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Ein Kampf für den Frieden Das Anti-Kriegsmuseum in Berlin

»Eine vernünftige Erklärung dafür, warum Länder und Völker gegeneinander Krieg führen sollten, gibt es nicht und kann es nicht geben«, schrieb Leo Tolstoi in Krieg und Frieden. Ein Werk, welches das Leben des jungen Ernst Friedrich nachhaltig prägen sollte. Des Mannes, der im Jahr 1923 das weltweit erste Anti-Kriegsmuseum in Berlin eröffnete. Warum ausgerechnet in Berlin? Sein Enkel Tommy Spree, derzeitiger Leiter des Museums, nennt den Grund: »Im 20. Jahrhundert fanden die zwei schlimmsten Kriege der Menschheit statt. Schon der erste wurde in Berlin organisiert, da hat mein Großvater gemeint, dort müsse es wenigstens ein Museum gegen den Krieg geben.«

1894 wird Ernst Friedrich als jüngstes von 13 Kindern in Breslau geboren. Früh interessiert er sich für Kunst, Literatur und Theater, weshalb er bald den Wunsch entwickelt, Schauspieler zu werden. Sein strenger Vater ist von dieser Idee alles andere als begeistert und drängt ihn stattdessen zu einer Lehre als Buchdrucker. Auf seinem späteren Lebensweg entpuppt sich das durchaus als Vorteil, da er so seine eigenen Hefte und Bücher, vor allem die Zeitschrift Freie Jugend, publizieren kann. Bereits im Alter von 17 Jahren wird Friedrich politisch aktiv, gründet die Breslauer Arbeiter-Jugendbewegung und tritt dem Turnverein der SPD bei. An seinem Beruf findet Friedrich jedoch weiterhin wenig Freude und besucht heimlich nach der Arbeit eine private Schauspielschule. Als sein Vater ihm auf die Schliche kommt, entflieht Ernst Friedrich seinem Elternhaus und geht auf Wanderschaft durch Europa. Eine Entscheidung, die sein weiteres Leben stark beeinflussen wird. In Schweden lernt er den pazifistischen Pfarrer Per Gyberg kennen, der ihm die Werke und Ideen Tolstois näherbringt. Sowohl Tolstoi als auch Gyberg haben eine große Wirkung auf Friedrich, mit letzterem verbindet ihn zeitlebens eine enge Freundschaft.

Als Friedrich mit 19 Jahren nach Deutschland heimkehrt, befinden sich Politik und Gesellschaft bereits in Kriegsstimmung. Nachdem auch die SPD 1914 den Kriegskrediten zustimmt, verlässt er die Partei und widmet sich fortan seiner Leidenschaft, dem Schauspiel. In der Rolle des Romeo sorgt er am Potsdamer Hoftheater vor allem bei den Töchtern der Oberschicht für große Begeisterung. So kann er sich vorerst sogar dem Kriegsdienst entziehen, jedoch nicht von langer Dauer; weil er sich weiterhin weigert, eine Uniform zu tragen, wird er bald in eine »Beobachtungsstation für Geisteskranke« eingewiesen. Nach seiner Entlassung 1915 währt die Freiheit nicht lange – zwei Jahre später wird er wegen Sabotage zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Auf diese Weise verbringt er einen großen Teil des Ersten Weltkriegs hinter Gittern.

