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Das »Projekt« Heimat

Quer durch die Gesellschaft wächst die Angst vor dem sozialen Abstieg. Den anonymen Kräften der Globalisierung, Automatisierung und Migration scheinbar ohnmächtig ausgeliefert, ziehen sich Viele darauf zurück, wenigstens ihre eigene Lebenssituation in den Griff zu bekommen. Dieser Rückzug ins Private macht jedoch die gemeinschaftlichen Räume, die früher das Gefühl der Gestaltbarkeit der eigenen Umwelt vermittelt haben, noch enger. Das sinkende Vertrauen in die Gestaltungskraft der Politik wurde durch den Rückzug des Staates aus vielen ländlichen Regionen noch verstärkt. Viele Menschen fühlen sich im Stich gelassen und sehen sich nach politischen Alternativen jenseits der demokratischen Mitte um.

All jenen, die das Gefühl haben, in den von Lobbyisten dominierten Postdemokratien kein Gehör zu finden, von den rasanten wirtschaftlichen Umbrüchen abgehängt zu werden und von der pluralistischen Gesellschaft im Allgemeinen und den libertären Eliten im Besonderen keine Anerkennung zu erfahren, versprechen die Rechtspopulisten Schutz und Halt.

Das politische Projekt der Identitären zielt in einer immer komplexeren Welt auf die Wiederherstellung von Ordnung durch die Homogenisierung der Gesellschaft. Im Grunde bedeutet das nicht viel mehr als die Wiederherstellung der weißen, heterosexuellen und männlichen Vorherrschaft durch den Ausschluss all jener, die für die diffusen Gefühle von Bedrohung und Entfremdung verantwortlich gemacht werden. Und doch ist die Erzählung von einer goldenen Vergangenheit attraktiv für all jene, die sich in einer scheinbar aus den Fugen geratenen Welt nach Sicherheit sehnen, ihre Identität festigen wollen, wo traditionelle Gemeinschaften auseinanderbrechen oder falsche Gewissheiten suchen, wo Unsicherheit wächst.

Um den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, muss Politik also wieder dafür kämpfen, den Menschen Kontrolle über ihr Leben und das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft zurückzugeben. Materielle Absicherungen reichen da jedoch nicht aus. Menschen brauchen eine Identität, die ihnen Stolz, Anerkennung und Selbstachtung verleiht, um sich auf eine rasant verändernde Welt einlassen zu können. Die Sozialdemokratie muss all jenen ein Angebot machen.

Bisher hat es die Sozialdemokratie versäumt, dem völkischen Angebot der Rechtspopulisten ein progressives Identitätsangebot entgegenzusetzen. Das erklärt sich einerseits aus der Angst, die nationalistische Büchse der Pandora und damit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus Tür und Tor zu öffnen. Andererseits beklagen viele, dass es gerade das Zuviel an Identitätspolitik und das Zuwenig an Verteilungskampf war, was die weiße Arbeiterklasse verprellt hat.

Beide Einwände greifen jedoch zu kurz. Erstens hatte die Sozialdemokratie traditionell keinerlei Scheu, sich der emotionalen Energie kollektiver Identitäten zu bedienen. Die Lebenswelt der Arbeiterbewegung war voll von bewusstseinsbildenden Institutionen, von den Wandervögeln über die Lieder bis zum Turnverein. Zweitens zeichnen sich die politischen Konflikte des 21. Jahrhunderts, von der Zuwanderung bis zur Geschlechtergerechtigkeit, gerade dadurch aus, dass materielle Verteilungskonflikte im kulturellen Gewand ausgefochten werden. Sind Progressive nicht in der Lage, ihre Anliegen in einer Sprache zu formulieren, die in diesen neuartigen Debatten anschlussfähig ist, dann finden auch ihre Sachargumente kein Gehör. Die kampflose Aufgabe der kollektiven Identität hat das Spielfeld den Rechtspopulisten überlassen, das diese nur allzu eifrig durch völkische Versprechungen nutzen.

