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Frauen in politischen Führungspositionen Das Normale, nicht das Fremde

Jahrzehntelang hatten Frauen in der Politik die besten Chancen, wenn sie sich an die dort herrschende – männlich geprägte – Führungskultur anpassten. In einigen Ländern haben es Politikerinnen inzwischen aber geschafft, ihren eigenen Stil durchzusetzen. Was ist dort passiert?

Im Sommer 2017 fährt eine junge Frau kreuz und quer durch Neuseeland; sie ist ständig unterwegs, auch an Orten, die nicht idyllisch sind. Und wo immer sie auftaucht, lächelt sie. Das ist umfangreich dokumentiert, auch von ihr selbst. Ein paar Monate zuvor war sie noch vor allem eine der »coolsten« Parlamentarierinnen des Landes, wie ein Journalist schrieb: die, die in ihrer Freizeit als DJane auflegte, Whisky mochte und dem Mormonentum ihrer Kindheit abgeschworen hatte; die, die niemals einen höheren Posten haben wollte, unter anderem, weil sie davor, wie sie offen bekannte, zu viel Angst hatte. Jetzt aber, zwei Monate vor der Wahl, war sie plötzlich zur Kandidatin ihrer Labour Party geworden, die in den Umfragen bei ungefähr 20 % lag. Und sie löste eine ungeahnte Euphorie aus, über die bald auch außerhalb der Landesgrenzen gesprochen wurde. Die Euphorie erhielt einen Namen: Jacindamania. Die Frau dahinter, Jacinda Ardern, zu dem Zeitpunkt 37 Jahre alt. Im Herbst des Jahres wurde sie Ministerpräsidentin von Neuseeland und gleichzeitig die jüngste Regierungschefin der Welt.

Kaum ein Jahr später war sie die zweite, die im Amt ein Kind bekam. Als das Kind drei Monate alt war, nahm Jacinda Ardern es mit in die UN-Versammlung in New York. Das alles machte die Neuseeländerin weltweit bekannt. Ein bisschen sprach man auch von ihrer Klimapolitik. Ein bisschen von ihrer zugewandten Art. Wenn sie interviewt wurde, sagte sie manchmal einen Satz, von dem sie vermutlich selbst wusste, dass er gut zitierbar war: »Man kann auf die aktuellen Herausforderungen mit einer Botschaft der Angst antworten. Oder mit einer der Hoffnung.« Es kam dann leider recht bald eine unerwartete, eine große Herausforderung, für ihr Land, für sie selbst. Am 15. März 2019 wurden bei einem Terroranschlag eines Rechtsradikalen auf zwei Moscheen in Christchurch 51 Menschen ermordet. Jacinda Ardern gelang in der Folge etwas, das keinem Präsidenten, keinem Staatschef nach einem Anschlag bis dahin so gelungen war: Sie fand die richtigen Worte und Gesten, immer und immer wieder. Sie handelte sofort. Die Welt sah auf: So geht Leadership, fand nicht nur die New York Times. Fast ohne Hinweis darauf, dass es eine Frau war, die hinter dieser Führungsstärke stand. Das war neu.

Normal war, normal ist etwas anderes: Das Reden über Frauen in der Politik kommt bis heute selten ohne den ausdauernden Bezug auf ihr Geschlecht aus; und es wird fast immer begleitet von einem Diskurs über ein »anderes«, mutmaßlich weibliches Führungsverhalten. Im Negativen wie – inzwischen auch – im Positiven. In der polemischen Herabsetzung wie in der ernsthaften Diskussion. Aber selbst die bewegt sich oft in vorhersehbaren Bahnen. Es ist eine Diskussion, die nicht nur in der Politik stattfindet, sie füllt inzwischen ganze Regalreihen an Literatur über Führungskultur, trivialpsychologische Ratgeber inklusive. Hier wird, anders als es viele Frauen in der Praxis erleben, durchaus überlegt, ob womöglich Frauen die besseren Kommunikatoren, die emphatischeren Vorgesetzten, die gewissenhafteren Organisatorinnen sind. Macht sie das zu den besseren politischen Führern?

Es ist erst wenige Monate her, da sagte der ehemalige US-Präsident Barack Obama bei einer Veranstaltung zum Thema Führung in Singapur: Frauen seien vielleicht nicht perfekt, aber unbestreitbar besser als Männer. Und dass er sich sicher sei, dass, würden alle Nationen von Frauen regierte, man sehr schnell deutliche Verbesserungen wahrnehmen würde, in praktisch allen Bereichen. Ist es tatsächlich so einfach? Und in welchen Strukturen sollte das plötzlich gelingen?

