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Das Ende des monarchischen Obrigkeitsstaates in Deutschland

Die deutsche Revolution von 1918/19 war alles drei zugleich: Endpunkt jahrzehntelanger Liberalisierungs- und Demokratisierungsbestrebungen, spontane Volkserhebung zur Beendigung des faktisch schon verlorenen Krieges und sozialdemokratisch geprägte Klassenbewegung mit antikapitalistischer Tendenz. Die Verschränkung liberaldemokratischer, antimilitaristischer und proletarisch-sozialistischer Komponenten in der Revolution ergab sich aus dem Charakter des Kaiserreichs von 1871 und der Doppelrolle der sozialdemokratischen Bewegung in ihr als Organisation der klassenbewussten Arbeiter wie als einzige starke Kraft, die ohne Einschränkung für die politische Demokratisierung des Deutschen Reiches, einer konstitutionellen Monarchie mit starken autoritären Elementen, eintrat.

Der Erste Weltkrieg aktualisierte und verschärfte – nicht nur in Deutschland – dann alle in der Gesellschaft strukturell angelegten Widersprüche. Spätestens seit dem Frühjahr 1917 lässt sich von einer Massenbewegung der Arbeiterschaft sprechen, die sich gegen die unzureichende Lebensmittelversorgung, gegen politische Unterdrückung und die Kriegspolitik der Herrschenden wandte. Der soziale Protest und das Friedensverlangen wurden besonders durch den Sturz des Zarismus und die revolutionäre Entwicklung in Russland bestärkt. Nach den Entbehrungen der Kriegszeit war im Herbst 1918 auch außerhalb der Arbeiterschaft die Vorstellung weitverbreitet, dass es zu grundlegenden Neuerungen kommen müsse, um die Sterilität des wilhelminischen Obrigkeitsstaates zu überwinden. Es war eine diffuse Aufbruchsstimmung, die bei Enttäuschungen schnell wieder umschlagen konnte.

Die SPD hatte sich 1914 dem »Burgfrieden« angeschlossen, wobei, neben der Einschätzung des Krieges als eines Verteidigungskrieges, auch die Hoffnung auf innenpolitische Reformen eine Rolle spielte. Von der Parteimehrheit spaltete sich – endgültig Ostern 1917 – die USPD ab, eine relativ lose Förderung aller pazifistischen und antimilitaristischen Gruppen der Sozialdemokratie; zu ihr gehörte neben Karl Kautsky, dem führenden Theoretiker des Parteizentrums, z. B. auch Eduard Bernstein, der Protagonist des Revisionismus, außerdem die kleine, radikal-linke Spartakusgruppe mit Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.

Zwar trieben die Reichstagsfraktionen der Sozialdemokraten, der Linksliberalen sowie der Zentrumskatholiken in der zweiten Kriegshälfte die faktische Parlamentarisierung des Kaiserreichs voran und bemühten sich um einen Verständigungsfrieden mit den Kriegsgegnern, doch vermochten sie die in zentralen Bereichen fast diktatorische Machtposition der Obersten Heeresleitung nicht zurückzudrängen, geschweige denn zu brechen. Erst angesichts der militärischen Niederlage wurden im Oktober 1918 unter Einschluss der Mehrheitssozialdemokratie eine neue, die Parlamentsmehrheit repräsentierende Reichsregierung gebildet und entsprechende Verfassungsänderungen beschlossen – zu spät und zu zaghaft.

Obwohl die Ereignisse in Deutschland in der zweiten Hälfte des Jahres 1918 auf den Zusammenbruch der alten Ordnung zutrieben, erwiesen sich die Vorbereitungen der bewusst revolutionären Gruppen als meist wenig bedeutsam für den Verlauf der Umsturzbewegung, die – ausgehend von der Meuterei in der Hochseeflotte und den Seehäfen – wie ein Lauffeuer durch das Reich ging. Dass der Aufstand – meist widerstandslos – in großen Teilen des Reiches schon gesiegt hatte und im Rest des Landes in Gang gekommen war, verringerte die Chance militärischer Gegenwehr seitens der alten Gewalten in entscheidendem Maße, als die revolutionäre Welle am 9. November die Reichshauptstadt Berlin erreichte. Mit dem Umsturz in Berlin war der Erfolg der »Novemberrevolution« gesichert, wenngleich der Wechsel in vielen, insbesondere kleineren Städten erst in den folgenden Tagen vollzogen wurde.

Die Initiative lag jetzt bei den Industriearbeitern. Es weigerten sich die Truppen, gegen die unbewaffneten Demonstranten vorzugehen. Bevor Karl Liebknecht gegen 16 Uhr vom Schloss aus die »Freie Sozialistische Republik« proklamierte, hatte Philipp Scheidemann um 14 Uhr vom Reichstag aus die »Deutsche Republik« ausgerufen. Im letzten Moment hatte sich somit die mehrheitssozialdemokratische Führung an die Spitze der Volksbewegung gesetzt und namentlich die Soldaten auf ihre Seite gebracht. Man hatte die Revolution durch das Vorantreiben der Staatsreform zu vermeiden gesucht und ging jetzt daran, sie quasi zu adoptieren.