Es sind jedoch keineswegs nur taktische Argumente, die für ein progressives Identitätsangebot sprechen. Auch die Herzkammer der Sozialen Demokratie, die Solidargemeinschaft, funktioniert nicht ohne einen Identitätsrahmen. Ist nicht klar, wer zur Gemeinschaft gehört und wer nicht, dann bleibt auch unklar, wer mit wem etwas teilen soll. Hier zeigt sich ein zentrales Dilemma aller progressiven Projekte. Die Umverteilung zwischen den Mitgliedern einer Solidargemeinschaft funktioniert umso besser, je kleiner diese ist. Allerdings werden die benötigten Ressourcen im Verteilungskampf mit einem Kapitalismus gewonnen, der global agiert.

Aus diesem Dilemma erklären sich auch die gegensätzlichen Richtungen, in die progressive Strategen ihre Projekte führen wollen. Auf der einen Seite werben die Linksnationalisten für eine Rückbesinnung auf den Nationalstaat. Außer der erfolgreichen Nutzung der emotionalen Kraft der Nation verbindet die Scottish National Party (SNP), die spanische »Podemos«, die katalanischen Separatisten oder die französische Bewegung »Nuit debout« wenig. Strategisch versuchen die Linksnationalisten zu erreichen, was Progressiven seit Jahrzehnten nicht gelungen ist: die isolierten Kämpfe partikularer Interessengruppen zu vereinen. Die Nation soll dabei den gemeinsamen Nenner zwischen den heterogenen Interessen der »99 %« bilden. Um die Nation als progressive Klammer nutzen zu können, muss zunächst den Rechten die Deutungshoheit über diesen problematischen Begriff abgerungen werden. Das soll einerseits durch eine andere Form der Abgrenzung geschehen. Wo sich die völkischen Rechten von den »Fremden« abgrenzen, konstruieren Progressive »das Volk« (also die 99 %) durch die Gegenüberstellung zu »den Eliten« (1 %). Schotte im Sinne der SNP ist also jeder, der in Schottland lebt, jenseits von Geburt oder Abstammung. Andererseits wird positiv an die progressiven Errungenschaften des wohlfahrtsstaatlichen Nationalstaats angeknüpft. Den Wohlfahrtsstaat vor der endgültigen Schleifung durch das globale Kapital und seine technokratischen Helfershelfer in Brüssel zu retten, ist das eigentliche Ziel der Linksnationalisten.

Die Internationalisten lehnen diese Strategie des »Sozialismus in einem Land« vehement ab. Sie glauben nicht daran, dass die kleinen Nationalstaaten auf sich alleine gestellt in der Lage sind, die globalen Herausforderungen vom Klimawandel über den Terrorismus bis zu den Finanzkrisen zu bewältigen. Um den neoliberalen Angriff auf die Soziale Demokratie abwehren zu können, wollen sich die Internationalisten auf derselben Ebene wie das globale Kapital organisieren. Konsequent zu Ende gedacht, überführt diese Strategie der multilateralen Integration das Europa der Vaterländer in die kosmopolitische europäische Republik.

Beide Strategien stoßen jedoch schnell an ihre Grenzen. Der Linksnationalismus könnte durchaus neue Verbündete gewinnen, riskiert aber zugleich die eigene, internationalistische Basis zu entfremden. Dagegen verprellen die kulturellen Botschaften der libertären Internationalisten die Arbeiterklasse, während sich die kosmopolitischen Mittelschichten nicht für ihr wirtschaftliches Umverteilungsprogramm erwärmen können.

Eine erfolgreiche Strategie muss also über den Nationalstaat hinausdenken, zugleich aber das Bedürfnis vieler Menschen nach Sicherheit, Halt und Zugehörigkeit befriedigen. Deswegen laufen Versuche, eine kosmopolitische Identitätsbestimmung schlicht durch eine konservativere Positionierung zu ersetzen, ins Leere. Ehe für alle, Integration und Geschlechtergerechtigkeit gegen Sicherheit, Leitkultur und Kohlekumpelromantik aufzurechnen, bringt wenig und riskiert neue Spaltungen im progressiven Lager. Genauso verfehlt ist es jedoch, emotionale menschliche Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Halt und Zugehörigkeit einfach zu ignorieren und stattdessen allein auf materielle Umverteilung zu setzen. Der progressive Identitätsbegriff muss also beides konstruktiv miteinander verbinden.

