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Otto Dix und die Düsseldorfer Jahre Das Leben ohne Verdünnung

»Dies zeichnete für Hans Koch und Martel an einem fröhlichen Abend DIX«. Das Selbstbildnis im Profil führt die Widmung im Gästebuch ad absurdum. Die stechenden Augen unter wulstig vorgewölbten Brauen sind nur ein Strich, die glimmende Zigarette klebt im Mundwinkel der verächtlich tief herabgezogenen Lippen, das hager kantige Gesicht mit der fliehenden Stirn krönt ein ausladender Schädel mit schütterem, straff zurückgekämmten Haar. Eine Visage wie aus dem Verbrecheralbum, die nur eines suggeriert: Das hier ist der gefährliche Mann mit dem bösem Blick, vor ihm muss man sich in Acht nehmen. Die Selbststilisierung ist indes so überzogen, das sie gar nicht wahr sein kann und sich sofort als Attitüde selbst entlarvt. Man meint förmlich zu sehen, wie sich die Beteiligten an diesem »fröhlichen Abend« über die Skizze beugten und in schallendes Gelächter ausbrachen. Berüchtigt war der 30-jährige Künstler und Arbeitersohn Otto Dix in diesem Herbst des Jahres 1921 bereits, berühmt war er noch nicht, nur arm wie eine Kirchenmaus

Das sollte sich jetzt ändern. Gerade war er aus Dresden, wo er das Publikum bereits mit seinen drastischen Bildern verschreckt hatte, in die Rheinmetropole und Avantgardehochburg Düsseldorf gekommen. »Ich brauche die Verbindung zur sinnlichen Welt, den Mut zur Hässlichkeit, das Leben ohne Verdünnung«, schreibt er 1920 an den Künstlerfreund Conrad Felixmüller. »Erschlagend zeitnah« wollte er sein, der »Gegenwart ganz nahe«, und das bedeutete in jenen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, den er bis zum bitteren Ende erlebte und überlebte, eine von Krisen und Inflation, von Hunger und Not, von linken Aufständen und rechten Putschversuchen geschüttelte, entfesselte und morbide Gesellschaft. Ihr hielt er den Spiegel vor die Fresse, provozierte und reizte sie bis aufs Blut; mit sich selbst als mit Leichenteilen jonglierender Dandy-Lustmörder und ebenso grotesken wie lächerlichen Kriegskrüppel-Paraden, mit denen er die von George Grosz, John Heartfield, Raoul Hausmann und anderen organisierte Erste Internationale Dada-Messe in Berlin aufmischte. Er sei nicht auf die Anerkennung der Spießer und Nichtspießer angewiesen, wohl aber auf das Geld der ersteren, das war eine durchaus realistische Einschätzung, denn trotz wachsender Bekanntheit verkaufte er nichts. Allerdings blieb er seinem Image als Bürgerschreck, Enfant terrible und Provokateur, der sich mehrfach vor Gericht wegen »unzüchtiger Darstellungen« verantworten muss, noch eine Weile treu. Politisch, zumal parteipolitisch war er ein unsicherer Kantonist und trat nicht wie andere linke Künstler in die KPD ein: »Lass mich mit deiner dämlichen Politik in Ruhe«, beschied er Felixmüller, »ich gehe lieber in den Puff«. Dieses immer wieder kolportierte Bonmot zementierte bis in die nationalsozialistische Diktatur und darüber hinaus das einseitige Verdikt vom obszönen »Hurenmaler«

Kontakte zu den Düsseldorfer Avantgardisten und zur bereits legendären Galeristin Johanna Ey, liebevoll »Das Ey« oder »Mutter Ey« genannt, bestanden bereits. Von dem Urologen, Kunstsammler und Mäzen Hans Koch, der mit seiner Frau Martha überdies ein Kunstkabinett führte, erhielt der Künstler seinen ersten Porträtauftrag. Das wenig schmeichelhafte Bildnis des Arztes mit Glupschaugen und Schmiss neben seinem »Folterstuhl«, gemalt mit dem »bösen Blick«, steht stilistisch an der Wende zwischen den Dada-Grotesken und der harten veristischen Wirklichkeitsmalerei, die seine Porträts fortan auszeichnete und seinen stetig wachsenden Ruhm begründete. Auftrag und Gastfreundschaft vergalt der Maler damit, dass er sich unsterblich in die aparte Frau Koch verliebte, eine Leidenschaft, die sofort erwidert wurde. Wie im Märchen löste sich alles nicht im Drama, sondern im Einvernehmen auf. 1923 heiratete der Künstler vor der Geburt der Tochter Nelly seine Martha und Hans Koch die geliebte Maria, Marthas Schwester. Wie sich zeigte, war Otto Dix ein Familienmensch, er hatte eine ebenbürtige Partnerin gefunden, die Paare blieben freundschaftlich verbunden und die Kinder liebten ihren »Onkel Jimmy«. Die positive Entwicklung beflügelte seine Kunst, er arbeitete ununterbrochen, Aufträge, Verkäufe und Ausstellungen häuften sich, Dix wurde berühmt. Seine Porträtgemälde im Stil der Neuen Sachlichkeit gaben der bürgerlichen Gesellschaft in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik ab etwa 1924 ein Gesicht. Er war 1921 als Suchender und weitgehend Unbekannter nach Düsseldorf gekommen und verließ die Stadt Ende 1925 in Richtung Berlin als erfolgreicher Künstler