Eine deutsche Momentaufnahme: Am 18. Juli 2019 erscheint die tageszeitung (taz) mit einem Bild auf ihrer Titelseite, das einen Tag vorher im Schloss Bellevue aufgenommen wurde: Annegret Kramp-Karrenbauer, seit wenigen Minuten Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, seit wenigen Minuten eben das nicht mehr, dafür designierte Präsidentin der Europäischen Kommission, und Bundeskanzlerin Angela Merkel sitzen aufgereiht nebeneinander. Die Zeile dazu: »So haben wir uns das Ende des Patriarchats aber nicht vorgestellt«. Es lässt sich viel in das Bild hineinlesen. Aber es lässt sich schwer darüber hinwegsehen, dass es einen Ausschnitt zeigt, keine Normalität, wie die Zeile suggerieren könnte. Es ist das Bild einer Generation von Politikerinnen, deren Spielraum, einen eigenen politischen Stil zu prägen, nach wie vor begrenzt war innerhalb klar tradierter Machtstrukturen. Ihre Karrieren haben in einer Atmosphäre begonnen, in der politische Macht etwas selbstverständlich Männliches war, und in der »männlich« genauso selbstverständlich mit Eigenschaften wie Dominanz, Aggressivität und Emotionslosigkeit als Voraussetzung politischen Sachverstandes verbunden wurde. Frauen blieben in der Politik »Eindringlinge«, wie es die britische Historikerin Mary Beard in ihrem Buch über Frauen & Macht beschreibt – auch wenn es in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr von ihnen gab. Sie hatten bekanntlich vor allem eine Chance, wenn sie sich im Ton und Verhalten anpassten. Was sie nicht davor bewahrte, genau deswegen brüskiert zu werden. Wie bisweilen Hillary Clinton, wie, Lieblingsbeispiel vieler Kritiker, Margaret Thatcher. Wie zahlreiche deutsche Politikerinnen.

Angela Merkel ist zum Zeitpunkt des Fotos fast 14 Jahre Bundeskanzlerin, und sie hat in dieser Zeit ihr Geschlecht so gut wie nie zum Thema gemacht, ihre Kritiker und Kommentatoren dagegen so gut wie immer, fast unabhängig davon, wie sie agierte. Ob man ihr bestimmte weibliche Rollen (»Kohls Mädchen«, »Mutti«) zuwies, oder, noch häufiger, einen Mangel an Weiblichkeit (»das Merkel«) unterstellte – eine Unterstellung, die auch mitschwang, wenn ihre Fähigkeiten als »gute Machtpolitikerin« anerkannt wurden, was es zu einem zweifelhaften Kompliment machte. Als sie 2015 die Grenzen nicht schließen ließ, schlug die Kritik schließlich in einen klassischen misogynen Vorwurf um: zu viel Emotionalität.

Gleichzeitig aber sahen andere Beobachter, wie Angela Merkel die Räume, die sie vorfand, durchaus weitete, ihre Autorität bisweilen anders behauptete, als es ihre Vorgänger getan hatten: im unbeirrten Abwarten vor Entscheidungen. Im Setzen auf das Prinzip Moderation, was ihr international Anerkennung einbrachte, national dagegen bisweilen den Vorwurf der Überparteilichkeit, aber immerhin Koalitionen am Laufen hielt.

Während Merkels Amtszeit wurde die Professorin Gesine Schwan – wenn auch nicht von der Bundeskanzlerin – zum zweiten Mal als Kandidatin für das Bundespräsidentenamt aufgestellt, ein Amt, das bis heute keine Frau in Deutschland innehatte. Sie sei, das erzählte Schwan einmal in einem Interview, damals oft gefragt worden, warum sie als Frau überhaupt nach Macht strebe. Sie habe darauf geantwortet, dass sie Macht wolle. Aber nicht nach einem klassischen Machtverständnis, also um andere zu besiegen, sich gegen sie durchzusetzen. Sondern als Potenzial, das sich in Gemeinsamkeit entfalten könne, mit dem man andere motivieren könne.