Jeder Versuch, einen progressiven Identitätsbegriff zu konstruieren, muss sich vorsichtig durch vermintes Gelände tasten. Emotional belegte Begriffe wie Nation, Patriotismus oder Leitkultur sind im libertären Teil der sozialdemokratischen Lebenswelt nicht vermittelbar. Andererseits sind blutleere Begriffe wie der Verfassungspatriotismus nicht in der Lage, die universellen menschlichen Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Stolz, Selbstachtung, Ehre, Halt und Sicherheit zu befriedigen.

Eine emotionale Bindung lässt sich aus der Solidargemeinschaft ableiten. Der amerikanische Politikwissenschaftler Mark Lilla versteht diese als eine »Gemeinschaft von Bürgern, die alle im selben Boot sitzen und sich deshalb gegenseitig helfen müssen«. Sich um andere zu kümmern, sich gegenseitig gegen innere und äußere Bedrohungen zu schützen, auf diese empathischen Tugenden dürfen Progressive zurecht stolz sein. Aus diesem Stolz, aktiv zur Solidargemeinschaft beizutragen, kann progressive Identität entstehen. Besonders griffig ist der Begriff der Solidargemeinschaft aber nicht.

Vielversprechender ist ein progressiver Heimatbegriff, der sich natürlich nicht als tumbe Deutschtümelei versteht. Die progressive Heimat ist weder ethnisch noch religiös exklusiv, hier können alle Bürger des Landes jenseits ihrer Herkunft oder Abstammung zusammenkommen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat daher von einem Ort in der Zukunft gesprochen, den wir als Gesellschaft erst schaffen. Anknüpfen lässt sich allerdings an die vitale Kultur lokaler Traditionen. Weil sich Menschen ihre Identität auf vielerlei Ebenen bauen, gibt es Heimaten auch im Plural. Heimat ist der Ort, der Gemeinschaft erst erlebbar und erfahrbar macht. Der Wiederaufbau gemeinschaftsstiftender Räume und Symbole ist daher ein wichtiger Teil dieses Heimatverständnisses. Heimat gibt Sicherheit im Taumel des Wandels, Zusammenhalt wo Solidarität schwächer wird, Zugehörigkeit in der individualisierten Gesellschaft und Anerkennung für die eigene Lebensgeschichte. Allerdings muss ein progressiver Heimatbegriff immer internationalistisch und europäisch sein. Die sozialdemokratische Heimat ist also ein weltoffener Ort mitten in Europa.

Versuche, einen sozialdemokratischen Heimatbegriff zu konstruieren, gab es in jüngster Zeit vermehrt. Dabei darf es jedoch nicht nur bei rein kulturellen Zuschreibungen bleiben. Im schlimmsten Fall sind diese sogar kontraproduktiv, weil sie zu Konflikten zwischen der kosmopolitischen und der kommunitaristischen Lebenswelt der Sozialdemokratie führen. Ein progressiver Heimatbegriff braucht daher immer auch eine materielle Komponente. Die sozialdemokratische Identität erschöpft sich also nicht nur in Traditionen und Werten. Die progressive Heimat ist auch der Ort, an dem das »Gute Leben« in der »Guten Gesellschaft« ermöglicht wird.

Ein gutes Leben ist ohne öffentliche Daseinsfürsorge nicht möglich. Wenn es im Erzgebirge weder Busse noch Bahnen gibt, oder wenn Berlin im Müll versinkt, dann ist ein gutes Leben dort nur schwer möglich. Wenn junge Eltern zittern müssen, um einen Kitaplatz zu ergattern oder umziehen müssen, um ihre Kinder in eine bessere Schule schicken zu können, wenn sich Frauen, Schwule oder Flüchtlinge nicht ohne Angst auf Straßen und Plätzen bewegen können, dann ist die Gesellschaft nicht gut.

