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© picture alliance / JOKER | Karl-Heinz Hick

Krieg und Krisen versus Klimaschutz und Energieversorgung Das Kartenhaus droht einzustürzen

Dürrejahre, Hitzewellen, Waldsterben – die Welt signalisiert uns in alarmierender Deutlichkeit, was das massenhafte Verbrennen von Kohle, Öl und Gas bedeutet. Es wird heißer auf dem Planeten Erde und die Folge ist eine Klimakrise. Und nicht nur das Klima kippt, auch die Stimmung in der Bevölkerung. Unter lautem Protest von Fridays For Future fordert die junge Generation einen Klimaschutz, der die Freiheit nicht nur heute, sondern auch für kommende Generationen garantiert.

Als Antwort kam 2021 das Europäische Klimagesetz samt neuem Klimaziel, wonach die Netto-Treibhausgasemissionen (also die Emissionen nach Abzug des Abbaus) bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden sollen. Später folgte dann das zugehörige Reformpaket namens »Fit for 55«. Alles musste unter die Klimaschutz-Lupe. Ausbau der Erneuerbaren, Energieeffizienzen, die Lastenteilung der Länder beim Klimaschutz, die CO2-Flottengrenzwerte für Autos und Transporter, der Emissionshandel – einfach alles. Und unter der Lupe zeigte sich: Europas Klimaschutz ist ein Flickenteppich voller CO2-Schlupflöcher, die gestopft werden müssen.

Bevor wir zum Stopfen der Löcher kamen, gab es einen ersten Prüfstein: Die Welt erlebte eine Pandemie. Alles stand still. Das Leben, die Wirtschaft, die Emissionen sanken sogar. Ein europäisches Wiederaufbauprogramm folgte. Die große Frage: Wofür wird das Geld verwendet? Kohle, Öl, Erdgas und gar Atomkraft? Oder Sonnen- und Windkraft, Stromspeicher und die Mobilitätswende? Am Ende sollten 40 Prozent der Mittel in den Klimaschutz fließen, deren Pläne jetzt langsam greifen. Es wird sich zeigen, ob der Klimaschutz wirklich davon profitiert.

Dann die zweite Prüfung. Das Leben vor der Pandemie kehrte langsam zurück und damit eine Weltwirtschaft mitsamt ihres Energiehungers. Kohle, Öl und Gas – es fehlte an allen Enden. Die Preise explodierten und bleiben seitdem stabil oben. Selbst dort, wo die Atomkraft scheinbar stabile Preise garantierte. Aber Frankreichs marode Atominfrastruktur sorgt derweil für hohe Strompreise. Von 56 Atomkraftwerken ist fast die Hälfte abgeschaltet, der Bau eines neuen Meilers kostete statt drei rund neun Milliarden Euro und die Fertigstellung verzögerte sich um zwölf Jahre auf 2023.

Die Folgen: Energieinflation – im Januar 2022 stand sie bei fast 27 Prozent in der Europäischen Union und steigt seitdem weiter. Der Green Deal stand erneut infrage. Kein frisches Geld, keine neuen Töpfe für die Erneuerbaren. Der Wiederaufbaufonds und einzelne Maßnahmen mussten genügen. Währenddessen gingen die Konsolidierungen zum »Fit for 55«-Klimapaket im EU-Rat und dem Parlament los. Am Fahrplan Klimaneutralität wurde nicht gerüttelt – Abläufe sind Abläufe – mit oder ohne Pandemie und Energiekrise.

Aber damit nicht genug. Die dritte Prüfung fiel ins europäische Haus und dauert bis heute an. Putins Angriffskrieg in der Ukraine ließ uns erstarren. Krieg, mitten in Europa. Die Weltwirtschaft war gerade dabei, sich wieder zu erholen, die Energiekrise knabberte an den Einkommen europäischer Bürgerinnen und Bürger, die Inflation nahm zu und dann der Krieg. Aus der Schockstarre heraus begriffen wir, was vorher unausgesprochen blieb: Wir sind abhängig. Von Kohle, Öl, Gas und ja, auch von Uran für die AKWs. Vor allem aus Russland. Die EU war bis dato mit 50 Prozent größte Abnehmerin seiner fossilen Rohstoffe. Seit Kriegsbeginn haben wir über 50 Milliarden Euro an Putin überwiesen, um unsere Abhängigkeit zu finanzieren.

Und darum ging es all die Zeit: Europas Energiewende. Europas Emissionsquelle Nummer Eins für CO2 ist die Energiewirtschaft. Kohle, Öl und Gas liefern Strom und heizen unsere Häuser. Putin weiß das und nutzt es aus. Europas Energiesouveränität, sie existiert de facto nicht und wurde politisch jahrzehntelang beiseite gewischt. Das war fatal und hat Gründe. Einzelinteressen der EU-Länder für ihre Energiesektoren (Atom in Frankreich, Kohle in Deutschland), zögerliche gemeinsame Energieprojekte und fehlende Investitionen. Jetzt aber wurde Europas Energiekartenhaus innerhalb von zwei Jahren im Eilverfahren ins Wanken gebracht. Und nun?

Ein neues Energiekonzept muss her

Wir müssen die europäische Energieversorgung neu ordnen. Nachhaltig und unter dem Dach des Green Deal. Waren Konservative wie Rechte im EU-Parlament und den Regierungen in Polen und Ungarn all die Zeit über den Green Deal erbost, so sind sie mittlerweile größtenteils verstummt. Denn daheim müssen sie erklären, wieso die Preise für Strom, Gas oder Benzin durch die Decke schießen. Weil wir keine eigenen, fossilen oder nuklearen Energiequellen haben – auch Polen und Ungarn nicht.