»Böse-Blick-Pose« und Sensationsfund

Diesen äußerst produktiven und von mehreren unterschiedlichen Werkphasen geprägten, in sich geschlossenen fünf Jahren widmet die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf jetzt mit vielen Schlüsselwerken eine großartige Ausstellung. Dabei erweist es sich als kluge Entscheidung, den Fokus auf diesen klar begrenzten Zeitraum zu richten und gleichzeitig in der Konzentration auf die hier zur Reife gelangten Themen- und Schaffensfelder die rasante Entwicklung dieses neben Max Beckmann wichtigsten deutschen Künstlers der 20er Jahre nicht nur darzustellen, sondern dem Publikum auch plausibel zu veranschaulichen. Das gelingt mittels einer dezent inszenierten Stadtarchitektur, die den Werken jede Freiheit lässt. Sie geht von der Idee aus, dass sich die Dixsche Kunst in den Weimarer Jahren im urbanen Raum entfaltet: Von einer die gesamte große Halle des Museums K20 wie eine Allee durchschneidenden Hauptachse, gesäumt von den berühmten lebensgroßen Porträts, gehen Nebenstraßen ab, die sich in Raumkabinette, sprich »Häuser«, mit den Papierarbeiten öffnen, mit »Fenstern«, die überraschende Ein- oder Ausblicke gestatten

Die faszinierenden Düsseldorfer Porträts, die die Ausstellung versammelt – Johanna Ey und die Tänzerin Anita Berger, Malerkollege Adolf Uzarski und Fotograf Hugo Erfurth, der Fabrikant Dr. Julius Hesse, der Galerist Alfred Flechtheim und der Philosoph Max Scheler, der Psychoanalytiker Dr. Heinrich Stadelmann und viele mehr – sind bis heute als Sinnbilder einer von Extremen gezeichneten Epoche im kollektiven Gedächtnis verankert. Jener, der Ausstellung den Titel gebende »böse Blick« erweist sich dabei als doppeldeutig. So wie der Künstler sein Gegenüber ansieht und in seinem Wahrheitsfanatismus aber auch gar nichts schenkt, so blicken die Porträtierten zurück, verschlagen, hässlich und böse bis zur Kenntlichkeit. »Ich will nur das Äußere sehen, das Innere ergibt sich dann von selbst«, nur nicht psychologisieren. Um das zu erreichen, experimentierte der Maler bereits in Düsseldorf mit Farben und Mischungen, auch mit der Lasurmalerei, ein aufwendiges, mittelalterliches Verfahren, in dem viele Schichten Farbe übereinander gemalt werden. Es entstand genau das, was er anstrebte, eine undurchdringlich schimmernde glatte Oberfläche, wie bei alten Goldgründen. Eine Technik mit Ewigkeitsanspruch für eine aus den Fugen geratene Welt. Sie prägt die späteren Porträts, wie etwa das grandiose, ebenfalls ausgestellte Bildnis des Schauspielers Heinrich George von 1932. Nur bei den in der Ausstellung aneinandergereihten Selbstbildnissen funktioniert die stereotype »Böse-Blick-Pose« nicht. Sie wirkt nur langweilig und entlarvt sich als das was sie ist: bloße Attitüde. Neben den unterschiedlichen Porträts entstanden über die Jahre dutzende Familienbildnisse, intime, bis zum Kitsch zärtliche Porträts von »Mutzli«-Martha und den Kindern, gemalt wie von dem Romantiker Philipp Otto Runge: keine verschlagenen Schlitzaugen, weit geöffnete Blicke und große runde Pupillen ohne Arg. Otto Dix liebte die Kinder und beschenkte sie alle mit Bilderbüchern. Auch die kleine Hana bekam um 1925 ein solches Buch. In ihm tummeln sich im Folioformat und wunderschönsten Aquarellfarben die sieben Todsünden, grässliche Ungeheuer und unheimliche Tiere. Hana Koch hat den Schatz im Verborgenen gehütet. Die Entdeckung durch die Düsseldorfer Galeristen Herbert Remmert und Peter Barth vor ein paar Monaten war eine Sensation. Nun gehören die 14 Blätter zu den Highlights der Ausstellung