An seiner Haltung zum Krieg ändert dies nichts, im Gegenteil, sie wird durch die Ereignisse zusehends manifestiert. Nach dem Krieg organisiert er die »Freie Jugend« in Berlin – eine anarchistische Jugendbewegung, mit der er die gleichnamige Zeitschrift herausbringt – und setzt sich in verschiedenen Organisationen für den Antimilitarismus ein. Er publiziert sein Buch Krieg dem Kriege (1924), welches vor allem wegen der teils schockierenden Abbildungen von Kriegsverletzten und Toten für viel Aufsehen sorgt und zur »Bibel der Pazifisten« avanciert. Schon zu Zeiten der Weimarer Republik macht Friedrich sich an die Verwirklichung seines großes Projektes, einem Anti-Kriegsmuseum. »In einer Republik des Friedens muss es doch auch ein Friedens-Museum geben«, so begründet er sein Engagement. Anfangs stellt er in dem Museum – einem alten Häuschen in der Parochialstraße im heutigen Berliner Stadtteil Mitte – vor allem Kunst, z. B. von Käthe Kollwitz oder Otto Nagel, dem »Arbeitermaler vom Wedding«, aus. Mit der Zeit kommen zahlreiche Exponate hinzu, mit denen er oft auch provoziert. Besonders trifft dies auf zwei Soldatenhelme zu, die Friedrich als Blumentöpfe umfunktioniert an der Fassade angebracht hat. Auch eine NS-Armbinde, die er »wegen des Gestanks« nur unter einer Käseglocke ausstellt, bringt ihm immer wieder Ärger ein. Sie wird zum beliebten Angriffsziel für all diejenigen, die bereits für die Reichspogromnacht üben wollen. Berliner Versicherungen weigern sich schließlich sogar, seine Fensterscheiben zu versichern. Trotz der Angriffe ersetzt Friedrich die zerstörte Käseglocke immer wieder und erzürnt die Nazis damit derart, dass ein Foto derselben sogar in Joseph Goebbels Buch Das erwachende Berlin (1934) abgedruckt wird. Paradoxerweise als Beispiel für die »blutrünstige Gesinnung« des Pazifismus.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten läutet schließlich das Ende für Friedrichs Museum ein. 1933 wird es von SA-Männern zerstört, die sich für Goebbels Zeitung Der Angriff stolz vor dem kleinen Häuschen ablichten lassen. Die Blumenkästen hängen noch, aber auf dem Schriftzug ist der erste Teil bereits abgeschlagen. Nur »Kriegsmuseum« ist noch zu lesen. Der Angriff schreibt dazu: »Draußen wird auf Wagen und Handkarren der gesamte Schund abgefahren, den hier kommunistisch-pazifistische Schmierfinken und Hetzjuden zusammengetragen haben (…) Bald wird nichts mehr erinnern an das Wirken dieses Herrn Friedrich«. Und damit sollte Goebbels vorerst recht behalten.

Die Nazis verhaften Friedrich, das Museum wird erst zu einem SA-Sturmlokal, später zu einer berüchtigten Folterkammer umfunktioniert. Keine Spur mehr von einem Haus des Friedens. Wenig später, im Dezember 1933, wird Ernst Friedrich entlassen und flieht sogleich nach Brüssel, wo er drei Jahre später erneut ein Anti-Kriegsmuseum einrichtet. Beim Überfall auf Belgien zerstören die Nazis 1940 auch dieses und töten seine Lebensgefährtin. Ernst Friedrich kann mit seinem Sohn Ernstl nach Frankreich flüchten, sein Sohn Buschi versteckt sich in Belgien. In Frankreich gerät Friedrich wiederum in Gefangenschaft, kann fliehen und schließt sich den Widerstandskämpfern der Résistance an. Ein enormer Wandel im Leben des überzeugten Pazifisten, der Gewalt immer auch gegen seine Feinde ablehnte und die kommunistische Parole »Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft« in seinem Buch Festung Gollnow (1932) zu »Klärt die Faschisten auf, wo ihr sie trefft« umformulierte. Aber ihm wird zu diesem Zeitpunkt klar: Mit Worten sind die Nazis längst nicht mehr zu stoppen.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg lebt er weiterhin in Frankreich, engagiert sich für den Frieden und kauft von der »Wiedergutmachungszahlung«, die er von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1955 erhält, ein Grundstück auf einer Marne-Insel. Dort verwirklicht er eines seiner weiteren Projekte, eine Begegnungsstätte für deutsche und französische Jugendliche. Ernst Friedrich bleibt bis ins hohe Alter den jungen Menschen verbunden und versucht, sie für die Vision vom Frieden zu begeistern. »Die Alten, die ändern wir nicht mehr (…) auf die Jugend müssen wir bauen«, sagt er zu seinem damals 16 Jahre alten Enkelsohn Tommy Spree. Am 2. Mai 1967 stirbt Ernst Friedrich, nicht aber seine Überzeugungen.