Wir haben Sonnen-, Wasser- und Windkraft als Fundament, die wir durch Verfahren zu grünem Wasserstoff umformen können. Das mag erstmal lächerlich klingen, aber es ist die bittere Realität für jetzt und die sonnige Zukunft. Drei Energiequellen, die das Fundament für Europas neue Energieversorgung bilden müssen und unsere europäische Freiheit durch unsere europäische Energiesouveränität garantieren werden. Klimapolitik wird damit zur Sicherheitspolitik und umgekehrt.

Der »REPowerEU«-Plan der EU-Kommission hat das erkannt – wenn auch erst durch einen schrecklichen Krieg erzwungen. Von Solarpflicht, einem noch höheren Ausbau der Erneuerbaren von 45 Prozent bis 2030, dem Ende der Subventionen für Öl- und Gas-Boiler, oder dem Wiederaufbau der europäischen Solarindustrie. Gute Ansätze, die zusammen mit dem Wiederaufbaufonds aus Pandemiezeiten, dem Europäischen Klimaschutzgesetz und der Reform beim größten Klimahebel der EU, dem Emissionshandel, wirklich etwas reißen können. Niemand, der bei Verstand ist, wird sich jetzt noch ernsthaft gegen diese klimaneutrale Zukunft stellen. Das Wettrennen um die Spitze beim Klimaschutz ist eröffnet – spätestens mit dem Regierungswechsel in Australien, wo der neue Premierminister Anthony Albanese einen Erneuerbaren-Boom auslösen will.

Und die Marktpreise sind auf unserer Seite. Strom aus Erneuerbaren schlägt Kohle, Öl, Gas und ja, erneut die Atomkraft. Das Fraunhofer-Institut hat dafür bereits letztes Jahr alles zusammengetragen. Gas und Steinkohle kosten am meisten, Solar und Windenergie an Land sind am günstigsten. Berechnen wir die Folgekosten des Atomstroms mit ein, schießt sich die Atomenergie selbst ab. Es gibt aber drei entscheidende Probleme, die wir noch bewältigen müssen.

Geduld, Geld, Greenwashing

Das alles dauert und braucht Geduld. Mit einem Fingerschnipsen können wir keine Solardächer zaubern, oder Europas Solarindustrie aufbauen. Und bis dahin, so schmerzhaft es ist, müssen wir das fossile System solange wie nötig, aber so kurz wie möglich speisen. Ob Gas aus Katar oder den USA und Kanada, oder Kohle und Öl aus anderen Ländern. Ein Stillstand wird damit verhindert, es darf aber nicht dazu kommen, dass wir die fossile Abhängigkeit von Russland durch eine andere ersetzen. Dafür setzen wir gerade im EU-Parlament den Rahmen und ziehen kräftig beim Klimaschutz an.

Das andere Problem ist die Finanzierung von »REPowerEU«. So gut die Ideen des Plans, so schlecht die Finanzierung. Denn die EU hat kein frisches Geld, die einzelnen Länder sperren sich. Diese Blockade muss fallen, denn die Kommission will die Energiewende unter anderem durch Klimaverschmutzung finanzieren. 20 Milliarden sollen aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten fließen, was doppelt so vielen Emissionen entsprechen würde wie alle deutschen Kohlekraftwerke pro Jahr ausstoßen. Ein europäischer Energie-Unabhängigkeitsfonds muss her. Denn Europas Energiewende zum Nulltarif ist nicht möglich und die Energiewende mit Klimaverschmutzen zu finanzieren ein No-Go.

Und das letzte Problem? Europas grüne EU-Taxonomie. Eigentlich das Vorzeigeprojekt der EU. Banken, Versicherungen und andere Finanzmarktakteure sollten einen klaren Kompass für grüne Investitionen in die Erneuerbaren bekommen. Dann kam die Kommission und will auch Atomkraft und Erdgas einfügen. Was nicht nur gegen ihre eigenen Regeln verstößt, sondern es lässt den grünen Finanzkompass Europas verblassen, um nicht zu sagen: Hier findet Greenwashing auf Kosten der Energiewende statt.

Der Green Deal lebt

Trotz all dieser Probleme hat es der europäische Green Deal bis hierhin geschafft. Er lebt mehr denn je. Denn schlussendlich, und das dürfen wir nicht vergessen, geht es ja um etwas, was bis vor einigen Monaten noch müde belächelt wurde. Europas Souveränität. Denn ohne die Erneuerbaren, ohne den Klimaschutz bleibt uns in Europa nichts anderes übrig, als Kohle, Öl, Gas und Uran aus Russland oder anderen Staaten zu kaufen. Damit verlieren wir aber die regionale Wertschöpfung, weil das Geld in andere Länder fließt. Und wir zahlen doppelt. Denn erwischt uns eine Pandemie, der weltweite Energiehunger oder ein Krieg, bemerken wir das in Form von hohen Strom- und Heizkosten am Ende des Monats.

Der notwendige Nebeneffekt dieser neu gewonnenen Souveränität ist aber der Kern von allem: die Eindämmung der Klimakrise. Denn der Klimanotstand existiert weiter.

Die Allianz der Klimaschützer im EU-Parlament hat es in der Hand, Europas Freiheit, Europas Souveränität, Europas Klimaschutz unter dem Dach des Green Deals neu zu schaffen. Das gilt beim Umsetzen des »Fit for 55«-Klimapakets rund um den Emissionshandel, bei CO2-Flottengrenzwerten, Erneuerbaren-Ziele und vielem mehr. Das gilt aber auch bei der klaren Forderung nach einem finanzpolitisch souveränen Europa, das auch in die neuen Ziele investieren kann. Und das gilt bei der klaren Haltung gegenüber Europas grünem Finanzkompass. Das EU-Parlament muss nur mutig sein, die Kommission darf nicht einknicken.

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