Kitsch vs. Gruselfaktor

Ein weiteres Thema ist die immens provozierende Aquarellmalerei, die Presse und Publikum gleichermaßen spaltete. Nichts stecke hinter diesen süßlich und kitschigen Bildnissen, es sei nur eine »gesucht krasse Form sozialer Schonungslosigkeit«. Bald hätte er seine Rolle ausgespielt. Karl Schefflers Verriss betraf die Ende 1924 erstmals in der Berliner Nationalgalerie ausgestellten Aquarelle. 40 Blätter waren hier zu sehen, etwas weniger als jetzt im K20. Ganz anders Lothar Brieger: »Das Zarte und das kräftige stehen ihr (Anm.: der Aquarelltechnik) zu Gebote, sie vermag den flüchtigen Eindruck aufzufangen, und Entfliehendes der Seele mit unerbittlicher Härte zu verfolgen.« Dix, der zynische Blender auf der einen und erstaunliches Talent auf der anderen Seite. Von der immensen Produktivität des rastlosen Arbeiters ahnten beide Kritiker nichts. Dabei verband er die »serielle Produktion« mit einer ausgesprochenen Lust an Themenwechsel und Vielfalt, immer auf der Suche nach dem »Leben ohne Verdünnung«. In großer Spontanität entwarf der Künstler ein schillerndes Zeitpanorama: Außenseiter, Spießer, Rotlicht-, Zirkus- und Hafenmilieu, Huren und Zuhälter. Das Klischee vom anderen, wilden Leben bis zum Lustmord in dem das Blut in Strömen fließt. Und das alles in den buntesten kitschigsten Wasserfarben. Den gruselig schönsten Lustmord bekam sein »Mutzli zum Geburtstag«. Und als bewusste Überschreitung des guten »bürgerlichen« Geschmacks hing eines der Lustmordgemälde im Esszimmer an der Wand. Manchem verschlug es da den Appetit, wie Martha Dix sich amüsiert erinnerte

Aber der Krieg ließ den Künstler nicht los. Erst im Alter hat er von den jahrelangen Albträumen gesprochen. Die erneute Beschäftigung mit dem Thema fünf Jahre nach Kriegsende war auch ein Versuch der Bewältigung des Traumas: »Los haben wollte ich’s!« Er vollendete 1923 das apokalyptische, heute verschollene Gemälde Der Schützengraben. Der mutige Ankauf durch das Kölner Wallraf-Richartz-Museum löste sofort heftige Proteste aus. Das Bild wurde schließlich an Dix’ Galeristen Karl Nierendorf zurückgegeben und bildete danach den unbestrittenen Mittelpunkt der Wanderausstellung Nie wieder Krieg!

Für die einen war der Künstler ein engagierter Kriegsgegner, für andere ein fanatischer »Kriegsgottverehrer« und die Nationalsozialisten bezeichneten diese Arbeiten später im Katalog der Hetzschau »Entartete Kunst« als »gemalte Wehrsabotage«. Auch dieses grafische Hauptwerk der Düsseldorfer Jahre, in einer Technik, die Otto Dix erst hier erlernte, wird jetzt in der Ausstellung gezeigt, separat und abgedunkelt, in einer an Schützengräben erinnernden Architektur. Eine spannende Inszenierung, so wie die gesamte Ausstellung über den rasanten Aufstieg des Künstlers Otto Dix und seine künstlerische Reifung innerhalb von nur fünf Jahren in Düsseldorf, dargestellt in all ihrer Vielfalt, ihren Brüchen und Abgründen, stilistischen Veränderungen und Werkphasen

Die Ausstellung »Otto Dix – Der böse Blick« ist in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf noch bis zum 14. Mai 2017 zu sehen. Der Katalog ist bei Prestel, München erschienen und kostet 49,95 €.

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