Die progressive Heimat ist also eine lebenswerte Heimat. Diese wurzelt in lokalen Traditionen und schaut offen in die Welt. Sie stärkt die Menschen dabei, ihr eigenes Leben und das Zusammenleben in der Gemeinschaft zu gestalten. Die materielle Voraussetzung dafür sind erstklassige öffentliche Güter. In den ländlichen Gebieten, aber auch in den heruntergekommenen Gebieten der postindustriellen Städte bedeutet das Investitionen in Mobilität durch den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, in die Grundversorgung mit Postdienstleistungen und Glasfaserkabeln, in öffentliche Begegnungsorte wie Schwimmbäder und Sportvereine, sowie in kulturelle Debatten- und Erinnerungsorte wie Theater und Museen. Um sich den Herausforderungen der Digitalisierung zu stellen, bedeutet dies eine radikale Reform der Bildungssysteme. Und um den Ängsten der Menschen entgegenzuwirken, braucht es sowohl eine Stärkung der Polizei als auch der sozialen Sicherungssysteme.

All dies ist nur durch eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen und Länder möglich. Die Rückkehr des investierenden, handlungsfähigen Staates ist allerdings nur durch einen Abschied von der »schwarzen Null« zu erreichen. Das politische Ziel der lebenswerten Heimat ist es also, die Gesellschaft aus dem neoliberalen Würgegriff der Austerität zu befreien. Denn nur der handlungsfähige Staat ermöglicht, was sozialdemokratische Politik im Kern bedeutet: die Gestaltung der Gesellschaft. Die Rückkehr der investierenden öffentlichen Hand gibt der Sozialdemokratie ihren keynesianischen Werkzeugkasten zurück. Und den wird sie dringend brauchen, um die strukturelle Nachfragekrise zu bearbeiten, die den Kapitalismus seit Jahrzehnten destabilisiert. Konkret bedeutet dies, die Rekordüberschüsse nicht länger in die Schuldentilgung zu leiten, sondern in Bildung, Infrastruktur und innere Sicherheit zu investieren.

Das Bekenntnis zu Europa ist keineswegs ein rhetorisches, sondern ein substanzielles materielles Angebot. Frankreich und Italien erwarten aus Berlin zurecht ein klares Zeichen zur Stärkung Europas. Forderungen nach einer Transferunion sind jedoch in Deutschland nur schwer vermittelbar. Das Ende der Austerität eröffnet einen Ausweg aus dieser europapolitischen Sackgasse. Die Überwindung des Investitionsstaus treibt eben nicht nur das deutsche Wachstum an, sondern hilft zugleich bei der Lösung der Eurokrise. Die Linderung der europäischen Ungleichgewichte durch verstärkte Investitionen und steigende Löhne in Deutschland ist daher das einzig richtige Signal an die europäischen Partner.

Die Rückkehr der öffentlichen Hand in die ländlichen Gebiete signalisiert den Abgehängten dort, dass der Staat sie nicht aufgegeben hat. Die Stärkung des Sozialstaates als Bollwerk gegen die Fliehkräfte des globalen Finanzkapitalismus hilft dabei, Abstiegsängste zu lindern. Eine verbesserte innere Sicherheit ermöglicht den Menschen, den rasanten Wandel der Gesellschaft anzunehmen. Die lebenswerte Heimat bietet so Halt in den Stürmen der Veränderung und ist daher das beste Mittel, um den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Die lebenswerte Heimat bietet also die gemeinsame Plattform, auf der sich alle Strömungen der Sozialdemokratie wiederfinden können. Die Stärkung der inneren Sicherheit ist eine wichtige Forderung der konservativeren Sozialdemokraten. Der Paradigmenwechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist das Kernanliegen der Linken. Zugleich ist der Fokus auf öffentliche Investitionen in die Daseinsvorsorge auch für Umverteilungsskeptiker attraktiv. Die Rückkehr der öffentlichen Hand in die Fläche dürfte auch Anhänger in den ländlichen Gebieten und bei auf den deutschen Markt angewiesenen Mittelständlern finden.

