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Ein kritischer Blick auf den Liberalismus Das Dilemma der FDP

Seit die FDP in die Bundesregierung zurückgekehrt und dort Teil einer Ampelkoalition ist, geht es mit ihr in den Wahlergebnissen und Umfragen bergab. Anders als bei SPD und Grünen setzte dieser Trend schon im ersten Regierungsjahr ein, obwohl die mediale Begleitung der Koalitionsbildung und -verhandlungen für die Liberalen durchaus günstig war. Als diejenige unter den Ampelparteien, die ideologisch und politikinhaltlich den weitesten Weg in das überraschend zustande gekommene Bündnis zurückzulegen hatte – so lautete der überwiegende Tenor –, habe die FDP von ihren Positionen am meisten durchsetzen können.

»Auf dem falschen Fuß erwischt.«

Dass es sich dabei überwiegend um Vetopositionen handelte – keine Steuererhöhungen, keine Aufweichung der Schuldenbremse, kein generelles Tempolimit auf Autobahnen –, deutete jedoch schon beim Start der Ampel die Schwierigkeiten an, die ihr das Regieren mit SPD und Grünen bereiten sollten. Noch wenige Wochen vor der Wahl war die Partei ja fest davon ausgegangen, dass es zu einer Jamaika-Koalition unter dem CDU-Kanzler Armin Laschet kommen würde. Dass sie es nun mit zwei aus ihrer Sicht links stehenden Parteien zu tun hatte, erwischte sie auf dem falschen Fuß.

Sündenfälle

Zum Zauber des Anfangs der Ampelkoalition gehörte, dass die Koalitionäre untereinander einen vertrauensvolleren Umgang pflegen wollten, als es in den vorangegangenen »Streitkoalitionen« von Union und SPD sowie Union und FDP der Fall war. Das entpuppte sich schon bald als Wunschdenken. Denn unter dem Druck der verschlechterten Umfrageergebnisse drängte das Bedürfnis nach eigener parteipolitischer Profilierung wieder nach vorne. Statt gemeinsame Beschlüsse, auch wo sie Kompromisslösungen erforderten, nach außen hin gemeinsam zu vertreten, wurden diese öffentlich schlechtgeredet oder nachträglich infrage gestellt.

Als erster großer Sündenfall für das Ansehen der Koalition erwies sich die von der FDP erhobene Forderung nach längeren Laufzeiten für die Atomkraftwerke, als zweiter – noch größerer – das vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck tatsächlich schlecht vorbereitete Heizungsgesetz. Der von der FDP angefachte Streit um die Kindergrundsicherung legte darüber hinaus die interne Uneinigkeit des grünen Koalitionspartners offen, der hier – wie zuvor schon bei anderen Themen – die Erfahrung machen musste, dass sich die SPD und der Kanzler mit Unterstützung zurückhielten und im Zweifel auf die Seite der FDP schlugen.

Die Liberalen können mit der Strategie einer »Opposition in der Regierung« nicht dauerhaft reüssieren.

Im Zuge der Auseinandersetzung um das Heizungsgesetz begannen sich die Umfragewerte der FDP im Frühjahr leicht zu verbessern, ohne freilich eine wirkliche Trendwende einzuleiten. Spätestens die enttäuschenden Landtagswahlergebnisse in Bayern und Hessen – in Bayern war das Scheitern erwartet worden, in Hessen gelang der Sprung über die Fünfprozentmarke nur um Haaresbreite – dürfte den Liberalen klar gemacht haben, dass sie mit der Strategie einer »Opposition in der Regierung« nicht dauerhaft reüssieren werden. Doch wie könnte eine erfolgversprechendere Rolle der FDP in der Koalition aussehen?

Als sich die Bildung der Ampelkoalition abzeichnete, waren manche Beobachter – der Verfasser eingeschlossen – der Meinung, der FDP könne und werde es auch in elektoraler Hinsicht nutzen, wenn sie in der Regierung die Funktion eines sozial- und wirtschaftspolitischen Korrektivs einnimmt. Dass sich das nicht bewahrheitet hat, hängt vor allem mit der veränderten politischen Großwetterlage zusammen. Mit dem Ukrainekrieg haben sich die Sorgen der Bürger vor einer Verschlechterung ihrer individuellen Wirtschaftslage verstärkt. Steigende Preise für Energie, Nahrungsmittel und Wohnen und die gleichzeitige Wachstumsschwäche stehen für einen womöglich anhaltenden Wohlstandsverlust und fordern den Staat zum Gegensteuern heraus. Für eine Partei, die wie die FDP eine von staatlichen Eingriffen möglichst unberührte freie Marktwirtschaft als Glaubenssatz hochhält, birgt das natürlich Erklärungsnöte.

Fragwürdige Doppelstrategie

Statt die Notwendigkeit von Kursveränderungen einzugestehen, haben die Liberalen auf die Probleme mit einer fragwürdigen Doppelstrategie reagiert, indem sie einerseits an unhaltbar gewordenen Positionen wie der Ablehnung von Steuererhöhungen für Vermögende und Gutverdienende weiter festhielten und andererseits die faktische Aushebelung der Schuldenbremse durch Tricksereien im Haushalt verbrämten. Über letzteres ist ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

Als die Freien Demokraten 1969 im Bund an die Seite der SPD wechselten, ging das mit einer programmatischen Erneuerung und Kurskorrektur einher. Der in den »Freiburger Thesen« 1971 fixierte Sozialliberalismus konnte sich zwar als Mehrheitsströmung gegenüber dem weiterhin dominierenden besitzbürgerlichen Denken nicht durchsetzen, setzte aber in vielen Bereichen neue Akzente – etwa in der Bildungs- und Umweltpolitik.