Eine Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte am 10. November 1918 legitimierte die Einigung der beiden sozialdemokratischen Parteien über die Regierungsbildung, wählte als Kontrollinstanz einen »Vollzugsrat«, der aber wie in seinem Gefolge die USPD-Volksbeauftragten von Anfang an in die Defensive geriet.

Ohne damit zunächst eine längerfristige politische Perspektive zu verbinden, schufen sich die aufständischen Massen seit Anfang November nach russischem Vorbild und in Erinnerung an die großen Januarstreiks des Jahres 1918 eigene Vertretungsorgane. Die Soldaten wählten – entsprechend den vorgegebenen militärischen Einheiten – »Soldatenräte«. Sie traten nicht an die Stelle, sondern neben die alte militärische Struktur. Die »Arbeiterräte«, deren Bildung im Allgemeinen von einem Generalstreik begleitet war, wurden teilweise, wie in einer Reihe großer Städte, in den Betrieben gewählt, häufiger aber gingen sie aus einer Absprache der örtlichen Parteiführungen von SPD und USPD hervor, teils unter Einschluss von Freien Gewerkschaften, manchmal auch nichtsozialistischer Arbeitnehmerorganisationen. Normalerweise schlossen sich Soldatenrat und Arbeiterrat am jeweiligen Ort zum »Arbeiter- und Soldatenrat« zusammen. Die alte Verwaltung wurde in der Regel mit der Weiterarbeit beauftragt; der Arbeiter- und Soldatenrat beschränkte sich meist auf die (in ihrem Ausmaß allerdings sehr unterschiedliche) Kontrolle ihrer Tätigkeit.

Die Aufrechterhaltung von »Ruhe und Ordnung«, die geordnete Durchführung der Demobilisierung unter dem Druck der harten Waffenstillstandsbedingungen, die Sicherung der Ernährung usw. wurden von den Arbeiter- und Soldatenräten in Übereinstimmung mit den Regierungen als zentrale Aufgabe angesehen, und darauf war ihre praktische Arbeit hauptsächlich ausgerichtet. Allerdings wurde erwartet, dass die revolutionäre Übergangsperiode von der neuen Staatsführung zu entschiedenen demokratischen Strukturreformen genutzt würde: Schaffung eines »demokratischen Volksheeres«, Demokratisierung der Verwaltung, Arbeitermitbestimmung und Teilsozialisierung der Wirtschaft, namentlich des Bergbaus.

Die Mehrheit der deutschen Arbeiter vertraute im November und Dezember 1918 zweifellos der SPD-Führung, eine beträchtliche Minderheit folgte dem gemäßigten Flügel der USPD. Die radikale Linke dominierte lediglich in wenigen Großstädten und industriellen Zentren, und auch hier stellten der Spartakusbund und ähnliche Gruppen innerhalb der Linken in der Regel eine Minderheit dar. Auf dem ersten nationalen Rätekongress Mitte Dezember kamen drei Mehrheitssozialdemokraten auf einen Unabhängigen. Nur wenige Prozente der Delegierten gehörten kommunistischen Gruppierungen an. Das entsprach zu diesem Zeitpunkt in etwa den tatsächlichen Mehrheitsverhältnissen in der Arbeiterschaft Deutschlands. Dieses Kräfteverhältnis bestätigte im Wesentlichen die Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 (SPD: 37,9 %, USPD: 7,6 %).

Bei ihrer Politik der Revolutionsbegrenzung hatten die Mehrheitssozialdemokraten, neben ihrer prinzipiellen parlamentarisch-demokratischen Orientierung, die sie dabei bremste, den Entscheidungen der Nationalversammlung vorzugreifen, die gravierenden situationsbedingten Probleme Deutschlands im Auge (Abschluss des Waffenstillstands mit der Rückführung und Demobilisierung des Heeres und einem erträglichen Frieden, Sicherung der Ernährung, Umstellung der Produktion auf die Friedenswirtschaft und die Bewahrung der Reichseinheit). Für die Bewältigung dieser Aufgaben meinte man die traditionellen Eliten – das Offizierskorps, die Beamtenschaft und die Unternehmer (einschließlich der Großgrundbesitzer) – nicht entbehren zu können. Bei der Zurückdrängung des Einflusses der Arbeiter- und Soldatenräte verbanden sich also insofern sachliche, verfassungspolitische und machtpolitische Motive. Energische Unterstützung gegen die links von ihr stehenden Kräfte fanden die mehrheitssozialdemokratischen Volksbeauftragten unter Führung des Parteivorsitzenden Friedrich Ebert bei den sich in weitgehender Kontinuität formierenden bürgerlichen Parteien und nahezu der gesamten Presse.

Mit der Wahl vom Januar 1919, die eine überwältigende republikanische, aber auch eine bürgerlich-nichtsozialistische Mehrheit erbrachte, war vorerst eine grundlegende politische Weichenstellung verbunden. Inzwischen nahm der Bruderkampf innerhalb der Arbeiterbewegung bürgerkriegsähnliche Formen an. Die Ansätze zu einer »zweiten Revolution« im Winter und Frühjahr 1919 kollidierten mit dem rigorosen Einsatz gegenrevolutionärer Freiwilligeneinheiten, der mit dem Namen Gustav Noskes verbunden ist.

 

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