Erste Erfahrungen zeigen, dass der Begriff der lebenswerten Heimat im kommunitaristischen Teil der sozialdemokratischen Lebenswelt sehr gut funktioniert. Kosmopoliten fremdeln mit ihm hingegen häufig. Es wird die Sorge geäußert, dass die Verwendung eines »rechten Begriffs« die Rechtspopulisten salonfähig machen könne. Dabei haben ja gerade die Identitären vorgemacht, wie man erfolgreich ehemals »linke« Begriffe wie »Establishment«, »System« oder »Bewegung« neu besetzt. Den Rechtspopulismus zu bekämpfen heißt also gerade die Deutungshoheit über Schlüsselbegriffe zurückzugewinnen. Hinter diesen taktischen Diskussionen verbergen sich gegensätzliche Sprachverständnisse. Für Essenzialisten haben Begriffe einen objektiven Inhalt und können daher nicht beliebig umcodiert werden. Für Konstruktivisten wird deren Bedeutung im Rahmen gesellschaftspolitischer Kämpfe immer wieder aufs Neue ausgehandelt. Diese auf den ersten Blick akademische Debatte muss dringend geführt werden, wenn sich die Sozialdemokratie erneuern will. Wie der ewige Streit um die Symbole der Agendapolitik zeigt, ist die Auseinandersetzung auf der materiellen Verteilungsachse völlig festgefahren. Nun droht auf der kulturellen Anerkennungsachse ein ebenso unproduktives Nullsummenspiel zwischen den Kosmopoliten und den Kommunitaristen. Wie am Beispiel der lebenswerten Heimat gezeigt wurde, entkommt man dieser Falle nur durch eine konstruktive Verbindung der materiellen mit der kulturellen Dimension. Ohne den kreativen Umgang mit Sprache ist es aber nicht möglich, solche Spannungen und Widersprüche dialektisch aufzuheben.

Um die Sozialdemokratie zu neuer Stärke zu führen, braucht es einen in die Zukunft gerichteten Kompromiss zwischen ihren wichtigsten Strömungen. Daher hilft es wenig, sich nur den Teil der lebenswerten Heimat herauszupicken, der zur jeweils eigenen Agenda passt. Die Fortführung der Austeritätspolitik mit ein wenig Heimat drum herum ist ein konservativer Ansatz, der in der sozialdemokratischen Lebenswelt nicht funktionieren wird. Umgekehrt sollte es den Linken die Rückkehr des handlungsfähigen Staates in die Fläche wert sein, einen Identitätsbegriff zu akzeptieren, der nicht aus der eigenen Filterblase stammt.

Sicherlich ist es auch wichtig, darüber nachzudenken, ob andere Begriffe wie »Zuhause« oder »Gemeinschaft« besser als gemeinsame Klammer zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen geeignet wären. Ist die Neubestimmung eines Begriffs das Ergebnis gesellschaftspolitischer Kämpfe, muss man nüchtern einschätzen, ob die Sozialdemokratie derzeit überhaupt die Kraft hat, die Deutungshoheit über den Begriff der Heimat zu erringen. In jedem Fall muss der Identitätsbegriff die materielle Verteilungsfrage mit der kulturellen Anerkennungsfrage verbinden. Auf beide Fragen Antworten zu formulieren, dazu ist die Sozialdemokratie aufgrund ihrer einzigartigen Positionierung im Zentrum des politischen Feldes wie keine andere politische Kraft in der Lage.

Um die großen Umbrüche unserer Zeit zu bestehen, dürfen sich die Menschen weder materiell zurückgelassen noch kulturell verunsichert fühlen. Als Aufbruchssignal für die Sozialdemokratie funktioniert der Identitätsbegriff also nur, wenn er mit einer keynesianischen Wirtschaftspolitik verbunden wird.

Der Sozialdemokratie ist es bereits einmal gelungen, die letzte große Transformation zum Wohle aller zu gestalten. Durch die Verbindung sozialer, innerer und kultureller Sicherheit mit einem optimistischen Aufbruchsnarrativ wird es ihr auch dieses Mal wieder gelingen.

Die lebenswerte Heimat zeigt exemplarisch, wie man die materielle Verteilungsfrage in einen kulturellen Rahmen einbetten kann. Weitere Konzepte nach dieser Formel müssen nun entwickelt werden. Die lebenswerte Heimat ist also ein erster Schritt bei der Neubestimmung dessen, was Soziale Demokratie im 21. Jahrhundert bedeutet.

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