»Interessen- und Besitzstandswahrung der eigenen Wählerklientel geht im Zweifel vor.«

Gerade auf diesen Politikfeldern ist davon wenig übriggeblieben. Den anti-ökologischen Gestus, den die FDP in der Amtszeit ihres langjährigen Vorsitzenden Guido Westerwelle kultivierte, setzt sie auch in ihrer heutigen Regierungsrolle fort. Und in der Bildungspolitik scheut sie Reformmaßnahmen, die zu einer wirklichen Verbesserung der Chancengerechtigkeit beitragen könnten – Interessen- und Besitzstandswahrung der eigenen Wählerklientel geht im Zweifel vor. Wie sehr sich diese Positionen in den Ansichten der eigenen Anhänger- und Wählerschaft widerspiegeln, zeigen demoskopische Befunde. Laut der aktuellen Vertrauensstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist es einzig die FDP-Klientel, die Steuererhöhungen für Gutverdienende und Vermögende zur Finanzierung zusätzlich notwendiger Staatsausgaben insbesondere für Investitionen klar ablehnt (nur gut 30 Prozent Zustimmung) – selbst unter den Unionsanhängern gibt es dafür eine klare Mehrheit (55 Prozent).

Andererseits sind es wiederum alleine die FDP-Anhänger, die in dieser Situation mehrheitlich (54 Prozent) eine Kürzung anderer Staatsausgaben für angebracht halten. Unter den Unionswählern sehen das nur 34 Prozent so und unter den SPD- und Grünen-Wählern nur 18 beziehungsweise 12 Prozent. Dass davon im Zweifel vor allem die Sozialausgaben betroffen wären, hat die Auseinandersetzung um die Kindergrundsicherung gezeigt, in der das FDP-geführte Finanzministerium alles getan hat, um die Forderungen der grünen Familienministerin Lisa Paus möglichst öffentlichkeitswirksam zusammenzustreichen.

»Hoffnungen auf eine programmatische Annäherung an die beiden anderen Ampelparteien gibt es nicht.«

Hoffnungen auf eine programmatische Annäherung der FDP an die beiden anderen Ampelparteien gibt es nicht. Nur in einigen Bereichen der Gesellschaftspolitik gibt es zwischen den drei Partnern größere inhaltliche Schnittmengen, die – wie bei der Legalisierung von Cannabis – jedoch eher marginale Themen betreffen. In den meisten anderen Politikfeldern liegen die Koalitionäre über Kreuz, wobei die Konfliktlinien mal zwischen Grünen/SPD und FDP, mal zwischen FDP/SPD und Grünen verlaufen, seltener zwischen FDP/Grünen und SPD.

Mangelnder Gestaltungswille

Auch wenn die FDP ihren Markenkern der marktfreundlichen Wirtschaftspolitik unter den jetzigen Bedingungen nicht mehr so gut vertreten kann, profitiert sie indirekt davon, dass ihr ideologischer Hauptkontrahent – die Grünen – durch die veränderte politische Lage noch stärker in die Defensive gedrängt wird. Gerade deren Anliegen – ehrgeiziger Klimaschutz und eine humanitäre Migrationspolitik – lassen sich den Menschen in der aktuellen, als Überforderung wahrgenommenen Situation immer weniger vermitteln. Allerdings sind es weder die in beiden Bereichen als Bremser auftretenden Liberalen noch die CDU/CSU-Opposition, die vom Wählerüberdruss vorwiegend profitieren, sondern die rechtspopulistische AfD.

Ob die Ampel ihren Ansehensverlust, den die FDP durch ihren mangelnden Teamgeist maßgeblich mitverschuldet hat, bis zum Wahltermin 2025 wieder wettmachen kann, bleibt zweifelhaft. Manches deutet darauf hin, dass es zu einer Neuauflage der Großen Koalition von Union und SPD kommt, die aber dann längst keine »große« mehr wäre, wenn es denn überhaupt für beide Parteien zu einer gemeinsamen Mehrheit reicht. Falls das nicht der Fall ist, hat sich die FDP als dritter Partner einer »Deutschlandkoalition« – eine solche gibt es bisher nur in Sachsen-Anhalt – bereits ins Spiel gebracht. Dass sich die Liberalen an dieses Ufer retten wollen, spricht nicht gerade für ihren progressiven Gestaltungswillen in den notwendigen Transformationsprozessen.

Auf der Habenseite verbuchen können sie ihr geschlossenes Auftreten unter einem unumstrittenen Vorsitzenden Christian Lindner, der auch als Minister professionell auftritt und die Möglichkeiten des mächtigen Finanzressorts für sich und die Partei nutzt. Selbst wenn es ihr an programmatischen Alleinstellungsmerkmalen mit Strahlkraft fehlt, stehen die Zeichen für einen Wiedereinzug der FDP in den Bundestag und eine neuerliche Regierungsbeteiligung deshalb heute besser als nach ihrer letzten Regierungsbeteiligung 2013 an der Seite der Union.

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