurden, zog man sich immer mehr auf pure Mythen zurück. So wurde etwa der Satz »Wir liefern nicht in Spannungsgebiete« gebetsmühlenartig wiederholt, während die Groko noch in ihren letzten Tagen Rüstungsgüter im Wert von über vier Milliarden Euro für Ägypten bewilligte! Als der Krieg schon lief und die Bundesregierung der Ukraine täglich ihren Beistand signalisierte, konnte man in einem Blog-Eintrag des britischen Wirtschaftshistorikers Adam Tooze nachlesen, dass sie zugleich die deutschen Beamten anwies, SWIFT aus den EU-Sanktionen herauszunehmen. Erst als sich abzeichnete, dass wir als letztes Land gegen die Sanktionen waren, kam die 180-Grad-Wende der Regierung. Allerdings auch nicht auf dem Energiesektor, der ausgenommen bleibt: Angesichts der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl ist eine sofortige Wende auch unmöglich.

Und da sind wir beim nächsten Fehler der Groko: während wechselnde Wirtschaftsminister von Sigmar Gabriel bis Peter Altmaier den Umbau zu den Erneuerbaren blockierten, wurde die Abhängigkeit von russischen fossilen Trägern immer mehr erhöht – allen Klimaschutzbeteuerungen zum Trotz. Es wurde nicht mal eine nationale Gasreserve aufgebaut, sondern blind darauf vertraut, dass Russland ja auch schon im Kalten Krieg geliefert habe. Aber die UdSSR war offensichtlich berechenbarer als Putin heute.

Was ist also tun? Zu den vielen altbekannten Baustellen der Merkel-Ära kommen weitere riesige dazu: Zum einen muss die Bundeswehr umgehend in die Lage versetzt werden, das Land zu verteidigen.

Zweitens muss sich Europa stärken – wir können nicht so lange warten, bis ein Präsident Donald Trump die US-Truppen aus Osteuropa abzieht. Wir müssen ernst machen mit europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, was Emmanuel Macron wollte, aber Merkel blockiert hat, mit Rückendeckung der SPD. Die Aufrüstung kommt daher (fast zu) spät und ist absolut notwendig.

Drittens müssen wir so rasch wie möglich raus aus der fatalen Abhängigkeit von – nicht nur russischen – fossilen Brennstoffen.

Viertens müssen wir die oberen zehn Prozent der Gesellschaft und die Konzerne effektiv besteuern: Geschähe dies, würde die EU alle Steueroasen konsequent schließen, wäre genug Geld da für Militär und Soziales, vor allem aber für die von der »schwäbischen Hausfrau« vernachlässigten Infrastrukturen: von der Bildungs- über die digitale und Gesundheitsinfrastruktur bis hin zur Mobilität und dem Wohnungsbau.

Dies kann die Union als Hauptverursacherin des Schlamassels kaum glaubwürdig leisten. Dies können am ehesten rot-grüne »Falken« umsetzen, die beweisen, dass es ihnen ernst ist mit der inneren und äußeren Sicherheit der Republik und mit dem sozial-ökologischen Umbau hin zur klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei wird die Innenministerin daran gemessen, dass sie den Kampf gegen Rechts wirklich zur innenpolitischen Priorität erhebt, die Außenministerin an der Umsetzung einer wertebasierten Außenpolitik – von Russland bis China –, und der Wirtschaftsminister am massiven Ausbau der Erneuerbaren.

Dies alles wird weder rasch geschehen noch einfach umzusetzen sein, aber die zuletzt vernommenen Töne von Scholz, Baerbock, Habeck und Lindner lassen hoffen, dass die Ampel buchstäblich den Schuss gehört hat, anders als viele in der Linkspartei und der AfD. Geben wir dieser Regierung eine Chance – eine bessere sehe ich für die kommende, lange kriegsähnliche Ära nicht.

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Nach oben