Sie war noch nicht lange Premierministerin, da sagte die Neuseeländerin Jacinda Ardern, sie sei oft dafür kritisiert worden, dass sie nicht aggressiv, nicht bestimmt genug sei. Empathie sei ihr als Schwäche ausgelegt worden. Sie sagte aber auch, dass sie das schlicht nicht einsehen würde: Es sei möglich, mitfühlend und gleichzeitig stark zu sein. Nach den Terroranschlägen von Christchurch 2019 überzeugte Jacinda Ardern sofort so gut wie alle im Land, härtere Waffengesetze durchzusetzen; sie verlangte von den Betreibern sozialer Netzwerke, sich ihrer Verantwortung zu stellen – und brachte sie in kürzester Zeit zu einem Gipfeltreffen mit der EU und 17 weiteren Staaten zusammen. Vor allem aber einte sie ihr Land in der Trauer, Vergeltungsrufe gab es keine. Weder von ihr – noch in der Öffentlichkeit. Sie war auch die erste Staatschefin weltweit, die mit ihrem »Wellbeing Budget« nicht nur finanzielle Indikatoren zum Maßstab des Zustandes ihres Landes machte, sondern das Wohlbefinden seiner Bürger. »Soft Power« ist ein Begriff, der im Zusammenhang mit der Neuseeländerin oft auftaucht.

Sie selbst hat noch ein anderes Wort, das sie oft mit sich führt, schon in den Tagen des Wahlkampfes, und später, wenn sie nach dem »Geheimnis« ihrer Führung gefragt wurde: Kindness. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was für eine Art Reaktion dieses Verständnis von Machtausfüllung in vielen Parlamenten der Welt auslösen würde. Es mag Jacinda Arderns individuelle Leistung sein, diese Reaktionen wegzulächeln. Aber es ist eine kollektive Leistung, dass sie Raum fand, in dem sie es tun kann.

Es ist kaum ein Zufall, dass Jacinda Ardern bereits die dritte Ministerpräsidentin ist, die Neuseeland regiert, nach Jenny Shipley von der National Party und Helen Clark von der Labour Party. Es ist womöglich mehr als eine Anekdote, dass Neuseeland das weltweit erste Land war, das das Frauenwahlrecht einführte (1893). Das erste europäische Land, das nachzog, war Finnland (1906). Und auch in Finnland regiert seit kurzem zum dritten Mal eine Frau, sie löste Jacinda Ardern als jüngste amtierende Regierungschefin ab: Sanna Marin trat ihr Amt im vergangenen Jahr mit 34 Jahren an. Das ist, genauso wie bei Jacinda Ardern, keine Überraschung, wie es gerade im Ausland oft dargestellt wurde, sondern sie ist eine erfahrene Politikerin, die bereits seit Jahren auf verschiedenen Posten für ihre Partei arbeitet. Und Ardern und Marin verbindet noch etwas: Beide führen eine nicht unkomplizierte Koalition. Sanna Marin hält fünf Parteien zusammen, übrigens: alle von Frauen angeführt. Jacinda Ardern ist eine Koalition mit dem Politikclown Winston Peters eingegangen, der seit Jahrzehnten der rechtspopulistischen »New Zealand First«-Partei vorsteht, die teilweise Arderns Überzeugungen sehr konträr gegenüberstehende Ideen vertritt. Ein Hinweis darauf, dass das Stereotyp der ausgleichenden weiblichen Führung eben doch nicht nur ein Stereotyp ist?

Die Frage danach, wie weiblich ihr Führungsprinzip ist, hat Jacinda Ardern bisweilen so beantwortet: Es sei für sie weniger eine Frage des Geschlechts als eine des politischen Stils. Es ist ein Satz, der auch deswegen in die Zukunft weist, weil sich aus ihm ein wichtiger Hinweis herauslesen lässt: Die Vorstellung von Macht und Führung, wie sie bislang den Politikbetrieb bestimmte, sind nicht von Männlichkeit, sondern von einer stereotypen Vorstellung von Männlichkeit bestimmt. Von einer Vorstellung allerdings, und das ist die Herausforderung, die sich in einigen Nationen wieder verstärkt durchzusetzen scheint. »Anti-Trump« wurde Jacinda Ardern bisweilen auch genannt. Auch das Bild der drei Frauen im Bundespräsidialamt war in gewisser Weise ein Abschiedsbild, mehr, als man es zum Zeitpunkt der Aufnahme annehmen konnte; aus der Bundespolitik werden bald alle verschwunden sein. Angela Merkel und Ursula von der Leyen haben zuletzt weitaus weniger als früher vermieden, über die Rolle von Frauen zu sprechen, auch über die eigene. Die Frage ist, wie sich die Räume, die sie geweitet haben, weiterentwickeln werden. Der neuseeländische und finnische Weg der langsamen, aber kontinuierlichen Akzeptanz von Frauen als das Normale, nicht das Fremde in der Politik, ist der, der auch andere Vorstellungen von Führung zulässt. Und damit ein Ende von Binarität in Aussicht stellt.

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