Altes Ziel in neuen Räumen

15 Jahre später, im Jahr 1982, erweckt sein Enkel Tommy Spree das Projekt seines Großvaters wieder zu neuem Leben. Die Wiedereröffnung des Anti-Kriegs-Museums (auch mit neuer Schreibweise) hatte Tommy ursprünglich nicht geplant. Anfang der 80er Jahre hat sich jedoch der Kalte Krieg durch die Aufrüstung auf beiden Seiten immer weiter hochgeschaukelt und »die Zeit war reif für Friedenszentren«, erzählt er. »Die Liga für Menschenrechte bat mich, einen Vortrag über meinen Großvater zu halten, weil sie wissen wollte, ›wie man so ein Friedenszentrum macht‹«. Anfangs habe er weder gewusst, wie man ein solches Zentrum aufbaut, noch wie er seinen Großvater vorstellen solle. »Da er viel mit Bildern arbeitete, habe ich dann einen Diavortrag gehalten«, erzählt er. Über den entrüsteten Kommentar eines alten Herrn kann Tommy heute schmunzeln: »Ernst Friedrich auf Bildern? Ernst Friedrich trägt man im Herzen!« Letztendlich war der Vortrag aber ein voller Erfolg und läutete den Wiederaufbau des Museums ein. Neben einigen motivierten Zuhörern brachten auch die Medien den Stein ins Rollen. Keine leichte Aufgabe, denn »wir waren nur vier Lehrer und haben auch nicht gewusst, wie man ein Museum macht«. Die Gruppe bekam jedoch schnell Unterstützung, vor allem von der Liga für Menschenrechte, der Evangelischen Kirche und der SPD. Letztere wusste bereits vorher durch eine Arbeitskollegin Sprees von Friedrichs ehemaligem Museum. »Die SPD hatte dazu schon im Jahre 1981 einen Landtagsbeschluss gehabt, dass das Friedensmuseum in West-Berlin gegründet werden sollte«, sagt Spree. Ein Jahr später haben die »Friedensbewegten«, wie Tommy Pazifisten nennt, ihre Idee schließlich umgesetzt. Am 2. Mai 1982, dem 15. Todestag von Ernst Friedrich, öffnete das »Anti-Kriegs-Museum im Aufbau« seine Türen. Statt in der Parochialstraße fanden sie vorerst in der Stresemannstraße neben dem Hebbel-Theater Räumlichkeiten, die ihnen die Hausgemeinschaft für fast zwei Jahre zur Verfügung stellte. Das alte Häuschen, in dem das Museum ursprünglich war, steht längst nicht mehr. Stattdessen erstreckt sich heute das neue Stadthaus entlang der Parochialstraße, doch eine Gedenktafel und die »Blumenhelme« erinnern noch heute an die Geschichte dieses Ortes.

Dank einer Erbschaft konnten die ehrenamtlichen Helfer eigene Räume im Wedding kaufen. Passend zum früheren Standort in Belgien wird heute in der Brüsseler Straße dauerhaft vor dem Schrecken des Krieges gewarnt. Neben alten Waffen, Kriegsspielzeug, Bildern und vielen weiteren Exponaten aller Art, ist eine Besonderheit des heutigen Museums der darunter liegende Luftschutzkeller. Steigt man die steile Treppe hinab, so wird das beklemmende Gefühl des Kriegs zumindest ansatzweise spürbar. Wie es sich wirklich anfühlt, wenn man in den Keller hinabsteigt, weil draußen ein Bombenhagel niedergeht, werden wir hoffentlich nie erleben müssen. Anschaulich wird die ganze schreckliche Dimension jener Zeiten an einer einfachen Holztür, die dennoch das wertvollste Exponat im Museum ist: Sorgfältig wurde darauf mit Bleistift notiert, wann die Bewohner im Keller Schutz suchen mussten. Anfangs schienen sie wohl noch an ein schnelles Ende des Krieges zu glauben, denn die Liste beginnt auf dem ganz rechten Brett. Mit den Jahren wanderten die Notizen aber immer weiter nach links, bis selbst der Querbalken mit Einschlagsdaten vollgeschrieben war. Über 450 Mal mussten sie in den Keller flüchten, ohne zu wissen, ob sie je wieder das Tageslicht sehen würden. Das letzte Datum auf der Tür lautet »20.04.1945«. An diesem Tag bekam Hitler die lautesten Geburtstagswünsche von der sowjetischen Artillerie und den US-amerikanischen Bombern, die ihren finalen Angriff auf Berlin flogen. Kurz darauf fiel die Reichshauptstadt.

Ernst Friedrich war sich darüber im Klaren, dass er Kriege nicht verhindern konnte. Aber er machte es sich zur Aufgabe, so oft es ging davor zu warnen. Den Menschen, die er »Vergessmaschinen« nannte, müsse man »immer wieder in Erinnerung bringen, was für ein schreckliches Verbrechen der Krieg ist«. Auch sein Enkel hält heute das Museum aufrecht, damit die Gräuel des Krieges nie in Vergessenheit geraten, denn »man muss aus der Geschichte lernen, sonst wiederholt sie sich. Insofern muss es auch ein Museum geben, um überhaupt aus der Geschichte lernen zu können.« Tommy Spree, der viel mit jungen Menschen arbeitet, ist optimistisch: »Mir kann keiner sagen, dass unsere Jugendlichen – egal aus welchem Land sie kommen – uninteressiert wären oder nicht empfindsam reagieren, was die Kriegsfrage betrifft.« Um die Erinnerung an seinen Großvater und dessen Wirken wach zu halten, hat er im Jahr 2000 die Biografie Ich kenne keine Feinde veröffentlicht.

Das Anti-Kriegs-Museum in der Brüsseler Straße 21, 13353 Berlin, hat bald wieder täglich von 16–20 Uhr geöffnet, auch sonn- und feiertags. Der Eintritt ist frei.

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